Thomas Mann: Mario und der Zauberer

Künstlernovellen:
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E. Mörike: Mozart auf der Reise
Th. Mann: Tod in Venedig
Th. Mann: Mario und der Zauberer


Mario und der Zauberer (1930)

Ein tragisches Reiseerlebnis

Seitenangaben nach "Tonio Kröger/ Mario und der Zauberer: Zwei Erzählungen", Fischer Band 1381, 1987

I. Prolog und Exposition

“Die Erinnerung an Torre di Venere ist atmosphärisch unangenehm. Ärger, Gereiztheit, Überspannung lagen von Anfang an in der Luft, und zum Schluß kam dann der Choc mit diesem schrecklichen Cipolla, in dessen Person sich das eigentümlich Bösartige der Stimmung auf verhängnishafte und übrigens menschlich sehr eindrucksvolle Weise zu verkörpern und bedrohlich zusammenzudrängen schien. Daß bei dem Ende mit Schrecken (einem, wie uns nachträglich schien, vorgezeichneten und im Wesen der Dinge liegenden Ende) auch noch die Kinder anwesend sein mußten, war eine traurige und auf Mißverständnis beruhende Ungehörigkeit für sich, verschuldet durch die falschen Vorspiegelungen des merkwürdigen Mannes. Gottlob haben sie nicht verstanden, wo das Spektakel aufhörte und die Katastrophe begann, und man hat sie in dem glücklichen Wahn gelassen, daß alles Theater gewesen sei.“

Der Ort heißt Torre de Venere, es ist Mitte August, die Erzählperspektive ist die eines Familienvaters, der sich an die Ereignisse einer zurückliegenden Urlaubsreise mit Ehefrau und zwei kleineren Kindern erinnert. Der Erzähler wendet sich dabei immer wieder an einen Gesprächspartner oder Leser. Dabei versucht er zugleich sich seiner Erinnerungen zu vergewissern, sie einzuordnen und auch sein Verhalten bzw. Nichtverhalten zu rechtfertigen. Der Urlaubsaufenthalt der Familie ist von Anfang an durch Unannehmlichkeiten und Merkwürdigkeiten überschattet bzw. davon geprägt:

  • der falsche Zeitpunkt: es sind noch zu viele Italiener anwesend, inländische Mittelklasse
  • Das Wetter: es ist zu heiß, es herrscht eine „afrikanische“ Hitze.
  • sie sind im Grandhotel nicht erwünscht, weil die Kinder den Keuchhusten noch nicht ganz überwunden haben, und ziehen in eine kleinere Pension.
  • die „öffentliche Stimmung wird von der „Idee der Nation“ beherrscht.
  • ihre achtjährige Tochter erzeugt öffentliche Erregung, als sie für einen Augenblick sich ohne Badeanzug zeigt. Die Familie muss daraufhin eine Geldbuße verrichten.

Fazit: es war ein Fehler, nicht abzureisen! „... hätten wir es nur getan.“ (78)

II. Der Auftritt

Das lag auch an dem angekündigten Auftritt dieses fatalen Cipolla (78). Die Nachsaison beginnt, die Italiener reisen ab, der Strand „entnationalisierte sich“, das Wetter schlägt um, es folgen „stickige Sciroccoschwüle“ und ein schwächlicher Regen.
Der Cavaliere Cipolla kündigt seinen Auftritt an. Die Vorstellung findet im ehemaligen Kinosaal des Ortes statt, ohne Logen, nur Parkett, das Publikum: das Fischervolk von Torre und die letzten Touristen.
Der Künstler lässt sein Publikum warten, der Erzähler ist beunruhigt wegen seiner Kinder, sie sollten schlafen (81).
Der Cavaliere erscheint im „Geschwindschritt“, eine „merkwürdige“ Erscheinung, figürlich „nicht in Ordnung“, ein „Krüppel“ (83).
Seine erste Aktion: Wortgefecht mit einem vorlauten jungen Mann und dessen Demütigung, er macht ihn lächerlich (Zunge).
Es folgen Zahlenspiele und Kartenspielertricks. Der vorlaute junge Mann wird ein zweites Mal lächerlich gemacht (Magenkrämpfe).
Der Erzähler ist sich nicht sicher, welche Art von „Zauber“ hier geschieht: fauler Zauber? Cipolla schlägt das entscheidende Thema an: Willensfreiheit existiert nicht! (95). Es geht um die Fähigkeit, sich selbst zu entäußern, um gehorchen und befehlen, um Volk und Führer:

“Die Fähigkeit, sagte er, sich seiner selbst zu entäußern, zum Werkzeug zu werden, im unbedingtesten und vollkommensten Sinne zu gehorchen, sei nur die Kehrseite jener anderen, zu wollen und zu befehlen; es sei ein und dieselbe Fähigkeit; Befehlen und Gehorchen, sie bildeten zusammen nur ein Prinzip, eine unauflösliche Einheit; wer zu gehorchen wisse, der wisse auch zu befehlen, und ebenso umgekehrt; der eine Gedanke sei in dem anderen einbegriffen, wie Volk und Führer ineinander einbegriffen seien, aber die Leistung, die äußerst strenge und aufreibende Leistung, sei jedenfalls seine, des Führers und Veranstalters, in welchem der Wille Gehorsam, der Gehorsam Wille werde ...“

Jetzt ist Pause: Warum geht die Familie nicht nach Hause? Weil dieser Saal den „Sammelpunkt aller Merkwürdigkeiten“ (101) darstellt.

III. Machtdemonstration

Die Vorstellung geht weiter. Dem Erzähler wird klar, dass er es hier mit dem „stärksten Hypnotiseur“ zu tun hat, der nun seine „Demonstration des Willensentzugs“ fortsetzt: Mit der Verzauberung der Pensionswirtin Frau Angiolieri, oder er bringt Menschen dazu, gegen ihren Willen zu tanzen, oder durch die Überwältigung eines Widerständigen, eine Machtdemonstration: Cipollas „Triumph war auf seiner Höhe“(107).
Und wieder fragt sich der Erzähler: Warum sind die Kinder immer noch nicht im Bett? „Es war nun schon alles einerlei.“ (107).

IV. Mario

Jetzt holt Cipolla sich den Kellner Mario auf die Bühne. Diesen, einen stillen, freundlichen, in sich gekehrten jungen Mann, den die Kinder sehr mögen, bringt Cipolla dazu, ihn für seine heimliche Geliebte zu halten und zu küssen.

V. Das fatale, befreiende Ende

Als Mario aus dieser peinlichen Situation erwacht und seine öffentliche Demütigung erkennt, verlässt er die Bühne, aber im Verlassen feuert er aus einer kleinen Pistole zwei Schüsse ab, die Cipolla töten.
Die Aufregung im Saal ist groß, die Kinder werden aus dem Saal geführt, sie halten dieses Ende für den Schluss der Vorstellung, für den Erzähler ist es ein „Ende mit Schrecken“ und ein „befreiendes Ende dennoch“ (114), wie er nicht umhin kommt, „es so zu empfinden“.

(cc) Klaus Dautel

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