Jakob Michael Reinhold Lenz: Der Hofmeister

Einführung „Der Hofmeister” Der Hauslehrer Lenz' Leben Über Komödie und Tragödie

Der Theologe als Hauslehrer


  • Theologie-Studenten stammten oft aus den - ökonomisch gesehen - untersten Bevölkerungsschichten (Lehrer und Pfarrer inbegriffen) (S.198)
  • Theologie studierten im 18. Jhdt viele, die nichts Besseres wussten; Zugangsregelungen für die Universitäten gab es nicht (Ausnahme Württemberg)
  • Folglich existierte ein Überangebot an fertigen Theologen ('Kandidaten'), die auf eine Pfarrstelle warteten ('Karenzzeit'), oder erst garnicht Pfarrer werden wollten (→ z.B. F. Hölderlin, G.W.F. Hegel, F. Schelling).
  • Diese Situation zwang zur Hauslehrertätigkeit unter teilweise erniedrigenden Bedingungen (→ Domestiken-Status).
  • Darauf aber waren die Kandidaten im allgemeinen schlecht vorbereitet: persönliche Unreife, zu jung und wenig welterfahren (S.198), keine Erfahrungen im Unterrichten, schon gar nicht im Einzelunterricht, oft genug überhaupt eine mangelhafte Ausbildung, da wegen Geldmangel nur ein Schnellstudium möglich war.
  • Dazu das Studium der falschen Fächer (→ alte Sprachen, Dogmatik), keine praktische Fächer ('Realien'), und schon gar keine Pädagogik oder Psychologie.
  • Folglich hatten die Theologen-Hauslehrer auf dem Lehrer-Arbeitsmarkt immer weniger Chancen, vor allem als um 1800 ein eigener Stand von Schulmännern sich herausbildete und ein neuer Fächerkanon entstand.

    Exzerpiert aus Ludwig Fertig: Der Theologe als Hauslehrer,
    in: Martin Greiffenhagen (Hrsg): Das evangelische Pfarrhaus. Eine Kultur- und Sozialgeschichte, Kreuz Verlag 1984

Schilderung eines Kandidaten für eine Hofmeisterstelle 1774

„Ich weiß nicht, wie ein gewisser, allererst von der Universität zurückgekommener Herr A. die Nachricht bekommen hatte, daß ich einen Hofmeister für ein adeliges Haus in unserer Nachbarschaft suchte, kurz, er kam nach S. Er mochte sich wohl vorgenommen haben, mit allem Anstande zu erscheinen. Denn er war so steif aufgeputzt, wie an einem Ehrentage. An Komplimenten ließ er es gewiß auch nicht fehlen. Sobald er mich aus der Stube ihm entgegenkommen sah, bückte er sich bis auf die Erde, warf, ohne mich anzusehen, vielerlei untertänig und gnädig durcheinander und machte mir mit seiner Höflichkeit Mühe genug, bis ich ihn in die Stube brachte. Die gute Miene und der seidene Rock des Grafen machten ihn noch ehrerbietiger. Exzellenz, und was ihm sonst für Titulaturen einfielen, wurden verschwendet. Der gute Graf, der so etwas noch nicht gesehen hatte und zur Sittsamkeit gewöhnt war, wußte nicht, wie er seine Höflichkeiten genug erwidern sollte, kam selbst in Verlegenheit darüber und ging erschrocken und beschämt zur Stube hinaus.
Ich tat alles, was ich nur tun konnte, um diesem guten Menschen es leicht zu machen, anfangs schien es unmöglich zu sein, und nach einer halben Stunde war es mir fast gelungen. Denn sobald er die Furcht abgelegt hatte, wurde er sogleich so vertraut, daß er ohne den geringsten Anlaß meinerseits sich erkundigte, wie stark meine Besoldung wäre, was ich und wo ich studiert hätte, ob ich Tabak rauchte. Ja, ich glaube, wenn ich noch eine halbe Stunde mit ihm allein gewesen wäre, er hätte mir Brüderschaft angetragen. -
Man ging zur Tafel. Zum Unglück für A. war sie diesmal wegen einiger Fremden zahlreich. Er stutzte sehr und wußte nicht, was er machen sollte. Auf eine sehr ungeschickte Art nahm er seinen Platz ein. Aufgerichtet zu sitzen schien seinem Körper etwas Unmögliches zu sein. Den Löffel faßte er so plump an, daß er ihn über die Hälfte mit der Hand bedeckte; viele Male ließ er Messer und Gabel fallen; seine Nachbarn waren immer in Gefahr, von ihm gestoßen oder beschmutzt, und die Gläser umgeschmissen zu werden. Selten wagte er jemand anzusehen, außer mit ziemlich freien Blicken Frauenzimmer. Man fragt ihn deutsch, ob er französisch spräche. Sogleich fing er an zu parlieren, auf eine Art, davon allen, die die Sprache halb verstunden, die Ohren wehetaten. Auf die Frage, was er studiert habe, ... konnte er ... versichern, daß er außer Theologie hauptsächlich Sprachen und Philosophie vorzüglich getrieben hätte. Einge Gäste ließen sich mit ihm in eine Unterredung vom akademischen Leben ein. Anfangs wollte er ausweichen. Als er aber glaubte, daß ihnen Ernst wäre, und der Wein ihn beherzt gemacht hätte, stattete er hiervon als Kenner weitläufige Berichte ab.
Ich wollte wünschen, daß dieses Gemälde, das ich nach der Natur lieferte, nun auf ein Original passe. Aber gewiß, man muß staunen, wenn man die Subjekte nacheinander ansieht, die sich um Hofmeisterstellen bewerben, wie wenig sie die Wirkung dieses Amtes kennen und wie wenig sie sich dazu anzuschicken bedacht sind. Der größte Teil der Studierenden hält eine solche Stelle noch immer für die bequemste Gelegenheit, um die Kandidatenjahre hinzubringen. Und die meisten von diesen betrachen sie nur aus diesem Gesichtspunkte. Und was gibt es unter diesen für Leute! Was für Sitten!"

J.G.H. Feder, Der neue Emil oder von der Erziehung nach bewährten Grundsätzen. 2.Aufl. Erlangen 1774, S. 244, zitiert nach Hans Gerth, Bürgerliche Intelligenz um 1800: zur Soziologie des deutschen Frühliberalismus, Göttingen 1976 S. 120/1. - Der Originaltext: HIER.

Zwei Illustrationen zum Thema:

Eine Gefahr für den Hofmeister: Die Nähe zur Hausfrau!


"Erziehung" von Chodowiecki, aus Ludwig Fertig: Die Hofmeister, Metzler Stuttgart 1979 S.59

Der Hofmeister als Drillmeister


von Chodowiecki, aus Ludwig Fertig: Die Hofmeister, Metzler Stuttgart 1979 S.90

(cc) Klaus Dautel


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