Ergebnisse des Protests

"War der Protest sinnvoll oder nicht"- die wohl entscheidendste, interessanteste und schwierigste Frage zugleich - die Antwort wird dementsprechend differenziert ausfallen müssen.

Beurteilung des Protests unter militärischen Gesichtspunkten

Die Ergebnisse des Protests auf militärischer Basis sind sehr schwer zu beurteilen, ich kann mich hierbei nur auf Spekulationen einlassen, da ich, um präzise berichten zu können, offizielle Äußerungen des amerikanischen Verteidigungsministeriums zu den Konsequenzen der
Durch Professor Frucht ausgelöst: Die Konstruktion neuer Gasmasken

Aussagen Professor Fruchts für das Verhalten Amerikas im Kalten Krieg bräuchte. Hier habe ich mich zwar bemüht, offizielle Aussagen zu bekommen, erhielt aber nicht einmal eine Bestätigung, daß meine Schreiben bei den dazu befragten Stellen eingegangen sind, ganz davon zu schweigen, daß sich irgend jemand die Mühe gemacht hätte, mir meine Fragen zu beantworten! Auch das Buch, "Der Kälteste Krieg", in dem über die Folgen des Protests aus militärischer Sicht spekuliert wird, wurde im Auftrag der Amerikanischen Regierung vom BND aufgekauft. (Q55) (ich schließe daraus, daß an einer Aufarbeitung des Themas bei den Amerikanern kein Interesse besteht!) Ich werde mich deshalb auf die Angaben stützen, die die Autoren von "Der Kälteste Krieg" in ihrem Anhang veröffentlicht haben. Es sind hier große Anstrengungen auf eine möglichst präzise und detailhaftige Recherche verwendet worden. Als Hauptpunkt unter dem Thema Ergebnisse sind natürlich die Informationen im Einzelnen zu benennen, die die Amerikaner von Professor Frucht bekamen. Wie dann letztlich im einzelnen darauf reagiert wurde, entzieht sich in Details nach wie vor meiner Kenntnis, weil es sich hierbei um Informationen handelt, die heute noch strenger Geheimhaltung unterliegen. Laut "Der Kälteste Krieg" gab Professor Frucht folgende wichtige Informationen an den amerikanischen Geheimdienst weiter:

* Die Codebezeichnungen der russischen chemischen Kampfstoffe, die eine Entschlüsselung der Dokumente erlaubten, die in Amerika in codierter Form vorlagen. Dadurch war es den Amerikanern möglich, wenn sie in Besitz eines konkreten Einsatzplanes für einen chemischen Kampfstoff kamen, Maßnahmen einzuleiten, um sich und die Bevölkerung auf den genannten Kampfstoff konkret vorzubereiten und zu schützen.
* Die Formel des "Kältekampfstoffes" (auf ihn und seine Bedeutung werde ich noch zurückkommen). Die Amerikaner reagierten mit einer neuen Absicherung der Radarfrühwarnstation in Alaska gegen Angriffe konventioneller oder chemischer Art.
* Anregungen und wissenschaftliche Entwürfe, die die Konstruktion neuer Gasmasken unterstützten und vorbereiteten.
* Die Bauanleitung des von Professor Fruchts Kollegen Dr. Kössler entwickelten "Biolumineszenztestgerätes", zur Messung der Toxizität von Atemgiften. Anhand von Professor Fruchts Informationen wurde nur zwei Wochen nach ihrer Übergabe in Amerika ein Patent für das neue Gerät beantragt, das den Wortlaut der Formulierungen aus Professor Fruchts Brief an den CIA fast wörtlich wiedergibt. Heute wird dieses Verfahren immer noch standardmäßig eingesetzt, das sogenannte "Luziferasesystem" stellt inzwischen eine DIN-Norm bei der Beurteilung der Toxizität chemischer Gifte dar!
* Austausch von Grundsubstanzen für die Herstellung von Penicillin, bzw. einem Polioimpfstoff zwischen DDR und Bundesrepublik. Dieser frühe, verbotene wissenschaftliche Informationsaustausch rettete sicherlich vielen Menschen im Osten das Leben und bewahrte im Westen viele vor den Folgen der Kinderlähmung!
Dies sind die militärischen, beziehungsweise politischen oder humanitären Ergebnisse, die aus der Zusammenarbeit Professor Fruchts mit dem amerikanischen Geheimdienst resultierten.

Beurteilung des Protests unter persönlichen Gesichtspunkten

Wie wir wissen, hatte Professor Fruchts mutiges Einschreiten für ihn selbst und seine Familie persönlich weitreichende Folgen sehr unangenehmer Art. Schon vor der eigentlichen Festnahme wurde sein beruflicher Status im Institut und in der DDR systematisch zerstört. Die Zuständigkeiten wurden auf andere Personen verteilt und ihm wurde zu verstehen gegeben,
Ein Bild - Zwei Versionen
daß die Art und Weise, wie er von seinen Freiheiten als Wissenschaftler Gebrauch machte, nicht erwünscht war (um es einmal vorsichtig auszudrücken) (Q56). Professor Frucht wurde, je näher seine Verhaftung rückte, sowie auch hinterher zur "Unperson" (Q57) gemacht. Das heißt, daß die Person Adolf-Henning Frucht systematisch ausgemerzt wurde. Dies geschah in Akten und Dokumenten, wie auch in versuchter Form mit seiner Person selbst. Es existieren zum Beispiel zwei gleiche Bilder, die auf einer Aufführung mit einem Ärzteorchester gemacht wurden (A.- H. Frucht spielte Querflöte). Wie gesagt, die Bilder gleichen sich völlig, nur daß auf dem nach der Verhaftung des Wissenschaftlers veröffentlichten Foto "die Person Professor Frucht" aus dem Originalbild herausretuschiert wurde. (klicken Sie auf eines der Bilder rechts, um sie vergrößert vergleichen zu können) Professor Frucht gab kurz vor 1966 noch Interviews zu wissenschaftlichen Themen in Diskussionsrunden für das Fernsehen. Jedoch tauchte er in keinem der Filme später auf, obwohl seine Beiträge stets von Sachverständigen sehr gelobt worden waren. Auf Nachfrage seinerseits, warum dies geschehen sei, bekam er nur zur Antwort, es gebe höhere Kräfte, die mit entsprechenden Wünschen diese Maßnahmen herbeigeführt hätten. (Q58) Als ich versuchte, in der Bibliothek der Berliner Humbold-Universität eine von Professor Fruchts vielen Veröffentlichungen zu bekommen, konnte ich nichts finden, obwohl er nicht unbedeutende Schriften verfaßt hatte. Im Verzeichnis dieser Bibliothek kann man zwar Hinweise auf jede noch so unbedeutende Doktorarbeit finden, der Name "Adolf Henning Frucht" existiert aber nicht (mehr)! Dies sollen nur einige Beispiele dafür sein, wie versucht wurde, die Existenz des ehemals geschätzten Wissenschaftlers in der Öffentlichkeit auszulöschen.

Für die Person Professor Fruchts hatte seine Verurteilung zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe und die darauffolgenden zehn Jahre Haft die größten Folgen. Nach guter "StaSi-Tradition" versuchte man zunächst, sein familiäres Umfeld und seine Psyche zu zerstören, um ihn gefügig zu machen. Als dies nicht half, ging man zur noch radikaleren Methode über, indem man ihn körperlicher Folter aussetzte, denn anders kann man die Zustände damals im Zuchthaus Bautzen II nicht beschreiben. Das alte Gefängnisgebäude aus der Jahrhundertwende wurde vom Ministerium des Inneren übernommen, wobei die StaSi stets anwesend und allgegenwärtig war. Die Zellen und waren winzig und schlecht ventilliert. Der pausenlose Aufenthalt in der Zelle, die mangelhafte Ernährung und die sehr schlechte medizinische Versorgung führten bei dem Häftling zu einer Magenperforation und asthmatischen Anfällen. In Sonderfällen (wenn der Gefangene seine Zelle nicht ordentlich hielt) konnte auch die "verschärfte Einzelhaft" angewendet werden. Dies bedeutete die Einschließung in einer dunklen Zelle, die durch Gitterstäbe in zwei Hälften geteilt wurde. Durch sie sollte der Häftling von seiner Nahrung und von der Toilette (falls man es so nennen kann) getrennt werden. Wollte er dorthin gelangen, mußte er sich in der Dunkelheit dorthin vortasten. Nicht selten kam es zu Verletzungen, wenn wieder einmal einer der Bewacher den Weg zwischen den beiden Zellenhälften mit Gegenständen verlegt hatte. Die Tagesration an Nahrung bestand aus ganzen 400 Gramm Brot, wobei das Rationieren streng verboten war. Das Bett (die Pritsche) war nur wenige Zentimeter über dem Boden angebracht, in dem Lüftungslöcher angebracht waren. Das Fenster am anderen Ende der Zelle ließ sich nicht verschließen, so daß der Gefangene die ganze Zeit im kalten Zug lag. Dazu kamen die üblichen Schikanen, wie das kurze Anknipsen des Lichtes in der Nacht, um dem Häftling den Schlaf zu nehmen. Gesetzlich erlaubt waren höchstens drei mal 21 Tage einer derartigen "verschärften Einzelhaft", sofern zwischen den einzelnen Arrestperioden einige Tage normaler Haft lagen und der Arzt die Arrestfähigkeit bescheinigte. Professor Frucht hatte damals 72 Tage am Stück im Arrest verbracht, ohne einen Arzt gesehen zu haben. (Q59) Die gesundheitlichen Folgen, zumal er bereits stark unter seinen Magenbeschwerden litt, waren denkbar schlimm. Ich unterstelle an der Stelle, daß man hier versucht hatte ihn umzubringen, doch half ihm seine seelische Stärke wieder gegen den körperlichen und geistigen Verfall. Als Physiologe wußte er einiges über die Kunst, mit wenig Nahrung und Nährstoffen richtig zu leben und auch psychisch nicht zusammenzubrechen. Sehr geholfen hat ihm dabei immer, daß er stets wußte, wofür er ins Gefängnis gekommen war und er sich sicher sein konnte, daß es für eine gute Sache gewesen war. (Q60) Seine Hoffnung brachte er immer auch in seinen Briefen an seine Frau und seine Familie zum Ausdruck, die er einmal im Monat schreiben durfte. Als ihn seine damals neunjährige Tochter Uta aufgrund der von der StaSi gesäten Lügen einmal kritisiert hatte, weil er sich strafbar gemacht hatte, schrieb er ihr folgende Geschichte aus dem Gefängnis:
"Es waren einmal ein Bruder und eine Schwester, die lebten in einem sehr strengen Waisenhaus. Es war ihnen erlaubt, in der Nähe in den Wäldern spazierenzugehen, aber sie durften nicht im Fluß schwimmen. Als sie eines Tages am Wasser spazierengingen, sahen sie ein kleines Kind, das von der Strömung weggerissen wurde und um sein Leben kämpfte. Ohne erst lange nachzudenken, sprang der Waisenjunge in den Fluß, schwamm hinüber zu dem ertrinkenden Kind und brachte es ans sichere Ufer. Durchnäßt bis auf die Haut, kehrte er mit seiner Schwester in das Waisenhaus zurück. Dort wurde er gescholten und in sein Zimmer eingesperrt. "Es war dumm von dir, das zu tun", sagte seine Schwester später. "Du mußtest ja nicht ins Wasser springen." Ihr Bruder wurde sehr traurig. "Meine Bestrafung ist nicht wichtig", sagte er. "Aber wenn du, meine Schwester, glaubst, daß es dumm war, jemandem das Leben zu retten, dann ist mir zum Heulen zumute". (Q61)

Was Professor Frucht in diesem Brief beschreibt, war sein Lebenselixier, das ihn vor dem geistigen Verfall während der Haftperiode bewahrte: Es war die Gewißheit, alles für eine gute Sache erleiden zu müssen und mit seinem Tun einen entscheidenden Schritt für den Frieden getan zu haben.

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