Bertolt Brecht  Dreigroschenoper 

Brechts erste Versuche eines epischen Theaters in der DGO


Aus Bertolt Brechts "Anmerkungen zur Dreigroschenoper":

Titel und Tafeln:
"Gegen die Titel ist vom Standpunkt der Schuldramatik aus geltend zu machen, daß der Stückeschreiber alles zu Sagende in der Handlung unterzubringen habe, daß die Dichtung aus sich heraus alles audrücken müsse. Dies entspricht einer Haltung des Zuschauers, in der er nicht über die Sache denkt, sondrn aus der Sache heraus. Aber diese Manier, alles einer Idee unterzuordnen, die Sucht, den Zuschauer in eine einlinige Dynamik hineinzuhetzen, wo er nicht nach rechts und links, nach unten und oben schauen kann, ist vom Standpunkt der neueren Dramatik aus abzulehnen. Auch in die Dramatik ist die Fußnote und das vergleichende Blättern einzuführen.
Das komplexe Sehen muß geübt werden. Allerdings ist dann beinahe wichtiger als das Imflußdenken das Überdenflußdenken. Außerdem erzwingen und ermöglichen die Tafeln vom Schauspieler einen neuen Stil. Dieser Stil ist der epische Stil. Beim Ablesen der Tafelprojektionen nimmt der Zuschauer die Haltung des Rauchend-Beobachtens ein. Durch eine solche Haltung erzwingt er ohne weiteres ein besseres und anständigeres Spiel, denn es ist aussichtslos, einen rauchenden Mann, der also hinlänglich mit sich selbst beschäftigt ist, "in den Bann ziehen" zu wollen. Sehr rasch hätte man so ein Theater voll von Fachleuten, wie man Sporthallen voll von Fachleuten hat." (S.133/4)

Über das Singen der Songs

Warum zwei Verhaftungen des Macheath und nicht eine?
"Diese erste Gefängnisszene ist, aus dem Gesichtswinkel der deutschen Pseudoklassik betrachtet. ein Umweg , nach unserer Ansicht ein Beispiel primitiver epischer Form. Sie ist nämlich ein Umweg, wenn man wie diese rein dynamische Dramatik, der Idee das Primat zuerteilend, den Zuschauer ein immer bestimmteres Ziel wünschen macht - was hier der Tod des Helden wäre - , sozusagen eine immer größere Nachfrage nach dem Angebot schafft und, schon um eine starke Gefühlsbeteiligung des Zuschauers zu ermöglichen (...) eine Zwangsläufigkeit in gerader Linie braucht. Die epische Dramatik , matrialistisch eingestellt, (ist) an Gefühlsinvestierungen ihres Zuschauers wenig interesiert ..."

Warum muß der reitende Bote reiten?
"Die Dreigroschenoper gibt eine Darstellung der bürgerlichen Gesellschaft (und nicht nur "lumpenproletarischer Elemente"). Diese bürgerliche Gesellschaft hat ihrerseits eine bürgerliche Weltordnung produziert, also eine ganz bestimmte Weltanschauung, ohne die sie nicht ... auskommt. Das Auftauchen des reitenden Boten des Königs ist, wo das Bürgertum seine Welt dargestellt sieht, ganz unumgänglich. ... Der reitende Bote garantiert ein wirklich ungestörtes Genießen selbst an sich unhaltbarer Zustände ... selbstverständlich ist das dritte Finale mit vollkommenem Ernst und absoluter Würde zu spielen."


© Klaus Dautel, 2001


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Ohne ein bisschen Werbung geht es nicht. Ich bitte um Nachsicht, falls diese nicht immer ganz themengerecht sein sollte.
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