Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas

Inhalt & Struktur Quellen Recht & Gerechtigkeit Didaktisches & Hinweise

Recht und Gerechtigkeit

Das Naturrecht

... definiert Normen, die nicht von Staats- und Herrschaftsverhältnissen hergeleitet sind, sondern aus der "Natur des Menschen" oder dem "Naturzustand":

Es sind dies seit dem 17. Jh. Freiheit, Gleichheit, Unverletzlichkeit, das Recht auf Eigentum. Diese Rechte wurden auch Vernunftrechte genannt, da sie der (aufgeklärten) Vernunft unmittelbar einleuchtend seien.

Naturrechte haben einen höheren Status als die staatliche Rechtsnorm; diese muss sich dadurch rechtfertigen können, dass sie die natürlichen" Rechte der Menschen garantiert.

Ist dies nicht bzw. nicht mehr der Fall, dann kann das Individuum aus diesem Faktum ein Recht auf Widerstand ableiten, also die moralische Berechtigung, seine natürlichen" Rechte gegen die tyrannische Herrschaftsform geltend zu machen, auch gewaltsam. (Anmerkung: das Widerstandsrecht des Individuums, nicht nur des Kollektivs, hat erst John Locke postuliert.)

Problematik:

  • Die Natur des Menschen" ist keine überzeitlich gültige Größe, sondern wurde immer wieder unterschiedlich definiert (bei Platon und Aristoteles gehörte es zur Natur mancher Menschen, Sklave zu sein); im Jahrhundert der Aufklärung und endgültig bei Immanuel Kant erhält die Natur des Menschen diesen idealistisch-euphorischen Sinn von "allgemeiner Vernunft" und "unverletzlichen Freiheitsrechten".
  • Naturrechte sind nicht einklagbar, es gibt keine Instanz dafür, außer dem eige-nen Gewissen.
  • Gleichheit und Freiheit garantieren dem Einzelnen Mitglied einer Gemeinschaft noch nicht Friede und Sicherheit, im Gegenteil: Mein Recht auf Freiheit ist durch das gleiche Recht meines Mitmenschen beständig gefährdet oder zumindest beeinträchtigt.

Daraus leitet sich die Notwendigkeit von gegenseitigen Absprachen ab und dies ist der Kern der Theorie vom Gesellschaftsvertrag, wie sie von Thomas Hobbes, John Locke und dann J.J.Rousseau formuliert worden ist: Das Individuum verzichtet unter dem Druck der Erfahrungen auf die Ausübung seiner Freiheitsrechte und übergibt diese einer Institution, die ihm dafür Schutz und Sicherheit für Leib und Leben garantiert. Dieser Vertrag kann nun je nach Menschenbild aus Furcht um das eigene Leben (Th. Hobbes), als Ausdruck eines allgemeinen Willens (Rousseau) oder eines sittlichen Pflichtgefühls zustande kommen.

Positives Recht

... wird dasjenige Recht geheißen, das sich eine Gemeinschaft oder ein Staat gibt (positiv im Sinne von 'gesetzt'), um den konfliktfreien Verkehr seiner Staatsbürger zu regeln und zu gewährleisten. Im Unterschied zum Naturrecht zeichnet es sich dadurch aus,

  • dass es (für alle einsehbar) schriftlich fixiert ist,
  • dass es bei klar definierten Instanzen einklagbar ist,
  • dass es geregelte Verfahrensweisen besitzt und
  • dass es von staatlicher Gewalt durchgesetzt werden kann.

Das Positive Recht beruht auf der Autorität des Staates und bietet so dem Einzelnen entscheidende Vorteile: Es ist berechenbar und gibt Rechtssicherheit.

Problematik:

  • Das Positive Recht ist zunächst einmal wertneutral und auf die Vermeidung oder Regelung von Konflikten ausgerichtet (die Straßenverkehrsordnung ist hier ein beliebtes Beispiel). Immanuel Kant hat das Recht (Legalität) von der Moral (Legitimität) abgetrennt und Recht definiert als "den Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann." (Metaphysik der Sitten). Das sittliche Handeln des Einzelnen resultiert dagegen aus dem Pflichtgefühl, das eine individuelle Leistung ist und dem kategorischen Imperativ gehorcht.
  • Das Positive Recht ist zwar einer allgemeinen Idee von Gerechtigkeit verpflichtet, muss dem einzelnen Bürger aber in seinen konkreten Anwendungen nicht immer als gerecht' erscheinen. Er hat dies zu akzeptieren.
  • Es kann folglich also auch einem (Unrechts-)System dienen bzw. dieses nicht verhindern, das den Grundwerten der Aufklärung, also den Vorstellungen von Freiheit, Gleichheit, Unverletzlichkeit usw. nicht gerecht wird.

Zur Entstehungszeit von Kleists Novelle wurde intensiv diskutiert, welches das höhere Gut sei: Die Gerechtigkeit oder die Rechtssicherheit. Wichtige Stimmen waren der Meinung, dass die Rechtssicherheit über der Gerechtigkeit stehe; denn, was Gerechtigkeit sei, das sehe schließlich jeder anders. Des Weiteren stand in Frage, ob überhaupt jemand das Recht für sich in Anspruch nehmen dürfe, sich aus dem Staatsverband herauszulösen, um diesen von außen anzugreifen. Der mit Kleist befreundete Staatsphilosoph Adam Müller (Mitarbeiter an Kleists Zeitungsprojekt „Phoebus") argumentierte, es gebe gar kein Recht außerhalb des Staates, also auch kein vorstaatliches natürliches Recht, folglich auch kein Recht auf Widerstand. Dieses Recht sei folglich eine "Schimäre"; die Aufgabe des Staates bestehe genau darin, das Recht des Schwächeren gegenüber dem Stärkeren zu schützen. Das sind die Pole, zwischen denen sich Kleist und sein Kohlhaas bewegen (lesenswert hierzu ist das Nachwort von Paul Michael Lützeler zu Kleists Novelle in der Reclam-Ausgabe S. 130-35).

(cc) Klaus Dautel


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