Das Muschelessen (1990)

    Die Ausgangs-Situation:
    Eine Mutter und ihre zwei Kinder (ältere Tochter, jüngerer Sohn) bereiten ein Muschelessen vor, das sie am Abend mit dem Familienvater einnehmen wollen. Dieser befindet sich auf Dienstreise, von der er gegen sechs Uhr zurückerwartet wird. Er kommt aber nicht, ganz entgegen seinen Ankündigungen und bisherigen Gewohnheiten.

    Erzähl-Perspektive:
    Die Ich-Erzählerin ist die Tochter, welche über die Ereignisse dieses Abends aus der Erinnerung schreibt, die Schilderung der Ereignisse dieses Abends ist aber lediglich der äußere Rahmen, denn außer der Zubereitung des Essens (Muscheln und Pommes Frites) und dem Warten auf den nicht erscheinenden Vater geschieht nicht viel. Diese Warte-Situation ist aber Anlass und Raum für Reflexionen der Ich-Erzählerin über die Rolle des Vaters, seine Herkunft, seine Gewohnheiten und Eigenarten, über seine Beziehung zu seiner Frau und seinen Kindern. Die Haltung der Erzählerin nimmt dabei an Aggressivität gegenüber dem Vater zu, es mutet immer mehr wie eine Abrechnung an.

    Sprache:
    Diese Reflexionen sind ein kaum unterbrochener Sprach- und Assoziationsfluss, in langen, sich zuweilen scheinbar im Kreis bewegenden Sätzen, vor Wortwiederholungen wird nicht zurückgescheut, vielmehr mit steigender Eindringlichkeit eingesetzt. Ein ironisch-bitterer Unterton entsteht dadurch, der erkennen lässt, dass die Ich-Erzählerin sich aus der Angst- und Hass-Beziehung zum Vater schließlich herausgearbeitet hat, vielleicht sogar aufgrund der Ereignisse dieses Abends.

    Handlung:
    Die Muscheln werden nicht gegessen, sondern bleiben die ganzen vier Stunden auf dem Tisch stehen, werden kalt und ungenießbar und zum Schluss dann demonstrativ in den Müll geworfen. Statt dessen genehmigen sich die drei Wartenden mehrere Flaschen vom Feiertagswein, diese Freizügigkeit lockert auch die Gedanken aus ihren Beklemmungen, Momente von Wahrheit und gegenseitiger Offenbarung ergeben sich:

    Alles kreist um den abwesenden Vater: Er ist ein Familientyrann, pedantisch, rechthaberisch, ohne Einfühlungsvermögen und Rücksicht für die anderen. Er stammt - wie seine Frau - aus einem Dorf in der DDR, augewachsen in ärmlichen Verhältnissen, aus denen er zu entkommen suchte. Dieses sein Lebensvorhaben gelang ihm zuerst durch die Flucht von Ost nach Westdeutschland, dann durch den beruflichen Aufstieg in einer West-Firma, schließlich durch verschwenderisch-großspurigen Lebensstil vor allem auf Geschäftsreisen. Seiner Frau, von Beruf Lehrerin, missgönnt er die künstlerische Ader, als Naturwissenschaftler hält er auf Ordnung und Logik, auch wenn diese für den Rest der Familie nicht immer nachvollziehbar ist. Diese Ordnung gemäß seiner Logik wirkt letztlich als Terror, der am Abend und am Wochenende ausgeübt wird.

    Die Gedankengänge der Ich-Erzählerin umkreisen diesen Terror unentwegt und legen ihn in immer deutlicheren Situationsbeschreibungen bloß: Das gegenseitige Verpetzen am Abend, die Strafaktionen bei Widersetzlichkeit (Prügel), die kleinbürgerlichen Sonntagsausflüge, die betrieblichen Konzertbesuche, die Herabwürdigung der Leistungen von Frau und Kindern, die Demütigungen und Missgelauntheiten ...

    In der Mitte des Abends (bzw. der Erzählung) wird dann zum ersten Mal der Gedanken oder Wunsch ausgesprochen, dass der Vater nicht oder gar nicht mehr kommen möge. Die Appelle der Mutter, doch Verständnis zu zeigen, verfangen nicht mehr, selbst die Mutter gibt immer mehr von ihrem Unglück preis bis hin zu der nun ausgesprochenen Identifizierung mit jener antiken Medea, die ihre Kinder vergiftete. Tochter und Sohn sind deswegen aber gar nicht entsetzt, eher verständnisvoll.

    Um Viertel vor 10 klingelt das Telefon, es wirkt wie ein Schreck, alle fühlen sich in ihren aufständisch-bösen Gedanken ertappt, die Mutter aber lässt schließlich das Telefon endlos weiterläuten und anstatt abzuheben räumt sie die Muscheln vom Tisch, wirft sie in den Müll und bittet den Sohn diesen zu entsorgen.

    Die Seitenangaben beziehen sich auf Ausgaben des Fischer Taschenbuch Verlages


Friedliche Zeiten - Erzählung (1996)

    Eine Ich-Erzählerin, noch Kind, schildert Familienverhältnisse und -ereignisse. Man lebt in den 60er Jahren, die fünfköpfige Familie ist vor einigen Jahren schon aus dem Osten Deutschlands geflüchtet und hat sich mittlerweile im Westen eingerichtet, zumindest materiell, weniger gedanklich.
    Die Familie besteht aus den drei Kindern: die Erzählerin, ihr jüngerer Bruder Flori und ihre ältere Schwester Wasa. Zu Beginn der Erzählung ist erst Wasa in der Schule.

    Vater arbeitet viel und kommt oft abends nicht nach Hause, zum großen Schmerz seiner Frau. Er ist ein geselliger Mensch, der gern unter Männer ist und Witze erzählt, so wie das im Osten war. Er ist vom Sozialismus enttäuscht, den er aber im Grunde für richtig hält (S. 5).
    Die Mutter ist eine überbehütende, übervorsichtige, ängstliche und sehr sparsame Frau, diese Eigenschaften prägen das Familienleben, die Erziehung und auch die Beziehung zu ihrem Mann. Folglich steht die Ehe immer am Rande zur Scheidung, die Kinder beobachten dies und machen sich dazu ihre ganz eigenen Gedanken, je nachdem wovon sie sich mehr Vorteile versprechen. Sie sind in der Beziehungsfalle:
    Einerseits leiden sie an der Ängstlichkeit der Mutter, die z.B. verhindert, dass Klo- und Badetüren abgeschlossen werden können, da den Kindern darin etwas zustoßen könnte. Außerdem wird in diesen Räumen aus Sparsamkeitsgründen nicht geheizt, was den Aufenthalt darin noch unangenehmer macht. Folglich leiden die Kinder an Verdauungsstörungen, denn sie versuchen andernorts ihr Geschäft zu verrichten. ("Schlüsselkrieg“ S.19)
    Andererseits müssen sie sich um die Mutter sorgen, deren Selbstmitleid und Selbstmordankündigungen die Kinder ständig verfolgt, vor allem seit sie tatsächlich einmal versucht hat, zusammen mit ihren Kindern im Auto von der Rheinbrücke zu stürzen, ein Unternehmen, das die Erzählerin im letzten Augenblick durch instinktiv richtiges Eingreifen ins Lenkrad verhindern konnte (S.15/16).

    Die Mutter übt eine Art seelischen Terror auf die Kinder aus, der Vater seinerseits nimmt wenig Rücksicht auf die Befindlichkeit seiner Frau, er ist entweder abwesend oder befindet sich im Streit mit ihr oder - wenn "Waffenstillstand“ herrscht (S.42) - macht er sich über sie lustig, z.B. über ihre Fahrkünste (S.44).

    Alles, was die Kinder tun, insbesondere die beiden Mädchen, scheint im Widerstreit zu den Prinzipien und Ängsten ihrer Mutter zu stehen, sie müssen es heimlich tun: In Ruinen spielen (S.34), ihre ungeliebten Schmalzbrote gegen die Schulbrote anderer Kinder tauschen (S.54)... Gleichzeitig beobachten sie das Verhaltender Mutter und versuchen deren für sie unverständliche Handlungslogik zu verstehen: z.B. wenn sie den Bettlern und Kriegsverzehrten“ auf ihre Weise zu helfen versucht (S.30, 38).

    (55) Die Kinder sind jetzt vom "Puppenalter ins Geheimnisalter“ gekommen, der Vater aber auch, und die Mädchen denken viel über eine mögliche Zweitfrau des Vaters nach, was sie davon halten sollen, bzw. zu wem sie halten sollen. Vielleicht ist das sogar eine Amerikanerin, denn deren Kasernen sind ganz in der Nähe, in Sichtweite.

    (81) Vater geht mit den Kindern eines Abends ins Kino: Doktor Schiwago. Der Film beeindruckt sie sehr und löst Gespräche aus über den modernen Krieg per Knopfdruck (90), über die Amis, die Russen, die Japaner, die Atombombe und den "Ami-Krieg“ (95) in Asien. - Wieder zu Hause erfahren sie, dass die Mutter geglaubt hatte verlassen worden zu sein und deshalb Herzstiche hat. Die Kinder haben wieder ein unlösbares Problem, denn eigentlich hat es ihnen gut gefallen und der Vater hat ihnen weitere Hollywood-Schinken versprochen.

    (100) Die Eltern streiten sich immer öfter und die Kinder hoffen auf eine Scheidung, schlagen dies der Mutter sogar einmal vor. Der größte Streit wird durch die Tatsache ausgelöst, dass Wasa zum ersten Mal ihre Tage bekommt. Während der Vater diese Frau-Werdung seiner Tochter mit einer Flasche Sekt feiert, geht die Mutter mit ihr zum Doktor, ob nicht ein Geschwulst die Ursache sein könnte. Der Vater verlässt daraufhin die Familie mitten im Abendessen und kehrt die Nacht nicht mehr zurück. Die Mutter droht mit Selbstmord durch Schlaftabletten, die Ich-Erzählerin schafft es aber, heimlich das Röhrchen mit den Tabletten zu leeren. Mutter wiederum glaubt, als sie das leere Röhrchen findet, dass Vater es geleert habe ...
    Am nächsten Tag kommt der Vater zurück, ein langer Streit endet damit, dass man sich vornimmt, ein eigenes Haus zu bauen, um aus dieser Vorort-Wohnung herauszukommen. Während die Pläne geschmiedet werden, überkommt die Mutter immer mehr die Sehnsucht nach dem Grab ihres im Krieg gefallenen Verlobten und Vater schlägt ihr sogar noch vor, das Grab, das sich im Ausland befindet, aufzusuchen, damit dieses Bedürfnis seiner Frau auch noch befriedigt ist.
    Die Erzählung endet damit, dass die ganze Familie dorthin fährt. An diesem Tag liest Vater in der Zeitung, dass M.L.King ermordet worden sei. Er ist erschüttert. Die Mutter wiederum ist erschüttert am Grab ihres gefallenen Verlobten. Ende der Erzählung.

    Die Seitenangaben beziehen sich auf Ausgaben des Fischer Taschenbuch Verlages

 


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