Gottfried Keller: Romeo und Julia

Kleider machen Leute  
Romeo und Julia auf dem Dorfe  
Drei Novellen  


Gottfried Keller: Romeo und Julia auf dem Dorfe (1855)

Aus der >Zürcher Freiheitszeitung< vom 3. IX. 1847:

"Im Dorfe Altsellerhausen, bei Leipzig, liebten sich ein Jüngling von 19 Jahren und ein Mädchen von 17 Jahren, beide Kinder armer Leute, die aber in tödlicher Feindschaft lebten und nicht in eine Vereinigung des Paares willigen wollten. Am 15. August begaben sich die Verliebten in eine Wirtschaft, wo sich arme Leute vergnügen, tanzten daselbst bis nachts 1 Uhr und entfernten sich hierauf. Am Morgen fand man die Leichen beider Liebenden auf dem Felde liegen; sie hatten sich durch den Kopf geschossen."

I. Exposition:

Landidylle! Eine halbe Stunde von Seldwyla entfernt liegt ein Fluss und dabei ein Dorf. Nahebei pflügen zwei rüstige Bauern jeweils ihr Feld, Ruhe und Frieden herrscht im weiten Land ringsum, die Sonne scheint. Zwischen diesen Feldern liegt ein drittes, unbebautes Feld. Am späten Morgen kommen die Kinder der Bauern mit einem Wagen und bringen den von den Bauersfrauen liebevoll zubereiteten Imbiss. Beim gemeinsamen Frühstück dann unterhalten sich die Bauern (Manz und Marti) über den Acker in der Mitte und wem er wohl gehören mag: Vielleicht dem "schwarzen Geiger", den man so gern aus der Dorfgemeinschaft ausstoßen möchte und der nicht weiß, wann und von wem er geboren wurde? Dann pflügen sie weiter, während der Junge (7) und das hübsche braune Mädchen (5) unschuldig ihre Spielpuppe martern, köpfen und dann zusammen mit einer lebendigen Fliege feierlich beerdigen. Und die Alten pflügen zum Abschluss jeder für sich noch eine Furche in den mittleren Acker ...

            TA: Die HEILE WELT und ihre KEHRSEITEN
                            /  \
          S.3-6            /    \         S.7-12
 wohlgeordnete Anwesen und         es gibt Ausgeschlossene und Außenseiter
    fruchtbare Landschaft             ("schwarzer Geiger" S.7)

 stattliche Bauernhöfe             die Puppe: menschliche Grausamkeit
                                       im unschuldigen Kinderspiel 
                                        (Vreni und Sali S.9/10)
 
 fleißige Männer und Frauen        der Acker: ungeklärte Besitzverhältnisse  
                                               und Symbol der Unordnung

  gesunde Kinder                   die Furchen: gegenseitig tolerierte 
Habgier 
                                           (Manz und Marti S. 12)  
       ||                                     ||
       \/                                     \/
     Ein Idyll...                  ... mit Störungen

  Friede und Harmonie          
  Rechtschaffenheit             Menschen (nun mit Namen!!), die Schuld     
  Dorfwelt                      auf sich laden, welche nicht ungesühnt
  (noch ohne Namen!)            bleiben kann: Frevel, "UNRECHT" 
(S.13)

(12) Über die Jahre wachsen die Kinder Sali (=Salomon) und Vrenchen und der Acker in der Mitte wird immer schmäler. Schließlich wird er versteigert und MANZ ersteht ihn. Vorher aber hatte MARTI sich noch eine stattliche Ecke davon umgepflügt. Manz zieht ihn zur Rechenschaft, aber Marti gibt nichts her. Am nächsten Tag lädt Manz alle Steine des Ackers auf diese Ecke und damit beginnt ein Prozess, der beide zugrunde richten wird. - Sali ist jetzt knapp 11 Jahre alt. - Binnen zehn Jahren stehen die beiden Bauern verfeindet und verbittert auf den Trümmern ihres bisher so stattlichen Anwesens.

II. Zuspitzung: Streit, Hass und Liebe

In diesem Unglück wachsen die Kinder heran, jeder auf seine Weise davon geprägt, ohne Kontakt zueinander. Schließlich (23) muss Manz den Hof verkaufen und mit Frau und Kind und der letzten Habe in die Stadt ziehen, Seldwyla, um dort eine armselige Schenke zu übernehmen. Das klappt aber nicht, die Gäste bleiben aus, und Vater und Sohn verlegen sich aufs Fischen, um wenigstens etwas zum Essen zu haben. Auch Marti (29) verlegt sich aufs Fischen, wobei ihn seine Tochter begleiten muss, und eines Tages, ein Sommergewitter zieht herauf, treffen sie sich am Fluss zwischen Dorf und Stadt, auf einem Steg bricht eine Prügelei der alten Männer los, ebenso wie ein Gewitter über ihnen. Die Kinder bringen die Alten auseinander und sehen sich dabei selbst mit neu entflammter Zuneigung in die Augen.

            EIN (UN)AUFHALTSAMER ABSTIEG? 

           MANZ         als Opfer             MARTI
            |\             ihrer                /|
            | \    MENSCHLICHEN SCHWÄCHEN:     / |
            |  \                              /  |
            |   Leidenschaft, Rechthaberei, Hass |       
            |     Hoffart und Eigendünkel (Frau) |
            |       Stolz und Dummheit           |
           \/                                    |
          Bauer                             Frau gestorben 
          Wirt                              Hof ruiniert
          Angler                               Angler
             \________________  ___________________/
                              \/
                    Begegnung am Fluss (S.30-33):
                    Kampf der alten Männer (Hass) 
                    Sich-Erkennen der Kinder (Liebe)
                    
            SYMBOL: Das GEWITTER! Es hat eingeschlagen!

III. Krise: Liebe und Wahnsinn

(33) Am nächsten Tag (Juli) geht Sali ins Dorf und findet Vrenchen dort auf ihrem heruntergekommenen Hof. Vater Marti ist in die Stadt gegangen. Nach anfänglichem Zögern verstehen sie sich und treffen sich auf Martis Feld beim Steinhaufen. Dort aber begegnet ihnen leibhaftig der "schwarze Geiger", und sie erfahren, wie hartherzig ihre Väter einst diesen Ungetauften um sein Recht an diesem Acker gebracht haben (42). Doch der Schreck dauert nicht lange, wirkt eher befreiend und ein munteres Turteln und Schnäbeln fängt an im Getreidefeld. Auf dem Heimweg aber steht ihnen plötzlich der alte Marti gegenüber (47). Als dieser in blinder Wut erst Sali angreift und dann die Tochter misshandelt, schlägt Sali ihn mit einem Feldstein nieder und rennt davon.

Schreibauftrag:
Versetze dich in Salis Lage. Du hast eine unruhige Nacht hinter dir, alles Mögliche ist dir dabei durch den Kopf gegangen, du hast Schuldgefühle und dennoch das Gefühl richtig gehandelt zu haben: Schreibe Vreni einen Brief, in dem du deine Lage darlegst und einen Ausweg vorschlägst.

IV. Verzögerung: Ist Glück doch noch möglich?

(48) Der Alte ist von nun an schwachsinnig und erinnert sich an nichts mehr. Sechs Wochen später wird der Hof versteigert und Marti in eine "Stiftung für dergleichen arme Tröpfe" gebracht, wo er sich sofort zuhause fühlt. Vrenchen ist nun allein und muss in zwei Tagen ausziehen. Da besucht sie Sali (Freitag). Sein Vater ist inzwischen "Diebshehler" geworden und in der Schenke treibt sich undurchschaubares Volk herum. Vrenchen träumt in der Nacht, dass sie mit Sali tanze und beide wollen, dass dieser Traum wahr werde, bevor sie sich für immer trennen müssen. (54) Am nächsten Tag, es ist Samstag, versetzt Sali seine silberne Uhr samt Kette und kauft für Vrenchen Tanzschuhe. Am Sonntag früh richtet er seinen Sonntagsstaat,
(57) verabschiedet sich von den Eltern und findet Vrenchen ebenfalls im Sonntagskleid, geschmückt mit den letzten Blumen des verödeten Anwesens. Das Haus ist leergeräumt bis auf ihr Bett, welches gerade jetzt von einer Bäuerin abgeholt wird.
(60) Dieser erzählt Vrenchen halb scherzend von ihrer bevorstehenden glücklichen Hochzeit.
(63) Dann ziehen sie los in den septemberlichen Sonntagmorgen. Sie frühstücken im nächsten Dorf, essen zu Mittag in einem anderen Ort, im nächsten Dorf ist Kirchweih, wo sie sich Lebkuchenhäuser und -herzen mit sinnreichen Versen und heimlich Ringe kaufen. Und überall werden sie als junge Brautleute angesehen und respektiert, bei der Kirchweih dann leider auch erkannt (72) und bestaunt, so dass sie beschließen,
(74)"Ins Paradies" zu gehen, etwas außerhalb, wo das arme Volk sich ein billigeres Vergnügen macht.
Dort tanzt auch schon ein munteres, illustres Völkchen und die Musik liefert der "schwarze Geiger" (76). Er heißt sie nicht unfreundlich willkommen und so tanzen sie mit dem anderen zigeunerhaften Volk bis in die Vollmondnacht hinein.

Der "schwarze Geiger"!
An welchen Stellen in der Novelle taucht er bzw. sein Name auf? (Textdurchsicht)
Beschreibe ihn und erkläre seine Herkunft und soziale Stellung. (Charakteristik)
Was symbolisiert er? (Deutung)
Welche Funktion für die Entwicklung der Handlung hat er? (Wirkungsabsicht)

V. Katastrophe: Hochzeit und Tod

(79) Wie aber soll es weitergehen? Ihr inneres, "bürgerliches" Ehrgefühl lässt eine andere als "ehrliche und gewissensfreie Ehe" nicht zu, aber dazu ist es zu spät, die Väter haben durch ihre Raffgier ihre Familien ehr- und völlig mittellos gemacht; auch hat Sali den Vater seiner Braut ins Irrenhaus gebracht. Die Schuld für diese Tat lastet schwer auf ihm. Ein ehrbarer Ausweg scheint ihnen und ihrem durch das väterliche Fehlverhalten geschärftem Ehrgefühl nicht möglich.
(81) Der Geiger lädt sie ein, mit ihnen zusammen ein freies Leben und eine freie Liebe in Wald und Flur zu führen ...

... Da gleiten "im Froste des Herbstmorgens zwei bleiche Gestalten, die sich fest umwanden, ... herunter in die kalten Fluten."

* * *
Arbeitsauftrag (zur Inhaltssicherung der zweiten Novellenhälfte):

Die Seiten 48 - 88 werden in Abschnitte eingeteilt und mehreren Gruppen 
zum Zusammenfassen und Darstellen zugewiesen: 
1. Stelle diese Seiten unter einer Überschrift (Thema und Motive) 
2. Gib den Inhalt dieser Seiten kurz wieder. 
3. Zitiere aus diesen Seiten ein paar Zeilen, die euch charakteristisch 
für was auch immer erscheinen.

Überschrift: Die letzten drei Tage

S. 48 - 53  Martis Schicksal -> Hofverkauf -> noch zwei Tage
S. 54 - 58  Freitag: Vorbereitungen -> Uhrverkauf -> Schuhkauf für Vrenchen 
S. 59 - 63  Samstag: Vrenchens Schwindel mit der Hochzeit
S. 64 - 70  Sonntag: Stattliches Frühstück und artiges Mittagessen
S. 71 - 78  Kirchweihfest und "Paradies"
S. 79/80    Warum nicht? Ehre und Gewissen verhindern "bürgerliche" Ehe 
S. 81 - 85   Freie Liebe unter freiem Himmel: Ein Ausweg?
S. 86 - 88   Liebe und Ende.

Siehe auch zu Gottfried Keller:

(cc) Klaus Dautel

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