Zwangsarbeit - Lager vor Ort -
Interview mit Bauer Karl Hintermeier

(wohnhaft in der Bauernstraße Gersthofen, Interview vom 22.4.01

Wissen Sie etwas über die Zwangsarbeiterlager bei den Chemiefirmen IG Farben und Transehe?

Da wurde viel gemunkelt, aber sehr viel Information drang nicht durch. Wir wussten, dass dort Zwangsarbeiter interniert gewesen sind. Es hat uns junge Leute schon gewundert, dass so viele Angriffe auf Gersthofen und Augsburg geflogen worden sind, aber die Lechchemie wurde immer verschont. Das fanden wir schon erstaunlich, viele Angriffe wurden ja auch untertags geflogen.

Den Kriegsalltag bekamen wir Schulkinder sehr bewusst mit. Ich ging zu dieser Zeit in die Pestalozzischule, aber immer wenn Kriegsgefangene neu ankamen, wurden die Klassen ausgesiedelt, dann hatten wir Unterricht in der Gaststätte bei Hillenbrand in der Bauernstraße oder in der Brauerei Strasser.
Die Kriegsgefangenen wurden bewacht und waren im 1. Stock der Brauerei Strasser und in der Gaststätte Hillenbrand untergebracht. Auch die Maschinenfabrik Lindermeyer hatte Kriegsgefangene, wie die Lechchemie und die Lechwerke. Zur Erntezeit, wenn die Kräfte nicht ausreichten, denn fast alle Baueren waren ja zum Kriegsdienst eingezogen, mussten auch die Kriegsgefangenen mit aushelfen. Viele Bauern hatten in den Jahren 1940 bis 1945 einen landwirtschaftlichen Zwangsarbeiter. Manche waren Kriegsgefangene, die in unregelmässigen Abständen von der Wehrmacht oder Polizei kontrolliert wurden.

Die stellten dann die ganze Kammer auf den Kopf. Wir hatten als letzten landwirtschaftlichen Arbeiter auf dem Hof einen Russen, Gregor hiess der, ein Riese von Mann, sehr sensibel. Als die Russenposten kamen um seine Kammer zu kontrollieren, fanden sie bei ihm einen langen Dolch. Die Russenposten machten meiner Familie Vorwürfe und wollten Gregor mitnehmen. Meine Mutter setzte sich für ihn ein, sodaß Gregor nach ein paar Tagen wieder bei uns auf dem Hof arbeiten konnte. Aber wir mußten eine ganze Anzahl von Schriftstücken unterschreiben, dass wir auf eigene Verantwortung ihn wieder aufgenommen haben.

Bei einem Luftangriff flüchtete Gregor in den Keller, als ein Geschoß bei uns auf dem Hof einschlug. Wir mussten ihn gemeinsam aus dem Keller herausschaufeln, mit ihm war der halbe Gerätepark mit in den Keller gestürzt.
Nach dem Krieg wohnte Gregor noch ca 8 Wochen bei uns, was zeigt, dass wir ein gutes Verhältnis zu ihm hatten. Manchmal half er bei der Arbeit, obwohl er nach der Befreiung eigentlich keine Veranlassung dafür mehr gehabt hätte. Mit seinen russischen Kameraden trank er sehr viel, bis eines Tages die Polizei uns meldete, dass er in Oberhausen tot aufgefunden worden sei. Er hat sich buchstäblich zu Tode getrunken. Ein junger Bursche mit 25 Jahren.

Der erste Kriegsgefangene hier bei uns auf dem Hof war ein Engländer. Er war von Beruf Pilot und verstand halt buchstäblich gar nichts von der Landwirtschaft. Wir zeigten ihm halt, was er zu tun hatte, aber vielseitig verwendbar war er wirklich nicht.
Eines Tages schickten wir ihn mit der Sense zum Futtermachen für die Pferde. Mit dem Fahrrad zog er los, die Sense auf dem Buckel. Nach einer Stunde noch immer kein Engländer zurück. Als er dann um 10 Uhr immer noch nicht da war, verständigten wir die Polizei. Was bekamen wir Vorwürfe zu hören, wir hätten nicht genügend auf ihn aufgepaßt!
Kurzum, nach einer Woche wurde der Engländer in der Nähe des Bodensees aufgegriffen, mit Fahrrad und die Sense auf dem Buckel. Eine gute Tarnung. Wir wissen aber nicht, was mit ihm geschah. Sicherlich wurde er sehr hart bestraft.
Die Wächter waren wirklich zum Teil sehr hart zu den Gefangenen. Nebenan im Tanzsaal der Gaststätte Hillenbrand waren einmal an die 40 bis 50 ganz blutjunge Russen untergebracht. Sie wurden wie immer bewacht durch Wehrmachtangehörige, ältere Soldaten, die wahrscheinlich nicht mehr an der Front eingesetzt wurden. Das Brot für die Russen , Kastenbrot, war bei uns im Keller untergebracht. Ein junger Russe wurde von einem Wächter erwischt, als er bei uns Brot klaute. Fragen Sie nicht, wie der behandelt wurde. Es gab einen Riesenaufstand. Es hängte immer von den Wachmannschaften ab, wie die Zwangsarbeiter oder die Gefangenen behandelt wurden.

Einmal hatten wir auch einen Russen bei uns wohnen. Der war spindeldürr und rauchte fast ununterbrochen. Papier, Stroh, alles was brannte. Der konnte vielleicht essen, so etwas habe ich in meinem Leben nicht mehr gesehen. Trotzdem war er spindeldürr.
Ein anderes Mal hatten wir auf dem Hof einen Franzosen. Es gab eine große Fluktuation mit den Zwangsarbeitern. Nach welchen Kriterien die Arbeiter kamen bzw. wieder abgezogen wurden, kann ich nicht erklären. Jedenfalls war dieser Franzose ein hervorragender Arbeiter, ungemein fleißig und überall beiliebt. Das trifft fast auf alle Franzosen am Ort zu. Die hatten alle einen unheimlichen Charme. Als er wieder fort mußte, war das Bedauern besonders bei den Frauen unheimlich groß.

Auch unsere Nachbarn hatten immer wieder Wechsel bei den Zwangsarbeitern. Einmal ein Franzose, das andere Mal ein Ukrainer, dann war es eine ganze Familie, Vater, Mutter, Tochter. Die Tochter war 22 Jahre alt, bildhübsch und sehr gebildet. Sie sprach mehrere Sprachen. Natürlich durfte man sich ihr nicht nähern, darauf standen schwerste Strafen.

Ich kann mich auch erinnern, dass unten bei Thosti eine bewachte Siedlung war. Dort wohnten Russinnen in einer ziemlich langen Baracke. Die sangen so wunderschöne Choräle, daran erinnere ich mich noch. Jedenfalls sah man die nie in der Stadt, sie waren interniert. Wahrscheinlich arbeiteten sie gleich unten bei Thosti im Lager oder wurden jeden Morgen an ihre jeweilige Arbeitsstelle gebracht. So war es jedenfalls bei den Kriegsgefangenen. Die wurden jeden Morgen im Dorf auf die einzelnen Arbeitsstellen verteilt. Der Spanner Hans z.B. an der Ecke Donauwörtherstr./Bauernstraße hatte zwei Polen in seiner Holz- und Kohlenhandlung.

Die Polen waren im übrigen auch die einzigen, vor denen man sich im Ort nach der Besetzung durch die Amerikaner fürchtete. Sie zogen randalierend durch den Ort und zerrten die Frauen und Männer von den Fahrrädern.
Ansonsten ist mir nicht bekannt, dass die Zwangsarbeiter bzw. Fremdarbeiter schlecht behandelt worden sind. Über die Lager bei der Lechchemie und bei Transehe kann ich weniger sagen.

In den Höfen waren während der Kriegszeit aber nicht nur Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, sondern auch die Offiziere einquartiert. Bei uns auf dem Hof wohnten schon seit 1942 an Offiziere, die zur Luftabwehr gehörten. Auch diese wurden in unregelmässigen Abständen von höheren Offizieren kontrolliert, ob sie Bett und Zimmer sauber hielten etc. Noch kurz vor Kriegsende wurden Zugmaschinen von der Wehrmacht ebenso wie Pferde und Wägen requiriert.
Von den Zwangsarbeitern sind diejenigen, die hier blieben, an der Friedhofsmauer beerdingt worden. Die Gräber wurden aber vor einigen Jahren entfernt.
Parteimitglieder kamen auf die Bauernhöfe bzw. wurden die Bauern, die Zwangsarbeiter beschäftigten, von der Partei darauf hingewiesen, dass deutsche Kriegsgefangene in Russland schlecht behandelt würden, deshalb solle man die Ostarbeiter nicht zu gut behandeln.


Karl Hintermeier


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