Ein Museum des Wissens – ein Museum der Emotionen und der spielerischen
Entdeckung Die aktuelle Entwicklung von Museografie und Szenografie geht
in Richtung neuer Konzepte für die Präsentation und Vermittlung
historischer Inhalte und Themen, bei denen der Besucher auf kognitiver,
sensorieller, emotionaler und spielerischer Ebene angesprochen werden
soll.
Die Stärke des museografisch-szenografischen Konzepts
des Historischen Museums Straßburg liegt in dem Bestreben,
zeitgenössische Medien und Technologien auf optimale Weise
zur Präsentation von Themen und Werken einzusetzen.
Das Ausstellungsdesign des neuen Museumsabschnitts präsentiert
sich daher wie eine theatrale Inszenierung der Stadtgeschichte.
Dabei veranschaulicht es eine besonders bewegte, von zahlreichen
Umwälzungen geprägte Zeit: Vier Machtwechsel in 149
Jahren, aber auch eine erstaunliche Beständigkeit und
ein aus diesen besonderen Umständen hervorgehendes einzigartiges
Kulturamalgam.
Dieser Leitgedanke – das Design der Ausstellung als
Ausdruck und Spiegel seiner Thematik – entfaltet sich
auf allen Ebenen: bei der Präsentation der großformatigen,
raumgreifenden Werke und der kleineren Exponate in Wand- und
Haubenvitrinen, in den audiovisuellen Animationen und den kostenlosen
Audioguides, in den interaktiven Spielen sowie in dem, was
wir „Zauberkästen“ nennen: virtuelle Begegnungen
mit neun Personen, die den Zweiten Weltkrieg auf ganz unterschiedliche
Weise erlebt haben.
Ein spannungsreiches Ausstellungsdesign als Spiegel der Stadtgeschichte.
Ein abwechslungsreicher Rundgang.
Der zweite und letzte Museumsabschnitt beschäftigt sich
mit den besonders ereignisreichen Jahren zwischen 1800 und
1949. Deshalb werden die Ausstellungsstücke hier in einer
ganz neuen, offenen Form präsentiert, die den Kontrast
zwischen Kriegs- und Friedenszeiten besonders gut verdeutlicht.
Bis 1870 wandelt der Besucher noch durch ein größtenteils
mittelalterliches Mauernlabyrinth, dessen schiefe Winkel mit
der allgegenwärtigen Architektur des Museumsgebäudes
aus dem 16. Jahrhundert lebhaft kontrastieren. Mit der deutschen
Machtübernahme im Jahr 1870 verkörpert das Ausstellungsdesign
jedoch eine Stadt, die ihre Mauern sprengt.
Die offene Perspektive und der natürliche Lichteinfall
geben dem der deutschen Zeit gewidmeten Bereich eine ganz besondere
Raumdimension. Mit der Rückkehr des Elsass zu Frankreich
(1918), dem Zweiten Weltkrieg (1939-45) und der Befreiung (1945)
orientiert sich das Ausstellungsdesign an den rechtwinkligen
Strukturen des Gebäudes: Die so entstehende neue Gliederung
führt von Ersten zum Zweiten Weltkrieg.
Im letzten Bereich kennzeichnet die Form des (parlamentarischen)
Halbkreises den Eintritt der Stadt in ein neues, europäisches
Zeitalter.
Zum Schluss der Ausstellung zieht die Stadt Straßburg
Parallelen und Verbindungen zwischen seiner eigenen Geschichte
und den Schicksalen der Städte Gdansk, Poznan, Bratislava,
Triest, Genf und Brüssel.
Das Thema als Grundlage für ein innovatives Konzept.
Die „Zauberkästen“ zum Thema Schicksale,
die an verschiedenen Stellen des Rundgangs aufgestellt sind,
veranschaulichen anhand von Animationen und Gegenständen
die Identitätskonflikte, mit denen die Straßburger
konfrontiert waren, wenn sie sich auf unterschiedlichste Weise
an einen neuen Machthaber anpassen mussten – sofern sie
die Stadt nicht schon vorher verlassen hatten oder vertrieben
worden waren.
Dabei kontrastiert die Formensprache des Ausstellungsdesigns
stets mit den imposanten Strukturen des Museumsgebäudes
aus dem 16. Jahrhundert.
Bevor er den letzten Raum verlässt, erwarten den Besucher
noch zwei Überraschungen: - ein Zitat von Victor Hugo,
datiert auf genau 100 Jahre vor der Gründung des Europarats
- die Möglichkeit, eine virtuelle Postkarte mit einem
unveröffentlichten, originell gestalteten Bild von einem
der Ausstellungshighlights zu verschicken.
Die Highlights In jedem Raum erwarten den Besucher visuelle Überraschungen,
interessante Highlights und abwechslungsreiche Gestaltungselemente:
Französische Zeit (1800-1870).
- ein großer Schaukasten mit einem Teil der spektakulären
Papiersoldaten-Sammlung, die während des Rundgangs immer
wieder auftauchen - eine interaktive Animation mit Stücken
aus der Kostümsammlung - ein Modell des Großen Theaters,
das auch dessen Innenraum zeigt - kurioses Lehrmaterial aus
der Universität und die wunderschönen letzten Postkutschen
Deutsche Zeit (1870-1918).
- die ersten Geschosse aus den Bombardements des Deutsch-Französischen
Krieges, symbolisch einigen Gewehren gegenübergestellt
- dreidimensionale Fotografien von der nach den Bombardements
in Ruinen liegenden Stadt - die beiden Modelle des Großen
Straßendurchbruchs (vorher und nachher), welche die rasante
Stadtentwicklung jener Zeit eindrucksvoll verdeutlichen, und
ein interaktives Spiel - kurioses und überraschendes Lehrmaterial
aus der deutschen Universität Erster Weltkrieg (1914-1918).
- handbemalte Geschosse, die einst als Kriegssouvenirs dienten
- die ersten Lebensmittelkarten der damaligen Zeit Befreiung
(1918).
- der Kopf des Reiterdenkmals von Kaiser Wilhelm I.
- eine audiovisuelle Animation und ein Film über die
Befreiung (Actualités Gaumont) Französische Zeit
(1918-1939).
- 21 kleine Gipshäuser als Beispiele für die Sozialwohnungen
jener Zeit - ein Frachtkahn in maßstabsgetreuem Verhältnis
zum Silo Seegmuller - ein Torpedo des Autobauers Mathis und
ein Videozusammenschnitt mit zeitgenössischer Autowerbung.
- ein Bildnismedaillon des Pasteur-Denkmals Zweiter Weltkrieg
(1939-1945).
- bunte Abzeichen von erstaunlicher Vielfalt, wie sie im Rahmen
von Mittelbeschaffungsmaßnahmen im Dritten Reich verwendet
wurden - von Gefangenen des Lagers Tambow gefertigte Gegenstände
- geräuschuntermalte Filmaufnahmen der Bombenangriffe
1944/45 - „Zauberkästen“ zum Thema Schicksale
mit Bildern und Gegenständen aus dem Eigentum der neun
dargestellten Personen und audiovisuellen Szenarien, die den
Besucher auf emotionaler Ebene ansprechen Befreiung (1945).
- Käppi und Jacke des französischen Generals Jean
de Lattre de Tassigny - die bei der Befreiung Straßburgs
gehisste Flagge - eine ironische Todesanzeige Adolf Hitlers
Europa.
- eine audiovisuelle Animation zur Gründung des Europarats
- das Modell von Gaetano Pesces „utopischer“ Europabrücke
- eine interaktive Animation zum Thema „Partnerstädte“:
Am Ende des Rundgangs zieht die Stadt Straßburg Verbindungen
zwischen ihrer Geschichte und den Schicksalen anderer Städte,
die dem ihren ähnlich sind oder das ihre zu bestimmten
Zeiten gekreuzt haben.
- Auszug aus Victor Hugos Eröffnungsrede auf dem Friedenskongress
in Paris am 21. August 1849 über Demokratie auf europäischer
und weltweiter Ebene Ausdrucksvolle Farben.
Die intensiven, ausdrucksvollen Farben (Rot, Blau und Schwarz),
die den visuellen Eindruck schon im ersten Museumsabschnitt
prägten, wurden auch im zweiten Abschnitt beibehalten.
Diese Entscheidung versinnbildlicht die Kontinuität, die
die Straßburger Stadtgeschichte trotz der vielen Nationalitätenwechsel
aufweist.
Einzig die Farbgebung des letzten Bereichs erfuhr eine radikale
Veränderung: Die Farbe Europas verschmilzt mit der weichen,
weiß-beigen Innenfarbe des Museumsgebäudes und symbolisiert
so den Übergang zu einer ganz neuen stadtgeschichtlichen
Dimension.
Ausgefeiltes Lichtdesign
Im zweiten Abschnitt und in den Bereichen ab 1870 werden die
Ausstellungsstücke in gläsernen Haubenvitrinen präsentiert
und mithilfe einer szenischen Deckenbeleuchtung eindrucksvoll
in Szene gesetzt. Eine etwas andere Art, den Übergang
von mittelalterlicher zu moderner Stadt auf unmerkliche und
doch konkrete Weise zu pointieren! Das Beleuchtungssystem aus
Glasfasern bringt die Ausstellungsstücke in den Nischenvitrinen
wiederum besonders gut zur Geltung und ermöglicht ein
ausgefeiltes Lichtdesign, ähnlich einer Bühnenbeleuchtung
im Kleinformat.
Die Köpfchen der Glasfaserlampen sind mit winzigen, beweglichen
Klappen ausgestattet und können so die wichtigsten oder
interessantesten Details der Werke gezielt beleuchten. Der
Betrachter vergisst, dass er vor einem Schaukasten steht, und
tritt in einen direkten und faszinierenden visuellen Kontakt
mit dem betrachteten Objekt.
Attraktive Schaukästen
Die Schaukästen sind ein wesentlicher Bestandteil der
symbolischen Raumsprache. Im Bereich 1800-1870 sind sie in
die Wände eingelassen (farbige Lichtnischen enthalten
besonders wertvolle Objekte), in den Bereichen der Friedenszeiten
ab 1870 finden vorwiegend gläserne Haubenvitrinen Verwendung.
Ein Audioguide für die ganze Familie
Das Historische Museum Straßburg bietet individuelle
Headset-Führungen an, über die der Besucher beim
gemeinsamen Rundgang mit seinen Familien und Freunden kommunizieren
kann. Die Audiospuren (Stimme, Töne, Musik) werden über
elektromagnetische Wellen automatisch ausgelöst, sind
auf Französisch, Deutsch und Englisch verfügbar und
passen sich dem persönlichen Rhythmus jedes Benutzers
an.
Auf Knopfdruck erhält der neugierige Besucher zusätzliche
Informationen oder hört eine kurze Geschichte, einen Sketch
oder eine Anekdote.
Eine weibliche Erzählstimme führt den Besucher durch
die Ausstellung. Ihre Erklärungen werden jedoch immer
wieder von einem Historiker ergänzt, unterbrochen oder
hinterfragt; er ordnet die geschichtlichen Fakten ein, aktualisiert
sie und liefert jene Perspektiven- und Interpretationsvielfalt,
die für eine umfassende Geschichtsbetrachtung nötig
ist. So regt der Audioguide den Besucher auch zum Nachdenken
an.
Interaktive Spiele und Animationen
Spielerisch entdecken– spielerisch lernen.
Die meisten der schon im ersten Museumsabschnitt erfolgreich
eingesetzten interaktiven Spiele richten sich an Kinder, viele
sind aber auch für Erwachsene interessant. Dabei geht
es darum, Geschichte auf sinnlich-taktile Weise zu erleben
und mit anderen zu interagieren, um Inhalte besser zu verstehen
und sich einzuprägen. Für alle, die mehr über
ein Thema erfahren möchte, stehen an verschiedenen Stellen
des Rundgangs interaktive Stationen bereit.
Auf sinnlich-interaktive Erlebnisse schlagen auch die „Zauberkästen“ zum
Thema Schicksale (Zweiter Weltkrieg) Brücken zwischen
den „virtuellen“ Videobildern und den „echten“ Ausstellungsstücken.
Für den Empfang von Schulklassen sind gesonderte Gruppenbereiche
vorgesehen.
„Die Stadt mit anderen Augen sehen – die Stadt
ganz neu verstehen“: so lautet das Motto des museologischen
und museografisch-szenografsichen Konzepts des Historischen
Museums Straßburg.
Ferner stützt sich die aktuelle Präsentation auf
Dauerleihgaben, wie das Porträt des Postmeisters Auguste
Ratisbonne der Fondation Eliza oder den umfangreichen Bestand
an wissenschaftlichen und archäologischen Exponaten der
Universität Straßburg.
Seit 2002 wurden rund 1700 Schenkungen in die Sammlung des
Historischen Museums aufgenommen. Sie tragen wesentlich zur
Qualität seiner Dauerausstellung bei.
Von Laurent Marquart, Museograf und Ausstellungsdesigner,
gsmproject création. |