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Vorarbeiten zum Werkvergleich

Das intensive Leben

Den Schlüssel dazu entnehme ich einem aktuellen Buch des französischen Autors und Philosophen Tristan Garcia (2017). Es trägt den Titel „Das intensive Leben. Eine moderne Obsession“. Darin schlägt er einen Bogen vom 18. Jahrhundert in die Gegenwart und arbeitet als das „moderne” Grundgefühl das Streben nach Intensität heraus.

„Pausenlos werden uns Intensitäten versprochen. Seit unserer Geburt und beim Heranwachsen suchen wir unausweichlich nach starken Empfindungen, die unser Leben rechtfertigen sollen. Diese plötzlichen Erregungen, die von sportlichen Leistungen, Drogen, Alkohol, Glücksspielen, Verführungen, Liebe, Orgasmus, Freude oder physischem Schmerz, dem Betrachten oder dem Schaffen von Kunstwerken, wissenschaftlichen Forschungen, schwärmerischem Glauben oder inbrünstigem Engagement verursacht werden, lassen uns aus der Monotonie, dem Automatismus und dem immer gleichen Stammeln, aus der existenziellen Plattitüde erwachen. Denn eine Art von Vitalitätsverlust bedroht ständig den Menschen, der sich bequem eingerichtet hat. “ (Tristan Garcia „Das intensive Leben“, 2017, S. 9 )

Den Beginn dazu sieht er in der Entdeckung der Elektrizität im 18. Jahrhundert, als einer Energie, die alles durchströmt, sowohl die belebte als auch unbelebte Natur, ein Phänomen, das an keine Inhalte oder Wesenseigenschaften gebunden ist außer dem der unterschiedlichen Schwäche oder Stärke. Es ist vergleichbar dem Wasser, das fließt bzw. strömt („Strom“), eine Kraft, deren Intensität gelegentlich auch in gewaltigen Entladungen sichtbar wird. Garcia weist dabei nicht nur auf die Wassermetaphorik hin, mit der das Phänomen Elektrizität von Anfang an begrifflich und bildlich gefasst wurde, sondern auch auf die Faszination des Gewitters für die Literatur des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Man denke hier z.B. an die Gewitter-Szene in Goethes „Werther“, in der es auch noch zu ganz anderen Strömen kommt:

„Wir traten ans Fenster. Es donnerte abseitwärts, und der herrliche Regen säuselte auf das Land, und der erquickendste Wohlgeruch stieg in aller Fülle einer warmen Luft zu uns auf. Sie stand auf ihren Ellenbogen gestützt, ihr Blick durchdrang die Gegend; sie sah gen Himmel und auf mich, ich sah ihr Auge tränenvoll, sie legte ihre Hand auf die meinige und sagte: »Klopstock!« – Ich erinnerte mich sogleich der herrlichen Ode, die ihr in Gedanken lag, und versank in dem Strome von Empfindungen, den sie in dieser Losung über mich ausgoß. Ich ertrug's nicht, neigte mich auf ihre Hand und küßte sie unter den wonnevollsten Tränen.“ (J.W.G.: Die Leiden des jungen Werther, Brief vom 16. Junius)

Was Garcia unter Intensität versteht, hat Tobias Rapp in seiner SPIEGEL-Rezension folgendermaßen auf den Punkt gebracht:

„Wofür steht dieser eingenartig schwebende Begriff? Der Libertin des 18. und der romantische Dichter des 19. Jahrhunderts machten ihn sich lebenspraktisch als Erster zu eigen. Und im Grunde ist die Intensität für sie schon genau das, was sie für Heutige noch ist: das Gefühl, man selbst zu sein - bloß stärker. Eine Zustandsänderung, die sich äußerlich nicht unbedingt messen lässt, die nur das Individuum spürt. Und die nicht notwendigerweise mit Stärke oder Macht verbunden ist. Auch Schwäche und Ohnmacht können intensiv erlebt werden - der romantische Dichter etwa findet seine intensiven Erlebnisse oft und gern bei den Außenseitern und Verlierern der Gesellschaft." (Tobias Rapp: Hauptsache es knallt. Der Spiegel 15/2017 S. 122/3)

Mit Intensität ist ein Lebensgefühl erfasst, von dem Garcia behauptet, dass es das „moderne“ schlechthin sei, das jedoch nicht erst seit der Party- und Eventkultur der 80er Jahre existiere. Und was der Libertin und der Romantiker im 18. und 19. Jahrhundert war, das verkörpert im 20. Jahrhundert der „Rocker“, der elektrifizierte Romantiker (S. 109), der Rock’n’Roller als Protest- und Aussteiger-Figur: Er sucht nach Steigerung und Intensivierung seines Selbstgefühls, sei es durch Drogen, durch die Lautstärke des elektrifizierten Gitarrensounds oder die befreite Sexualität. Im Rocker findet die Kombination aus Elektrizität und Rebellion ihre Fortsetzung. Aus Sicht der Lebensintensität-Suche ist dies nichts gänzlich Neues, sondern lediglich die zeitgemäßere Variante des „elektrischen“ Menschen. Sie sind

„Gestalten ein und derselben Geheimgeschichte, der eines europäischen und dann im weiter gehenden Sinne westlichen, immer volkstümlicheren Lebensideals, [...] um die Intensität einer modernen Welt aufrechtzuerhalten, die durch eine gewisse Depression der Vernunft stets kurz vor dem Zusammenbruch steht.“ (S. 110)

Der Libertin, der Romantiker, der Rocker - wir werden diesen Figuren in den drei zur Debatte stehenden Werken begegnen und ihren Eigenheiten und Gemeinsamkeiten nachspüren.

 

  

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