PISA 2009
Bilanz nach einem Jahrzehnt
Im Dezember 2010 erschien das Buch mit dem obigen Titel (Waxmann Verlag 2010), in dem ein Autorenteam um Eckhard Klieme die Ergebnisse von 2009 auswertet und sie in eine Perspektive zu den Studien seit 2000 setzt. Der diesmalige Untersuchungsschwerpunkt ist wieder die Lesekompetenz, darum ist auch ein Kapitel über den Deutschunterricht ("Rahmenbedingung" des Kompetenzerwerbs) zu finden. Hier eine Zusammenstellung dessen, was mir (K.D.) wesentlich scheint:
Ergebnisse im Bereich Lesekompetenz:
- Deutschland liegt mit 497 Punkten knapp über dem OECD-Durchschnitt (493) und hat duchschnittlich abgeschlossen. Im Bereich der schwachen und sehr schwachen Leser („Risikoschüler“) sind Fortschritte zu verzeichnen.
- Die Zahl der SchülerInnen, deren Leseleistung unter Stufe II liegt, ist von 23% auf 18% zurückgegangen.
- Nach Geschlechtern getrennt liegen 13% der Mädchen und 24% der Jungen unter Kompetenzstufe II. Das bedeutet: Fast ein Viertel der Jungen ist nicht in der Lage, „innerhalb eines Textabschnitts logischen und linguistischen Verknüpfungen zu folgen, mit dem Ziel, Informationen im Text zu lokalisieren oder zu interpretieren; im Text oder über Textabschnitte verteilte Informationen aufeinander beziehen, um die Absicht des Autors zu erschließen ...“. Spiegelbildlich zum unteren Kompetenzbereich sind Mädchen im Bereich der beiden höchsten Kompetenzstufen deutlich überrepräsentiert (11% vs. 4,4%).
- Bei Schülern mit Migrationshintergrund liegt der Prozentsatz der schwachen und sehr schwachen Leser in der 1. Generation bei 33% und in der 2. Generation bei 29 %. Damit liegt Deutschland im OECD-Durchschnitt.
- Prädikatoren für schwache Leseleistungen: Fernsehkonsum und Computerspiele („Henne-Ei-Problematik“).
- Der Lese-Vorgang basiert auf einer Reihe von hierarchisch organisierten Teilprozessen. Von besonderer Bedeutung für den Unterschied zwischen guten und schwachen Lesern „scheinen ... die nah am Leseprozess liegenden Faktoren wie Worterkennung und inhaltliches Vorwissen zu sein. Weiterhin liegen Hinweise darauf vor, dass Unterschiede in metakognitiven und motivationalen Faktoren eine Rolle spielen.“ (S. 51) Motivationale Faktoren sind Lesefreude, Lesevielfalt und Online-Lesen (S. 75 ff), unter metakognitiven Faktoren werden Lernstrategien, deren habituelle Anwendung und das Lernstrategie-Wissen verstanden (S. 78ff, siehe auch die Bilanz S. 109-11).
- Gut zu wissen, aber kein Ruhekissen: Im gymnasialen Bildungsgang erreichen fast alle Jugendlichen mindestens die Kompetenzstufe II: 99,5%. (S. 50)
Umgebungsbedingungen, insbesondere der Deutschunterricht
Ein Schwerpunkt der Fragebögen 2009 lag auf den „Rahmenbedingungen und Lerngelegenheiten für den Erwerb von Lesekompetenzen“. Hierzu gehören die „distalen“ Merkmale wie Schulausstattung, Qualitätssicherung, Schulklima und Förderungsmaßnahmen; dazu gehören auch die „proximalen, unterrichtsnahen Merkmale“: die zeitlichen und personellen Gegebenheiten des Unterrichts in der Landessprache, Lernzeit und Klassengröße, ebenso die Klassenführung und kognitive Aktivierung im Deutschunterricht (S. 114).
-
Einige Befunde - zunächst „distal“:
- Die Schulleitungen an deutschen Schulen sehen den Unterricht weniger durch Mangel an qualifizierten Lehrpersonen beeinträchtigt als ihre KollegInnen im Durchschnitt der OECD-Staaten (S. 119).
- Die Einschätzungen zu den materiellen Ressourcen (Ausstattung mit Büchern, Medien etc.) liegen im Durchschnitt.
- Bei der Verwendung der Ressourcen sehen die deutschen Schulleitungen einen geringeren Spielraum als ihre internationalen KollegInnen.
- Die Entscheidungsspielräume bei der Gestaltung des Curriculums sind vor allem im Gymnasium „gering ausgeprägt und liegen unterhalb jener an Hauptschulen, Integrierten Gesamtschulen und Realschulen“ (S. 121)
- Schulklima: Deutsche Schulleitungen nehmen geringere Beeinträchtigungen des Schulklimas durch das Verhalten von Schülern wahr als im Durchschnitt der OECD-Staaten. „Besonders hervorzuheben sind die positiven Veränderungen im Schulklima zwischen PISA 2000 und PISA 2009, erfasst über die Lehrer-Schüler-Beziehung aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler.“ (S. 144)
Unterricht in der Landessprache / Deutschunterricht:
- Lernzeit und Klassengröße: Die wöchentliche Unterrichtszeit im Fach Deutsch (184 Minuten) liegt unterhalb des OECD-Durchschnitts (217 Minuten), die mittlere Klassengröße (M = 24,6) unterscheidet sich nicht vom OECD-Durchschnitt. (S. 128f)
- Klassenführung: Die Fünfzehnjährigen (in Deutschland) erleben ihren Unterricht in der Landessprache "als relativ störungsfrei ... aber weniger kognitiv anregend“ (S. 131). Hier haben sich aber "günstige Veränderungen von PISA 2000 zu PISA 2009 ergeben“ (S. 132)
- Lese-Erziehung: 37,8 % der Lehrpersonen an Gymnasien geben an, drei oder mehr Bücher im Deutschunterricht (Klasse 9) zu lesen, an Integrierten Gesamtschulen sind es 18,7 %, an Realschulen 11,3 % und an Hauptschulen 5,8 %.
- Textsorten: An Hauptschulen werden häufiger als an den anderen Schularten diskontinuierliche Texte bearbeitet, wohingegen an Gymnasien der Schwerpunkt auf literarischen Texten liegt. Bei der Nutzung von Sachtexten zeigt sich kein Unterschied zwischen den Schularten (S. 138)
- Unterrichtsqualität: „Während Lehrkräfte aller Schularten sich als relativ stark unterstützend beschreiben, urteilen die Schülerinnen und Schüler zurückhaltender, insbesondere in Gymnasien. Dass in den Gymnasien zudem eine individuelle, am Lernfortschritt orientierte Bezugsnorm nach übereinstimmender Auskunft von Lehrenden und Lernenden seltener herangezogen wird als in anderen Schularten, und dass Lehrkräfte im Deutschunterricht des Gymnasiums ... weniger Differenzierungsmaßnahmen einsetzen, verstärkt den Eindruck, dass Unterstützung und individuelle Förderung hier weniger gepflegt werden.“ (S.143)
- Bei den Angeboten zur sprachlichen Förderung von Schülern mit anderer Herkunftssprache bleibt Deutschland hinter den anderen OECD-Staaten zurück: Im OECD-Durchschnitt ist die Zahl der Fünfzehnjährigen mit Migrationshintergrund, denen zusätzlicher Förderunterricht in der Landessprache angeboten wird, doppelt so hoch. (S. 144)
Quelle: E. Klieme et.al. (Hrsg.): PISA 2009
Bilanz nach einem Jahrzehnt.
Waxmann 2010 S. 23 - 149
Ohne ein bisschen Werbung geht es nicht. Ich bitte um Nachsicht, falls diese nicht immer ganz themengerecht sein sollte.