Gottfried Keller

Kleider machen Leute
Romeo und Julia auf dem Dorfe
Die Drei gerechten KammacherPankraz der SchmollerDas Fähnlein der 7 Aufrechten



Die Zeit geht nicht, sie stehet still,
Wir ziehen durch sie hin;
Sie ist ein Karavanserei,
Wir sind die Pilger drin.

Ein Etwas, form- und farbenlos,
Das nur Gestalt gewinnt,
Wo ihr drin auf und niedertaucht,
Bis wieder ihr zerrinnt.

Es blitzt ein Tropfen Morgentau
Im Strahl des Sonnenlichts;
Ein Tag kann eine Perle sein
Und ein Jahrhundert nichts.

Es ist ein weißes Pergament
Die Zeit und jeder schreibt
mit seinem roten Blut darauf,
Bis ihn der Strom vertreibt.

An dich, du wunderbare Welt,
Du Schönheit ohne End,
Auch ich schreib meinen Liebesbrief
Auf dieses Pergament.

Froh bin ich, daß ich aufgeblüht
In deinem runden Kranz;
Zum Dank trüb ich die Quelle nicht
Und lobe deinen Glanz.


G.Keller: Gesammelte Gedichte,
Winkler München S.703

DIE DREI GERECHTEN KAMMACHER(1856)

In Seldwyla besteht ein gutgehendes Kammachergeschäft, in welchem alle 5 bis 6 Jahre der Meister wechselt, die Gesellen im Sommer ihren Ranzen packen und sich - zum Leidwesen des Meisters - auf die Wanderschaft begeben.

Eines Tages aber kommt ein "ordentlicher und sanfter Geselle" aus Sachsen angereist, der auch im Sommer dableibt und manchen Meister kommen ud gehen sieht. Er isr genügsam, sparsam, unpolitisch, ungesellig, zäh und einfältig, hat aber einen großen Plan: eines Tages das Geschäft zu kaufen. Er hat dafür auch schon eine ordentliche Summe gespart, die er im Gesellenzimmer unter einer Fließe im Strumpf versteckt hält.

Eines Sommers kommt ein Bayer, Fridolin, der sich als der "vollkommene Doppelgänger" erweist, was seine Eigenschaften und Absichten angeht: Auch er hat einen großen Plan und versteckt ein stattliches Sümmchen unter einer Fließe. JOBST und FRIDOLIN belauern sich nun eine Weile, da kommt ein Dritter, der Schwabe DIETRICH, der aus dem gleichen Holz geschnitten ist. Zur großen Freude des Meisters, der dabei ein "Heidengeld" verdient, gehen die drei nun dazu über, "einander aus dem Bett und aus dem Haus zu dulden".

Der Schwabe hat, da er noch jung ist, kein Geld erspart, dafür aber beschlossen, sich in eine Frau zu verlieben, welche etwa so viel Geld hat, wie die anderen unter den Fließen. Die Erwählte heißt ZÜS BÜNZLIN, ist 28, lebt mit ihrer Mutter, der Wäscherin, zusammen und nennt einen Gültbrief von 700 Gulden ihr eigen. Sie ist ordentlich, besitzt manch kleine Schätze, liest sogar Bücher und belehrt gern alle Mitbürger mit ihren angelesenen Weisheiten. Sie schreibt Sonntagsaufsätze, hält salbungsvolle Reden, und verkehrt mit ihren gelegentlichen Liebhabern gern auf erzieherischem Fuße. So auch mit dem Schwaben.

Aber da wollen der Sachse und der Bayer dem jungen Schwaben das Feld nicht alleine überlassen und werben ihrerseits um die Züs. Diese macht nun allen gleich viel Hoffnungen, hat aber ihrerseits entschieden, denjenigen zu erwählen, welcher seinen Plan zuerst verwirklicht und das heißt: einer der beiden Älteren. So belauern die drei sich voller Eifersucht - ja es kommt sogar zu nächtlichen Raufereien im Bett - als ihnen der Meister plötzlich eröffnet, dass er zwei von ihnen entlassen muss, sie haben zu viel gearbeitet (Überproduktion) und er hat zu aufwändig gelebt. Keiner will gehen, alle wollen sogar umsonst arbeiten, so schlägt der Meister - mehr im Scherz - einen Wettlauf vor, und auch die Züs stimmt dem in einer langen salbungsvollen Rede zu (35/6), sie selbst will dabeisein, damit nicht etwa der Falsche, d.i. der Junge, gewinnt.

Am nächsten Morgen ziehen sie alle vier zur Stadt hinaus eine halbe Stunde bergan, setzen sich unter einen Baum, lassen sich von Züs mit Trockenobst vollstopfen und mit wirren Reden betören. Als dann der Wettlauf zurück in die Stadt beginnt, laufen die beiden Alten los, was das Zeug hält, fangen sogar an, sich zu prügeln und prügeln sich unter großem Beifall des Stadtvolkes durch die Stadt hindurch und auf der anderen Seite wieder hinaus. Der Schwabe aber macht sich an die hinterlistige Züs direkt heran und erobert sie im Walde dergestalt, dass sie wenig später zusammen beim Kammachermeister anlangen und sein Geschäft kaufen.

Jobst erhängt sich an eben jenem Baum, unter welchem der Wettlauf begann, Fridolin wird ein liederlicher Mensch und der vermeintliche Sieger gerät unter die Zuchtrute der Züs Bünzlin und hat für den Rest seines Lebens wenig zu lachen.

PANKRAZ DER SCHMOLLER

In einem baufälligen Häuslein an der Stadmauer von Seldwyla lebt eine Witwe kärglich mit ihren zwei Kindern: der bildhübschen, fröhlichen Esther (12) und dem faulen, immer beleidigten Pankraz (14). Eines Tages, nach einer ihm von der Schwester mehr im Spaß zugefügten Ungerechtigkeit, verlässt er das Haus und kehrt erst nach 20 Jahren wieder zurück: als reifer und weltgewandter Oberst in stattlicher Uniform. Sein Erscheinen ist die Sensation in Seldwyla.

Er erzählt nun seine Geschichte, wie er zu Fuß nach Hamburg zieht, auf einem Schiff Büchsenmachen lernt und schließlich als englischer Soldat nach Indien kommt, wo er durch seine geduldig-duldende, aber immer lernbereite Art es bald zum Vertrauten seines Kommandeurs bringt, mit der er alle wichtigen Tätigkeiten verrichtet, von der Tigerjagd bis zum Schachspielen.

Die Ankunft der Tochter des Gouverneurs aus Irland, Lydia, und der Umgang mit ihr verändern sein negatives Frauenbild nachhaltig und bei der ausführlichen Schilderung dieses gebildeten, aber dennoch unkomplizierten Mädchens schlafen die Zuhörer ein. Pankraz aber fährt fort: Eines Tages bemerkt er ein deutliches Interesse der Schönen an seiner Person, was ihn in größte Gefühlsverwirrung stürzt. Er rettet sich ins Schmollen, in abweisende Sprödigkeit, aber dies hilft nicht lange. Sie gibt ihm einmal die Dramen Shakespeares zu lesen und er beginnt Lydia wie eine der Shakespeareschen Frauengestalten anzusehen, aber in der Beziehung selbst geht es nicht vorwärts, nur wird er in seiner Arbeit immer unzurechnungsfähiger. Zur Selbstrettung meldet er sich für einen Feldzug gegen indische, aufrührerische Bergstämme. Dies stürzt Lydia in so großes Unglück, so dass sie ihn verfolgt und es im Garten endlich zu einer Aussprache kommt, bei der der Arme allerdings erfahren muss, dass Lydia nie irgendeine tiefe Zuneigung zu ihm hegte, vielmehr durch sein abweisendes, schroffes Verhalten lediglich in ihrer Selbstliebe gekränkt war. Sein Liebesgeständnis schmeichelt ihr darum umso mehr, ihn aber treibt sie davon.

Im Feldzug, der einige Jahre dauert, zeichent er sich aus und steigt auf, aber in seiner einsamen Station in den Bergen wird ihm die Zeit zu lang und das Bild Lydias steigt erneut ihn ihm auf. Er nimmt Urlaub, besucht sie und findet sie von einem Haufen alberner Freier umgeben, was ihrer Eitelkeit sehr entgegenkommt. Angewidert nimmt er Abschied aus der indischen Armee, geht nach Paris, landet von dort in der französisch-afrikanischen Armee, wo er zum Oberst aufsteigt.

Am nächsten Morgen beendet Pankraz seine Geschichte: Er pflegte oft allein auf Löwenjagd zu gehen, und eines Tages ist er gezwungen, in glühender Hitze viele Stunden dem gefährlichsten Löwen Aug` in Aug` gegenüberzustehen, bevor er diesen erlegen kann. In diesen endlosen Stunden verändert sich sein Charakter entgültig, er ist nicht mehr der Schmoller, sondern reist nach Hause, zieht mit den Seinen aus Seldwyla weg und findet in einem anderen Kanton Gelegenheit, ein nützlicher und geachteter Mann zu werden.

DAS FÄHNLEIN DER SIEBEN AUFRECHTEN

Der alte Schneidermeister Hediger in Zürich, ein leidenschaftlich gern politisierender, patriotischer Schweizer mit vier schon erwachsenen Söhnen, liest gerade Zeitung, als sein jüngster und noch lediger Sohn Karl, angehender Beamter, kommt und ihn bittet, ihm für das Rekrutenexerzieren die Flinte zu leihen. Der prinzipienfeste Alte aber tut ihm den Gefallen nicht, weil der gu tverdienende Sohn sich ein eigenes Gewehr kaufen soll. Die verständige Mutter aber kommt ihrem Sohn zuhilfe, indem sie dem Alten die Einladung zur "Siebenmännergesellschaft" mitteilt, was ihn zum sofortigen Aufbruch veranlasst. Nun kann sich Karl das Gewehr heimlich ausleihen.

Nach dem Exerzieren besteigt er ein Ruderboot und trifft er sich mit seiner spröden Geliebten Hermine Frymann, die ihm aber mitteilt, dass ihr Vater nichts von der Verbindung wissen will. Auch sie selbst wolle Karl erst in vier Wochen wieder treffen.

Die sieben "Aufrechten", wie sie sich nennen, sind republikanisch gesinnte Handwerksmeister, die der gemeinsame Hass auf Aristokratie und Pfaffen vereint. Sie treffen sich zweimal in der Woche im Wirtshaus und politisieren. Die Wortführer sind der wohlhabende Zimmermeister Frymann und der bescheiden lebende Hediger. Heute beschließen sie, im kommenden Sommer zu Aarau als Fähnlein-tragende Gruppe beim eidgenössischen Freischießen einzumarschieren. Auch eine "stattliche Ehrengabe" soll gespendet werden, aber was? Darüber entsteht ein Heidenlärm, jeder hat einen Ladenhüter anzubieten, aber nach einer längeren Rede Frymanns - es wird überhaupt sehr gerne und lange und salbungsvoll geredet - wird beim anwesenden Silberrschmied ein Pokal in Auftrag gegeben.

Jetzt aber bringt Frymann die Sache mit Karl und Hermine auf die Tagesordnung. Hediger will die VErbindung auch nicht, denn sie sollen "unabhängige, gute Freunde" bleiben, keine "Gegenschwäher".

Am nächsten Mittagstisch gibt Hediger diesen Beschluss seiner Familie bekannt, worüber sich seine Frau recht lustig macht, denn was ist das für eine >Freundschaft<, und warum soll nicht ein Armer mit einer reichen Frau gesegnet werden? Meister Hediger dagegen sieht dies vom Prinzipiellen her: Mit dem Reichtum kommt der Eigennutz usw. In den nächsten Wochen sieht Karl seine Hermine nicht wieder, mausert sich stattdessen, zum Erstaunen seines Vaters, in der Rekruten- ausbildung zu einem guten Schützen. Zu seiner Stube gehört auch ein ehemaliger Buchbinder, der sich erfolgreich auf das windige Geschäft des Spekulierens mit Häusern verlegt und es mit mwenig Arbeit zu Geld und ansehen gebracht hat. Dabei ist er faul, dumm und prahlt damit , dass er "in Bälde eine reiche Frau zu nehmen gedächte, die Tochter des Zimmermeisters Frymann". Karl ficht das zunächst wenig an. Einige Tage später, es ist Sonnaben, kommt Hermine die Meistersfrau besuchen und lässt dabei beiläufig dem in der Kaserne befindlichen Karl mitteilen, dass sie desselben Abends wieder einmal mit dem boot unterwegs sei.

Am Abend dann bestätigt Hermine, dass dieser Ruckstuhl hinter ihr her und ihr Vater dem nicht abgeneigt sei, weil er für seine Bauprojekte in Zürich einen geübten Spekulanten gut brauchen könne. Morgen wolle er zum Mittagstisch kommen. Hermine hat nun den Plan, dass Karl diesen Besuch verhindern könne, indem er Ruckstuhl zu einer Dummheit verleite, die ihn in den Arrest bringt.

An diesem Abend stiftet Karl seine Stubenkameraden zu einem Trinkgelage an, in dessen Verlauf Ruckstuhl und seine Jünger besoffen gemacht und von der Wache aufgegriffen werden. Am Sonntag wartet man bei Frymanns umsonst auf den Freier.

Das Schützenfest von 1849 nahet heran, die Fahne und der Pokal sind fertig, aber wer soll die Rede halten? Da keiner möchte, fällt das Los auf Frymann, dieser ist aber von der Aufgabe völlig überfordert und bekommt nichts zusammen. Dadurch droht schon das Ganze zu scheitern, denn auch während des Festes fällt ihm nichts ein, da taucht unvermutet Karl auf und bietet dem niedergeschlagenen Fähnlein an, die Aufgabe zu übernehmn.

Und tatsächlich, seine ziemlich lange Rede findet großen Anklang und schon haben auch die beiden Alten wieder zu ihrer Sprache gefunden und geben ihm ausführlich Ratschläge, wie er mit seiner Rednergabe umzugehen habe. Aber seine Tochter will Frymann nicht hergeben. Während die Alten das bunte Festtreiben glücklich um sich herum tosen lassen, schießt Karl, begleitet und seelisch gestärkt von Hermine, einen wertvollen Pokal, den er sogleich dem stolzen Fähnlein widmet. Aber schon kommt die nächste Prüfung: Er muss mit einem aufdringlichen, bärenstarken, aber einfältigen Senner Fingerhakeln und zieht diesen über den Tisch.

Da endlich wandelt sich der Alten Sinn und das Paar darf heiraten. Und alles nimmt ein glückliches Ende unter dem freien, blauen Schweizer-Himmel.

(cc) Klaus Dautel

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