Dirk Kurjuweit

Zweier ohne. Die Geschichte einer bedingungslosen Freundschaft

„Zweier ohne” ist eine Novelle von Dirk Kurbjuweit aus dem Jahre 2001, veröffentlicht als KiWi Paperback 1063. "Zweier ohne" war als Ganzschrift Pflichtlektüre und Prüfungsstoff für das Schuljahr 2013/14 und für die Realschul-Prüfung in Baden-Württemberg 2014. Das Buch umfasst 130 Seiten.

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Der Ich-Erzähler Johann erinnert sich an den Beginn seiner Freundschaft mit Ludwig. Sie waren beide 11 Jahre alt, Johann kam neu aus dem städtischen Gymnasium in Ludwigs Klasse. Obwohl Johann sich wenig um Ludwig bemühte, sondern ihn eher beobachtete, meldet sich dieser nach zwei Wochen per Telefon und lädt ihn zu sich ein. Er wohnt mit Eltern und Schwester Vera an einem Fluss ziemlich direkt unter einer sehr hohen Autobahnbrücke, die sie beide als Mutprobe besteigen. Johann übernachtet bei Ludwig, in der Nacht fällt eine junge Frau von der Brücke, dies ist in diesem Jahr bereits der zweite Selbstmord. Ludwig scheint daran gewöhnt zu sein, für den Erzähler ist das eine verstörende Erfahrung. Und der Beginn ihrer Freundschaft.

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Sieben Jahre später, im April, haben sie ihre erste sexuelle Erfahrung mit einer Mitschülerin, Ihr Name ist Josefine und sie stammt aus Russland. Allerdings scheint diese Erfahrung für den Erzähler schöner gewesen zu sein als für Ludwig. Dieser umgeht das Thema, was jedoch nicht zu ihren Vorsätzen passt, denn: Seit mehreren Jahren trainieren sie zusammen im Ruderverein "Zweier ohne" und um darin erfolgreich zu sein, beschließen sie, wie Zwillinge zu werden. Dies verlangt aber, dass sie fortan alles gemeinsam tun und erleben, um den für das Rudern im 'Zweier ohne' nötigen absoluten Gleichklang zu finden. Dies haben sie in den Jahren des harten Trainings auch so gut geschafft, dass der Verein eigens für sie ein teures Rennboot anschafft, mit dem sie auch Erfolge feiern.

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Der Sommer, in dem die beiden 18 werden, beginnt kühl, sie trainieren hart und sind schon lange abseits der Klassenkameraden in einer selbst gewählten Distanz. Johann findet eines Abends die weinende Vera in der Werkstatt ihres Vaters vor, tröstet sie und der Eindruck ihrer scheuen Berührungen wirkt noch länger bei ihm nach.
Eine gemeinsame Fahrt ohne Führerschein auf einem Motorrad aus der Werkstatt von Ludwigs Vater endet mit einer Arbeitsstrafe, die Johann für Ludwig auf sich nimmt. Und eines Abends findet Johann Vera wieder allein in der Werkstatt und sie schlafen miteinander.

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In der väterlichen Werkstatt basteln sie an einem Motorrad, mit dem sie im Herbst - dann mit eigenem Führerschein - gemeinsame Touren zu unternehmen vorhaben. Motorrad fahren sei wie Zweier ohne, meinen sie. Beim Basteln "spinnen" sie weiter an großen Plänen, aber es scheint dem Ich-Erzähler, dass Ludwig immer auch etwas missmutig gelaunt ist. Sie haben ein Rennen gegen die Erzrivalen, Zwillinge aus Potsdam, verloren, trainieren jetzt noch härter, aber Ludwig fällt es schwer, sein Wettkamp-Gewicht (62,5 kg) zu halten, er muss weniger essen und ist immer hungrig. Johann wohnt jetzt fast schon bei Ludwig, er schläft oft auch dort und trifft sich nachts mit Vera. Tagsüber aber lassen sich beide nichts anmerken.
Und eines Nachts, Johann schläft bei seiner einsamen "alten" Mutter, ruft ihn Ludwig an und fordert ihn auf, sofort zu ihm zu kommen. Wieder war ein Selbstmörder von der Brücke gesprungen, aber anstatt die Polizei zu rufen, schafft Ludwig "seine" Leiche in den Wald. Ein paar Tage halten sie die Leiche versteckt, besuchen sie in der Nacht und denken sich ein passendes Leben für ihn aus, dann beerdigen sie ihn nachts im Fluss.
Ludwig bemächtigt sich zunehmend seines Zwillingsbruders. Zehn Tage vor dem entscheidenden Rennen beginnt Ludwig plötzlich ungeniert zu essen und zwingt Johann dadurch zum Fasten, was der auch tut. Dennoch verlieren sie das Rennen knapp. In dieser Nacht trifft Johann seine Vera auf der Brücke und er verspricht, mit Ludwig über ihre Beziehung zu reden.

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Am Tag, an dem Ludwig seine Fahrprüfung ablegt, fahren sie endlich mit ihrem Motorrad Marke Triumph los und sind glücklich. An einer eigentlich recht übersichtlichen Kreuzung verunglücken sie, Ludwig ist tot, bei Johann bleibt eine Behinderung zurück. Dieses Ereignis wird in der Rückschau erzählt, nicht dramatisch, sondern wie aus weiter Ferne, aus der Erinnerung und mit Melancholie.

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Der Ich-Erzähler blickt zurück: Er war noch zwei Jahre mit Vera zusammen, dann kam es zufällig zum Streit und sie deutete an, dass Ludwig diesen Unfall gewollt haben könnte, um ihn, Johann ganz für sich zu haben ... Die Beziehung geht auseinander, Vera geht in die USA, Johann arbeitet in einer Lebensmittelabteilung, ist mit seinem Hinken leicht behindert und hat nur flüchtige Bekanntschaften mit Frauen.
Aber: Vera hat ihren Besuch angekündigt, er wird wohl in ein neues Café am Fluss mit ihr gehen und vielleicht auch in dem Fluss schwimmen, das ging früher nicht, aber jetzt.

Kommentar:

Dieses Zwillings-Projekt geht nicht gut aus, es geht sogar sehr traurig aus, aber dennoch stimmt die Lektüre nicht traurig. Die Erzählweise ist von einer sanften Melancholie getragen, der Ich-Erzähler hält die Ereignisse auf Distanz und reflektiert sie aus der Sicht eines Erwachsenen, der weiß, wie es weiterging und sich dennoch nicht den Kopf schüttelt oder sich zu aufklärerischen Kommentaren genötigt sieht. So wie es war, ist es in Ordnung.
Der aufmerksame Leser bemerkt früh, was der Ich-Erzähler Johann nur ahnt, dass dieser nämlich von seinem Freund gefangen und in Beschlag genommen wird. Und mit der Liebesbeziehung zu Vera hat er sich in eine doppelte Abhängigkeit gebracht bzw. bringen lassen, denn auch Vera hat ihn für sich oder besser zu sich geholt. So wie der Freund ihn zu immer neuen Mutproben, Abenteuern und Aufopferung zwingt, so zieht sie ihn in ihren erotischen Bann, denn sie ist die aktive.
So gerät Johann zwischen die beiden Pole, wobei er doch nur will, was sich jeder Jugendliche in diesem Alter besonders wünscht: Einen besten Freund und eine aufregend-schöne Liebesbeziehung. Er bekommt beides, aber das eine schließt das andere aus.

Dennoch erlebt der Ich-Erzähler dies auch nachträglich nicht als Überwältigung, er schildert die Ereignisse so, wie er sich erinnert, wie er sie damals wahrnahm. Die Bewertung bleibt dem Leser überlassen.

Die Geschichte hat alles, was eine Novelle ausmacht: die Kürze, die Konzentration auf wenige Personen, die dramatische Struktur, Motive oder Gegenstände von klarer Symbolik. Da ist der Fluss, die Harmonie der Ruderer, da ist die Autobahnbrücke mit ihren tödlichen Gefahren, da ist das Motorrad als Verheißung von Freiheit, da ist das Turmprojekt als noch kindliches Luftschloss, das überwunden werden muss.

Und die Geschichte hat alles, was einen Adoleszenzroman ausmacht: Die Verheißungen und die Gefahren des Erwachsen-Werden-Wollens bei gleichzeitiger Distanz zu den Erwachsenen in der eigenen Umgebung: Die Eltern, die Lehrer, die Polizei.

Und schließlich: In dieser Novelle fehlt es nicht an erotischen Fantasien und sexuellen Erfahrungen: Es ist viel von Brüsten die Rede, die Liebesbeziehung wird vor allem als Liebesakt dargestellt.
Das mag wohl der Grund gewesen sein, warum das Kultusministerium in Baden-Württemberg 2013 darüber informierte, dass die Realschulen für das Schuljahr 2013/14 zwischen zwei Lektüren, zwischen Dirk Kurbjuweit, „Zweier ohne" und Max Frisch, „Andorra", auswählen können. Hierzu ein Kommentar von Tanja Dückers in der ZEIT Sex und Suizid im Deutschunterricht (29. 1. 2014)

Hilfreiches

  • Lehrer- und Schülerheft für Klasse 9-10 beim Verlag Krapp & Gutknecht.
    Das Lehrerheft enthält neben dem ausführlichen Unterrichtsteil unter Einbezug des Schülerheftes Schreibaufgaben mit Lösungsvorschlägen sowie Institutionen und Kontaktadressen. Das Schülerheft bietet Schreibaufgaben mit Hilfestellungen, Werkstattgespräch mit dem Autor Dirk Kurbjuweit sowie weitere hilfreiche Einheiten zur Inhalts- und Verständnissicherung.
  • Verfilmung 2008 - eine Besprechung von Christian Horn aus www.filmstarts.de
  • ''filmernst''-Unterrichtsmaterial Zweier Ohne (pdf)] - Medienpädagogisches Begleitmaterial, Gemeinschaftsproduktion des Filmverbandes Brandenburg e.V. und des Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM), Autorin: Erna Schmidt 2009 (www.filmernst.de)
  • Dirk Kurbjuweit über den Tod des Ruderers und Olympiasiegers Bahne Rabe durch Magersucht im Jahre 2001 (www.spiegel.de - pdf)
    "Der Ruderer Bahne Rabe war ein schweigender Kämpfer. Ohne große Worte rackerte er sich ab für den Olympiasieg im Achter, still und einsam hungerte er sich nach seinem Karriereende zu Tode. Warum nur? ..."

(cc) Klaus Dautel

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