Die Ratten. Tragikomödie

AKT III

Im Dachgeschoss, wie im ersten Akt, erteilt Hassenreuter den drei Herren Kegel, Käferstock und Spitta Schauspielunterricht. Sie üben Schillers "Braut von Messina" und Hassenreuter ist sehr ungeduldig vor allem mit Spitta. Der Hausmeister Quaquaro ist auch da und wird von Hassenreuter auf den Dachboden geschickt, denn Hassenreuter beklagt das Verschwinden mehrerer Kleiderkisten. Zugleich beschäftigt ihn ein anderer Fund auf dem Dachboden: Ein Plumeau (halblanges Federdeckbett) und eine "Scherbe" (Kinderfläschchen).

Unterdessen geraten Spitta und Hassenreuter in einen heftigen "Kunststreit" über das Theater und vor allem den Goetheschen Schauspieler-Katechismus, von dem Hassenreuter sehr viel und Spitta gar nichts hält. Letzterer verlangt nach mehr Wirklichkeitsnähe auf der Bühne, denn "ein Barbier oder eine Reinemachefrau" könne "ebensogut ein Objekt der Tragödie sein" wie Lady Macbeth.

Da kommt der Hausmeister mit Frau John (Spittas "tragische Muße") vom Dachboden herunter, sie haben ein halbvolles Kinderfläschchen gefunden. Frau John macht dabei einen etwas verwirrten Eindruck.

Vater Spitta, der Landpastor, erscheint. Er will seinen Sohn aus dem Sündenbabel Berlin erretten, eine Tochter hat er ja schon an die Stadt verloren, der Sohn war seine große Hoffnung (8 Kinder), für den die Familie große finanzielle Opfer bringt. Aus dem Zimmer des Sohnes hat er aber die Fotografie einer jungen Dame mitgebracht, deren Namen Walburga ist. Diese macht er nun für den Abfall seines Sohnes verantwortlich. Der Theaterdirektor lässt sich nichts anmerken,

Sobald aber der Pastor weg ist, holt er die beiden vom Dachstock und liest ihnen gehörig die Leviten. Spitta eilt dem Vater hinterher, kommt aber gleich mit zwei Frauen wieder zurück: Der Piperkarcka und der Nachbarin Kielbacke. Deren Aufregung ist groß, denn anlässlich des Besuches des Herrn vom Erziehungsamt haben sie einen halbverhungerten Säugling in der Wohnung der Frau John gefunden, den die Piperkarcka nun für den ihren hält, denn Frau John ist nicht da (verreist mit Kind zu ihrer Schwägerin). Der Direktor nimmt der P. ihre Geschichte nicht ab, kennt er doch das gesunde Kind der Frau John aus eigenem Ansehen.

Hinzu kommt nun Schutzmann Schierke in Verfolgung der beiden Frauen, weil Witwe Knobbe den Diebstahl ihres Kindes gemeldet hat. Gleich darauf kommt die Knobbe auch schon selbst herauf, eine ramponierte Dame mit wichtigtuerischem Gehabe, wohl aus besserem Hause stammend. Sie beichtet pathetisch ihr verpfuschtes Leben, ihre letzte Hoffnung auf sozialen Aufstieg knüpft sich aber an den Säugling, dessen Erzeuger von adligem Geblüt sei.
Während dessen stirbt der Säugling.

Untersuchungsaspekte:

Hassenreuters Überzeugungen und was Spitta dem entgegenhält:
schöne Vortragsart"alles Gestelzte, alles Rhetorische liegt mir nicht", der "Predigerton (ist) mir zuwider"
tragische Chöre"sonorer Bombast"
Würdige Objekt der Tragödie sind Gestalten wie Lady Macbeth oder King Lear (tragische Fallhöhe)ein Barbier oder eine Reinmachefrau können ebensogut Objekt der Tragödie sein
Goethes Schauspielerkatechismus als "das A und O meiner künstlerischen Überzeugung"grenzenlos läppische Vorschriften, mumifizierter Unsinn, Grimassentheater (="Menschenfresserartiges in der Physiognomie")
Literarische Autoritäten sind Aristoteles, Shakespeare und die späten Goethe/Schillerder junger Schiller, der junge Goethe und Lessing
Zusammenfassung: Die dramatische Kunst handelt von der "sittliche Weltordnung" und den "Höhen der Menschheit", sie ist dem klassischen Ideal des Wahren, Schönen und Guten verpflichtet. Baum des Idealismus" (55) Das Theater muss die NATUR des Menschen darstellen, es darf das Leben nicht idealisieren;
"Vor der Kunst wie vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich."
Zwei Zitate:
Kaiser Wilhelm II, 1901:
"Die Kunst soll mithelfen, erzieherisch auf das Volk einzuwirken, sie soll auch den unteren Ständen nach harter Mühe und Arbeit die Möglichkeit geben, sich an den Idealen wieder aufzurichten. Uns, dem deutschen Volke, sind die großen Ideale zu dauernden Gütern geworden, während sie anderen Völkern mehr oder weniger verlorengegangen sind. (..) Wenn nun die Kunst, wie es jetzt vielfach geschieht, weiter nichts tut, als das Elend noch scheußlicher hinzustellen, wie es schon ist, dann versündigt sie sich damit am deutschen Volke. Die Pflege der Ideale ist zugleich die größte Kulturarbeit, und wenn wir hierin den anderen Völkern ein Muster sein wollen, so muß das ganze Volk daran mitarbeiten, und soll die Kultur ihre Aufgabe voll erfüllen, dann muß sie bis in die untersten Schichten des Volkes hindurchgedrungen sein. Das kann sie nur, wenn die Kunst die Hand dazu bietet, wenn sie erhebt, statt daß sie in den Rinnstein niedersteigt."
aus: Deutsche Literatur 12, Naturalismus, Reclam 1977 S.31
Lesen Sie, was G.Hauptmann zu seinem Drama sagt (Klett-Edition S. 123) und setzen Sie dann dem Kaiser ein Ihrer Ansicht nach passendes Hauptmann-Zitat entgegen.

Z.B. Man hört Worte wie diese immer aufs neue: Niederungen des Lebens! Alltägliche Misere! Arme-Leute-Geruch! (...) Nie und nirgends hat es die Kunst mit Titeln zu tun! auch nicht mit Kleidern! Ihr Gegenstand ist die nackte Seele, der nackte Mensch!"

Der 'Kunststreit' als Arbeitsblatt im Word-Format zum Herunterladen


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