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Zwei Texte zur Eugenik: a) Vasold, b) Krischke Sozialistische Ursprünge eugenischen Denkens. Die Quelle des Wahnsinns trockenlegen
Vor hundert Jahren prägte Alfred Ploetz den
Begriff "Rassenhygiene". In den folgenden fünfzig Jahren
war diese neue Form des Denkens weit verbreitet. Über die
eugenischen Ideen der politischen Rechten wurde seither viel
geschrieben, da sie nach 1933 in Deutschland ihre Vorstellungen
durchsetzte. Über die eugenischen Ansätze der Linken berichtet
Michael Schwartz ("Proletarier und Lumpen, Sozialistische
Ursprünge eugenischen Denkens", Vierteljahreshefte für
Zeitgeschichte, 42. Jg., Heft 4, R. Oldenbourg Verlag, München
1994; siehe F.A.Z. vom 21. Dezember 1994). Der Anstieg der Geisteskrankheiten und der
Selbstmorde seit der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts
war für viele beunruhigend. "Das unnatürliche und zunehmend
schnellere Anwachsen der geistesschwachen und wahnsinnigen Bevölkerungsschichten,
das mit stetem Rückgang bei den tüchtigen, starken und überlegenen
Schichten einhergeht, ist eine Gefahr für Nation und Rasse, die
gar nicht überbewertet werden kann", schrieb 19 1 0 der -
damals liberale - englische Innenminister Winston Churchill.
"Ich finde, daß die Quelle, aus der der Strom des Wahnsinns
gespeist wird, ausgetrocknet und versiegelt werden sollte, bevor
noch ein weiteres Jahr ins Land geht." Churchills Äußerung
wurde 1992 zum ersten Mal veröffentlicht. Zur gleichen Zeit erklärten sich
SPD-Reichstagsabgeordnete mit eugenischen Maßnahmen einverstanden.
In der Zeitschrift "Die Neue Zeit" drückte Oda 0lberg
ihre Furcht vor einer "rapide" erfolgenden erblichen
Entartung aus und sprach von einem "Mangel an Zuchtwahl"
und einem ",Aufpäppeln der Minderwertigen". In den
zwanziger Jahren setzte sich auch Theodor Geiger, SPD-Mitglied und
Hochschullehrer, für die Eugenik ein: Es genüge nicht, "die
Menschenmassen, die uns mit jedem neuen Zeitalter beschert werden,
hinzunehmen, wie sie sind", sie sollten durch Auslese
verbessert werden. Auch die bayerische SPD-Reichstagsabgeordnete
Antonie Pfülf war für eugenisehe Maßnahmen. Sie trat im
Strafrechtsausschuß des Reichstages für die
Sterilisationsinitiativen ihrer Partei ein. Den häufig zitierten
SPD-Reichstagsabgeordneten und Mediziner Professor Alfred Grotjahn
beunruhigte, daß die "Höherwertigen" weniger Kinder
hatten als die Lumpenproletarier: "Man braucht sich ja auch
nur in seinem Bekanntenkreis umzusehen, um feststellen zu können,
daß die sich besonders auszeichnenden Parteigenossen, Sekretäre,
Redakteure und Abgeordnete nur ausnahmsweise eine Kinderzahl von
drei oder mehr erreichend." Sozialistische Eugenik blieb zwar innerhalb der SPD
eine Randerscheinung, aber gerade intellektuelle Kreise pflegten
sie. Geschätzt wurde sie auch von sozialistischen Theoretikern in
England - wie H. G. Wells - und sowjetischen Linken, wie schon
Diane Paul hervorgehoben hat ("Eugenics and the Left",
in: Journal of the History of Ideas, Bd. 65, 1984). In einigen Ländern
wurde bereits in der Zwischenkriegszeit sterilisiert, und zwar auch
gegen den Willen der Betroffenen, sogar in den Vereinigten Staaten
und in Deutschland vor 1933. Schon in den zwanziger Jahren habe
sich, befördert durch die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und
der wirtschaftlichen Krisen, ein Einstellungswandel abgezeichnet,
stellte Norbert Frei in dem von ihm herausgegebenen Buch
"Medizin und Gesundheitspolitik in der NS-Zeit" fest (Oldenbourg
Verlag, München 1991). Gegen Ende der Weimarer Republik sei auf
kommunaler Ebene bereits "ein fortgeschrittenes Stadium auf
dem Weg zur totalen Gesundheitsverwaltung" erreicht worden,
schreibt Gräfin von Castell in demselben Band. Und Hans-Walther
Schmuhl berichtet, daß man schon vor 1933 in den Heil- und
Pflegeanstalten dazu überging, Psychiatriepatienten auch ohne
deren Einwilligung zu sterilisieren (in: Michael Prinz und Rainer
Zitelmann, Hrsg., "Nationalsozialismus und
Modernisierung", Darmstadt 1991). Während aber die SPD in den zwanziger Jahren nicht
über die freiwillige Sterilisation hinausgehen wollte, befürworteten
einzelne ihrer prominenten Mitglieder durchaus die zwangsweise
Sterilisation. Der SPD-Gesundheitsexperte in der preußischen
Landtagsfraktion hielt sie in einigen Fällen für erforderlich.
"Mit dem Entwurf des Preußischen Landesgesundheitsrates für
ein Sterilisationsgesetz von 1932 war der Weg für das 'Gesetz zur
Verhütung erbkranken Nachwuchses' geebnet", befindet demgemäß
Peter Weingart (in: "Rasse, Blut und Gene", Suhrkamp,
Frankfurt 1987). Daß die Sterilisationen nach Hitlers Machtübernahme
so rasch anliefen, hing auch mit den gesetzgeberischen
Vorbereitungen und den breiten Überzeugungen in der deutschen
Gesellschaft der Zwischenkriegszeit zusammen. Kommunale Krankenhäuser
im Deutschen Reich teilten nach 1933 die Zahl der in ihnen
vorgenommenen Sterilisationen ganz offen mit. Im Januar 1933 verkündete das Verbandsorgan der sozialdemokratischen Lebensreformer, es sei für die menschliche Gesellschaft "wirklich höchste Zeit", der "Überwucherung der minderwertigen Elemente" endlich mit rassenhygienischen Mitteln Einhalt zu gebieten. "Das Recht des Menschen auf sein Leben ist ein bedingtes", hieß es. Zur Verhinderung erblich "Minderwertiger" wurden eugenische Maßnahmen bis hin zur Zwangssterilisation empfohlen. Mit dem in Hitlers Deutschland verabschiedeten NS-Ehegesundheitsgesetz vom 18. Oktober 1935 war sogar die Auslands-SPD noch einverstanden. "Die allgemeine Tendenz des Gesetzes ist nicht zu beanstanden", hieß es in ihrem "Deutschland-Bericht" 1938, obwohl dieses Gesetz gegen "Minderwertige" Eheverbote verhängte. Manfred Vasold, Sozialistische Ursprünge eugenischen Denkens. Die Quelle des Wahnsinns trockenlegen, in: FAZ Nr. 130 v. 7.6.95 Humanität auf Sparkurs. Zustimmung auch in kirchlichen Kreisen: Eugenik zur Zeit der Weimarer Republik Quelle: FAZ Ausgabe: Nr. 50 v. 28.2.96 Inhalt: Eugenik, evangelische
Kirche, katholische Kirche, SPD, Zentrum Die Eugenik hatte seit der Jahrhundertwende viele
Anhänger in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den
Vereinigten Staaten. Die "Lehre von der Erbgesundheit"
gehörte zum ideologischen Bestand bildungsbürgerlicher Zirkel.
Ihr lag die sozialdarwinistische Vorstellung zugrunde, daß die
moderne Zivilisation die natürliche Auslese außer Kraft gesetzt
habe und "minderwertigen" Bevölkerungsteilen zur
Ausbreitung auf Kosten der "Höherwertigen" verhelfe. Man
machte defekte Erbanlagen für körperliche und psychische
Erkrankungen ebenso verantwortlich wie für soziale Mißstände wie
Alkoholismus, Prostitution oder Kriminalität. Die Eugenik galt als naturwissenschaftlich
fundiertes Gegenmittel, mit dem sich darüber hinaus die
Sozialausgaben senken ließen. Da die Idee einer
"vorgeburtlichen Auslese von Keimzellen" medizinisch
nicht umzusetzen war, diskutierte man über eugenische
Eheberatungen, die Ausstellung von Gesundheitszeugnissen oder die
Steigerung der Geburtenraten bei den "Höherwertigen"
durch Propaganda und finanzielle Förderung. Zu dieser
"positiven" kam die "negative Eugenik": Durch
Eheverbote, Unterbringung in Anstalten oder Sterilisation sollten
"Erbkranke" an der Fortpflanzung gehindert werden. "Erbkranke Verbrecher" Nachdem Kulturpessimismus und Wissenschaftsgläubigkeit
der biologistischen Umdeutung sozialer Sachverhalte zu
internationalem Erfolg verholfen hatten, erhielt die Eugenik in
Deutschland einen zusätzlichen Schub durch den Zusammenbruch von
1918, der vor allem bürgerliche Schichten mit dem Abstieg
konfrontierte, und durch die Weltwirtschaftskrise, die Anfang der
dreißiger Jahre die Sozialpolitik an den Rand des Zusammenbruchs
brachte. Durch eugenische Maßnahmen Kosten zu sparen, galt jetzt
vielfach als Gebot der Stunde. Eugenische Theorien waren nicht nur in völkischen
oder nationalsozialistischen Gruppierungen im Schwange, sondern
fanden auch in Teilen des demokratischen Spektrums Zustimmung.
Manche Sozialdemokraten zeigten sich gegenüber der Eugenik
aufgeschlossen, die sie als Instrument im Kampf gegen das
"Lumpenproletariat" betrachteten (siehe
"Geisteswissenschaften" vom 7. Juni 1995). Doch auch
kirchliche Kreise sowie die ihnen verbundenen Parteien und Verbände
bildeten kein anti-eugenisches Bollwerk (Michael Schwartz,
"Konfessionelle Milieus und Weimarer Eugenik", in:
Historische Zeitschrift, Bd. 261, Heft 2, 1995). Die Weimarer Eugenik war erfolgreich, weil sie sich
in den demokratischen Rahmen einpaßte. Die rabiaten Töne der
"Rassenhygiene" aus der Vorkriegszeit wurden gedämpft,
ihre völkischen Vertreter mäßigten sich oder verloren an Einfluß,
der Begriff selbst geriet zugunsten der internationalen Bezeichnung
"Eugenik" in den Hintergrund. Es waren modern
eingestellte Ärzte, Funktionäre der Wohlfahrtsverbände und
Gesundheits- und Sozialpolitiker, die die Eugenik als seriöse
Sozialtechnologie darstellten und sie durch eine medizinische,
sachlich klingende Rhetorik in die Politikberatung integrierten.
Geldmangel und politische Widerstände begrenzten freilich die
Wirkung dieser Politik. Einig war man sich in der Ablehnung
eugenisch indizierter Abtreibungen und der "Vernichtung
lebensunwerten Lebens". Ein Streitpunkt blieb bis zum Ende der
Weimarer Republik die Sterilisation, während die Geburtenförderung
"erbgesunder Schichten" durch "Volksaufklärung"
Zustimmung fand. Sie ließ sich auch mit den Zielen der kirchlichen
Eheberatung vereinbaren. Zu denen, die eugenisches Denken in das
protestantische Milieu trugen, gehörte der Mediziner Carl von
Behr-Pinnow. Er nutzte seine Kontakte zur preußischen Gesundheitsbürokratie
und seinen Vorsitz im "Bund für Volksaufartung und
Erbkunde", um Lehrer, Theologen und kirchliche Wohlfahrtsverbände
für eugenische Maßnahmen, eingeschlossen die Sterilisation, zu
gewinnen. Eine andere Spielart protestantischer Eugenik entstand
auch in der "Inneren Mission". Hans Harmsen, Arzt und
Leiter des Referats für Gesundheitsfürsorge - auf ihn geht die
Einführung des "Muttertages" in Deutschland zurück - ,
konnte Eugenik bis hin zur Forderung nach Zulassung der
freiwilligen Sterilisation in der offiziellen Verbandspolitik
verankern. Eine Art Brain-Trust war die "Arbeitsgemeinschaft für
Volksgesundung", die vom Reichsinnenministerium gefördert
wurde und deren Geschäftsführer Harmsen war. In ihrem Vorstand saßen Ärzte, Abgeordnete und
Repräsentanten der evangelischen Kirche und ihrer Verbände. Das
Thema Sterilisation war hier zunächst umstritten: Während Wilhelm
Kahl, DVP-Mitglied, Vorsitzender des Rechtsausschusses im Reichstag
und Mitglied des evangelischen Kirchenausschusses, zunächst als
entschiedener Gegner auftrat, trat Heinrich Wichern, der Enkel des
Gründers der Inneren Mission, für die Sterilisation ein. 1932
wurde der Lehrer und Physiker Bernhard Bavink zum Berater der
Inneren Mission. Er setzte sich auch für die zwangsweise
Sterilisierung der Nachkommen von "erbkranken
Verbrechern" ein. Zwar folgte man ihm nicht, aber der Trend zu
eugenischen Positionen verstärkte sich gegen Ende der Weimarer
Republik. "Menschenzüchtungsrummel" Wortführer im katholischen Spektrum war der Jesuit
Hermann Muckermann, Anthropologe am Kaiser-Wilhelm-Institut für
Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik. Als
Vorstandsmitglied der Berliner Ortsgruppe der "Gesellschaft für
Rassenhygiene" propagierte er die Eugenik als
"familienfreundliche Wissenschaft", die die
"Erbgesunden" im Rahmen staatlicher Eheberatung fördern
und für die Verwahrung der "Erbkranken" in Anstalten
sorgen sollte. Auch Muckermann, der von anderen Eugenikern wegen
seiner "Halbheiten" kritisiert wurde, radikalisierte Ende
der zwanziger Jahre seine Forderungen und trat für die Zulassung
der Sterilisation ein. Ähnlich äußerte sich der Freiburger
Theologe Joseph Mayer, der die eugenische Sterilisation im Falle
eines "gesetzlichen Notstandes" rechtfertigte. Das lag
freilich nicht mehr auf der offiziellen Linie der katholischen
Kirche, die die Sterilisation verurteilte. Während sich die
Eugeniker in ihr als Vertreter eines aufgeklärten Katholizismus
sahen, kam entschiedener Widerstand gegen den "Menschenzüchtungsrummel"
von rechts-katholischen Kreisen. Durch pro-eugenische Funktionseliten gelangte die
Eugenik in den Reichstag und die Länderparlamente. Treibende Kraft
war hier die SPD. Mit ihren Vorstellungen zur eugenischen
Eheberatung und zur Anstaltsverwahrung fand sie bei den
konfessionell orientierten Parteien Zustimmung. Aber ihre Forderung
nach der Zulassung freiwilliger Sterilisationen rief ein
gespaltenes Echo hervor. Während die Parteien des protestantischen
Spektrums in ihrer Haltung schwankten, lehnte das Zentrum
Sterilisationsgesetze lange Zeit entschieden ab. 1932 allerdings
machte das preußische Zentrum unter dem Eindruck der Krise in
dieser Frage eine Kehrtwendung. Daraufhin erarbeitete man unter
Mitwirkung von Hermann Muckermann und Joseph Mayer einen
entsprechenden Regierungsentwurf. Neben den hohen Kosten entdeckte
man jetzt als Argument für die Sterilisation auch die
"Unmenschlichkeit" einer lebenslangen
Anstaltsunterbringung von "Erbkranken". Die wissenschaftliche Haltbarkeit eugenischer Theorien war damals von der medizinischen und biologischen Forschung bereits stark in Frage gestellt worden. Zu den Skeptikern in Deutschland gehörte Otmar Freiherr von Verschuer, Genetiker am Kaiser Wilhelm-Institut. Auf die Politiker und Funktionäre, die die Eugenik befürworteten, machte das wenig Eindruck. Verschuer wiederum wurde nach 1933 zu einem führenden Vertreter der nationalsozialistischen Rassendoktrin. Wolfgang Krischke, Humanität auf Sparkurs. Zustimmung auch in kirchlichen Kreisen: Eugenik zur Zeit der Weimarer Republik, in: FAZ Nr. 50 v. 28.2.96
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