Joseph Freiherr von Eichendorff

Der Taugenichts
Das Marmorbild
Gedichte der Romantik

DAS MARMORBILD - Eine Novelle (1819)

Am 2. Dezember 1817 übersendet J.v.Eichendorff "Das Marmorbild" an den Baron Friedrich de la Motte Fouque zur Veröffentlichung in dessen "Frauentaschenbuch für 1819". Im Begleitschreiben äußert sich Eichendorff über seine Novelle so:

"Da mir nunmehr die Gegenwart in tausend verdrießlichen und eigentlich für alle Welt unersprießlichen Geschäften (*) in eine fast lächerliche Nähe gerückt ist, gleichwie man ein großes Freskogemälde nur aus einiger Entfernung betrachten muß, wenn man nicht vor den einzelnen groben Strichen erschrecken soll, so habe ich in vorliegendem Märchen versucht, mich in die Vergangenheit und in einen fremden Himmelsstrich zu flüchten, und betrachte dasselbe als einen Spaziergang in amtsfreien Stunden ins Freie hinaus. Ob ich nun auf einem so verzweifelten Spaziergang den Weg ins Freie und in die alte poetische Heimat gefunden habe, ob sich nicht vielmehr Aktenstaub statt Blütenstaub angesetzt hat, und ob demnach die ganze Novelle, so wie sie ist, der Aufnahme in ihr schönes Frauentaschenbuch gewürdigt werden darf, überlasse ich Ihnen, Herr Baron, Ihrem und Ihrer Frau Gemahlin bewährtem Urteil, dem ich so gern und unbedingt vertraue."

(Erläuterungen und Dokumente, Reclam S. 24/25; (*) zum Stichwort "Geschäfte" siehe auch "Der Isegrimm")

Florio, ein junger Edelmann, der sich als gegenwärtiges Geschäft "das Reisen erwählt" hat, reitet an einem Sommerabend auf die Stadt Lucca zu, als sich ein "anderer Reiter in bunter Tracht" zu ihm gesellt. Ins freundliche Gespräch vertieft gelangen sie, statt nach Lucca hinein, auf eine Festwiese, in dessen buntem Menschen-Gewimmel der Fremde rasch verschwindet.

Auch Florio begibt sich unter das Volk und begegnet gleich einer jungen Schönen, deren Anblick sein Herz höher schlagen lässt. Er trifft sie wieder in einem Festzelt, worin jener Fremde, welcher sich als der von Florio schon lange verehrte Sänger Fortunato herausstellt, seine Lieder singt und auch andere dazu auffordert. Florio macht mit und erdichtet rasch ein Liedchen für seine neue, neben ihm sitzende Schöne.

Wenig später kommt noch eine hohe, hagere, irgendwie düster wirkende Gestalt hinzu, Ritter Donati, welcher Florio in ein Gespräch hineinzieht und sich in dessen Verhältnissen erstaunlich gut auszukennen scheint.

Als das Fest sich dem Ende zuneigt, brechen die drei Männer zusammen auf und reiten der Stadt zu, vor dem Tore jedoch scheut Donatis Pferd so heftig, dass dieser sich rasch verabschiedet, zu Fortunatos Erleichterung. Jeder bezieht sein Zimmer in der Herberge, Florio kann jedoch nicht schlafen und wandert - mit Gitarre ein Ständchen singend - in die Nacht hinaus. "Unerwartet" gerät er dabei an einen von Bäumen umsäumten Teich, an dessen Ufer ein Marmorbild der Venus steht. Deren Anblick löst im wechselnden Licht des nächtlichen Himmels recht widerstreitende Stimmungen in ihm aus und treibt ihn schließlich in die Herberge zurück, wo er "verstört" anlangt.

Am nächsten Morgen scheint der aufgeräumte Fortunato sich über Florios nächtliche Mondscheinerlebnisse lustig zu machen, er weist ihm den klaren Morgen als eigentliche Wirklichkeit, doch Florio will sich seine "Melancholie, den Mondschein und all den Plunder" (Fortunato) nicht nehmen lassen. Das in ihm geweckte heimliche Sehnen teibt ihn in die Landschaft auf der Suche nach der nächtlichen Erscheinung. Nach langem Umherirren gelangt er "unerwartet" an einen prächtigen Palast mit seltsam unwirklichem, zauberhaftem Innenleben (goldene Vögel, Springbrunnen, hohe schlanke Säulen, Lautenklänge ..., wo einen hohe Dame von ausnehmender Schönheit zu den Akkorden ihrer Laute ein sehnsuchtsvoll trauriges Lied singt. Er findet auch den Ritter Donati in todähnlichem Schlafe vor, rüttelt ihn wach, erhält von ihm über diesen Ort und diese Dame nur vage Auskunft: "Ihr findet sie bald da, bald dort ...", jedoch verspricht er ihm eine baldige Zusammenkunft, vielleicht schon morgen.
Florio kehrt in die Stadt zurück und vermeint auch dort "im Mondglanz" noch einmal die Stimme der wunderbaren Sängerin zu vernehmen.

Am folgenden Sonntagmorgen erscheint Donati, ganz in schwarz gekleidet und ungewöhnlich verstört und will Florio - statt zur wunderbaren Sängerin - zur Jagd mitnehmen. Als Florio darauf hinweist, dass am Sonntag nicht gejagt werde, ist Donati sehr ergrimmt und die sonntägliche Stille und Feierlichkeit scheint ihn schließlich auch wieder zu vertreiben.
Dagegen kommt nun Fortunato "wie ein Bote des Friedens" und lädt ihn ein, am Abend des nächsten Tages in einem Landhaus vor der Stadt an einem Feste teilzunehmen, auf dem er auch alte Bekannte wiedersehen werde. Wer dies aber sei, erklärt Fortunato nicht.
Florio durchstreift noch einmal vergeblich die Gegend, ohne den Palast wiederzufinden und geht darum umso erwartungsvoller zur Abendgesellschaft auf dem Landhaus vor dem Tore. Der Gastgeber, Pietro, empfängt ihn freundlich, ein als Griechin verkleidetes und maskiertes Mädchen kümmert sich um ihn, er tanzt mit ihr, aber sie ist seltsam schüchtern und gehemmt.
Da sieht Florio im Getümmel am anderen Ende des Saales die schöne Griechin noch einmal. Diese Erscheinung wiederholt sich mehrfach und beschäftigt ihn derart, dass es ihn aus dem Feste hinauszieht, im Mondenschein hört und sieht er sie ein Lied singen, schließlich steht er ihr "unerwartet" gegenüber, doch sie löst ihm das Rätsel ihrer Person nicht, hofft aber ihn einmal in ihrem Hause zu sehen. Hiermit entschwindet sie und im Mondlicht scheint sie noch einmal dem Marmorbild zu gleichen.
Fortunatos Rufen bringt den Träumenden in die Gesellschaft zurück und Florio wird jetzt endlich mit der "schönen Nachbarin" bekannt, sie heißt Bianka, ist die Nichte des Gastgebers und war jene Griechin, mit der er tanzte, bevor die Erscheinung der anderen Griechin von ihm Besitz ergriffen hatte. Florio aber ist zu einer Unterhaltung mit Bianka nicht in der Lage und teilt ihr überdies mit, Lucca bald zu verlassen. Er nimmt schnell Abschied ("so überselig") und lässt die unglücklich verliebte Bianka alleine zurück.

Mehrere Tage später befindet sich Florio auf Donatis Landsitz, als eine Jagdgesellschaft am Hause vorbeizieht. Donati eröffnet ihm die Möglichkeit, die Herrin heute noch zu sehen und sie machen sich auf zum Palast, in dessen Hallen sie die Dame von Dienern und Jungfrauen umringt finden. Wieder ist ein Fest im Gange, doch die Dame führt ihn ins stille Innere des Schlosses, in ein Gemach voller marmorner Bildsäulen, auf denen die Herrin des Hauses in vielfältiger Gestalt abgebildet ist. Da erinnert sich Florio seiner Kindheit, in der er diese Bilder auch schon gesehen haben will. Er muss der Dame jetzt seine Kindheitsträumereien und - Erinnerungen mitteilen, woraufhin die Schöne aber nur antwortet: "... mein Bild dämmert wohl in allen Jugendträumen mit herauf".
Und da verspürt Florio plötzlich den Abgrund, an dem er sich befindet, die Angst, in der Welt verloren zu gehen, überfällt ihn, der Wind schlägt um, ein Gewitter zieht heran, im Blitz sieht er schreckliche Gesichter, die steinernen Bilder beginnen sich zu regen, er flüchtet in das Morgengrauen hinein, zu Donatis Landsitz, findet aber nur eine niedere Hütte, deren Besitzer von Donati nichts weiß, und rettet sich schließlich in die Stadt und auf sein Zimmer, wo er den ganzen Tag und die Nacht in dumpfem Brüten verbringt und nichts anderes will als zu sterben.

Früh am Morgen reitet Florio - auf Drängen seines getreuen Dieners - aus der Stadt hinaus, drei Reiter gesellen sich zu ihm, es sind Fortunato, Pietro und ein stiller, scheuer Knabe. Florio ist schweigsam, Fortunato und Pietro sind umso gesprächiger, und Pietro macht die Mitreisenden auf eine Ruine in Sichtweite aufmerksam, von der die Leute sagen, sie sei ein heidnischer Venus-Tempel. Die Sage gehe, dass diese Venus und ihre unruhige Anhängerschaft im Frühling zu Leben erwachten und empfänglichen Gemütern paradiesische Gärten und Paläste vorgaukeln. Fortunato fügt hinzu, dass er selbst vorgestern Nacht in diesen Gemäuern gewandelt sei und nichts Schreckliches gesehen habe.

"Glaubt mir, ein redlicher Dichter kann viel wagen, denn die Kunst, die ohne Stolz und Frevel, bespricht und bändigt die wilden Erdengeister, die aus der Tiefe nach uns langen."

Und: Der schüchterne Knabe an Pietros Seite gibt sich als Bianka zu erkennen, deren unglückliche Liebe zu Florio den umsichtigen Oheim zu einer Ablenkungsreise durch Italien veranlasst hat. Nun endlich entbrennt Florios Liebe zu ihr und seine Blicke ruhen mit Wohlgefallen auf der lieblichen Gestalt.


FORTUNATO

- Sänger, Dichter
- immer gut gestimmt
- weiß um die Abgründe in der menschlichen Seele
- verkörpert den Morgen,
das HELLE, Klare und Wirkliche

<===================>

FLORIO
mondscheinsüchtiger
melancholischer Jüngling
stimmungsabhängig
/\
||
\/
MARMORBILD
Versprechen und Versuchung
Wunsch- und Schreckbild
Nacht- und Schattenseite der menschlichen Seele
das Blendwerk der Fantasie
"die wilden Erdgeister aus der Tiefe" (Fortunato)

DONATI

- dunkel, düster, mysteriös
- aus einer anderen Welt: Tod
- fürchtet sonntägliches Treiben
- missachtet das christliche Sonntags-Jagdverbot)
- heidnisch-vorchristlich
Das UNBEWUSSTE DUNKLE (II,III)

(cc) Klaus Dautel

Impressum · Datenschutz