J. W. v. Goethe  Faust  I

Faust II

Faust II

Zweiter Teil, AKT V

OFFENE GEGEND: PALAST:
Wanderer findet Gastfreundschaft
locus amoenis: Linden, Hütte,
Kapelle, Gärtchen
Lynkeus der Türmer stellt Fausts neue Welt vor:
Handel und Schiffahrt, reges Treiben im Hafen
Philemon und Baucis: fromme Leute
bescheiden, geschäftig, alt
Faust: steinalt, herrisch, unzufrieden, reich

Mephistopheles, sein Verwalter, die 3 Gewaltigen
Krieg, Handel und Piraterie

alte Welt - alter Gott
Geborgenheit, Glück und zeitlose Stille
Faust gibt den Auftrag, die Düne zu kolonisieren(11274),
er will friedlichen Tausch

Gegenüber der Idylle der beiden Alten (locus amoenus) und ihrer bescheidenen Hütte ist Fausts Welt eine Kulturlandschaft (PALAST), sie ist durch Technik der Natur abgewonnen, dem Meer abgetrotzt und nun von Kanälen, Dämmen und Häfen überzogen, dichtbesiedelter Wohnraum, es herrscht vor allem nachts geschäftiges Treiben: Fausts Welt symbolisiert die negative Dialektik von Fortschritt und Gewalt: Schiffahrt, Handeln, Landgewinnung, Städtegründung - Krieg, Piraterie, Gewalt

Tiefe Nacht
Lynkeus, der scharfäugige Türmer, wird Zeuge, wie Mephisto und seine Gewaltigen Hütte und Kapelle der beiden Alten niederbrennen. Faust, der hier einen Ruhe- und Erholungsort einrichten wollte, ist über Mephistos Vollzugsmeldung zwar erzürnt: "Tausch wollt´ich, keinen Raub" (11371), dieser Zorn hält jedoch nicht lange an und bleibt ohne Konsequenzen.

Mitternacht
Von den allegorischen Gestalten Mangel, Schuld, Sorge, Not kann allein die Sorge den reichen Faust erreichen, und sie blendet ihn.
Der blinde Faust, von bösen Geistern geplagt, zieht nun noch einmal Bilanz (11432-52):
Allein der Tüchtig-tägige Mensch vermag zu bestehen, seine Unzufriedenheit treibt ihn zur Tat, seine Taten schüren seine Unzufriedenheit.
Faust, blind, treibt zur Realisierung seiner Visionen mit letztem Schwung seine Knechte zur Tat an.

Großer Vorhof des Palastes
Während unter Aufsicht Mephistos die Lemuren Faustens Grab schaufeln, hat dieser seine letzte Vision vom "freien Volk auf freiem Grund" (11580).

Faust, der Visionär

vom freien Volk, das sich seine Freiheit in immer neuem Tatendrang und Gemeinsinn gegen die feindlichen Kräfte von außen zu behaupten vermag:
paradiesisch Land umrungen von Gefahr,

    Lob der Gemeinschaft der Tätig-Freien.
Mephisto, der Zyniker

"auf Vernichtung läufts hinaus"(11550)
"reines Nichts, vollkommenes Einerlei"(11597)

    Kreis und Ewig-Leeres, das ist die Quintessenz allen Daseins und Schaffens


FAUSTS ENDE - Hat Faust die Himmelfahrt verdient?

Zu Beginn des ersten Teils lernen wir Faust als einen von Wissbegierde und grenzenlosem Tatendrang getriebenen Menschen kennen, den es danach drängt zu erkennen, "was die Welt/ Im Innersten zusammenhält" (V. 543). Den Vertrag mit Mephistopheles, der ihm die Erfüllung seines Wunsches nach höchster Lebenintensität verspricht, bekräftigt Faust abschließend mit den Worten:
"Werd' ich zum Augenblicke sagen:<
Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
dann will ich gern zugrunde gehn!" (1699-1702)

Am Ende eines langen und ereignisreichen Lebens, als ein von der Sorge geplagter und blinder alter Mann, der sich der Ziel- und Nutzlosigkeit seines bisherigen Treibens sehr wohl bewusst ist ("Ich bin nur durch die Welt gerannt ", V.11433), fasst er, schon am Grabe stehend, den Entschluss zu seiner letzten großen Tat, nämlich den Grund und Boden für eine glückliche Völkergemeinschaft zu schaffen. Zwar ist er blind, allein im Innern leuchtet helles "Licht" (V.11500), und so hat er die Vision von Lebenräumen, in denen "viele Millionen,/ Nicht sicher zwar, doch tätig-frei (...) wohnen" werden. Es ist die Utopie einer Gemeinschaft von "kühn-emsigen Völkerschaften" (11567), beseelt von "Gemeindrang" (11573) und immer bereit, die gefährdete Freiheit täglich neu zu erobern. Die Verwirklichung seiner Utopie lässt er nun vor seinem inneren Auge vorbeiziehen, und sieht jenen Augenblick kommen, zu dem er wohl sagen könnte:
"Verweile doch, du bist so schön!" (11581)

Daraus kann Mephistopheles - nicht zu Unrecht - den Schluss ableiten, die Wette mit Gott gewonnen zu haben, denn Faust genießt schon jetzt im
"Vorgefühl von solchem hohen Glück/ (...) den höchsten Augenblick" (11585/6).

Aber hier muss man genau hinhören: Dieser Augenblick ist ein konjunktivischer ("dürft ich ... sagen"), keine reale Gegenwart, vielmehr ein utopischer Entwurf. Dieser Augenblick umgreift den Soll-Zustand einer Gemeinschaft, welche zwar glücklich, aber nicht satt, faul und wohlgefällig ist, vielmehr tätig, tapfer, gemeinsinnig und immer in ihrem Bestand gefährdet! In dieser Vision hat sich Faust zur höchsten Erkenntnis emporgearbeitet, derer er fähig ist, nämlich zum Gegenentwurf seines eigenen bisherigen Daseins: Statt Alleinanspruch des genialen Einzelnen nun die Gemeinschaft der Freien, statt Befreiung aus allen (religiösen, moralischen, wissenschaftlichen) Bindungen nun die bedingte Freiheit in der Unterordnung unter das Gemeinwohl; und schließlich statt ewiger Unzufriedenheit mit sich und der Welt nun die einsichtsvolle Zufriedenheit des sich immer strebend Bemühenden.

Dem Wortlaut nach hat Faust vielleicht die Erlösung verwirkt, in seinem Handeln und seiner letzten Vision jedoch bestätigt sich nichts anderes als der große göttliche Plan. Dieser ist verstehbar als eine Art kosmologische Dialektik: Es sind die Widersprüche, die der Naturelemente (vgl. im Prolog den Gesang der drei Erzengel) ebenso wie die der menschlichen Gefühle (Faust:"zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust" V.1112), die alles Geschehen vorantreiben: Aus These und Antithese wird Synthese, aus Sein und Nichts wird Werden. Es herrscht eine immerwährende Antithetik, welche zur Synthese drängt. So hat alles in diesem Plan seinen Platz! Auch der Teufel als jene Kraft der Negation, welche moralisch zwar böse, in der großen dialektischen Bewegung des Vorwärtsstrebens aber nützlich ist (vgl. V.338 ff).

In diesem Plan ist der Mensch von Grund auf gut, als Ebenbild Gottes trägt er Göttliches in sich, mag dies nun "Urquell"(324), "Liebe" (347) oder das "Ewig-Weibliche"(12110) genannt werden. Er ist auch in der Lage, die Widersprüche seiner Seele und seines Daseins, auszubalancieren, aus Vernunft und Gefühl, aus Verstand und Begierde eine fruchtbare Synthese herzustellen. Wenn der Mensch bemüht ist, sich zu vervollkommnen und mit seinen Talenten zu wuchern, so wird dies nicht ohne Anfechtungen des Bösen und gewaltige Irrtümer abgehen, wichtig ist aber, dass der Mensch unbeirrbar an seiner Suche nach einem Höheren, sei es Glück, sei es Erkenntnis, sei es Gemeinschaft, festhält; darin verwirklicht er das Göttliche in sich, verdient sich die Liebe gar von "oben" (11938/9) und qualifiziert sich als erlösungswürdig:

„Wer immer strebend sich bemüht,
den können wir erlösen."(11936/7)


(cc) Klaus Dautel, 2001-10

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