Überprüfe diese Aussagen zu E.T.A. Hoffmanns Erzählungen
am „Goldenen Topf”.
Hoffmanns Helden und ihre Mentoren
„Hoffmanns radikale Romantik operiert konsequent mit dem doppelten Licht der alten Mystiker: das Licht des Tages und der gesellschaftlichen Welt einerseits, das Gegenlicht der Nacht und des inneren Kosmos andererseits. Auf dem Weg vom einen zum anderen finden Hoffmanns Helden sich selbst, oder sie gehen zugrunde an der unverstandenen Differenz, am Widerspruch dessen, was ihre innern und ihre äußern Augen sehen. [...]
Der Hoffmannsche Mentor greift in einen einzelnen Schicksalsweg ein, der gesehen werden kann als die romantisch profanierte Form des alten christlichen Heilswegs. ... Der Hoffmannsche Mentor hält von der Gesellschaft gar nichts, aber alles von den wenigen Auserwählten. ... Der Hoffmansche Held ist der Gegenbürger par excellence, und sein Mentor führt ihn in diese Existenz am Rande der Gesellschaft hinein. ... Im Sinne einer textimmanenten Poetologie ist der Hoffmannsche Mentor eine symbolische Repräsentationsfigur des Autors selbst und seiner ästhetischen Konzepte ... Wie der Hoffmannsche Mentor seine Jünglinge nimmt der Dichter Hoffmann seine Leser in die Schule des geheimen Wissens, des romantischen Arkanums. [...]
Hoffmanns Kunst entfaltet sich unter dem Prinzip des doppelten Lichts, sie ist im wörtlichen Sinne zwie-lichtig. So wie sich auch der Mentor im „Sandmann“ mehrfach verdoppelt (gemeint sind Spalanzani, Coppelius und/oder Coppola, K.D.), wie Lindhorst im „Goldenen Topf“ ein bürgerlicher Archivarius und zugleich ein königlicher Salamander ist.”
Peter von Matt: Abschied von der Dämonie. Wilhelm Hauffs Weg in die Klarheit. In: Ders.: Das Wilde und die Ordnung. Hanser 2007 S. 155f
Der Hoffmann-spezifische Liebesverrat
„Bei E.T.A. Hoffmann gibt es ein Geschehen, das man als den Hoffmann-spezifischen Liebesverrat bezeichnen könnte. Der Held, ein auf phantastische Exstasen und Visionen angelegtes Wesen, das mit dieser seiner eigenen Beschaffenheit nicht vertraut ist und kaum ein Ahnung hat, daß alles in ihm zum Künstler, zum Gestalter dieser heftigen Gesichte drängt, dieser Held hat ein Liebesverhältnis zu einem netten, freundlichen Bürgermädchen. Es kann gut kochen und stricken und würde zweifellos die muntere Mutter vieler munterer Kinder werden. Nun brechen aber die Visionen immer stärker in den Alltag des Helden ein. Er nimmt sie zunächst für Erscheinungen dämonischer Mächte und begreift nicht, daß es das Potenzial seiner eigenen ungenutzten schöpferischen Kräfte ist, was ihm immer neu und auf bald verrückte, bald strahlende Art vor Augen kommt. Eines Tages verdichten sich die Visionen zum Bild einer Frau. Und jetzt gewinnt die Ausgangssituation des Hoffmann-Helden ihre charakteristische Dynamik. Es setzt ein dramatischer Prozess ein. Der Held verliebt sich in die Vision und sucht verzweifelt dieses Wesen. Die Erscheinung zeigt und entzieht sich ihm immer neu und auf vielfältige Weise. Entsprechend gestaltet sich die Liebesjagd, und entsprechend krisenhaft wird das Verhältnis zum freundlichen Bürgermädchen. Am Ende steht mit Sicherheit der Verrat an diesem, steht der entschlossene Bruch mit einer Frau, die nicht begreift und nicht versteht, was für den Helden inzwischen zum höchsten Sinn des Lebens geworden ist.”
Peter von Matt: Liebesverrat. Die Treulosen in der Literatur. dtv München 1991 S. 275
Hoffmann und das konkret Weibliche
„... auch bei den Geschichten, die in eine Erlösung münden, bleibt das Bürgermädchen förmlich abgeschüttelt zurück, im "Goldenen Topf" zum Beispiel ..., nur ist hier der Autor so großmütig, daß er es den verlassenen Frauen nichts ausmachen läßt. Mit ein paar erzählerischen Kunstgriffen ersetzt er den verlorenen Exstatiker durch einen rechtschaffenen Philister, der die vorhandenen Bedürfnisse sogar besser befriedigt. [...]
Man merkt jetzt ..., daß der grundsätzliche Hohn auf das weibliche Geschlecht ..., der versteckte Vorwurf spießbürgerlicher und berechnender Geistlosigkeit, notwendig ist, um die tragische Konsequenz des Verrats zu eliminieren. Das heißt, daß im Rahmen der skizzierten Gesetzmäßigkeit für die bürgerlich-freundliche Geliebte, von der sich der zum "Enthusiasten" ... gewordene Hoffmann-Held absetzt, nur die Möglichkeit besteht, verraten, verstoßen, im Extremfall auch umgebracht zu werden, oder aber gerettet durch einen Eingriff des Erzählers, der mit schnöder Abwertung einhergeht und in die Nähe einer Vernichtung der sittlichen Person führt.
Das konkret Weibliche, das volle partnerschaftliche Gegenüber ist für den Hoffmanschen Enthusiasten, der immer irgendwo auf dem Weg zum produzierenden Künstler ist, vorwärtsstürmend oder steckengeblieben, nicht mehr als eine zeitweilige Stimulans. Zu gegebener Stunde muß es aus dem Weg geräumt werden. Dauer haben darf es nur als entkörperlichtes Traumbild.” (S. 276/7)
Peter von Matt: Liebesverrat. Die Treulosen in der Literatur. dtv München 1991 S. 276f
Ohne etwas Werbung geht es nicht. Ich bitte um Nachsicht, falls diese nicht immer ganz themengerecht sein sollte.