Heinrich Leopold Wagner

Einführung Das Trauerspiel Unterrichtspraktisches

Die Kindermörderin - Ein Trauerspiel - Einführung


  • Heinrich Leopold Wagner, geboren 1747 in Straßburg, 1779 gestorben in Frankfurt (wahrscheinlich an Lungentuberkulose). Er studierte Jura in Straßburg, arbeitete als Hofmeister (→ Hauslehrer) und ließ sich schließlich als Advokat in Frankfurt nieder. Wagner verfasste außer Jugend-Gedichten noch zwei Dramen, wovon "Die Kindermörderin" in Berlin 1777 aufgeführt wurde, allerdings in einer von Karl Lessing (Bruder von G.E. Lessing) veränderten und völlig entschärften Fassung.
  • Das Thema des Kindermordes und das Schicksal junger Frauen wurde in den Kreisen der Stürmer und Dränger angeregt durch die öffentliche Hinrichtung der Kindsmörderin Susanna Margareta Brandt in Frankfurt im Jahre 1772. Die Empörung über diese grausame und rückständige Rechtsprechung war besonders unter jungen Juristen sehr groß. H.L. Wagner, J.W. Goethe ("Faust, der Tragödie erster Theil"), J.M.R. Lenz ("Die Soldaten", Komödie), G.A. Bürger ("Die Pfarrerstochter von Taubenhain", Ballade) und später auch F. Schiller ("Die Kindermörderin", Gedicht) beschäftigten sich mit diesem Thema in der Absicht, auf die öffentliche Meinung einzuwirken. Die Handlung und die Sprache dieser Werke waren dementsprechend provokativ und gefühlsbetont.
  • Der Literaturhistoriker Georg Lukacs schreibt über die Bedeutung dieser Thematik bei den Autoren dieser Zeit:

    Die Beliebtheit dieses Themas ist keineswegs zufällig (...) Sozial ist ... die Tragödie des verführten Bürgermädchens nur EIN Fall unter den vielen Übergriffen des Feudalismus. Vom Standpunkt der dichterischen Gestaltung aber hat dieses Thema solche Vorzüge, dass es nicht zufälligerweise zum dramatischen Hauptthema der deutschen Aufklärung wurde. Vor allem sind hier in ziemlich prägnanter Weise, in einem leicht nacherlebbaren typischen Einzelfall die widerwärtigsten, das ganze Bürgertum ... spontan empörenden Züge der Unterdrückung konzentriert ...
    Weiter bietet gerade dieses Thema am wirksamsten den am weitesten im Vordergrund stehenden Gegensatz: den der beiden Moralen, der moralischen Verkommenheit, des moralischen Nihilismus beim Adel und des gesunden, sittlichen Gefühls beim Bürgertum. Endlich kann hier die Schwäche der Bürger, ihre Ohnmacht gegenüber dem Adel vollkommen wahrheitsgetreu dargestellt werden, und es kann doch ihr passiver, echt gewachsener, nicht gewaltsam emporgeschraubter Heroismus zum Ausdruck gelangen. So ist es nicht zufällig, daß selbst bei dem politisch leidenschaftlichsten Dramatiker des Sturm und Drang, beim jungen Schiller, der Soldatenverkauf durch die Fürsten nur eine Episode in der zentralen Liebestragödie bildet.

    G. Lukacs: Faust-Studien (1940), in: Faust und Faustus, Hamburg 1971 S.179/80

  • J.W. Goethe über den Straßburger Gesellen H.L. Wagner und dessen Drama:
    "Vorübergehend will ich ... noch eines guten Gesellen gedenken, der, obgleich von keinen außerordentlichen Gaben, doch auch mitzählte. Er hieß Wagner, erst ein Glieder der Straßburger, dann der Frankfurter Gesellschaft; nicht ohne Geist, Talent und Unterricht. Er zeigte sich als ein Strebender, und so war er willkommen. Auch hielt er treulich an mir, und weil ich aus allem, was ich vorhatte, kein Geheimnis machte, so erzählte ich ihm wie andern meine Absicht mit "Faust", besonders die Katastrophe von Gretchen. Er faßte das Sujet auf, und benutzte es für ein Trauerspiel, "Die Kindesmörderin". Es war das erstemal, daß mir jemand etwas von meinen Vorsätzen wegschnappte; es verdroß mich, ohne daß ich's ihm nachgetragen hätte. Ich habe dergleichen Gedankenraub und Vorwegnahmen nachher noch oft genug erlebt ..."

    J.W. Goethe: Dichtung und Wahrheit, Dritter Teil, 14. Buch, zit. nach Projekt Gutenberg.

(cc) Klaus Dautel

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