Theodor Storm: Novellen

Der Schimmelreiter  
Pole Poppenspäler  
Hans und Heinz Kirch  


POLE POPPENSPÄLER (1874)

Ein Ich-Erzähler berichtet von dem Kunstdrechsler und Mechanikus Paul Paulsen, einem Friesen, und seiner aus Süddeutschland stammenden Frau. Bei diesem Paulsen, einem anerkannten Handwerker, erhielt er als Schuljunge Unterweisungen im Kunstdrechseln. Als er erfährt, dass sein Meister auch >Pole Poppenspeler< genannt wird, fragt er ihn - anlässlich seines Hochzeitstages - und nach kurzem Zorn erzählt dieser ihm seine Geschichte.

Als Kind lebte er schon in diesem seinem Haus, und eines Tages im September kommt ein von einem Pferd gezogener Karren in die Stadt. Die Insassen lassen sich im gegenüberliegenden Gasthaus unter dem Dach, dem billigen Quartier für unzünftige Handwerker, nieder, es sind der Mechanikus und Puppenspieler Joseph Tendler aus München, seine Frau und sein 9-jähriges schwarzhaariges hübsches Töchterlein Lisei. Paul ist ihr gleich bei erster Gelegenheit beim Einkaufen behilflich und erhält dafür, zu seiner großen Freude, eine Eintrittskarte für das Theaterstück vom >Pfalzgrafen Siegfried und der heiligen Genoveva<.

Die Vorführung im vollen Saale des baufälligen Schützenhauses beeindruckt ihn so sehr, dass er danach in der Schule nicht mehr richtig rechnen kann und nachts vom Kasperl träumt. Für das nächste Stück, >Fausts Höllenfahrt< erhält er vom verständigen Vater einen Doppelschilling. Am Tag der Aufführung schleicht er sich ans Schützenhaus heran, findet dort Lisei allein und bittet sie darum, den Kasperl (>Wurstl<) anschauen zu dürfen. So sieht er die Wunderwelt auch von hinten und bei Tageslicht, was ihn zwar sehr enttäuscht, aber die Puppen selbst bezaubern ihn. Trotz Verbots spielt er mit dem Kasperl, bis es innen drin einen Knacks tut. Er sagt aber nichts. Am Abend, mitten in der Aufführung, geht es dann auch mit dem Kasperl nicht mehr weiter und er muss durch einen Notkasper ersetzt werden. Noch vor dem Ende der Vorstellung, als den Faust gerade der Teufel holt, hört Paul Liseis Schluchzen unter der Tribüne: Sie fürchtet die Strafe der harten Mutter wegen des kaputten Kasperls. Der Saal leert sich, die Türen werden verschlossen, die Kinder bleiben alleine zurück und betten sich zusammen in die leere Puppenkiste. Dort werden sie von Pauls Vater und dem Ehehpaar Tendler aufgefunden, und nachdem der Sohn seine Schuld gestanden hat, verspricht Vater Paulsen, den Kasper zu reparieren.

So geschieht es auch, während dessen kommen die Kinder erst so richtig ins Gespräch miteinander. Es beginnt nun eine schöne Zeit, die Tendlers werden respektiert, Paul und Lisei verbringen die meiste Zeit zusammen, aber eines stürmischen Oktobertages kommt dann doch der Abschied, die Tendlers ziehen weiter, und so sehr Paul auch auf deren Wiederkehr wartet, sie kommen nicht wieder.

Zwölf Jahre später befindet sich Paul Paulsen als wandernder Geselle in Mitteldeutschland und wird von einer Meisterswitwe an Sohnes Statt gehalten. An einem bitterkalten Sonntag im Januar beobachten beide, wie eine junge Frau vergeblich Einlass ins Gefängnis verlangt, Paul geht der Abgewiesenen nach und siehe, es ist seine Lisei. Ihre Lage ist verzweifelt: Die Mutter ist gestorben und erst gestern wurde der Vater unter dem Verdacht, Geld aus der Wirtshauskasse gestohlen zu haben, festgenommen. Paul geht sofort ins Gefängnis und beruhigt den Alten, dass er für ihn bürge und für die Tochter sorge.

Schon am nächsten Tage klärt sich die Unschuld des Puppenspielers auf, aber die Schande des bloßen Verdachtes zwingt ihn mit Fieber auf das Krankenlager. Er erholt sich langsam wieder, als aber die Zeit des Abschiedes herannaht, bietet Paul den beiden sein Haus an, was dankbar akzeptiert wird.

Dem jugendlichen Zuhörer von Paulsens Erzählung ist mittlerweile auch längst klar geworden, dass die jetzige Frau Paulsen jene Lisei ist. Er erfährt auch, dass der alte Tendler zusammen mit einer seiner Puppen auf dem städtischen Friedhof liegt. Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende:
Eine stille Hochzeit wird gehalten, der Alte bringt sogar etwas Mitgift ein, das Geschäft belebt sich und die Leute hören auf, sich über diese Verbindung auszulassen. Aber der alte Tendler will auf die Dauer nicht unnütz sein >Gnadenbrot< verzehren, er möchte wieder Theater spielen. So wird eine Bühne zusammengezimmert, mit einem reputierlichen Frauenzimmer werden die Frauenrollen eingeübt und dann gibt es im Rathaussaal den großen Abend.
Nur - die Zeiten haben sich geändert, die Honoratioren bleiben aus, der Pöbel dagegen kommt und die Vorführung muss abgebrochen werden.
An der Haustür steht am darauffolgenden Tag mit Kreide >Pole Poppenspäler< geschrieben, der Alte verkauft seine Puppen, die nun allerdings den Gassenjungs als Spielzeug dienen.
Darüber erkrankt der alte Mann schwer und stirbt. Bei seiner Beerdigung wird noch etwas über die Friedhofsmauer direkt in das offene Grab geworfen: Der Kasperl.
Man begräbt ihn mit.

HANS UND HEINZ KIRCH (1883)

In einer kleinen, ehrwürdigen Stadt an der Ostsee lebt Hans Kirch, ein Fracht-Kapitän, strebsam, fleißig, sehr sparsam und ehrgeizig. Sein Sohn Heinz soll es weit bringen - bis in den Magistrat!

Der Junge lernt gut und bekommt Extra-Unterricht beim Pastor wie die Söhne der Honoratioren, aber er ist auch wild und verwegen und er hegt eine zarte Liebe zur Tochter einer schlecht beleumundeten Wäscherin: die hübsche Wieb.

Das väterliche Geschäft weitet sich aus, aus dem Getreidehandel wird ein Kohlehandel mit England, ebenso wächst Heinz zu einem stattlichen Matrosen heran, der sich mit 17 Jahren auf eine einjährige Fahrt nach China verabschiedet. Dies herzensschwer und tränenreich von Wieb und im Zorn von seinem verschlossenen Vater (er war nicht rechtzeitig nach Hause gekommen).

Hans Kirchs Hoffnung auf einen Ratsherrenstuhl erfüllt sich nicht, er ist wohl nicht genügend wohlhabend hierfür, und sein Zorn wird vollends entfacht, als er von seiner zänkischen Schwester erfährt, mit wem Heinz sich am letzten Abend vergnügt hat: der >Matrosendirne< Wieb. Er schreibt einen wütenden Brief.

Daraufhin kehrt Heinz nicht mehr zurück und lässt auch nichts mehr von sich hören, so dass sein Name im väterlichen Hause nicht mehr genannt werden darf.

Als dann nach zwei Jahren ein dicker, aber unfrankierter Brief von Heinz kommt, ist der Alte nicht bereit, das Porto von 30 Schillingen zu zahlen und nimmt den Brief nicht an.

Es vergehen 15 Jahre, das Kaiserreich entsteht, die Stadt hat jetzt Telegraphendrähte, Hans Kirch ist grau geworden und seine Frau stirbt, ohne ihren Sohn noch einmal gesehen zu haben.

In der Zwischenzeit hat die Tochter Lina glücklich geheiratet und ist mit ihrem Mann Christian Martens in das erweiterte Haus eingezogen. Da kommt die Nachricht, dass Heinz in Hamburg gesehen worden sei, und dies in nicht sehr gutem Zustand. Der gebeugte und längst milder gestimmte Vater macht sich auf nach Hamburg; für seinen Schwiegersohn ist diese Wendung allerdings nicht ganz so erfreulich, denn neue Ansprüche auf das Geschäft und das Erbe ergeben sich daraus.

Der Vater kehrt mit dem frisch eingekleideten Sohn zurück. Dieser sieht älter aus, als er ist, von den Wettern gegerbt, von Narben gezeichnet, spröde und wortkarg. Er kommt aus einer anderen Welt (>Texas...<) und interessiert sich nicht für die Familie und die Geschäfte.

Am Sonntag vor dem Kirchgang bricht der alte Groll aus: Der alte Hans Kirch kann es nicht ertragen, dass sein Sohn nicht als Kapitän mit ihm zusammen in der kirchlichen Kapitänsloge sitzen wird, so wie es sein lebenslanger Traum war.

Das Gerücht geht um, bei dem Heimgekehrten handele es sich um einen anderen, ihm ähnlichen Sohn der Stadt. Er wird nun mit Vorsicht beobachtet.

Endlich kommt es zum Gespräch über jenen Brief vor 15 Jahren, der Alte weiß dazu nichts zu sagen. Schwester Jule lässt ihn wieder zweifeln: Heinz hatte sich doch als Junge mit Säure einen Anker auf den Arm gebrannt, so etwas geht ja nicht mehr weg, aber wo ist es?

Beim Spaziergang durch den nächtlichen Hafen wird Heinz auf eine Spelunke aufmerksam, aus der Lärm dringt. Darin wird eine Kellnerin, die von einem Trunkenbold belästigt und gedemütigt. Er erkennt in ihr seine Wieb wieder und auch sie erkennt ihn. Er trägt immer noch den silbernen Ring, den sie ihm zum Abschied umgehängt hat. Er will mit ihr weg, aber sie ist mit diesem Trunkenbold, einem Seemann, verheiratet. Heinz besäuft sich.

Am folgenden Tag rechnet der alte Kirch lange; er möchte den unwillkommenen Gast auszahlen, um ihn für immer aus dem Haus zu haben. Am Abend kommt es zur letzten Begegnung, am nächsten Morgen nimmt Heinz einen geringen Teil des Geldes aus dem Kuvert und verlässt die Stadt.

Hans Kirch hört ihn das Haus verlassen. Am Mittag kommen Lina und überraschenderweise auch Wieb zum Alten und bitten ihn auf ihren Knien, seinen Sohn, denn das sei er ja, zurückzuholen. Der Alte bleibt hart.

Genau ein Jahr später, die Herbststürme toben um das Haus, hat Hans Kirch nächtens eine unheimliche Vision: Ein Schiff geht unter und sein ertrunkener Sohn steht vor ihm. Hans Kirch erleidet einen Schlaganfall, von dem er sich aber wieder erholt.

Er ist nun ein alter gebrochener Mann, gibt alle seine Geschäfte an seinen tüchtigen und aufstrebenden Schwiegersohn ab und wandelt auf langen Spaziergängen an der See entlang. Eines Tages gesellt sich Wieb zu ihm, ihr Mann hat sich zu Tode getrunken, und sie wird nun seine Begleiterin auf seinen Spaziergängen bis seinem Tode.

(cc) Klaus Dautel


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