Heinrich von Kleist: Der zerbrochene Krug

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Interpretationsaufsatz: Aufbau und Beispiel


Analyse einer Szene oder eines Szenenausschnittes: Arbeitsschritte

Phase 1: Durchlesen und Gesamtüberblick verschaffen
      Unterstreichungen & Randbemerkungen eintragen, 
      Sinn- oder Handlungsabschnitte mit geschweiften Klammern, 
      eventuell Wortfelder, Motive, Schlüsselbegriffe verschiedenfarbig markieren

Phase 2: Materialsammlung unter folgenden Fragestellungen
→ Wo? Wann? Was ging voraus?
       Ausgangslage und Stellung der Szene/des Szenenausschnittes im unmittelbaren Kontext
→ Wer? Welche Personen treffen aufeinander
       Welche Eigenheiten/Eigenschaften zeichneten sie bisher aus
       Wie stehen sie / standen sie bisher zueinander
       Ändert sich ihre Haltung/Stellung/Charakter in dieser Szene
       Sind es runde/flache Charaktere
→ Wie? - Handlungsverlauf
       - Gesprächsverlauf
       - Gedankengang (besonders bei Monologen)
→ Sprachliche Besonderheiten
   - Sprache: gehoben, in Versen, Reimen, Prosa, Bildern, Umganggsprache
   - Sprechweise: lange Ausführungen, schnelle Dialogwechsel, geschraubt, umständlich 
→ Was folgt für die weitere Handlung?
    - Funktion/Stellenwert der Szene im umfassenderen Dramengefüge
    - Einführung einer neuen Person? Eines neuen Themas?  
    - Wendepunkt? Zuspitzung zu erwarten? Verzögerung? 

Phase 3: Schreiben

→ Einleitung mit Angabe von Autor, Titel, Textsorte, historische Einordnung, Thema 

→ Hauptteil: Nun Bezugnahme auf die zu analysierende Szene 
      Wo? Wann? Was ging unmittelbar voraus?
      Wer sind die handelnden, Figuren
      Gliederung in Handlungsabschnitte
      Die Ereignisse, die Entwicklungsdynamik, die sprachlichen Interaktionen 
         in ihrem Ineinandergreifen (d.h. integriert) darstellen

→ Schluss: Textüberschreitende Bezüge zu biographischen Hintergründen, 
       historischen Aspekten und Epochen-Merkmalen, sofern diese 
       in einem erkennbaren Zusammenhang mit dem Text stehen. 

Beispiel für Aufbau und Interpretation


H.v.Kleist: Der zerbrochene Krug, Vierter Auftritt

I. Einleitung:

Angabe von Autor, Titel, Textsorte, historische Einordnung, Thema (kurz)

    Das Lustspiel "Der zerbrochene Krug" wurde von Heinrich von Kleist im Jahre 1806 verfasst und im Jahr darauf am Weimarer Hoftheater unter der Leitung von J.W.von Goethe - allerdings ohne Erfolg beim Publikum - uraufgeführt. Das Theaterstück behandelt den Verlauf einer Gerichtsverhandlung in einem holländischen Dorf in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Streitgegenstand ist ein zerbrochener Krug und im Verlaufe der Verhandlung wird der Dorfrichter selbst als Täter überführt. Die Komödie endet mit der Verlobung der zu Beginn des Gerichtstages heftigst verfeindeten Parteien und der Absetzung des bislang unanfechtbaren Richters. Eine entscheidende Rolle spielt hierbei die Anwesenheit eines Gerichtsrates, der von der Regierung zur Überprüfung der Rechtspflege ("Revision") auf dem "platten Lande" gesandt wurde.

    Das Theaterstück beschäftigt sich folglich mit Problemen überkommener Rechtssprechung, mit Formen des Machtmissbrauchs und den Chancen der Wahrheitsfindung. Es schildert aber auch die glücklichen Folgen, die eine wahre und unbeirrbare Liebe gegen alle Widerstände zuwege bringen kann.

II. Hauptteil:

1. Hinführung: Wo? Wann? Was ging voraus? Welche Personen treffen aufeinander

    In dieser Szene tritt als neue Figur der Gerichtsrat Walter auf. Dessen Ankunft ist in den drei vorausgehenden Szenen angekündigt worden. Und obwohl sowohl der Zuschauer als auch die Bühnenfiguren bereits reichlich mit Informationen über den Gerichtsrat versehen wurden, so ist dieser doch so etwas wie der große Unbekannte: Zum einen stammt die Information lediglich aus dritter Hand, denn Schreiber Licht kann nur das berichten, was ihm ein Bauer zugetragen hat (Szene 1, Z.75). Die Verlässlichkeit dieser Informationsquelle wurde von Richter Adam auch gleich in derben Worten angezweifelt: "Die Kerle unterscheiden ein Gesicht von einem Hinterkopf nicht, wenn er kahl ist." (86/7) Des Weiteren klingt das Mitgeteilte schier unglaublich, nämlich dass der neue Gerichtsrat den benachbarten Dorfrichter gleich am Tag seiner Ankunft vom Dienst suspendiert habe, worauf jener sich aufzuhängen versuchte. Ungeheuerliches also hat sich im Nachbardorf ereignet, Richter Adam hat allen Grund, verunsichert zu sein, denn der dortige Richter war doch aus demselben Schrot und Korn wie Adam selbst, ein "liederlicher Hund" und eine "ehrliche Haut" zugleich, "ein Kerl, mit dem sich´s gut zusammen war"(121).

    Der neue Gerichtsrat, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger unangekündigt erscheint, "ohne ein Wort vorher gesteckt zu haben" (93), scheint von einer besonderen Gefährlichkeit und es gilt nun wachsam und solidarisch zu sein.

    Der zweite Auftritt zeigt die Aufregung, in welche die bevorstehende Ankunft des Gerichtsrates den Dorfrichter versetzt, er reagiert verwirrt und ohne Übersicht. Der Umstand, dass er keine Perücke mehr zu haben scheint, verschärft noch die Peinlichkeiten.

    Und zu alledem - davon ist im dritten Auftritt die Rede - hatte Adam in der Nacht zuvor einen Traum, der ihn mit bösen Ahnungen erfüllt: Er saß darin über sich selbst zu Gericht und hatte sich "den Hals ins Eisen" judiziert (273).

    Das also sind die Vorzeichen, unter denen das Erscheinen des Gerichtsrates in Szene 4 steht, und der Zuschauer darf auf die Begegnung der beiden gespannt sein.

2. Szenenanalyse: Gliederung und Handlungsverlauf

    Die Szene kann in zwei Teile gegliedert werden: zuerst den Begrüßungsdialog zwischen Adam und Walter, in welchem der Gerichtsrat seinen Auftrag erklärt; dann wird Schreiber Licht vorgestellt und die Revision beginnt.

    Richter Adam begrüßt seinen Gast mit überschwänglichen Worten: "Wer konnte (...) so freudigen Besuches sich gewärtgen" (288), mehr noch, "kein Traum zu solchem Glück sich versteigen durfte"(289/90). Der Wille, dem gefürchteten Gast zu gefallen, spricht deutlich aus Adams Worten, er übertreibt, er heuchelt, er schmeichelt. In diesen Worten sprechen sich Unterwürfigkeit und Unsicherheit aus, nach all dem, was zuvor zwischen Adam und Licht gesprochen wurde, merkt der Zuschauer sofort, dass hier lautstark geschwindelt wird. Unter diesem Vorzeichen klingt die Anrufung des "gerechten Gottes" ausgesprochen fragwürdig.
    Demgegenüber gibt sich der Gast eher bescheiden und von schnörkelloser Sachlichkeit. Er erklärt seinen Auftrag und zugleich die Art und Weise, wie er zu verfahren gedenkt. Er soll beobachten und studieren und dies mit Nachsicht und Milde: "mein Geschäft ... ist ... ein strenges nicht" (301). Nur nötigenfalls soll er gegen Missbrauch einschreiten, dann aber mit "strenger Weisung" (300).
    Wieder antwortet Adam wortreich und unterwürfigst, lobt dessen "edle Denkungsart"(305) und versucht vorzubeugen: Rückständig sei man in diesem Dorf und der Aufklärung gewiss bedürftig (316), kein Wunder also, wenn es dies und jenes zu tadeln geben könnte, aber immerhin gehe der "alte Brauch im Recht" auf Kaiser Karl den fünften zurück (308/9).
    Adam scheint sich wieder im Griff zu haben, geschickt beruft er sich auf die Autorität des großen Kaisers und der Tradition. Aufklärung oder Tradition, diese Begriff markieren den philosophischen Grundkonflikt des 18. Jahrhunderts, welches auch das aufgeklärte genannt wird. In Adams Rede treffen beide aufeinander und er weiß sie zu Walters Zufriedenheit geschickt zu verbinden. Zwar herrsche hier noch das alte Recht, das auf jahrzehntelanger Gewohnheit und Erfahrung gründet, vor daher also nicht falsch sein könne, doch sei man zweifellos dem Neuen gegenüber aufgeschlossen und dankbar für jede Erhellung.
    Soweit ist alles Wichtige zum Thema Recht gesagt.

    Nun wird Schreiber Licht dem Gerichtsrat vorgestellt und die Rede kommt auf die Vorfälle im Nachbardorf. Wieder sehen wir den Gerichtsrat als Menschen, der sein Geschäft mit "heitrer Laune"(335) zu verrichten bestrebt ist, "Unordnung" (342) zu tolerieren bereit, aber Gesetzesmissbrauch schonungslos zu verfolgen gewillt ist. Und schon ist er mitten in seinem Geschäft und erkundigt sich, direkt und ohne Umschweife, nach dem Stand der Kassenführung im Dorf (345). Die Revision hat begonnen, es wird ernst. Adam gerät in eine erste Verlegenheit, denn er führt eine Kasse zuviel, die Rhein-Überschwemmungskasse, zieht also beim Dorfvolk Gelder ein, ohne dafür einen Anlass zu haben. Adam, der bis hierher die Lage doch so gut gemeistert hat, ist wieder verwirrt, kann dem raschen Wechsel der Fragen des Gerichtsrats nicht folgen, der Dialog verkürzt sich, man versteht sich nicht, da ergreift Licht anstelle seines Vorgesetzten das Wort: Ja, es ist heute Gerichtstag, am "ersten in der Woche" (353) und draußen haben sich die Kläger bereits versammelt. Dem Gerichtsrat ist das recht, darum ist er ja hier, der Gerichtstag soll beginnen, die Kassenprüfung kann warten.

3. Zusammenfassung

    Der vierte Auftritt stellt dem Zuschauer die Vertreter der Gerichtsbarkeit vor, den Prüfer, seinen Prüfling und dessen Gehilfen; zugleich erfährt man Wichtiges zur Lage der Rechtsprechung im Dorf und zum Stande der allgemeinen Aufklärung. Die Hauptfiguren, der Richter und der Gerichtsrat, sind als ausgesprochen gegensätzliche Persönlichkeiten erkennbar, der eine scheint leicht erregbar, verschlagen und eher undurchsichtig, während der andere durch bescheidene Zurückhaltung und äußerste Korrektheit auffällt. Auch wird die Rolle Lichts deutlicher, der in kritischen Situationen Ruhe zu bewahren in der Lage ist.

III. Schluss

                     

(cc) Klaus Dautel


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