Jakob Michael Reinhold Lenz 

J.W. Goethe über J.M.R. Lenz

„Will jemand unmittelbar erfahren, was damals in dieser lebendigen Gesellschaft gedacht, gesprochen und verhandelt worden, der lese den Aufsatz Herders über Shakespeare, in dem Hefte »Von deutscher Art und Kunst«, ferner Lenzens »Anmerkungen übers Theater« [...]. Lenz beträgt sich mehr bilderstürmerisch gegen die Herkömmlichkeit des Theaters und will denn eben all und überall nach Shakespearescher Weise gehandelt haben. [...] Ich lernte ihn erst gegen das Ende meines Straßburger Aufenthalts kennen. Wir sahen uns selten; seine Gesellschaft war nicht die meine, aber wir suchten doch Gelegenheit, uns zu treffen, und teilten uns einander gern mit, weil wir, als gleichzeitige Jünglinge, ähnliche Gesinnungen hegten. Klein, aber nett von Gestalt, ein allerliebstes Köpfchen, dessen zierlicher Form niedliche etwas abgestumpfte Züge vollkommen entsprachen; blaue Augen, blonde Haare, kurz, ein Persönchen, wie mir unter nordischen Jünglingen von Zeit zu Zeit eins begegnet ist; einen sanften, gleichsam vorsichtigen Schritt, eine angenehme, nicht ganz fließende Sprache und ein Betragen, das zwischen Zurückhaltung und Schüchternheit sich bewegend einem jungen Manne wohl anstand. Kleinere Gedichte, besonders seine eigenen, las er sehr gut vor und schrieb eine fließende Hand. Für seine Sinnesart wüßte ich nur das englische Wort whimsical, welches, wie das Wörterbuch ausweist, gar manche Seltsamkeiten in einem Begriff zusammenfaßt. Niemand war vielleicht eben deswegen fähiger als er, die Ausschweifungen und Auswüchse des Shakespeareschen Genies zu empfinden und nachzubilden."

aus: Dichtung und Wahrheit, Dritter Teil, 11. Buch, zitiert nach Projekt Gutenberg-DE. Siehe auch Goethes weitere Darstellung von Lenz' Charakter in: Dichtung und Wahrheit. Dritter Teil, 14. Buch.



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