Verschiedene Stimmen zum Protest Professor Fruchts

Aus einem Interview, das der Journalist Craig R. Whitney am 25.06.1991 mit Professor Frucht führte, konnte ich folgende Zitate entnehmen: Professor Frucht: "In den 60er Jahren kam es zu einer gefährlichen Eskalation der Konfrontation, mir war bewußt, daß es eine höchst gefährliche Situation war. Ich wußte, wenn es zum Krieg in Deutschland gekommen wäre, wäre die DDR bereit gewesen, Gas-Waffen einzusetzen." Craig Whitney kommentierte dies mit den Worten: "Er wollte etwas tun, nehme ich an, um diese Gefahr zu beseitigen."
Professor Frucht: "I was always a round peg in a square hole" (Deutsch: "Ich war immer ein runder Stöpsel in einem viereckigen Loch") - was Mr. Whitney wie folgt kommentiert: "Ein Verwandter von Justus von Liebig und Arvid Harnack, der sich eigentlich nirgends zu Hause fühlte, weder im Deutschen Reich, noch in Amerika, noch in der DDR." (Q72)

Warum der engagierte Wissenschaftler protestierte, läßt sich in einem Satz von Maria Frucht zusammenfassen: "Erhaltung des Kräftegleichgewichtes der Großmächte und Verhinderung eines strategischen Vorteiles, der zum Anreiz für eine aggressive Handlung hätte dienen können." Es gibt noch eine Reihe von anderen Äußerungen:

Helmut Wonschick sagte mir bei meinem Besuch bei ihm in Berlin: [sinnwahrend gekürzt]"Herr Frucht wußte genau, daß er für die DDR sehr wichtig war und er hat das ausgenutzt. Letztlich hat er dann die Quittung dafür bekommen, daß er dachte: Man wird die Gans, die goldene Eier legt, nicht schlachten. In diesem Fall hat sich Professor Frucht selbst überschätzt und leichtsinnig gehandelt. Er hat es offenbar bereut, seine Verwandten im Dritten Reich [Harnack] im Stich gelassen zu haben und um sein schlechtes Gewissen über die Vergangenheit zu beruhigen die Spionage durchgeführt. Es hätte noch eine Reihe anderer Möglichkeiten dafür gegeben - die Spionage war nur ein Weg."
Helmut Wonschick ist mit dieser Meinung nicht allzu weit von der offensichtlichen Sichtweise von Amnsesty International entfernt, das sich (siehe "Die Welt" Nr. 179 vom 5.8.1981) bis zu Professor Fruchts Austausch in die Bundesrepublik 1977 geweigert hatte, sich für ihn zu verwenden - mit der Begründung, er sei kein politischer Gefangener, sondern nicht mehr als ein gewöhnlicher Spion.

Ein bekannter Experte auf dem Gebiet der DDR ist Karl-Wilhelm Fricke, der viele Bücher über Strukturen und Hintergründe des Regimes und seiner Apparate geschrieben hat. Als ich ihn in Köln besuchte, überreichte er mir einen Auszug aus einem Referat über die "Dimensionen von Opposition und Widerstand in der DDR" vom 12. Juni 1997, welches sich mit der Frage beschäftigt, ob Spionage für westliche Geheimdienste generell als Widerstand gegen die DDR zu verstehen ist. Er versucht zu verdeutlichen, daß dies bei antifaschistischem Widerstand allgemein unumstritten ist, nennt jedoch die Geschichte von Professor Dr. Adolf- Henning Frucht als eines von 2 Gegenbeispielen gegen die allgemeine Übertragbarkeit dieser Meinung auf Widerstandsbewegungen antikommunistischer Art. Er benutzt das selbe Zitat wie ich ("...res publica...") und unterstützt damit noch einmal, daß es bei Herrn Fruchts Protest nicht darum ging, gegen das Regime, als vielmehr für den Frieden zu handeln. (Q73)

Dr. Wolfgang Vogel schrieb mir: "Ich muß sagen, daß Professor Frucht für mich ein Humanist war, den ich gerne verteidigt habe. Ich sah ihn als Opfer des Kalten Krieges. Wie eine "goldene Gans" (Anm.17) konnte er sich nicht verhalten. Angst vor der Macht hatte auch er!" (Q74)

Dr. Ulrich Frucht schrieb mir in seinem Brief vom 23.10.98 auf die Frage, ob er das Tun seines Vaters als Protest bezeichnen würde: "Natürlich war es ein Protest, den jedem DDR-Bürger war durch die unablässige Berieselung mit den momenetan gültigen Meinungen immer bewußt, wenn er etwas saagte oder tat, daß er damit nicht diesem staatlich vorgegebenen Meinungsmuster entsprach.
Den Begriff "Protest" möchte ich jedoch auch nicht zu hoch hängen. Protest war alles, was nicht konform war und als Bürger der DDR hatte man ein äußerst feines Gefühl für die kleinen, eben noch tolerierbaren Abweichungen von der staatlich vorgedachten und uns ständig in Worthülsen präsentierten Parteimeinung. Protest zu dieser Zeit war also nicht nur ein konspirativ vorgetragener Widerstand, sondern es konnte auch eine falsch herum aufgeklebte Ulbricht-Briefmarke sein."

Helga und Dieter Bräuer, langjährige Mitarbeiter von Professor Frucht im Institut beantworteten meine Frage danach, ob es sich um Protest gehandelt habe folgendermaßen: "Zu den Motiven seines Handelns ist in der Spiegel-Serie und im Buch von Freeman ["Der kälteste Krieg"] ausführlich und zutreffend berichtet worden. Die Bemühungen und Handlungen Prof. Fruchts sind durch seine Sicht der Verantwortung als Wissenschaftler (und Wissender über bestimmte Konsquenzen der Forschungstätigkeit) bestimmt. Als Protest würden wir sie so nicht sehen - allenfalls in einem weiten Sinn des Begriffes. Als Protesthandlung im engeren Sinn sehe ich beispielsweise seine Festrede zum 1.Mai 1967 im damaligen Deutschen Zentralinstitut für Arbeitsmedizin, wofür er turnusmäßig zuständig war, und die gänzlich anders geartet war, als die sonst üblichen und gewünschten Festreden..." (Q75)

Ein Ansprechpartner, der sich sehr viel Mühe bei der Mithilfe gegeben hat, ist Rudolf Lohse, der mir einen sehr schönen Vergleich lieferte. Herr Lohse war ein Mitgefangener in Bautzen II, der sich einige Male mit Professor Frucht über die Vergangenheit unterhalten hat. Er vergleicht sein Tun mit dem des deutschen Atomspions Klaus Fuchs, der damals vor 1945 an der Entwicklung der ersten amerikanischen Atombombe mitgearbeitet hat. (Q76)
"Fuchs hat damals das Atombombengeheimnis an den KGB Rußland verraten. Fuchs wollte die Gleichschaltung der beiden Großmächte USA-Rußland erreichen. Und Frucht wollte ebenfalls die andere politische Seite davon informieren, welche gefährlichen Nervengift- Kampfstoffe in der ehemaligen DDR produziert werden, obwohl dies nach den Genfer Konventionen verboten war. Frucht wußte, welche Folgen diese Kampfstoffe für die westliche Seite, z. B. für das US-amerikanische Radar-Vorwarnsystem haben könnte. Diesen Protest hat Frucht ganz alleine unternommen. Die westlichen Partner haben nicht genügend auf seinen Protest reagiert, und doch letztendlich sind sie aufmerksam geworden. Frucht hatte nicht, wie der Atomspion Klaus Fuchs, auf der anderen Seite feste Bezugspartner, Verbindungsoffiziere im kalten Krieg, usw. gehabt. Er hat versucht, welche zu finden, die ihm zuhören und seine Erkenntnisse erst nehmen. (...) Ich nehme an, Frucht hat sein Vergehen keinesfalls als Spionage aufgefaßt, sondern nur als friedenserhaltenden Protest. Er war, so war aus unseren Gesprächen in den Freistunden in Bautzen II zu hören, unschuldig." (Q77) (Anm.18)

Ein weiterer Zellengenosse aus Bautzen, Alfred Albrecht, schreibt folgendes über den Ablauf der Aktion:
"Henning Frucht hat uns allen das Leben erhalten. Wenn die Sowjets in Besitz dieses kälteresistenten Nervengases gelangt wären, wäre die amerikanische Raketenabwehr zusammengeklappt. (...) [sinngememäß.: Er rechnete mit der Entdeckung seiner Tätigkeit] Auch mit der Todesstrafe rechnete er. Seine Beförderung zum General der VA und das anschließende Todesurteil durch ein Erschießungskommando wegen Militärspionage angedroht, war ihm gegenwärtig. Seine Begnadigung zu lebenslänglich betrachtete er als zeitweiligen Aufschub der Todesstrafe, nie anders. (...) Henning Frucht hat die Gefahr und das Schicksal aus seiner Familie im Kopf gehabt, als er diesen Schritt gewagt hat. (...) Wahrscheinlich hat er noch nicht einmal seiner Ehefrau etwas anvertraut." (Q78)

Dr. Hans Günter Brauch, AG Friedensforschung und Europäische Sicherheitspolitik:
"Seine Motive waren die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft, Verantwortung für unser Land und der Wille Gefahren zu vermeiden, die mit einem befürchteten Angriff auf West-Berlin verbunden gewesen wären. Es ist schwierig zu sagen, ob man seine Spionage als Protest auffassen kann, aber er warnte uneingeschränkt vor den Gefahren eines C- Waffenkrieges." (Q79) (Anm.19) In einem Telefongespräch vom 17.11.98 sagte er: "Für Frucht war das Wissenschaftsverständnis der Harnacks enorm wichtig. In seinem Fall handelte es sich um einen "Protest gegen das Wegsehen".

Herr Dr. Peter Rausch, sagte mir im Gespräch in Munster:
"Daß es ein Protest war, das ist auf jeden Fall klar. Etwas anderes zu behaupten wäre absurd." Und später: "Ich habe Respekt vor der couragierten Art, wie Professor Frucht den Protest durchführte."

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