Friedrich Schiller: Die Räuber

Leben & Werk Die Räuber U-Material Recht und Rache R. Safranski über „Die Räuber"

Szenenanalyse IV,5

Beispiel einer Szenenanalyse, mit der ein Strukturierungsvorschlag gemacht wird, welcher die Vielfalt der möglichen Interpretationsaspekte in eine übertragbare Abfolge (ein „Schema”) bringen soll. Das mag etwas schematisch und nicht ganz integrativ sein, aber als Ausgangspunkt für die Schreibarbeit durchaus nützlich.

  • I. Was ging voraus?

    Ereignisse, die für das Verständnis der vorliegenden Szene bedeutsam sind.

  • II. Die Szene
    1. Szenerie: Ort und Zeit
    2. Überblick: Die Situation
    3. Detailarbeit: Die Ereignisse
    4. Sprache: Charakteristisches
    5. Zusammenfassung und Einordnung
  • III. Was folgt daraus?

    Ereignisse, die sich aus dieser Szene folgerichtig oder auch unerwartet ergeben.

Inhaltlich ist natürlich vieles ausbaubar, aber das ist immer so. Auf Zeilenangaben wird verzichtet, die Seitenangaben beziehen sich auf die Reclam-Ausgabe.

I. Was ging voraus?

Im IV. Akt kehrt Karl Moor ins väterliche Schloss zurück. Diese Rückkehr ist ausgelöst worden durch das Auftreten und die Geschichte Kosinskys (III,2). Karl will vor allem seine Amalia sehen, wohingegen die Räuber eher ans Anzünden denken (S. 75). Im väterlichen Schloss begegnet er tatsächlich seiner Geliebten, er gibt sich aber nicht zu erkennen und sie erkennt ihn nicht, da sie ein anderes Bild von ihm in ihrer Erinnerung hat (IV,4). Er ist daraufhin schwermütig und ratlos.

II. Szenenanalyse

1. Ort und Zeit:

Die zu analysierende Szene spielt sich im Wald ab und in der Nacht. Der Wald symbolisert hier eine Gegenwelt zur väterlichen Welt. Letztere ist geordnet, gepflegt und heimatlich, der Wald dagegen ist der Rückzugsort und das Versteck der Räuberbande.

2. Situation:

In Abwesenheit des Hauptmanns werden in der Bande Zweifel über dessen rechte Räubergesinnung geäußert („Wir dürfen nicht rauben." S.92), so dass Spiegelberg versucht, diese Stimmung gegen Karl auszunutzen. Die alte Rivalität arbeitet in ihm weiter. Der getreue Schweizer ersticht Spiegelberg daraufhin. Der nun hinzukommende Karl, gerade erst bei Amalia gewesen, nimmt diese Tat Schweizers als Zeichen des Schicksals und erwägt in einem längeren Monolog den Selbstmord, den er dann aber nicht durchführt.

3. Textanalyse:

Der Szenenausschnitt beginnt mit einem Dialog, in dem Schweizer dem hinzukommenden Karl ds Vorgefallene berichtet und von seinem Hauptmann eine Würdigung seines Handelns erwartet: „sei du Richter ...". Diese bekommt er jedoch nicht, da Karl in diesem Augenblick der Schwermut und Ratlosigkeit anders denkt als Schweizer: Während dieser die Tötung Spiegelbergs als Akt der Loyalität versteht, sieht Karl darin ein Zeichen höherer Mächte („rachekundige Nemesis"); in seiner Schwermut („ich habe mich selbst verloren”, 94/5) ist er nicht mehr in der Lage, seiner Rolle als Hauptmann gerecht zu werden („gib uns Ordre, Hauptmann”) und sucht stattdessen die mitternächtliche Einsamkeit, um mit sich ins Reine zu kommen.

Das nun in dieser Stimmung und in diesem nächtlichen Ambiente geführte Selbstgespräch ist geprägt von der äußeren Situation („alles so finster”), die er auf seine innere Situation bezieht: „kein leitendes Gestirn”. Er ist orientierungslos, das lassen auch die drei Fragesätze erkennen, in denen er überlegt, wozu er noch weiterhin vergeblich nach Verwirklichung seines Glückes streben soll, wenn er sein Leben mit einem einfachen Pistolenschuss beenden könnte.

Diese Pistole, die er in der Hand hält - und nicht mehr die Laute - wird nun zu seinem Begleiter, ein Gegenstand, der gleichzeitig den Monolog strukturiert: „die Pistole vors Gesicht haltend ... Er setzt die Pistole an ... Er lädt die Pistole" (S. 95/6).

In einem ersten Gedankengang wird er des Widerspruchs gewahr, der zwischen der „göttlichen Harmonie” in der Natur und seinem eigenen Zustand besteht. Die „Geister” der von ihm Ermordeten verfolgen ihn, und obwohl er behauptet nicht zu zittern, tut er dies „heftig”, wie die Schiller'sche Regieanweisung vorgibt.

In dem nachfolgenden Gedankengang reflektiert er über die Frage, wohin das Schicksal („Zeit und Ewigkeit”), wohin der Tod („grausamer Schlüssel”) ihn führen will. Er aber will sich nicht führen lassen, er ist sich selbst „Himmel” und „Hölle”. Und in einem weiteren Gedankengang widersetzt er sich allen Szenarien, die der Tod für ihn bereithalten mag: „eingeäscherter Weltkreis”, „ewige Wüste”, „Schauplätze des Elends”. Entscheidend ist für ihn, sich die Souveränität des Handelns zu bewahren, eine freie Entscheidung zu treffen und freiwillig aus dem Leben zu scheiden.

Doch jetzt hält er inne und „wirft die Pistole weg”. Sein Stolz verbietet es ihm, sich auf diese Weise aus dem Staub zu machen und sich der Verantwortung zu entziehen. „Ich will's vollenden” sind die letzten Worte seines Monologes.

4. Sprachbetrachtung

Wie schwer dieser Entschluss zustande kam, ist auch in Karl Moors Sprache zu erkennen, die das innere Ringen auch äußerlich durch Fragezeichen, Ausrufezeichen und Gedankenstriche widerspiegelt. Hinzu kommt eine Vielzahl von ausdrucksstarken Adjektiven, Reihungen und Wiederholungen und - nicht zu vergessen - eine Metaphorik, die zwischen Abstraktion und Bildhaftigkeit schwankt: „Siehe, die Menschheit erschlappt unter diesem Bilde, die Spannkraft des Endlichen läßt nach, und die Phantasie, der muthwillige Affe der Sinne, gaukelt unserer Leichtgläubigkeit seltsame Schatten vor.”

5. Zusammenfassung

Karl Moor hat nach intensiven inneren Kämpfen eine Entscheidung getroffen, nämlich die, nicht aus dem Leben zu scheiden, sondern seinen Weg zu Ende zu gehen. Damit erweist er sich als souverän, d.h. verantwortlich handelnder Mensch, auch wenn an dieser Stelle noch nicht erkennbar sein kann, welcher Weg hier zu gehen ist.

III. Was folgt daraus?

Das Schicksal und die weiteren Ereignisse in dieser Szene zeigen ihm diesen Weg: Er erfährt, dass sein Vater noch lebt, welches Leid ihm von Franz Moor zugefügt wurde, und setzt nun seine Räuberbande, insbesondere den treuen Schweizer, als Instrument seiner Rache ein: „Räche meinen Vater! (S.101).

In Akt V geschieht dies allerdings anders als gedacht: Franz tötet sich selbst, bevor Schweizer sein Geschäft der Rache an ihm ausüben kann (V,1). Die Bande fordert Moors Versprechen ein, das er zuvor gegeben hat (III.2), wodurch Karl Moor sich der Ausweglosigkeit seiner Lage bewusst wird, in der er schließlich Amalia auf deren Verlangen hin tötet und sich selbst an die Obrigkeit ausliefert (V,2).


(cc) Klaus Dautel


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