Kapitel 34: Neurogenetik

34.3.1.2 Die Flügelimaginalscheibe als Modellsystem der proneuralen Genexpression

Zahlreiche Arbeiten an den proneuralen Genen wurden an der Flügelimaginalscheibe und im peripheren Nervensystem von Drosophila durchgeführt. Diese Gewebe eigenen sich geradezu ideal für das Studium einzelner Neurone, bzw. Sinnesnervenzellen und ihrer assoziierten Strukturen, weil die von der Imaginalscheibe gebildeten Flügel und Teile des Thorax zahlreiche Sinnesorgane in Form von langen Borsten (Macrochaeten) und kleineren Sinneshaaren (Microchaeten) in streng stereotypen Positionen tragen. Außer den äußeren Sinnesorganen finden sich bei Insekten noch interne Propriorezeptoren, sogenannte Chordotonalorgane, die funktionell den Streckrezeptoren der Vertebraten entsprechen.

Diese Sinnesorgane werden jeweils aus nur vier Zellen aufgebaut, die durch eine festgelegte Serie von zwei Zellteilungen aus einer Vorläuferzelle entstehen (Abb. 34-9). Die Mutterzelle wird aus einem Cluster äquipotenter, kompetenter Zellen durch laterale Inhibition rekrutiert (Abb. 34-9B), ganz nach dem Muster der im folgenden diskutierten Rekrutierung der Neuroblasten aus der neurogenen Region. Die Entscheidung darüber, ob eine Borstenorgan- oder eine Chordotonalorganmutterzelle entsteht, wird durch die Expression des cut-Gens geregelt. Fehlende Expression führt zur Transdetermination von externen Sinnesorganen zu Chordotonalorganen. Die äußeren Sinnesorgane entstehen auf die gleiche Weise wie die neuralen Strukturen des ZNS: Zunächst werden proneurale Gene von einzelnen Zellgruppen exprimiert, die dadurch neurale Kompetenz bekommen. Danach werden einzelne Zellen von neurogenen Genen als Vorläufer der Neurone bzw. Sinnesorganvorläufer ausgesondert (durch den Effekt lateraler Inhibition), und schließlich exprimieren diese Zellen einen Satz von neuralen "precursor"-Genen, die vermutlich bei der Differenzierung eine Rolle spielen. Mutationen in proneuralen und in neurogenen Genen führen daher zu leicht erkennbaren Unterschieden in der Dichte und Verteilung dieser Sinnesorgane.

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