Friedrich Schiller: Die Räuber

Leben & Werk Die Räuber U-Material Recht und Rache im Drama R. Safranski über "Die Räuber"

Die Logik von Recht, Rache und Selbsthelfertum im Drama

EXPOSITION Akt I: Die Kränkungen durch die 'Natur'

FRANZ (I,1)

leidet unter einer doppelten Benachteiligung durch die ‚Natur':
  • seine Hässlichkeit und
  • die Ungerechtigkeit der geltenden Rechtsordnung, die den Zweitgeborenen benachteiligt

Er definiert daraufhin den Willen der Natur um, indem er sich auf das moder-nere, aufgeklärte Verständnis von Naturrecht beruft („ein Gewissen nach der neuesten Facon", S.17): Alle Menschen sind gleich, der Stärkere (d.i. der Erfindungsreichere) hat Recht.

Daraus leitet er den Impuls zur Rache und zum Selbsthelfertum ab.

Seine Lage ist nach bestehendem Recht hoffnungslos.

KARL (I,2)

sieht sich vom Vater ungerecht behandelt durch
  • die Zurückweisung seiner Reue
  • nicht erfüllte Hoffnung auf dessen Großmut
  • Zorn über Enterbung und Entmündigung

Diese Demütigungen werden empfunden als unzulässige Beschränkung seiner natürlichen Rechte.

Es folgt die unmittelbare Projektion seiner Enttäuschung auf das gesamte „Menschengeschlecht", daraus wird die Rechtfertigung zur Rache hergeleitet

Aber: Karls Lage ist durch eigenes Handeln hoffnungslos, er hat sich durch sein studentisches Lotterleben angreifbar gemacht und unternimmt auch keine Versu-che, nach Erhalt des Briefes das Missverständnis / die Intrige aufklären zu wol-len.

Akte II/III/IV: Racheakte und Desillusionierung

FRANZ' Rachbedürfnis ist nachvollziehbar, aber:

  • Er handelt von Anfang an amoralisch
  • rächt sich an den Personen, von denen er sich gedemütigt fühlt: Bruder Karl und Vater Moor, Amalia ist dabei das Mittel der Rache

  • Die Maßlosigkeit seines Handelns führt ins ‚Nichts' (IV,2 S.97), in den Nihilismus, der Leugnung höherer Werte (Gespräch mit Pastor Moser V,1) und damit zur absoluten (Selbst-)Vernichtung.

Franz Charakter ist negativ („flach"), ohne Entwicklung und positive Grundhal-tung,.

KARLS Charakter ist dagegen vielschichtig, („rund"): Sein Rachebedürfnis ist von Anfang an unzureichend motiviert, fragwürdig, und der Zerrissenheit seines Charakters geschuldet. Aber:

  • Er besitzt eine positive Vision, eine Hoffnung auf eine in der Welt vorhandene Harmonie, eine zu realisierende Ordnung: die Väterwelt (nicht Republik!).
  • Seine Selbsterhebung zum Weltenrichter bekommt darin auch eine sozialkriti-sche Motivation (II,3 S.60,73).

  • Sein gesetzloses Handeln strebt ausgleichende Gerechtigkeit an (Robin-Hood-Motiv, Kosinski, III,2).

  • Der Prozess der Desillusionierung, den er durchläuft, ist zugleich ein Erkenntnisprozess, der zu einer Vorstellung führt, wie die Harmonie der Welt wieder hergestellt werden kann.

Diese Desillusionierung beginnt schon in II,3 (S.66) mit Schufterles Prahlerei, es folgen Szenen der Selbstentdeckung in der Begegnung mit den Figuren der Väterwelt: Amalia (IV,2), Daniel (IV,3), Vater Moor (IV,5)

Akt V: Entscheidungen

FRANZ: Ein Erkenntnisprozess findet nicht statt, er bleibt Sklave seiner Rache, seine Handlungsfreiheit reicht nicht einmal aus, um sich eigenhändig das Leben zu nehmen (V,1 S.129), er erhängt sich schließlich unspektakulär und hastig mit seiner Hutschnur. Seine anfängliche Berufung auf natürliche Gleichheit und Freiheit schafft keine Vorstellung einer wie auch immer gearteten Ordnung.

KARL erlangt demgegenüber Handlungsautonomie. Jetzt handelt er ‚frei', nachdem er zuvor den Selbstmord noch als letzten Akt der „Freiheit" (IV,5 S. 112) bezeichnet, aber dann doch unterlassen hat („Stolz").

In seiner Selbstübergabe ist ein idealistischer Versöhnungswille enthalten, das „beleidigte Gesetz" und die „misshandelte Ordnung" (V,2) so zu ihrem Recht kommen zu lassen.

Die bestehende Rechtsordnung wird durch Karls Handeln allerdings nicht verändert oder in Frage gestellt. Das „Gesetz", um dessen Willen Karl sich der Justiz ausliefert, ist vielmehr identisch mit der Vision einer „Harmonie der Welt", die nicht nur in der „seelenlosen Natur" waltet, sondern auch in der „vernünftigen" Natur der Menschen gelten soll. (IV,5). Ob dies mehr sei als die verlorene Väterwelt – darüber streiten die Gelehrten.


(cc) Klaus Dautel


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