Friedrich Schiller: Kabale und Liebe

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KABALE UND LIEBE


Ferdinands Liebesabsolutismus

Ist Ferdinand der ideale Liebhaber, weil er bedingungslos liebt und bereit ist, alles aufzugeben? Rüdiger Safranski arbeitet in seinem Schiller-Buch die Ambivalenz in Ferdinands Liebesabsolutismus heraus: Er ist auch als Liebender noch ein Aristokrat!
Hat Rüdiger Safranski recht oder tut er Ferdinand Unrecht? Diskutieren Sie das eine wie das andere!

    „Ferdinand hat Luise, die er liebt, nicht verstanden. Was ist an Luise schwer zu verstehen? Sie hat, wie Ferdinand, Bücher gelesen, in denen das neue Liebesevangelium verkündet wird. Sie hat keine Andacht mehr, sagt sie zum Vater, über die Liebe zu Ferdinand vernachlässige sie die Liebe zu Gott, aber, so fährt sie fort: „Wenn meine Freude über sein Meisterstück mich ihn selbst übersehen macht, Vater, muß das Gott nicht ergötzen?” Das wirkt wie eine angelesene Weisheit: wir lieben Gott nicht in der Kirche, sondern in de Begegnung mit einem anderen Menschen - der Vater wird sogleich misstrauisch: „Da haben wirs! Das ist die Frucht von dem gottlosen Lesen” (I,3). Ferdinand versteht das gut, es ist ja nach seinem Geschmack. Doch Luise treibt ihre Theologie der Liebe nicht so weit wie Ferdinand. Für sie gibt es auch noch einen Gott der bürgerlichen Pflichten und der Familie. Wenn Ferdinand von ihr fordert, dass er für ihn alles sein müsse, so hört sie störende Untertöne. Für sie liegt darin etwas Herrisches, im Absolutismus seiner Liebe entdeckt sie die Spuren des aristokratischen Absolutismus. Deshalb sagt sie zu ihm: „Dein Herz gehört deinem Stande." (III,4) Sie macht ihm das nicht zum Vorwurf, sondern will ihn nur daran erinnern, wie sehr er im Denken seiner Klasse befangen ist. Wie sollte sie unter solchen Voraussetzungen an ein Liebesidyll jenseits der gesellschaftlichen Zwänge glauben können? An das große alte Jenseits nach dem Tode glaubt sie sehr wohl, nicht aber an dieses neumodische innerweltliche Jenseits, wovon Ferdinand träumt. Sie kann es zwar verstehen, sie findet es zu schön, um wahr zu sein. So bleibt sie einerseits traditionell religiös und andererseits realistisch. „Meine Pflicht heißt mich bleiben und dulden", sagt sie, und Ferdinand antwortet aufbrausend: „Kalte Pflicht gegen feurige Liebe!" (III,4)

    [...] Vielleicht ist sie ein wenig ängstlich, aber ist ihre Furcht vor Entwurzelung nicht berechtigt? Sie wäre, wenn sie Ferdinand folgen würde, von allem abgeschnitten, was bisher ihr Leben war; sie wäre ganz in die Gewalt Ferdinands gegeben, auch wenn es eine liebende Gewalt wäre. Doch auch solche Liebe kann anmaßend und tyrannisch wirken, so viel hat sie inzwischen begriffen.

    Luise redet nicht von Freiheit, sondern von ihren Pflichten. Es hat den Anschein, als würde Ferdinand sie aus ihrer Gebundenheit erlösen wollen. Er tritt ihr nicht nur als feuriger Liebhaber, sondern als Befreier gegenüber. Aber es erweist sich, dass Ferdinand innerlich nicht frei ist. [...] Er ist nicht Herr seines Handelns, er ist Opfer seines Liebesabsolutismus, ein Besessener, unfrei genug, um von anderen Mächten, die sein Misstrauen benützen, gelenkt zu werden."

    Rüdiger Safranski: Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus, Hanser 2004 S.178-80

(cc) Klaus Dautel

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