Goethe - E.T.A. Hoffmann - Hesse

 

Das 50. Jahr scheint ein besonders kritisches zu sein. Jedenfalls gibt es in der deutschsprachigen Literatur einige bedeutsame Protagonisten, denen gerade in diesem Jahr etwas Besonderes widerfährt, mit dem sie nicht mehr gerechnet haben. Könnte dazu auch der berühmte Gelehrte Johann/Heinrich Faust gezählt werden? Und bringt uns diese Frage in unserem Faust-Verständnis weiter?

  

Wie alt ist Faust - vor der Verjüngung und danach? Ist das wichtig?

Was wissen wir eigentlich von ihm?

Nur, dass er ziemlich alt sein muss, Lehrer ist, einen langen Bart hat und seit Jahren (Jahrzehnten) seine Schüler an der Nase herumführt (V. 362), sprich: unterrichtet. Sein Vater, so erfahren wir auf dem Osterspaziergang, war ein „dunkler Ehrenmann“ (1034), der wohl als Seuchenarzt zu Pest-Zeiten zusammen mit seinem Sohn „manch harte Proben“ bestanden habe (1005), wie ein „alter Bauer“ es formuliert. Faust selbst sieht die Leistung seines Vaters allerdings etwas kritischer: Dessen alchemistisches Gebräu hat wohl auch manchen zu Tode gebracht, anstatt zu heilen. Von Frau Faust und Kind ist nirgendwo die Rede, wie denn überhaupt - außer dem Famulus Wagner - niemand in seiner Nähe zu existieren scheint. Er ist also ein Einzelgänger, eine einsame Existenz, er vergilbt und vergraut in seinem Labor, dem „dumpfen Mauerloch“ (399). Dass „kein Hund so länger leben“ möchte (376), leuchtet ein.

Wie alt er bei alledem genau sein mag, ist vielleicht gar nicht so wichtig, nichtsdestotrotz gibt es dazu Überlegungen und einige Stellen, die für produktive Literaturgespräche anregend sein können:

In der Studierzimmer-Szene, in der der Pakt geschlossen wird, erscheint Mephisto als „edler Junker“ und fordert Faust dazu auf, sich ebenfalls nach der neuesten Mode, also geckenhaft, zu kleiden,

„Damit du, losgebunden, frei,
Erfahrest, was das Leben sei.“
(1542/3)
Fausts Antwort:
„In jedem Kleide werd ich wohl die Pein
Des engen Erdelebens fühlen.
Ich bin zu alt, um nur zu spielen,
Zu jung, um ohne Wunsch zu sein.“
(1544-7)

Mephisto setzt auf den Kleider-machen-Leute-Effekt. Aber: Kann ich mich durch Kleidung neu definieren, gewinne ich so „Freiheit” und „Erfahrung”? Faust sieht das anders.

Wie sieht er das?

  1. Versuchen Sie einmal, diese Aussage in eigenen Worten auszudrücken: zu alt ... zu jung!?

Auch in Auerbachs Keller muss Mephisto feststellen, dass Faust diese Art von Lebenslust und Schabernack nicht zusagt, also muss er körperlich und vor allem hormonell optimiert werden, dies soll in der Hexenküche geschehen. Auch hier widersetzt sich Faust:

„Mir widersteht das tolle Zauberwesen!
Versprichst du mir, ich soll genesen
In diesem Wust von Raserei?
Verlang ich Rat von einem alten Weibe?
Und schafft die Sudelköcherei
Wohl dreißig Jahre mir vom Leibe?
Weh mir, wenn du nichts Bessers weißt!“
(2340-46)

Mephisto schlägt daraufhin vor, Faust solle es dann eben mit körperlicher Arbeit versuchen:

„Begib dich gleich hinaus aufs Feld,
Fang an zu packen und zu graben,
Erhalte Dich und deinen Sinn
In einem ganz beschränkten Kreise, …“
Faust lehnt ab:
„… Ich kann mich nicht bequemen,
Den Spaten in die Hand zu nehmen.
Das enge Leben steht mir gar nicht an.“

Er scheint Mephistos eher ironisch gemeinten Vorschlag durchaus ernst zu nehmen. Sein Handlungsmotiv ist ja der Ausbruch, der Ausstieg aus der Beschränktheit seines bisherigen Gelehrten-Daseins. Er will die eine Enge nicht gegen eine andere eintauschen.

Immerhin ist hier eine Zahl genannt: 30 Jahre. Wie alt müssen wir uns Faust folglich nach der Verjüngung vorstellen: 20, 25, 30?

Eigentlich ist er beides zugleich: alt und jung! Körperlich jung und voller Sturm und Drang (zeitgemäßer ausgedrückt: Testosteron-gesteuert), im Kopf aber meistens der Alte. So entsteht ein Hin- und Hergerissensein sowohl im Inneren als auch in der Handlungsweise.

„Da Faust auf das Natürliche verzichtet, muß er künstlich verjüngt werden und wird dadurch ein Monstrum mit jungem Körper und altem Geist, denn es bleiben ihm sein Wissen, seine Erinnerung, seine Melancholie, sein frisch konstituiertes absolutes Ich. Damit ist von vornherein seine Fähigkeit, einen vollkommenen, naturgemäßen Menschen überhaupt wahrzunehmen, geschweige denn ihn liebend zu „genießen“, verschüttet.“
(J.W.Goethe: Faust-Dichtungen, Band 2, Kommentar I, von Ulrich Gaier, Reclam 1999 S. 292)

Arbeitsauftrag:

  1. Lesen Sie / Lest die Gretchen-Handlung daraufhin durch, wann Faust der junge und wann er ganz der alte Mann ist.
  2. Begründet eure Ergebnisse, indem ihr auch euer eigenes Verständnis von Jung- und Alt-Sein darlegt.
  3. Wie fair - im Sinne von ausgewogen - geht Goethe mit dieser Thematik um?

 

  

Ohne etwas Werbung geht es nicht. Ich bitte um Nachsicht, falls diese nicht immer ganz themengerecht sein sollte.