Wie ich mein Thema fand

Es war durchaus keine leichte Aufgabe erst einmal bis zu meinem eigentlichen Wettbewerbsthema vorzudringen. Doch bevor ich mich diesem widme, soll erst einmal der Weg bis hierhin geschildert werden. Natürlich hatte alles seinen Anfang, als am 3.9.98 endlich die Ausschreibung zum neuen Wettbewerb bei mir eintrudelte. Ich möchte einmal meine Gedanken schildern, als ich das Kuvert aufriß und den Blick auf das Titelblatt des neuesten "Spuren suchen" Heftes richtete. Das Thema lautete "Protest". Mein erster Gedanke war: "Da fällt dir sofort etwas ein." - Dies war leider ein Trugschluß, denn es wurde nicht einfach, ein Thema zu finden, das allen Anforderungen entsprach.

Warum habe ich die Szene mit dem Wettbewerbsheft geschildert? Nun, ganz einfach: Weil es wahrscheinlich jedem Wettbewerbsteilnehmer so gegangen ist, und ich wollte verdeutlichen wie viele Themen uns in Sekundenbruchteilen einfallen, wenn wir an Protest denken: Die Französische Revolution, die Deutsche von 1848, das Hambacher Fest, unzählige im 3. Reich, von Bonhoefer bis zu den Geschwistern Scholl, alle möglichen Demonstrationen von irgendwelchen Ökobewegungen, der 17. Juni und so weiter und so weiter. Ich hatte viele Ideen. Aber das eigentliche Problem tauchte erst abends auf, als ich versuchte, mich intensiver mit einer Vorauswahl zu beschäftigen. Nach und nach flogen immer mehr Ideen wegen ihrer Undurchführbarkeit aus meiner engeren Wahl heraus: Alles was mir einfiel, hatte ich im Geschichtsunterricht gelernt oder in Büchern gelesen, was hieß, daß sie 1. schon jeder kannte und sie 2. natürlich schon aufgearbeitet waren. Andere klangen zwar lohnenswert, hatten aber nichts mit mir zu tun. Also auch wieder nichts. Am Schluß des Abends blieb, wie schon gesagt, nichts übrig obwohl ich morgens noch so sicher war, mit einer Themenfindung keine Probleme zu haben. Nach und nach hatte ich noch mal Ideen wie zum Beispiel eine Geschichte, bei der mein Großvater 1945 von amerikanischen Truppen aus Protest gegen den Umgang mit der jüdischen Bevölkerung nach 1933 in ein erobertes KZ-Außenlager in Hessisch-Lichtenau gesperrt wurde. Dieses Thema war geschichtlich gesehen absolutes Neuland. Aus diesem Grund mußte ich mich auch damit abfinden, daß wegen der fehlenden Nähe zum Ort und der sehr schwierigen Forschungsarbeit eine Durchführung dieses Themas im vorhandenen Zeitrahmen einfach nicht möglich war. Also - was war mir nun geblieben ? Wieder nichts! Ich hatte immer noch kein Thema. Daß ich dann sehr bald mit der Forschungsarbeit beginnen konnte, hatte ich dem Zufall zu verdanken. Zufällig fiel meiner Mutter ein Buch auf, das bei ihr seit langem über dem Bett stand. Sein Titel lautete "Briefe aus Bautzen II". Bei näherer Betrachtung stellte ich fest, daß es sich um ein Buch über einen Wissenschaftler der ehemaligen DDR, Adolf-Henning Frucht handelte. Dieser hatte, so wie es im Einband stand, Anfang der 60er Jahre den CIA über chemische Kampfstoffe in der DDR und einen möglichen Angriff des Warschauer Paktes in Alaska informiert. Deshalb wurde er 1967 verhaftet und zu lebenslanger Haft in Bautzen II verurteilt. Nachdem ich einige Passagen dieses Buches gelesen hatte, wußte ich, - dies war ein lohnendes Thema für den Geschichtswettbewerb!

Die persönliche Verbindung zu meinem Thema

Meine Großeltern lernten während ihres Studiums in Leipzig Maria Böhme, heute Dr. Maria Frucht kennen. Die Freundschaft blieb auch bestehen, als meine Großeltern Leipzig verlassen haben. Trotzdem gab es in der Zeit, in die die Geschehnisse meiner Arbeit fallen, immer noch engen Kontakt. - So berichtete mir mein Opa neulich von einem ihm damals unverständlichen Ereignis. Bei einem angekündigten Besuch bei den Fruchts (Maria Böhme war inzwischen mit dem Physiologen, Dr. Adolf Henning Frucht verheiratet) wurden meine Großeltern ausdrücklich gebeten, eine ganz bestimmte Ausgabe des Berliner Tagesspiegels mitzubringen. Da diese Ausgabe vergriffen war, brachte mein Opa Professor Frucht eine gleichwertige Tageszeitung mit und wunderte sich darüber, daß dieser mit der "Ersatzzeitung" überhaupt nicht einverstanden war. So wurde mein Opa noch einmal eindringlich aufgefordert, wieder in den Westteil der Stadt zu fahren und die richtige Zeitung zu besorgen. Dies gelang nicht, woraufhin Professor Frucht sehr unruhig wurde. Eine Erklärung erhielten meine Großeltern für das merkwürdige Verhalten damals nicht. Heute scheint aber klar zu sein, daß der Wissenschaftler damals eine bestimmte (geheimdienstliche?) Information aus dieser Zeitung suchte und daß es ihm damals nicht darauf ankam, eine westliche Tageszeitung zu lesen sondern eine ganz bestimmte Information zu erhalten.
Durch den Mauerbau wurde der Kontakt zwischen meinen Großeltern und Fruchts immer schwieriger, so daß dieser mehr und mehr einschlief.
Später hörte meine Großmutter, daß Professor Frucht zu lebenslanger Haft wegen Spionage verurteilt worden war. Zunächst konnte sich niemand einen Reim hierauf machen. Meine Großmutter besuchte daraufhin Maria Frucht noch am selben Tag in Berlin Grünau, um die genauen Hintergründe der Verhaftung zu erfahren. Jedoch war zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal Professor Fruchts Ehefrau, wofür ihr Mann verhaftet worden war. Sie vermutete zwar, daß es sich um Kampfstoffe drehte, doch wußte sie nichts Genaues. So erfuhren meine Großeltern erst 1978, was damals eigentlich passiert war. Professor Frucht besuchte sie und erzählte Ihnen, was sich damals zugetragen hatte... Auch in meinem Leben spielt die Familie Frucht eine besondere Rolle: Mein Vater erhielt 1981 einen Studienplatz in Berlin. Die Suche nach einer Studentenwohnung gestaltete sich sehr schwierig. Es war meinen Eltern nach schier endlosem Suchen nicht möglich gewesen, an eine Wohnung zu kommen. Die Zeit drängte aber, da das Semester bald anfangen sollte und meine Mutter im 7. Monat mit mir schwanger war. Da erinnerte sich meine Großmutter an ihre ehemalige Studienkollegin, Maria Frucht, die seit der Freilassung Ihres Mannes aus der Haft im Zuchthaus Bautzen II in Berlin wohnte. Nach einem kurzen Telefonat boten Fruchts sofort an, daß meine Eltern zunächst bei ihnen in die Waltharistraße in ein kleines Zimmerchen einziehen und von dort aus intensiv die Suche nach einer richtigen Wohnung betreiben könnten. Fruchts kümmerten sich damals um uns, als wären wir ihre eigenen Kinder und so gaben sie entscheidende Hilfen am Beginn unserer Familiengeschichte. Adolf-Henning Frucht und mein Vater unterhielten sich oft stundenlang über die spannende und ausgesprochen turbulente aber leider auch entbehrungsreiche Vergangenheit des Professors, sowie andere wissenschaftliche und politische Themen.
Als mein Vater später an seiner Doktorarbeit über die Toxizität verschiedener Tränengase schrieb, erinnerte er sich wieder daran, daß "Atschka" (Anm.1) sich mit C-Waffen und mit der Person, wie der Geschichte Professor Habers (Anm.2) sehr gut auskannte. Dadurch kam es dann damals auch noch zu manchem Gedankenaustausch zwischen den beiden. Professor Frucht hat meinem Vater deshalb öfters geholfen, wenn es Probleme bei der Bearbeitung seiner Doktorarbeit gab. So möchte ich hier die Geschichte von Professor Dr. Adolf-Henning Frucht erzählen und ich werde dies mit besonderer Freude tun, um seinen Mut zu Gewissensentscheidungen und die Gradlinigkeit in allen "öffentlichen Sachen" (=> Res Publica) als Vorbild für den Leser zu erhalten.

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