Die Romantiker und die Spießer 2
Der Bürger als Philister in E.T.A. Hoffmanns Erzählungen
„Begabung, poetische Sensibilität, Kunst, das alles lag im Zeitalter einer sich verfestigenden, auf Nützlichkeitsdenken ausgerichteten bürgerlichen Gesellschaft im Bereich des Unsicheren und Unkonventionellen, ... und so ist es kein Wunder, daß sich im Bewußtsein ästhetisch empfindlicher Naturen der Gegensatz zwischen bürgerlicher Pragmatik oder auch kleinbürgerlicher Beschränktheit und individueller künstlerischer Weltsicht als ein – soziale Verhältnisse überhöhender – gleichsam anthropologischer Zwiespalt darstellte: »Philister« und »Künstler« standen typologisch einander gegenüber. Hoffmann konnte dabei aus eigener Erfahrung schöpfen. Bezeichnend für seine Erzählkunst ist jedoch der Umstand, daß der genannte Gegensatz nicht nur pathetisch oder sentimental ausgetragen wird ..., sondern auf eine sehr eigentümliche Weise humoristisch und grotesk. Neben dem 'poetischen Höhenflug' steht dabei die handfeste satirische Karikatur.” (Walter Killy: Höhepunkte romantischer Erzählkunst: Hoffmann und Chamisso, in: Viktor Zmegac: Geschichte der deutschen Literatur. Digitale Bibliothek 24, 1999) |
I. Der Student Anselmus und die ehrbaren Bürger im „Goldenen Topf“
Zweite Vigilie: Wie der Student Anselmus für betrunken und wahnwitzig gehalten wurde. ...
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»Der Herr ist wohl nicht recht bei Troste!« sagte eine ehrbare Bürgersfrau, die vom Spaziergange mit der Familie heimkehrend, still stand und mit übereinandergeschlagenen Armen dem tollen Treiben des Studenten Anselmus zusah. Der hatte nämlich den Stamm des Holunderbaumes umfaßt und rief unaufhörlich in die Zweige und Blätter hinein: »O nur noch einmal blinket und leuchtet, ihr lieblichen goldnen Schlänglein, nur noch einmal laßt eure Glockenstimmchen hören! Nur noch einmal blicket mich an, ihr holdseligen blauen Augen, nur noch einmal, ich muß ja sonst vergehen in Schmerz und heißer Sehnsucht!« Und dabei seufzte und ächzte er aus der tiefsten Brust recht kläglich und schüttelte vor Verlangen und Ungeduld den Holunderbaum, der aber statt aller Antwort nur ganz dumpf und unvernehmlich mit den Blättern rauschte und so den Schmerz des Studenten Anselmus ordentlich zu verhöhnen schien. – »Der Herr ist wohl nicht recht bei Troste«, sagte die Bürgersfrau, und dem Anselmus war es so, als würde er aus einem tiefen Traum gerüttelt oder gar mit eiskaltem Wasser begossen, um ja recht jähling zu erwachen. Nun sah er erst wieder deutlich, wo er war, und besann sich, wie ein sonderbarer Spuk ihn geneckt und gar dazu getrieben habe, ganz allein für sich selbst in laute Worte auszubrechen. Bestürzt blickte er die Bürgersfrau an und griff endlich nach dem Hute, der zur Erde gefallen, um davonzueilen. Der Familienvater war unterdessen auch herangekommen und hatte, nachdem er das Kleine, das er auf dem Arm getragen, ins Gras gesetzt, auf seinen Stock sich stützend, mit Verwunderung dem Studenten zugehört und zugeschaut. Er hob jetzt Pfeife und Tabaksbeutel auf, die der Student fallen lassen, und sprach, beides ihm hinreichend: »Lamentier' der Herr nicht so schrecklich in der Finsternis, und vexier' Er nicht die Leute, wenn Ihm sonst nichts fehlt, als daß Er zuviel ins Gläschen gekuckt – geh Er fein ordentlich zu Hause und leg' Er sich aufs Ohr!« Der Student Anselmus schämte sich sehr, er stieß ein weinerliches Ach! aus. »Nun nun«, fuhr der Bürgersmann fort, »laß es der Herr nur gut sein, so was geschieht den Besten, und am lieben Himmelfahrtstage kann man wohl in der Freude seines Herzens ein Schlückchen über den Durst tun. Das passiert auch wohl einem Mann Gottes – der Herr ist ja doch wohl ein Kandidat. – Aber wenn es der Herr erlaubt, stopf' ich mir ein Pfeifchen von seinem Tabak, meiner ist mir da droben ausgegangen.« Dies sagte der Bürger, als der Student Anselmus schon Pfeife und Beutel einstecken wollte, und nun reinigte der Bürger langsam und bedächtig seine Pfeife, und fing ebenso langsam an zu stopfen. Mehrere Bürgermädchen waren dazugetreten, die sprachen heimlich mit der Frau und kickerten miteinander, indem sie den Anselmus ansahen. Dem war es, als stände er auf lauter spitzigen Dornen und glühenden Nadeln.
(Zitiert nach Projekt Gutenberg-DE)
II. Der Student Nathanael und die vernünftigen Teezirkel in „Der Sandmann“
Zum Verständnis: Der Automatenkonstrukteur und Professor Spalanzani entwickelt eine künstliche Frau, Olimpia, und führt sie in die bessere Gesellschaft ein, ohne diese über deren Künstlichkeit aufzuklären. Olimpias Auftritte erregen großes Aufsehen und vermögen die Öffentlichkeit für einige Zeit zu täuschen. Der psychisch labile Student Nathanael verfällt dabei dem Zauber der Puppe vollkommen. Als stumme Zuhörerin seiner poetischen Ergüsse lässt sie ihn alle seine vernünftigen Vorsätze vergessen, er entfremdet sich von seiner Verlobten und seinen Freunden. Als die Künstlichkeit der Olimpia dann offenbar wird, sehen sich die gehobenen Gesellschaftszirkel betrogen, Ratlosigkeit und Verunsicherung breiten sich aus. Dies wird vom Erzähler so geschildert:
„Ehe ich, günstiger Leser! dir zu erzählen fortfahre, was sich weiter mit dem unglücklichen Nathanael zugetragen, kann ich dir, solltest du einigen Anteil an dem geschickten Mechanikus und Automat-Fabrikanten Spalanzani nehmen, versichern, daß er von seinen Wunden völlig geheilt wurde. Er mußte indes die Universität verlassen, weil Nathanaels Geschichte Aufsehen erregt hatte und es allgemein für gänzlich unerlaubten Betrug gehalten wurde, vernünftigen Teezirkeln (Olimpia hatte sie mit Glück besucht) statt der lebendigen Person eine Holzpuppe einzuschwärzen. Juristen nannten es sogar einen feinen und um so härter zu bestrafenden Betrug, als er gegen das Publikum gerichtet und so schlau angelegt worden, daß kein Mensch (ganz kluge Studenten ausgenommen) es gemerkt habe, unerachtet jetzt alle weise tun und sich auf allerlei Tatsachen berufen wollten, die ihnen verdächtig vorgekommen. Diese letzteren brachten aber eigentlich nichts Gescheutes zutage. Denn konnte z. B. wohl irgend jemanden verdächtig vorgekommen sein, daß nach der Aussage eines eleganten Teeisten Olimpia gegen alle Sitte öfter genieset, als gegähnt hatte? Ersteres, meinte der Elegant, sei das Selbstaufziehen des verborgenen Triebwerks gewesen, merklich habe es dabei geknarrt usw. Der Professor der Poesie und Beredsamkeit nahm eine Prise, klappte die Dose zu, räusperte sich und sprach feierlich: »Hochzuverehrende Herren und Damen! merken Sie denn nicht, wo der Hase im Pfeffer liegt? Das Ganze ist eine Allegorie – eine fortgeführte Metapher! – Sie verstehen mich! – Sapienti sat!« Aber viele hochzuverehrende Herren beruhigten sich nicht dabei; die Geschichte mit dem Automat hatte tief in ihrer Seele Wurzel gefaßt und es schlich sich in der Tat abscheuliches Mißtrauen gegen menschliche Figuren ein. Um nun ganz überzeugt zu werden, daß man keine Holzpuppe liebe, wurde von mehrern Liebhabern verlangt, daß die Geliebte etwas taktlos singe und tanze, daß sie beim Vorlesen sticke, stricke, mit dem Möpschen spiele usw. vor allen Dingen aber, daß sie nicht bloß höre, sondern auch manchmal in der Art spreche, daß dies Sprechen wirklich ein Denken und Empfinden voraussetze. Das Liebesbündnis vieler wurde fester und dabei anmutiger, andere dagegen gingen leise auseinander. »Man kann wahrhaftig nicht dafür stehen«, sagte dieser und jener. In den Tees wurde unglaublich gegähnt und niemals genieset, um jedem Verdacht zu begegnen.”
Und so endet die Erzählung - als Happy End:
„Als Nathanael mit zerschmettertem Kopf auf dem Steinpflaster lag, war Coppelius im Gewühl verschwunden.
Nach mehreren Jahren will man in einer entfernten Gegend Clara gesehen haben, wie sie mit einem freundlichen Mann, Hand in Hand vor der Türe eines schönen Landhauses saß und vor ihr zwei muntre Knaben spielten. Es wäre daraus zu schließen, daß Clara das ruhige häusliche Glück noch fand, das ihrem heitern lebenslustigen Sinn zusagte und das ihr der im Innern zerrissene Nathanael niemals hätte gewähren können.“
(Zitiert nach Projekt Gutenberg-DE)
III. E.T.A. Hoffmann und die Aufklärung „Klein Zaches genannt Zinnober”
Zum Verständnis: Klein Zaches ist ein „Wechselbalg“ (ein von bösen Geistern untergeschobenes, missgestaltetes Kind), der zu nichts nütze ist, aber ungeheuren Appetit hat. Die Fee Rosabelverde erbarmt sich des zweieinhalbjährigen Jungen und seiner armen Mutter und versieht ihn mit drei zauberkräftigen zinnoberroten Haaren. Dank dieser wird nun alles Vortreffliche, das sich in seiner Gegenwart ereignet, dem Klein Zaches zugerechnet. Das befördert seine unaufhaltsame Karriere vom Jurastudenten zum Minister und Liebhaber einer Professorentochter. Er wird dabei zum Rivalen des schwärmerischen Dichters Balthasar. Der Zauberer Prosper Alpanus nimmt sich des unglücklichen Dichters an und bringt Klein Zaches, genannt Zinnober, zu Fall. Der Ort dieser Ereignisse ist ein kleines Fürstentum, von dem es heißt, dass „auf der ganzen weiten Erde ... wohl sonst kaum ein anmutigeres Land zu finden” war – bis die Aufklärung eingeführt wurde.
»Sehen Sie,« begann Andres, als er seinem Fürsten gegenüber auf einem kleinen Taburett Platz genommen, »sehen Sie, gnädigster Herr! – die Wirkung Ihres fürstlichen Edikts wegen der Aufklärung würde vielleicht verstört werden auf häßliche Weise, wenn wir nicht damit eine Maßregel verbinden, die zwar hart scheint, die indessen die Klugheit gebietet. – Ehe wir mit der Aufklärung vorschreiten, d. h. ehe wir die Wälder umhauen, den Strom schiffbar machen, Kartoffeln anbauen, die Dorfschulen verbessern, Akazien und Pappeln anpflanzen, die Jugend ihr Morgen- und Abendlied zweistimmig absingen, Chausseen anlegen und die Kuhpocken einimpfen lassen, ist es nötig, alle Leute von gefährlichen Gesinnungen, die keiner Vernunft Gehör geben und das Volk durch lauter Albernheiten verführen, aus dem Staate zu verbannen – Sie haben Tausendundeine Nacht gelesen, bester Fürst, denn ich weiß, daß Ihr durchlauchtig seliger Herr Papa, dem der Himmel eine sanfte Ruhe im Grabe schenken möge, dergleichen fatale Bücher liebte [...]. Nun also! – Aus jenem völlig konfusen Buche werden Sie, gnädigster Herr, wohl die sogenannten Feen kennen, gewiß aber nicht ahnen, daß sich verschiedene von diesen gefährlichen Personen in Ihrem eignen lieben Lande hier ganz in der Nähe Ihres Palastes angesiedelt haben und allerlei Unfug treiben.« »Wie? – was sagt Er? – Andres! Minister! – Feen! – hier in meinem Lande?« – So rief Fürst, indem er ganz erblaßt in die Stuhllehne zurücksank. – »Ruhig, mein gnädigster Herr,« fuhr Andres fort, »ruhig können wir bleiben, sobald wir mit Klugheit gegen jene Feinde der Aufklärung zu Felde ziehen. Ja! – Feinde der Aufklärung nenne ich sie, denn nur sie sind, die Güte Ihres seligen Herrn Papas mißbrauchend, daran schuld, daß der liebe Staat noch in gänzlicher Finsternis darniederliegt. Sie treiben ein gefährliches Gewerbe mit dem Wunderbaren und scheuen sich nicht, unter dem Namen Poesie ein heimliches Gift zu verbreiten, das die Leute ganz unfähig macht zum Dienste in der Aufklärung. [...] Darum, gnädigster Herr, – sowie die Aufklärung angekündigt wird, fort mit den Feen! – Ihre Paläste werden umzingelt von der Polizei, man nimmt ihnen ihre gefährliche Habe und schafft sie als Vagabonden fort nach ihrem Vaterlande, welches, wie Sie, gnädigster Herr, aus Tausendundeiner Nacht wissen werden, das Ländchen Dschinnistan ist.« (Zitiert nach Projekt Gutenberg-DE)
Ohne ein bisschen Werbung geht es nicht. Ich bitte um Nachsicht, falls diese nicht immer ganz themengerecht sein sollte.