Hermann Hesse: „Unterm Rad“

Aus seinem Leben


Der 21-Jährige in Tübingen,
Quelle: H.Hesse - sein Leben in Bildern und Texten, suhrkamp 2000 S.43

Biografisches zu "Unterm Rad":

* * *

Der Schriftsteller Hugo Ball verfasste 1927 die Biografie: "Hermann Hesse - Sein Leben und sein Werk". Sie erschien zusammen mit dem "Steppenwolf" anlässlich von Hesses 50. Geburtstag. Es war Hugo Balls letztes Werk, er starb kurz nach Erscheinen des Buches. Hermann Hesse: "Das Beste, was der Geburtstag mir bisher gebracht hat, ist das ausgezeichnete Buch, das Hugo Ball ... über mich herausgegeben hat." (Brief vom 23.6.1927) Aus dieser Biografie stammen folgende Auszüge über Hesse und das

Kloster Maulbronn

Wenn es ... nun in Hesses Leben einen Haupt- und Generalpunkt gibt, den der Dichter noch nicht erschöpft und aufgelöst hat; wo dem Biographen noch etwas zu sagen bleibt, so ist es diejenige Zeitspanne, zu deren Beschreibung ich jetzt komme: die Zeit der Berufswahl und der anschließenden Wirren; die Zeit der Gärung und der Loslösung vom Vaterhaus, und mit einem Worte: Maulbronn.

Dem Dichter war von den Eltern die Theologenlaufbahn bestimmt. So war es Tradition und bei jungen Menschen von guter Begabung das Gegebene. Die theologische Laufbahn entsprach nicht nur den Wünschen der Familie – sie war außerdem das billigste Studium, denn für württembergische Theologen gab es vom vierzehnten Jahr an eine kostenlose Ausbildung; man brauchte nur das sogenannte »Landexamen« mit Erfolg zu bestehen. Dieses Examen diente dazu, aus ganz Schwaben jährlich etwa fünfundvierzig Knaben im Alter von vierzehn Jahren auszuwählen, die dann als Stipendiaten in eines der vorbereitenden Seminare (Maulbronn, Blaubeuren, Schönthal, Urach) und später auf Staatskosten an der Tübinger Universität, ins weltberühmte theologische »Stift« aufgenommen wurden. Diese Prüfung blieb auch dem jungen Hesse nicht erspart. Um aber zugelassen zu werden, mußte der Knabe vor allem schwäbischer Staatsbürger werden. Der Vater ließ ihn also zum Zweck der theologischen Karriere Anno 90 oder 91 eigens naturalisieren und in Göppingen die Lateinschule besuchen.

Die Darstellung des Landexamens und der Seminaristenzeit in »Unterm Rad« ist lebensgetreu. Nur heißt der Vater Joseph Giebenrath und ist nicht Missionsprediger, sondern Zwischenhändler und Agent. Nur ist das Erlebnis in einer Art Spaltung der Persönlichkeit, die auch sonst in Hesses Büchern, so im »Lauscher«, im »Demian«, in »Klein und Wagner« hervortritt, an zwei Freundesgestalten verteilt. Die Flucht des Hermann Heilner aus Maulbronn ist des Dichters eigene Flucht aus dem Seminar. Aber auch die seelischen Wirrnisse und Leiden des zurückbleibenden Hans Giebenrath sind diejenigen des Dichters. Ebenso entspricht die Lehrzeit des Exseminaristen in einer mechanischen Werkstatt den biographischen Tatsachen. Hesse hat anderthalb Jahre (von Frühjahr 1894 bis Herbst 1895) in Calw das Schleifen von Rädchen für Turmuhren gelernt und wohl auch das Montieren von Turmuhren. Der »Knulp« wäre ohne diese Handwerkslehre wohl kaum entstanden.

Zwischen der Flucht aus dem Seminar und der rauhen Turmuhren-Lehrzeit liegen allerlei vergebliche Versuche, sich in irgendeinem Studium und Berufe zurechtzufinden. Während bis zum Landexamen und ersten Aufenthalt in Maulbronn alles gut ging und die Jugendjahre seit Basel fröhlich und unbekümmert verlaufen waren, ist es seit den Maulbronner Erlebnissen, als wäre der Teufel los. Auf dem Gymnasium in Cannstatt bleibt der Schüler wenig länger als ein Jahr; treibt schließlich Allotria, verkauft seine Schulbücher gegen ein Pistol und muß mitten im Schuljahr aus der Obersekunda fort. Er kommt zu einem Buchhändler nach Eßlingen in die Lehre, verschwindet aber auch dort schon nach drei Tagen. Der Vater nimmt ihn zurück nach Calw, versucht ihn als Gehilfen bei seinen Arbeiten zu beschäftigen; es ist aber auch hier nur ein gedrücktes, unerquickliches Herumsitzen. Er kommt in die Turmuhrenfabrik, und das Handwerkerwesen mit seinem Rest von laubgrünem Burschentum und Pennenromantik fesselt ihn erst. Zuletzt aber sind Kopf und Körper dem Amboß- und Funkenbetrieb nicht mehr gewachsen. Nach abermaliger Ruhepause im Elternhaus glückt es dem Jüngling, in der Heckenhauerschen Buchhandlung in Tübingen unterzukommen. Und nun scheint er am erwünschten Platze zu sein; er ist nicht gerade Stiftler, aber er lebt doch in Tübingen unter Studenten und Professoren, mitten in einer gelehrten und schöngeistigen Welt.

In »Unterm Rad« ist Maulbronn eingehend beschrieben: der gotische Kapitelsaal, das sogenannte »Paradies«, der romantische Faustturm (im nahen Knittlingen soll der Doktor Faust ja heimisch sein); die ankommenden pausbäckigen Schwabenkinder mit ihren Vätern, das hohe Lehrerkollegium und die mit klassischen Namen versehenen Schlafsäle, Hellas, Sparta, Athen und Akropolis. Die ganze, in das wundervolle, ziere Zisterzienserkloster eingenistete staatliche Drillanstalt mit ihrer Aufgabe, württembergische Staatspastoren heranzubilden und sie zwecks besseren Gelingens vorher in ein weltfernes römisch-griechisches Traumbild kräftig einzutauchen: all dies zieht vorüber.
(...)
In seinem »Kurzgefaßten Lebenslauf« (1925) sagt der Dichter von den Pesönlichkeitskämpfen jener Jahre, daß sie ihn »wider Willen, als ein furchtbares Unglück« umgaben; er deutet sie als ein hartnäckiges Kämpfen um sein ihm mit dreizehn Jahren bereits bewußt gewordenes Dichtertum. »Von meinem dreizehnten Jahr an war mir das eine klar, daß ich entweder ein Dichter oder gar nichts werden wolle. Zu dieser Klarheit kam aber allmählich eine andere peinliche Einsicht. Man konnte Lehrer, Pfarrer, Arzt, Handwerker, Kaufmann, Postbeamter werden, auch Musiker, auch Maler oder Architekt, zu allen Berufen der Welt gab es einen Weg, gab es Vorbedingungen, gab es eine Schule, einen Unterricht für den Anfänger. Bloß für den Dichter gab es das nicht! Es war erlaubt und galt sogar für eine Ehre, ein Dichter zu sein. Ein Dichter zu werden aber, das war unmöglich; es werden zu wollen, war eine Lächerlichkeit und Schande, wie ich sehr bald erfuhr.«

Quelle: Projekt Gutenberg DE


(cc) Klaus Dautel


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