Schritt 2: Systematische Linguistik:
Im Anschluss an die Reflexion der Spracherkennungsproblematik („Kühlschrank“) sollen die Schüler ihre Sprache als ein System von Zeichen kennenlernen (Linguistischer Strukturalismus).
Aus welchen Bestandteilen besteht das Zeichensystem Sprache?
Womit beschäftigen sich Phonetik, Morphologie und Syntax?
Ausgangspunkt kann (m)ein Info-Papier sein: Linguistik - Strukturalismus (→ Download)
Als Alternative können Schüler zu diesen Stichwörtern auch auf den Webseiten ausgewählter Universitäten recherchieren. Z.B. liefert die Webseite der Abteilung Linguistik an der Universität Stuttgart kurze und prägnante Übersichten unter dem Titel: Studiere Linguistik an der Universität Stuttgart.
Daran schließen kleine Entdeckungs-Übungen zu Phonetik, Morphemik und Syntax an:
Übungen zu ausgewählten Bereichen der Linguistik
I. Phonetik: Was sind die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Elemente der Sprache? Laute (nicht Buchstaben!). Dazu eine phonetische Übung:
Schreiben Sie diesen Satz: “Gestern Nacht bin ich spät eingeschlafen und morgens um elf aufgestanden.“ in internationaler Lautschrift (mit Hilfe von http://de.wiktionary.org/wiki/Wiktionary:Deutsch/Lautschrift )
Beantworten Sie nun auch die Frage: Was ist der Unterschied zwischen einem Phonem und einem Graphem? Wozu ist diese Unterscheidung gut?
II. Morphologie: Was sind die kleinsten bedeutungstragenden Bausteine der Sprache? Morpheme (nicht Silben!) Eine Übung:
Vergleichen Sie folgende Wort-Paare: [Vater / Vaters] - [ging / ginge] - [Bruder / Brüder] - [nass / nasser] - [gehört / gehörte] - [um / ums]
Markieren Sie die Unterschiede und benennen / charakterisieren Sie deren Bedeutungsgehalt.
Zusatzübung zu Phonetik und Morphologie:
Ermitteln Sie z.B. mittels Minimalopposition das Lautinventar der Klingonischen Hochsprache anhand folgender Lautgruppen: [i:me] [áma] [ota] [a:mas!] [oták?] [i:men]
Welche Morpheme konnten Sie ausfindig machen? Mit welcher Bedeutung?
III. Syntax: Wie wohlgeformte Sätze (nicht) aussehen sollten.
Mark Twain, der Autor von Tom Sawyer und Huck Finn, schrieb über "the awful German language“ (1880) unter anderem:
"Now here is a sentence from a popular and excellent German novel,—with a slight parenthesis in it. I will make a perfectly literal translation, and throw in the parenthesis-marks and some hyphens for the assistance of the reader,—though in the original there are no parenthesis-marks or hyphens, and the reader is left to flounder through to the remote verb the best way he can:
“But when he, upon the street, the (in-satin-and-silk-covered-now-very-unconstrained-after-the-newest-fashioned-dressed) government counselor’s wife met ,” etc., etc.
The Germans have another kind of parenthesis, which they make by splitting a verb in two and putting half of it at the beginning of an exciting chapter and the other half at the end of it. Can any one conceive of anything more confusing than that? These things are called “separable verbs.” The German grammar is blistered all over with separable verbs; and the wider the two portions of one of them are spread apart, the better the author of the crime is pleased with his performance. A favorite one is reiste ab, —which means, departed. Here is an example which I culled from a novel and reduced to English:
(“Wenn er aber auf der Strasse der in Sammt und Seide gehüllten jetz sehr ungenirt nach der neusten mode gekleideten Regierungsrathin begegnet.”)
“The trunks being now ready, he DE- after kissing his mother and sisters, and once more pressing to his bosom his adored Gretchen, who, dressed in simple white muslin, with a single tuberose in the ample folds of her rich brown hair, had tottered feebly down the stairs, still pale from the terror and excitement of the past evening, but longing to lay her poor aching head yet once again upon the breast of him whom she loved more dearly than life itself, PARTED.”
Whenever the literary German dives into a sentence, that is the last you are going to see of him till he emerges on the other side of his Atlantic with his verb in his mouth. ...“ (*)
- Beschreiben Sie das hier angesprochene grammatische Phänomen in Ihren eigenen (deutschen) Worten.
- Übersetzen Sie Twains Satzbeispiel. Welche leserfreundlichere Lösung schlagen Sie vor?
(*) Eine deutsche Version dieses Twain-Textes findet man
auf den Seiten der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover als pdf.
IV. Zusatzaufgabe:Die folgenden Sätze sind weder wohlgeformt noch korrekt.
Stellen Sie Hypothesen auf und versuchen Sie Regeln zu finden.
„Bevor ich ein Wort spreche aus,
Nachdenke ich gründlich darüber.
Mir soll laufen kein Fehler unter,
Damit ich nicht falle auf
vor einem so erlesenen Publikum
als unkundiger Trottel,
der sich benimmt immer daneben.“
Text: Ivan Tapia Bravo, entnommen aus "Deutsch als Zweitsprache"
erarbeitet von Heidi Rösch (Hg.) et. al. Schroedel 2005 S. 110.
Die Lösungen zu diesem äußerst kniffligen Problem gibt es zum → Download).
Kommentar:
- Aufgabenstellung I und die Präsentation dazu erregten überraschenderweise großes Interesse an der Lautvielfalt und den Lautbildungsprozeduren im Deutschen (Vokaldreieck, dental, labiodental, Zisch- und Plosivlaute ..., die Unterscheidungsnotwendigkeit von Phonem und Graphem wurde evident.
- Aufgabe II wurde rasch und ohne weiteren Klärungsbedarf erledigt. Die Zusatzaufgabe bedurfte einiger Unterstützung.
- Aufgabe III stellte die größte Herausforderung dar, war/ist jedoch für den weiteren Lernprozess die wichtigste: Sie führt am direktesten zum Phänomen der Verbklammer als einem "Alleinstellungsmerkmal" der deutschen Sprache. Sie führt in einem weiteren Schritt auch recht schlüssig zur Einführung des Satzfeldermodells, dem topologischen Erklärungsmodell für die Syntax des Deutschen. Dieses Modell ist zwar in den gängigen Deutschbüchern noch nicht vorhanden, ist aber im Bereich "Deutsch als Fremdsprache" selbstverständlich.
- Die Zusatzaufgabe kann zur Sensibilisierung für das Phänomen "trennbare Verben" dienen, müsste aber nicht weiter vertieft werden, da muttersprachliche Deutsch-Sprecher damit keine Probleme haben.
Es ist aber zu überlegen, ob der Weg zum Satzfeldermodell nicht abgekürzt werden kann, indem Aufgabe II weggelassen wird.
Ohne ein bisschen Werbung geht es nicht. Ich bitte um Nachsicht, falls diese nicht ganz themengerecht sein sollte.