Heinrich von Kleist: Der zerbrochene Krug

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DER ZERBROCHENE KRUG - Ein Lustspiel (1806)

Begonnen 1802 in Bern, vorläufige Fassung 1804/5 in Berlin, Fertigstellung 1806, Übersendung des Manuskripts durch Adam Müller an J.W.v.Goethe - Uraufführung am 2. März 1808 am Weimarer Hoftheater, inszeniert durch J.W.v.Goethe daselbst, allerdings mit wenig Erfolg beim Publikum, was Goethe dem Autor und dem Stück anlastete. Zu Kleists Lebzeiten ist die Komödie nicht mehr gespielt worden. Erst die Bearbeitung und Inszenierung des Hamburger Theaterdirektors Friedrich Ludwig Schmidt im Jahre 1820 machte den Weg für weitere Inszenierungen frei.

„Im ‚Zerbrochenen Krug’ haben wir ein großartiges Gemälde des damaligen Preußen vor uns, das − gleichviel, ob aus politischen oder ästhetischen Gründen − als patriarchalisches Holland vor uns steht. Die holländischen Züge sind aber nur sekundär und artistisch dekorativ. Das Wesentliche ist auch hier, wie in ‚Michael Kohlhaas’, die künstlerische Zerstörung der romantischen Idylle von der ‚guten alten Zeit’. Die Willkür der patriarchalischen Gerichtsbarkeit auf dem Lande, die Misshandlung der Bauern durch die Obrigkeit [...] ergibt zusammen ein hervorragendes realistisches Bild des damaligen ländlichen Preußen.“

Georg Lukács: Werke. Bd. 7. Deutsche Literatur in zwei Jahrhunderten. Neuwied und Berlin (Luchterhand) 1964, S. 224 f.

Personen: Walter, Gerichtsrat - Adam, Dorfrichter - Licht, Schreiber - Frau Marthe Rull - Eve, ihre Tochter - Veit Tümpel, ein Bauer - Ruprecht, sein Sohn - Frau Brigitte - Ein Bedienter, Büttel, Mägde usw.

Wann und wo: Eine Gerichtsstube in Huisum, ein niederländisches Dorf bei Utrecht - ein Tag im Februar (18. Jhdt)

Erster Auftritt

Schreiber LICHT sucht Richter ADAM am Morgen auf, um ihm eine wichtige Mitteilung zu machen. Er findet seinen Vorgesetzten zu seinem Erstaunen damit beschäftigt, sein Bein zu verbinden, auch ist dessen Gesicht zerschunden und an der Stirn klafft eine große Wunde. Stück für Stück erfährt man aus dem Munde des Richters, dass dieser beim Aufstehen gestrauchelt, gefallen und mit dem Kopf an den Ofen geschlagen sei. - Endlich kommt Licht zu seiner wichtigen Meldung: Der neue Gerichtsrat Walter sei im Anmarsch. Am Tag zuvor habe er im Nachbarort Revision durchgeführt und hierbei Schreiber und Richter vom Dienst suspendiert. Letzterer habe sich daraufhin aufgehängt, konnte aber noch wiederbelebt werden. Zur Mittagszeit soll der Gerichtsrat im Dorf sein. Jetzt gelte es zusammenzuhalten. Adam appelliert an seinen Schreiber, noch einmal seinen Ehrgeiz zu zügeln und zu schweigen. Anscheinend gibt es etwas zu verschweigen.

Zweiter Auftritt

Der Bedienstete des Gerichtsrates erscheint und kündigt dessen baldige Ankunft an. Adam gerät außer sich und befielt den Mägden, Kleider zu besorgen, die Registratur auszumisten, seine Perücke zu holen. - Schreiber Licht bleibt besonnen, versucht zu beruhigen - Aber wo ist die Perücke? Laut Magd ist Adam letzte Nacht um 11 Uhr ohne Perücke und mit zerschundenem Kopf nach Hause gekommen. Licht wird aufmerksam.

Dritter Auftritt

Die Kläger stehen schon vor der Tür. Adam hat düstere Ahnungen und schildert Licht seinen Traum, in welchem er sich selbst verurteilt hat. Licht fordert ihn zum "vorschriftsmäßigen" Richten auf.

Aspekte für die Analyse der Exposition

  • Aufbau der Szenen
  • Beziehung der Charaktere: Adam, Licht und Gerichtsrat
  • Sprache: Blankvers, Stichotomie (Wechselrede), gehobener Wortschatz und klassische Bildung
  • Wirkungsstrategien: Spiel mit dem Zuschauer/Leser
    durch schrittweises Enthüllen von Informationen,
    durch doppeldeutiges Sprechen und Andeutungen

Welche Fragen stellen sich nach dem Lesen dieser ersten Szenen?

Vierter Auftritt

Gerichtsrat Walter tritt ein und wird von Adam untertänigst begrüßt. Walter erklärt seinen Auftrag, nämlich für die Regierung in Utrecht "die Rechtspfleg auf dem platten Land (zu) verbessern“, zunächst jedoch mit Nachsicht die Gebräuche zu beobachten. Adam verweist auf die bewährte Tradition der hiesigen Rechts-Gebräuche (aus der Zeit Karls V.), gesteht jedoch ein, dass diese Justiz der Aufklärung bedürfe. - Licht erscheint und man spricht von dem, was zuvor im Nachbardorf Holla geschehen ist. Es deutet sich an, dass es auch in Huisum Irregularitäten (in der Kassenführung) gibt.

Motiv: Das alte und das neue Recht, Tradition versus Aufklärung

Fünfter Auftritt

Die Magd meldet, dass der Küster keine Perücke entbehren könne, also muss - zum Erstaunen Walters - Adam ohne Perücke und kahlköpfig Gerichtstag halten. Der Gerichtsrat treibt zu Pünktlichkeit und Eile und bemerkt schließlich auch noch Adams Kopfwunden.

Sechster Auftritt: Die Prozess-Parteien und der Krug

Frau MARTHE Rull und VEIT Tümpel streiten sich darüber, wer Frau Marthen Krug zerbrochen hat. Marthe will sich vor Gericht "Recht erstreiten", Veit ist bereit, ihn zu ersetzen, wenn es einer "von uns" gewesen sein sollte. Entschädigung aber scheint es nicht allein zu sein, was Marthe will. - RUPRECHT, Veits Sohn weiß mehr: Eine Hochzeit ist geplatzt, von "Metze" ist die Rede. EVE, Marthes Tochter, möchte mit Ruprecht noch ein klärendes Wort reden, denn er geht am folgenden Tag zum Militär und in den Krieg ... - Frau Marthe unterbricht den Streit und kommt auf ihren zerbrochenen Krug zurück. Eve möchte diesen um alles in der Welt ersetzen, damit das Thema endlich vom Tisch ist; doch aus den Worten der Marthe wird ersichtlich, dass an dem Krug Eves "guter Name" und "unsere Ehre" hängt.

Siebter Auftritt: Der Prozess beginnt

Beim Anblick der angetretenen "Sippschaft" überfallen Richter Adam dunkle Ahnungen, doch er weiß noch nicht genau, was das zu bedeuten hat. Im heimlichen Gespräch mit Eve versucht er herauszubekommen, ob es um mehr als den zerbrochenen Krug geht. Verunsichert will er seinem Schreiber die Verhandlung überlassen, doch Walter treibt ihn zum ordentlichen Beginn der Verhandlung. - Adam beginnt mit der Klägerin Marthe und dem Streitgegenstand und erklärt kurzerhand Ruprecht zum Schuldigen, ohne ihn zu Wort kommen zu lassen: "Schweig, Maulaffe!“ - Walter schreitet ein und besteht auf Einhaltung von Recht und Gesetz. - Also Neuanfang: Adam fordert Marthe auf, ihre Anklage vorzutragen. Diese lässt sich nun ausführlich über den zerbrochenen Krug aus, seine Bemalung (Geschichte der Niederlande), wie der Krug in ihren Besitz kam und schließlich zu den Ereignissen der vergangenen Nacht. Sie hörte um elf großen Lärm in der Wohnstube, läuft hin und findet den Krug zerbrochen und Ruprecht im Zimmer. Hat Ruprecht den Krug zerbrochen? Frau Marthe meint, Eve habe dies an Ort und Stelle beschworen, Eve streitet dies ab. Adam verhält sich in diesem Disput sehr parteilich, Walter greift erneut ein. - Jetzt kommt der Beklagte dran: Ruprecht. Nach seiner Aussage wollte er Eve besuchen, um mit ihr zu plaudern, denn sie sind sich versprochen. Dies war noch vor 10 Uhr. Er findet aber schon einen anderen vor, mit dem Eve ins Haus geht. Er ist verwirrt und meint, dass der Flickschuster Lebrecht ihm Hörner aufsetze. Er setzt sich in den Busch, irgendwann aber platzt ihm der Kragen, er tritt die Türe ein, stürzt ins Haus und sieht einen Mann zum Fenster hinausflüchten. Mit der Türklinke in der Hand schlägt er dem Flüchtenden zweimal auf den Kopf, dann bekommt er Sand ins Gesicht geworfen und sieht nichts mehr. Wer war der andere? Ruprecht ist überzeugt, dass es der Flickschuster war, der seiner Eve schon lange nachstellt. Schreiber Licht stutzt. Frau Marthe hält dies für eine Lügengeschichte.

Fragen zum Text:

  • Was mag wohl geschehen sein? (Handlung)
  • Wofür steht der Krug? (Symbolik)
  • Was charakterisiert Adams Prozessführung? (Thematik)

Achter / Neunter Auftritt: Eves Dilemma

Adam lässt sich etwas zum Trinken bringen, der Gerichtsrat lehnt den angebotenen Wein ab. - Adam schlägt vor, die Sache mit einem Vergleich zu beenden, oder den Ruprecht oder den Lebrecht zu verurteilen. Walter fordert ihn stattdessen zur Vernehmung Eves auf. - Diese wird nun von allen Seiten bedrängt: vom Richter zuerst, dann von der Mutter und auch von Ruprecht. Da platzt ihr der Kragen und sie wirft Ruprecht vor, ihr nicht zu vertrauen. Wenn er dies täte, hätte er die Schuld auf sich genommen und damit ihrer öffentlichen Schande ein Ende bereitet.
Sie sagt jetzt aus, dass es Ruprecht nicht war und der Lebrecht es nicht gewesen sein konnte, da der Richter selbst ihn tags zuvor mit einem Auftrag nach Utrecht geschickt hatte. Wer war dann der Dritte? Adam will ihr die Aussage erlassen, Walter spürt "große Lust ... der Sache auf den Grund zu kommen". - Eve will beeiden, dass es Ruprecht nicht war. Damit fiele die Klage der Mutter weg. Doch diese beharrt auf ihrer Anschuldigung und bringt einen neuen Verdacht in die Verhandlung: Vielleicht wollten Ruprecht und Eve sie in dieser Nacht berauben und mit dem Geraubten verschwinden, denn Ruprecht sollte ja anderntags zum Militär. Als Zeugin benennt sie Frau Brigitt, die um halb elf Ruprecht bei Eve gesehen haben will.

Aus der Verfilmung von 1937: Wer ist wer in diesem Szenen-Bild? Welche Szene könnte es sein?

Zehnter Auftritt: Prozesspause, der Richter wird verhört

Jetzt endlich lässt sich Walter von Adam bewirten und dieser bringt die Sprache auf Adams Kopfwunden. Er fragt ihn regelrecht aus und erfährt Adams Geschichte, die allerdings nicht mehr ganz die gleiche ist wie in Szene 1 und 2. - Von Frau Marthe erfragt er die Lage des Fensters und von Ruprecht, wie oft er zugeschlagen habe. Es ergibt sich, dass manches an den Geschichten Adams wohl stimmt, z.B. dass Eve ihm lediglich beim Kurieren seiner Hühner behilflich gewesen war. Dies scheint Walter zu verwirren, hatte er doch schon einen bestimmten Verdacht.

Eilfter Auftritt: Frau Brigitt und der Teufel - der Richter wird zum Gerichteten

Schreiber Licht tritt mit Frau Brigitt herein, sie trägt eine Perücke in der Hand. Diese hat sie im Spalier unter dem Fenster Eves gefunden. - Walter wendet sich daraufhin heimlich an Adam, ob dieser ihm vielleicht etwas mitzuteilen habe? Adam erklärt, dies sei die Perücke, welche er vor acht Tagen dem Ruprecht mit nach Utrecht zum Auftoupieren gegeben habe. Folglich habe der Junge die Perücke entwendet und sei damit zu seiner Liebsten gegangen. - Frau Brigitt jedoch vermeldet: "der Ruprecht ... der wars wohl nicht." Sie berichtet: Als sie in der letzten Nacht bei Eves Haus vorbeiging, hörte sie dort im Garten Schimpfen, auf Anruf von Frau Brigitt antwortet Eve, sie streite mit dem Ruprecht. Sie ging weiter. Als sie gegen Mitternacht wieder zurückkommt, sieht sie einen Kahlköpfigen mit Pferdefuß und einer Wolke von Gestank hinter sich davonrennen. Der Leibhaftige selbst!? Das erregt Unglauben, vor allem beim Gerichtsrat. Schreiber Licht, der jetzt zunehmend die Vorgänge in die Hand nimmt, lässt die Frau weiter berichten: Als sie heute morgen von dem zerbrochenen Krug hörte, ging sie noch einmal an den Tatort und fand dort Klumpfuß-Spuren im Schnee. Schreiber Licht kam, um sie abzuholen und wurde nun auch Zeuge folgender Entdeckungen: Man verfolgte die Spur, fand einen Kothaufen, und weiter führte die Spur genau zum Haus des Dorfrichters.- Walter wird aufmerksam und erinnert sich an Adams Klumpfuß. Welcher war das nochmal? Man wird auf Adams Füße aufmerksam, doch er zeigt nur seinen guten.

Um Richter Adam wird es eng, jedoch "solang die Jungfer schweigt, begreif ich nicht, mit welchem Recht ihr mich beschuldiget." Ruprecht geht ein Licht auf. - Walter fordert Adam zur Beendigung der Sitzung auf. Adam erklärt kurz und bündig Ruprecht zum Täter und verurteilt ihn zum "Eisen". Groß ist Ruprechts und Eves Erregung, und da Walter den Spruch zu akzeptieren scheint, platzt es aus Eve heraus: "Der Richter Adam hat den Krug zerbrochen!". Ruprecht geht auf Adam los, bekommt aber nur noch den Rock zu fassen, denn Adam ist schon zum Fenster hinaus.

Zwölfter Auftritt: Aufklärung und glückliches Ende

Jetzt klärt sich alles: Adam hat Eve ein gefälschtes Dokument gezeigt, worin Ruprecht nach Ostindien hätte verschickt werden sollen. In jener Nacht nun versprach Adam, ein Untauglichkeitsattest auszustellen, wenn Eve ihm willfährig sei. - Nun steht nichts mehr zwischen Ruprecht und Eve. Licht sieht durchs Fenster den fliehenden Adam. Walter ordnet seine Ergreifung an: Er ist suspendiert und alles weitere wird eine Kassenprüfung zeigen. Bis dahin soll Licht die Geschäfte übernehmen.

Letzter Auftritt

Trotz alledem: Frau Marthe will nun nach Utrecht zur Regierung, denn dem Krug soll ja "sein Recht geschehen“.

Der Bayrische Rundfunk (BR2) widmet sich unter der Rubrik „Radiowissen" dem „Zerbrochenen Krug" und liefert neben Informationen über die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Komödie auch Vorschläge für den Einsatz im Unterricht und behandelt die Umstände der missglückten Uraufführung in Weimar. Zu dieser Sendung liegt das Sendemanuskript zum Download (PDF) bereit.

(cc) Klaus Dautel


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