Friedrich Schillers „Räuber" und Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas"
im Themenfeld von „Recht und Gerechtigkeit"

IV: Der Vergleich

„Franz heißt die Kanaille?" – So, sagte Kohlhaas, Wenzel heißt der Junker?"

1. Gemeinsamkeiten der Ausgangslage, des Anliegens und der Auflösung:

Ein Einzelner reagiert auf eine ihm zugefügte Kränkung, ausgelöst durch eine ungerechte Behandlung, mit gewaltsamen, ungesetzlichen Aktionen. Karl Moor wird vom Vater verstoßen und damit seiner Hoffnungen auf Lebensglück (Vater und Amalia = Erbe und Ehe) beraubt. Auch Kohlhaas beginnt seinen Krieg erst, nachdem er als „Quärulant" bezeichnet, damit in seiner persönlichen Ehre und seinem Rechtsgefühl beleidigt wurde, und er seine Frau verloren hatte.

Beiden geht es um ihr Recht und ihre Rache. Es geht ihnen aber auch um die Wiederherstellung einer gerechten Ordnung (Karl Moor: „Harmonie der Welt", V,2 / Kohlhaas: „Sicherheit" seiner „Mitbürger" vor zukünftigen Kränkungen, S. 11).

Beide Aktionen sind durch ihre Ungesetzlichkeit fragwürdig und entwickeln sich gewalttätiger als beabsichtigt. Die Gewalt verselbstständigt sich und holt den Initiator am Ende ein (Spiegelberg, Schufterle, Nagelschmidt).

Beide Protagonisten stehen in der Tradition der Selbsthelfer-Figuren. Am Ende ihres Weges handeln sie moralisch vorbildhaft. Sie entscheiden sich nicht für die Freiheit im Sinne von ‚lebend davonkommen wollen', sondern sie entscheiden sich ‚frei' von persönlichen Neigungen und Interessen im Sinne der Kant'schen ‚Autonomie'.

Zu dieser autonomen Entscheidung müssen sie aber erst in die Lage versetzt werden: Moor durch die Desillusionierung als Rächer der Enterbten, dessen Aktionen ihm aber entgleiten; bei Kohlhaas bewirkt eine Kette von Zufällen („es traf sich") in Gestalt der Zigeunerin und ihrer Prophezeihung, dass er überhaupt wieder einen Entscheidungsspielraum erhält.

Beide Protagonisten entscheiden sich gegen die Auswege, die sich ihnen bieten: Karl Moor begeht den Selbstmord, den er zunächst als „Gipfel der Freiheit" bezeichnet (IV,5), nicht, Kohlhaas rettet sein Leben nicht im Tausch gegen das Amulett (S. 103). Beide realisieren ihr Menschsein auf der Höhe des „guten Willens" (Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten 1785) und geben ihr – wie auch immer begründetes - Widerstandsrecht an die Gemeinschaft, den Staat, zurück. Insbesondere Kohlhaas' Handeln kann im Lichte der Kant'schen Pflicht-Ethik gelesen und bewertet werden (Genaueres siehe unten).

2. Unterschiede der Persönlichkeiten, Wege und Ziele der Protagonisten:

Karl Moor führte ein ausschweifendes studentisches Lotterleben (in Leipzig).

Karl Moor erleidet eine Kränkung als verlorener Sohn, der sich der Versöhnung und Wiederaufnahme durch seinen Vater sicher war. Die Geborgenheit spendende Väterwelt, eine patriarchalische, vom Gewohnheits- und Feudalrecht geprägte Welt, nimmt ihn – so scheint es - nicht mehr auf. Er unternimmt keine Versuche, das Verhältnis und die Situation zu klären, er reagiert emotional mit einer Verurteilung des Menschengeschlechts (I,2), die Welt an sich ist sein Gegner.

Karl Moor wird desillusioniert und erkennt seinen Irrtum, sein Abirren vom sittlichen Weg (Akt IV/V), vor allem in der Begegnung mit den Figuren der Väterwelt.

Karl Moor hat, wenn er vom „beleidigte(n) Gesetz(e)" spricht (V,2), eine höhere ethische Norm, die „Harmonie des Weltenbaus" im Sinn, eine „göttliche Harmonie" (IV,5), die nicht nur in der „see-lenlosen Natur" sondern auch in der „vernünftigen" walten soll.

Karl Moors Rachebedürfnis erfährt keine wirkliche Befriedigung oder Genugtuung, durch den Tod Franz' verändert sich seine Situation nicht mehr. Stattdessen: „Triumph der Tugend über das Laster, des Rechts über die Rache, der „misshandelten Ordnung" über den Missetäter" (Klaus R. Scherpe, S. 241)

3. Und abschließend - angedeutet: Autor-Intentionen und Wirkungsaspekte

Die Figur Karl Moors und das Drama „Die Räuber" sind mit den rechtsphilosophischen Kategorien (Naturrecht, Gesellschaftsvertrag und Positives Recht) nicht im gleichen Maße zu verstehen wie Kleists Novelle:

Schillers Drama behandelt nicht zuerst rechtsphilosophische Fragestellungen, sondern die Problematik des zerbrochenen Weltbezugs und die Möglichkeiten der Versöhnung mit der Welt in einer individuellen, ethischen Entscheidung. Schillers Werk ist eine dramatische „Experimentalanordnung" (R. Safranski) dieser Thematik. Er spielt daher mit der ganzen Palette wirkungsästhetischer Mittel (Figurengestaltung, Regieanweisungen), um seinen Protagonisten als tragisch – vor allem an sich selbst - scheiternden Stürmer und Dränger erkennbar zu machen. Schiller denkt wirkungsästhetisch, „Wirkung war ihm alles, dem musste sich Ausdrucksgehalt, Machart und Ideengehalt unterordnen" (R. Safranski, S. 118) „Das Drama ist für Schiller eine Affekterregungskunst, es kommt alles auf das virtuose Arrangement der Effekte an, das Theater – eine Maschine zur Herstellung großer Gefühle." (119)

(cc) Klaus Dautel


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