Dr. E. Bolleter: Bilder und Studien von einer Reise nach den Kanarischen
Inseln (1910)
Kapitel 7: Arabische Kunstdenkmäler in Südspanien.
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Kapitel 6 ] [
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Kapitel 8 ]
Was Neapel für Italien, das sind Granada und Sevilla für Spanien.
Von jenen heißt es: Vedi Napoli e poi mori! Die Andalusier sagen: Quien
no ha visto Sevilla, ho ha visto maravilla (wer Sevilla nicht gesehen, hat
noch kein Wunder gesehen), und Quien no ha visto Granada, no ha visto nada
(wer Granada nicht gesehen, hat nichts gesehen). Wenn der Spanier diese
Städte besuchen kann, ist sein höchster Wunsch erfüllt.
Wohl ist Andalusien die reichste Provinz der iberischen Halbinsel; endlose
Grasfluren, auf denen die Rinderherden in steter Wildheit sich selbst überlassen
bleiben, ausgedehnte Steppen, Ölbaumwälder, Baumwoll- und Zuckerrohrfelder,
fruchtbare Rebgelände, wasserreiche Ströme, das Meer, die schneebedeckte Sierra mit
ihren mineralischen Schätzen - alles, was die Natur zu schaffen vermag, findet
sich hier vereinigt. Und doch ist es eher etwas anderes, was den heißblütigen
Spanier nach Süden lockt. Es ist der geheimnisvolle Zauber einer vergangenen,
glänzenden Kultur, die einst so hoch war, daß sich die Blicke des gesamten
Abend- und Morgenlandes nach Südspanien richteten. Erst die Araber haben das
Land in einen blühenden Garten verwandelt. Weithin war das Tal des Guadalquivir
übersäet mit Schlössern, Villen und Lustsitzen der Kalifen und Großen; allerorts
ragten die schlanken Minarets und schön geformten Kuppeln der Moscheen aus dem
Häusermeer der volkreichen Ortschaften empor. Die Schriftsteller der damaligen
Zeit sind des Lobes voll; sie preisen die arabischen Bauten als unvergängliche
Meisterwerke und rühmen die Pracht der Auschmückung mit Gold und Silber, Marmor
und andern edlen Gesteinen, Säulen und Bildwerken, Springbrunnen
und Seen in überschwenglichen Worten. Leider sind die Stürme der Zeit über diese
Zauberstätten hingegangen; wilde Berberhorden bezeichneten ihren Weg mit Brand und
Zerstörung, und fanatische Christenscharen rissen nieder, was übrig war. Die
Bibliotheken, die Hunderttausenden von Bänden zähltten, wurden zerstreut oder
den Flammen preisgegeben; die Orte, die der Sammelpunkt der Wißbegieriguen aus
allen Ländern, aus Europa, Asien und Afrika, waren und in denen Hunderten von
hochgelehrten Männern aller Religionen arm und reich unentgeltlich unterrichteten,
sindzu unbedeutenden Provinzialstädten herabgesunken. Noch aber stehen einige
wenige Zeugen der untergegangenen Wunderwelt da und bilden alljährlich das
Wallfahrtsziel Tausender von schönheitsdurstigen Reisenden, welche sich in
die Linienmusik der arabischen Kunst versenken. Die berühmtesten dieser Bauten
sind die Moschee von Cordoba, die Giralda in Sevilla und die Alhambra in Granada,
zugleich Vertreter der drei Perioden, in welche man die arabische Baukunst in
Europa einzuteilen pflegt.
Die Moschee von Cordoba steht unmittelbar am Ufer des Guadalquivir. An
ihrer Stelle war zur Römerzeit ein Janustempel, welcher unter den Westgoten im
5. Jahrhundert einer christlichen Kirche Platz machte. 250 Jahr später wurde
Cordoba von den Arabern erobert. Sie beließen das Gebäude den Christen, nahmen
aber die Hälfte für ihren eigenen Gottesdienst in Anspruch. Abderrahman I., der
erste Kalif von Cordoba, kaufte ihnen die Kirche für 10 Millionen Franken ab,
ließ sie niederreißen und begann 785 den Bau der Moschee. Dieselbe sollte den
Gläubigen in Spanien zum religiösen Mittelpunkte werden und den Pilgerstrom von
Mekka nach Cordoba lenken. Als Vorbild für dieselbe diente die Moscheeform des
Orientes: ein hallenumgebener Hof. In der Richtung gegen Mekka hin findet sich
jeweils eine Nische, der Mihrab; da die Gläubigen beim Gebete vor demselben
zusammenströmen, ist hier eine weitere Halle nötig. Der offene Hof enthält einen oder
mehrere Brunnen für die Abwaschungen, welche der Koran vorschreibt. Ein wichtiger
Bestandteil der Moschee ist das Minaret,
ein Turm, von dessen Höhe der Gebetsrufer oder Muezzin zu
bestimmten Stunden den Ruf zum Gebete erschallen läßt. Das Dach der gedeckten
Hallen ruht stets auf Säulen; im Tempel von Medina, den Muhamma selbst anlegte,
wurde es von Palmstämmen getragen, die demnach das Urbild der Säulen darstellen.
Die Moschee Abderrhamans bedeckte nur den 5. Teil der Fläche, den der jetzige
Bau einnimmt, und wies auf der Mihrabseite 10 Säulenreihen auf mit 11 Längs- und
12 Querschiffen. Eine kurze Verlängerung des mittlern, breitern Langschiffes
über die Umfassungsmauern hinaus diente als Gebetsnische. Die Säulen waren
meist römischen Ursprungs; sie stammten teils aus den Ruinen von Cordoba und
Umgebung, teils wurden sie aus weiter Ferne herbeigeschafft: aus Südfrankreich,
Karthago und Konstantinopel, von wo der Kaiser Leo 140 als Geschenk sandte. So
kommt es, daß die Säulen verschiedene Maße, Stile und Gesteinsarten aufweisen,
Marmor, Granit, Porphyr, Jaspis, buntsprenklige Breccien, selbst Schwefel usw.
Ebenso verschieden sind die Kapitäle, von denen nur ein Teil von arabischen
Steinmetzen herstammt. Die Säulen sind 3-4 m lang; um eine übereinstimmende
Höhe zu erhalten, hat man viele in den Boden eingelassen oder durch Unterbauten
erhöht. Auf ihnen ruht ein ebensolanger, viereckiger Pfeiler; je zwei sind durch
doppelte Hufeisenbogen verbunden. Der Fußboden war nicht mit Ziegelplatten wie
jetzt, sondern mit reichem Mosaik belegt. Diese Säulen Pfeiler und Bogen trugen die
mit Gold und Rot bemalte und mit Schnitzwerk verziete Decke, die aus dem äußerst
dauerhaften Holze einer afrikanischen Fichte hergestellt war. Die Balken, die in
der Moschee aufbewahrt werden, zeigen, daß es heute noch so gesund und heil ist wie
vor mehr als 1000 Jahren. Die Wände waren mit Marmorplatten bekleidet, die eine
vielfältige Skulptur aufwiesen; oben zogen sich zahlreiche Fenster hin, welche ein
dämmeriges Licht verbreiteten.
Im Laufe des 9. Jahrhunderts wurde die Moschee von verschiedenen Herrschern
vergrößert und verschönert; denn der anfängliche Bau genügte der durch Einwanderer
aus Syrien, Arabien und Afrika stammenben Bevölkerung nicht mehr. Abderrahman II.
fügte 7 Querschiffe, also weitere 77 Säulen, hinzu und errichtete einen neuen
Mihrab. Ferner erstellte er eine Maksura, einen für den Kalifen und seinen Hof
bestimmten, durch ein Holzgitter abgesperrten Raum. Eine Tür in der Südwand
führte in einen unterirdischen Gang, welcher die Moschee mit dem Palaste, dem
Alcázar, verband. Abdarrahman III., unter dessen Regierung das Kalifat
seine höchste Blüte erreichte, erbaute an Stelle des 780 durch ein
Erdbeben beschädigten Minarets ein neues. Die Schriftsteller der Zeit rühmen die
Schönheit deises herrlichen Gebildes. Auf der Spitze über dem Pavillon des
Gebetsrufers waren drei große metallene Granatäpfel angebracht, einer aus Silber,
zwei von lauterem Golde; sie funkelten weithin im Glanze der andalusischen Sonne.
Die schönste Erweiterung der Moschee verdanken wir Alhakem II. Indem der abermals
14 Querschiffe hinzufügte, vergrößerte er das Gebäude auf das Doppelte des früheren
Umfangs. Da dies in der Richtung gegen Mekka geschah, mußte er einen neuen
Mihrab erbauen; es ist derjenige, den wir heute noch bewundern. Es ist ein
kleines, kapellenartiges Siebeneck, dessen Heiligkeit durch eine Vorhalle mit
zwei Seitenräumen besonders hervorgehoben wurde. Sie umfaßten 2 Quer- und 7
Längsschiffe, deren Säulen durch mannigfaltiger gestaltete Hufeisenbogen unter
sich verbunden waren. Eine überaus reiche Ornamentik in
Marmor und Terrakotta gestaltet die Außenwand des Mihrab zu einen herrlichen Gebilde.
Der Eingang zum Allerheiligsten, der Gebetsnische, wird durch einen Bogen in
der Mauer gebildet, welcher von marmornen Säulchen getragen wird. Goldene
Inschriften leuchten uns aus rotem und blauem Grunde entgegen; unentwirrbare
geometrische Muster wechseln mit herrlichen byzantinischen Pflanzenmotiven. Der
Fußboden der Nische besteht aus weißestem Marmor, ebenso die Wand bis zur
Gürtelhöhe; dann folgen Marmorsäulchen mit vergoldeten Kapitälchen, auf welchen
anmutige, dreiteilige Zackenbogen ruhen; eine riesige Marmormuschel bildet nach
weiteren Ornamentbändern den Abschluß. Dieser Mihrab gilt wegen seiner reichen
Ornamentik und seiner Material- und Farbenpracht allgemein als eines der
größten Wunder der Kunst. Zu seiner Ausschmückung hatte der
griechische Kaiser aus Konstantinopel zahlreiche Arbeiter und 320 q. Mosaiksteinchen
geschickt. - Im östlichen Seitenraum der Vorhalle stand ein auf Rädern ruhendes
prächtiges Pult, der Mimbar, mit dem Koran des Kalifen Omar, des zweiten
Nachfolgers des Propheten. Das Pult war aus kostbaren Holzarten, Eben- und
Sandelholz, gearbeitet und mit eingelegtem Perlmutter und Elfenbein geschmückt.
Das Buch soll so schwer gewesen sein, daß zwei Männer zur Hebung desselben
erforderlich waren.
Es ist begreiflich, wenn die Moschee nunmehr für die größte und bewundernswerteste
in allen Ländern des Islam galt. Indessen wollte Hischam II. nicht hinter
seinen ruhmreichen Vorgängern zurückbleiben. Sein Oberkämmerer Almansur baute,
da das abschüssige Flußufer eine Vergrößerung in der bisherigen Richtung
verbot, 7 weitere Längsreihen nach Osten an, so daß die Zahl der Längsschiffe auf
19 erhöht wurde. Mihrab und Minaret verloren so ihre Lage in der Mittelachse des
Tempels.
Damit hatte die Moschee ihre jetzige Größe erreicht. Sie bildet ein
ungeheures, an Größe der Peterskirche in Rom gleichkommendes Rechteck von 175
m Länge und 130 m Seite; etwa ein Drittel entfällt auf den Vorhof. Das ganze
Gebäude schließt nach außen ab mit einer zinnengekrönten Mauer, die durch 35
turmartige Strebepfeiler gestützt wird. Da gegen das Ufer zu Unterbauten erstellt
werden mußten, erreicht so dort eine Höhe von 20 m; auf der Minaretseite ist sie
9 m hoch. Es ist im ganzen eine schmucklose Steinmasse, die sich keineswegs von
dem Äßern anderer arabischer Bauten unterscheidet; nur der Glockenturm, der an
Stelle des frühern Minarets steht, weist auf die Bestimmung hin. Die Tore, die ins
Innere führen, sind überwölbt mit reich verzierten Hufeisenbogen. Früher waren deren
22; heute sind die meisten vermauert. Der Haupteingang ist die PUerta del Perdón,
das Tor der Gnade, das sich im Glockenturm befindet. Die mit Kupferplatten
beschlagene Türe, die mit prachtvollen Klopfern versehen ist, läßt uns die
Schönheit der übrigen arabischen Pforten ahnen. Die reiche Ornamentik zeigt
eine Menge von länglichen, vertikal und horizontal angeordneten
Sechsecken; in den ersten finden wir auf einem Schild mit Kreuz in gotischer
Schrift das Wort "deus", in den letzern den arabischen Spruch: "Die Herrschaft
gehört Allah und seinem Schutz!" Von dem Turm aus, dessen Höhe 93 m beträgt,
läßt sich das ganze große Gebäude prächtig überblicken.
Tritt man durch das Tor, so kommt man zunächst in den Orangenhof oder Hof
der Reinigung, wo sich die Gläubigen zum Eintritt in das Heiligtum vorbereiten.
Plätschernde Brunnen, zahlreiche Orangenbäume, asu deren dunklem Laub die
Goldorangen glühen, schlanke, hochemporstrebenden Palmen, deren lange Wedel im
Winde leise hin und her wiegen, die Säulengalerie mit dem Hufeisenbogen, stille
Besucher des Hofes in dem farbigen Kostüme Andalusiens, graziös einherschreitende
braune Mädchen mit weißer Rose im schwarzen Haar, über uns der tiefblaue Himmel
mit seiner strahlenden Sonne - alles trägt dazu bei, uns im Geiste in den Orient
zu entführen. Leider ist nicht nur die Turmseite der Galerie vermauert und zur
Domkanzlei umgewandelt, sondern es bleibt uns auch der Blick in die Moschee
hinein verwehrt, da von den frühern 19 Toren nur zwei belassen worden sind. Die
Orangenbäume, je 7 in einer Reihe, bildeten die Fortsetzung der Säulenreihe
des Tempels. Gewiß war es ergreifend, aus der blendenden Tageshelle in das
feierliche, nur von unzähligen Lampen erhellte Dunkel der Arkaden zu blicken;
schaute der Gläubige abe aus dem Hintergrund der Moschee zwischen den Säulen
hindurch auf die sonnenbeschienenen Orangenbäume, so mochte er sich der
Unendlichkeit Allahs noch näher fühlen.
Wir treten in das Innere ein. Ein vielstämmiger Wald von Säulen umgibt uns,
deren Perspektive sich bei jedem Schritt verschiebt. Riesigen Palmblättern
gleich schwingen sich die rot und weiß bemalten Hufeisenbogen von den Kapitälen
und Pfeilern in den Raum hinein; die sich tausendfach schneidenden Linien
würden sinnverwirrend wirken, wenn nicht das Halbdunkel die scharfen Konturen
milderte. Erst allmählich finden wir uns in dem Formen- und Farbenreichtum
zurecht und fangen an, die Schönheiten dieses seltsamen Raumes zu begreifen. Die
Moschee beginnt in ihrer herrlichen Sprache auf uns einzuwirken.
Unwillkürlich beleben wir die leeren Hallen mit frommen Moslems, den weißen
Turban auf dem Haupte, gehüllt in die farbigen, faltigen Gewänder der Morgenlandes.
Von der in bunter Pracht erstrahlenden Decke hängen Tausende von kunstvollen
metallenen Ampeln herab; ihr zitterndes Licht läßt die Mosaik der Wände mit
ihrer reichen Vergoldugn heller erglänzen und spiegelt sich im schimmernden Marmor
der Säulen. Die Märchenwelt aus 1001 Nacht, die uns in unserer Kindheit
entzückte, umfängt uns in berauschender Fülle und Herrlichkeit. Das Haupt der
Knienden ist gegen den Mihrab, mekkawärts, gerichtet. Dort hängt ein Kronleuchter,
dess 1454 Flammen das Allerheiligste in gleißender Pracht erscheinen lassen
und den Raum mit ihrem Lichterglanz sinnberückend erfüllen. Demütig rutschen
die Gläubigen 7 Male an der Wand des Mihrab herum, leise und feierlich ihre
Gebeite murmelnd. Allah ist groß!
Im Jahre 1146 fiel Cordoba in die Hände der Christen. Plündernd drangen
diese in die Moschee ein und banden ihre Pferde an den Säulen fest. Wehklagend
verließen die Araber die heilige Stätte ihres Propheten, die nunmehr der
Auferstehung des Erlösers geweiht ward. Längs der Mauern wurden zahlreiche
Kapellen errichtet, die islamitische Arbeiter zwangsweise errichten und zieren
halten. Glücklicherweise änderte sich der eigenartige Charakter des Gebäudes
dadurch keineswegs; auch die Mauer, welches das Heiligtum gegen den Hof hin
abschließen sollte, kann nicht eine eingreifende Änderung genannt werden. Da kam der
Bischof Alonso Manrique 1523 auf den unglückseligen Gedanken, inmitten der Moschee
eine christliche Kathedrale zu errichten! Wohl waren die Cordobaner heftige
Gegner dieses Planes und suchten beim Kaiser die Absicht Manriques zu
hintertreiben; umsonst. Die Erlaubnis wurde erteilt und der Bau ausgeführt. Zu
spät erkannte Karl V. den Vandalismus, den er bewilligt; seine berühmten
Worte: "Was ihr da gemacht habt, war überall zu machen; aber was ihr zerstört
habt, hatte seinesgleichen nicht in der Welt", änderten an der traurigen Tatsache
nichts mehr.
So steht jetzt mittenin der Moschee eine gotische Kathedrale mit kreuzförmigem
Grundriß, deren Mauern das Dach des arabischen Gebäudes weit überragen. Ein
Glück, daß der Baumeister, Hermann Ruiz, seinen unseligen Auftrag mit
größtmöglicher Schonung durchzuführen gesucht. Die Hälfte der vorhandenen Säulen
mußte allerdings weichen; die Pfeiler des Domes wurden aber genau an ihre
Stelle gesetzt und jene selbst dazu benützt, die Mauern desselben zu tragen und
zu stützen. Das Ganze ist, um mit K. E. Schmidt zu reden, so geschickt eingerichtet,
daß man im Innern vom ganzen Strebesystem nichts bemerkt, sondern erst außen
sieht, wie die hohen Mauern gehalten werden. Der Dom selbst weist auch seine
Schönheiten auf; trotzdem bleibt die Tat Manriques eine unverzeihliche Verstümmelung
des herrlichen arabischen Bauwerks.
Ungeachtet der Zerstörungskünste der Menschen und Zeiten übt die Moschee auch
jetzt noch ihren Zauber auf die Besucher aus. Aber wieveil tiefer als der
christliche Reisende muß der gläubige Moslem von der Heiligkeit der Stätte
ergriffen werden! Denn noch immer pilgern Muhammedaner nach Cordoba, dem Mekka
des Abendlandes. Schüchtern und verstohlen rutschen sie auf den Knien zum
Mihrab und küssen inbrünstig den Boden. Mit heißer Sehnsucht hoffen sie, daß die
herrlichen Zeiten der Omajaden zurückkehren und daß statt der Ave Maria der
Christen der Ruhm Allahs und des Propheten durch die dämmernden Hallen erschalle.
Mit feuchtem Auge trennen sie sich von dem geraubten, verstümmelten Besitztum
ihrer Väter; ein Steinchen aus einem Bogen, einige Blätter von einem
Orangenbaume im Hof sind Reliquien, die sie stets and die Wallfahrt nach der
großen Moschee erinnern werden. -
Die Schriftsteller, die über Spanien in arabischer Zeit berichten, teilen mit,
daß Cordoba eine Stadt mit 113000 Häusern, 3000 Moscheen, 900 Bädern, 600
Gasthäusern, 50 Spitälern, 28 Vorstädten gewesen; ihre Einwohnerzahl betrug
über eine Million. Neben der hohen Schule, die der Sammelpunkt aller Gelehrsamkeit
war, bestanden 800 öffentliche, unentgeltliche Schulen. Der Ruhm der Stadt
erscholl durch alle Lande; die Dichterin Roswitha im fernen Gandersheim
nennt sie "die helle Zierde der Welt, die junge herrliche Stadt, stolz auf ihre
Wehrkraft, berühmt durch die Wonnen, die sie umschließt, strahlend und im
Vollbesitz aller Dinge". - Heute ist Cordoba halb verfallen; die holperigen engen
Gassen, die kleinen Plätze, die niedrigen Häuser, die Armut der Bewohner lassen
keineswegs die Größe der kalifischen Zeit ahnen. Außer der Moschee sind es nur
wenige Bauten, die noch von den Arabern herrühren. Vor allem die Calahorra, der
mächtige Brückenkopf auf der Südseite des Guadalquivirs. Er ist der trotzige
Hüter der 16bogigen Brücke, die von den Römern fundamentiert, von den Mauren
fertig erstellt worden ist. Statt der Kalifen mit ihrem glänzenden Gefolge zieht
heute ein zerlumpter Maultiertreiber mit seinem elenden Karren hinüber. Etwas
unterhalb der Brücke stehen draußen im Flusse die Reste alter arabischer
Mühlen. Von dem herrlichen, viel besungenen Alcázar oder Kalifenschlosse,
das an der Stelle eines gotischen Königspalastes erbaut worden war, ist wenig
übrig geblieben: einige Türme, ein Bad, eine Wasserleitugn. Auch in der Umgebung
der Stadt stoßen wir kaum noch auf Reste, trotzdem sie in arabischer Zeit
mit herrlichen Bauten in großer Zahl geschmückt war. Es scheint diese Landschaft
die Araber ganz besonders gefesselt zu haben. Das entzückende Klima, die milden
Sternennächte, rieselndes Wasser ließen den Wüstensöhnen das Land wie einen
Vorhof des Paradieses erscheinen; hier wuchsen die im arabischen Lied so
verherrlichsten Palmen, grünten Zypressen und Myrten, glühten Orangen und
Granaten aus dem dunklen Laube hervor. Dem herrlichen Lande mutßen die Bauwerke,
die sie errichteten, entsprechen; die reiche orientalische Phantasie war eine
Kraft, die an schöpferischem Reichtum die Natur nachzuahmen schien.
Zu den größten Musterewerken gehörte die Stadt, welche Abderrahman III.
zur Freude seiner Favoritin Az-Zahra im Norden von Cordoba erbaute. Dieser an
äußeren und inneren Erfolgen so reich beglückte Herrscher hat uns in Versen -
er war selbst ein begnadeter Dichter - den Grund seiner großen Bauunternehmungen
geoffenbart:
"Ein Fürst, der Ruhm begehrt, muß Bauten gründen,
Die nach dem Tode noch sein Lob verkünden.
Du siehst, aufrecht stehn noch die Pyramiden.
Und wieviel Könige sind dahingeschieden!
Ein großer Bau, auf festem Grund vollbracht,
Gibt Kunde, daß sein Gründer groß gedacht."
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Az-Zahra, die "Blühende", war das Bedeutendste seiner Werke.
10000 Arbeiter mit 1500 Maultieren arbeiteten daran 25 Jahre. Der Kalife
überwachte selbst den Bau. Die Stadt erhob sich in drei Stufen am Abhang des
Berges; auf der obersten stand das Schloß der Herrschers, von dem aus man eine
entzückende Aussicht auf die reichen Gärten, den neuen Ort und die ganze
Landschaft genoß. Die arabischen Schriftsteller nennen den Palast das
glänzendste Bauwerk des Islams; aber auch die Reisenden aus dem Abendland
wissen ihm nichts an die Seite zu stellen. Die Beschreibung desselben errinert
uns öfters an die Alhambra. Az-Zahra besaß auch eine Moschee von höchster
Schönheit. Der Mihrab erstrahlte in wunderbarer Farbenpracht.
Des Menschen Werke sind vergänglich! 74 Jahre nach der Erbauung fiel die
Stadt, um deren Besitz willen Abderrahman als der Glücklichste aller
Sterblichen gepriesen worden war, der Vernichtung anheim. Die aus Afrika
herübergekommenen Berber verwandelten den Ort in einen rauchenden
Trümmerhaufen. Bittere Wehklage erfüllt die Verse der arabischen Dichter, die auf
dem zerfallenen Mauerwerk der kurzen entflohenen Herrlichkeit gedenken. Heute
bezeichnen einige Schutthaufen in der Gegend, welche Cordoba la vieja heißt,
die Stelle, wo Az-Zahra, die Blühende, gestanden.
Ein ähnliches Schicksal haben die Stadt Zahira, die Almansur östlich von
Cordoba am Guadalquivir erbaute, und zahlreiche andere Ortschaften erlitten.
Sie sind vollständig vom Erdboden verschwunden; ihre Namen und ihr Ruhm aber
leben in den Gesängen der Dichter, in den Werken der Geschichtsschreiber und
in den Legendes des Volkes fort. -
Auch in Sevilla entwickelten die Araber eine glänzende Kultur. Die
dortige Hauptmoschee, die 1171 von Abu Jakub Jûsuf errichtet worden
war; stand an Größe, an Glanz und an Pracht derjenigen von Cordoba nur wenig
nach. Als die Stadt 1248 in die Hände der Christen fiel, begnügten sich diese
anfänglich damit, wie dort ihre Kapellen längs den Wänden in das muhammedanische
Gotteshaus einzubauen. 1401 indessen faßte das Domkapitel den Beschluß, an Stelle
des arabischen Baues eine Kirche zu errichten von solcher Größe, daß ihresgleichen
nicht gefunden würde. Die Moschee wurde niederrissen und auf dem Platze die heutige
gotische Kathedrale erstellt. Glücklicherweise ist uns einiges erhalten
geblieben, so der Vorhof der Moschee mit der hübschen Puerta del Perdón
und Spuren von Bogen und Säulen an den noch zinnengekrönten Umfassungsmauern.
Das Kostbarste aber ist das Minaret oder die Giralda, das weithin sichtbare
Wahrzeichen Sevillas.
Dieses Minaret bildet das vornehmste Bauwerk aus der zweiten Periode der
arabischen Kunst in Spanien. Es ist nicht nur der mächtigste Gebetsturm der
Mauren überhaupt, sondern gehört zugleich zu den schönsten Türmen der Welt.
Blitz und Sturm haben ihn umtobt, Erdbeben haben seine Grundfesten erschüttert;
noch aber ragt er leicht und zierlich in die Lüfte empor. Von seiner Höhe aus
bietet sich ein herrlicher Blick auf den schiffbelebten Guadalquivir, die
andalusischen Gefilde und die sie umschließenden Berge.
Der Turm wurde 1184-96 errichtet, angeblich durch den Baumeister Al-Gebr, den
berühmten Erfinder der Algebra. Das Fundament besteht aus großen Quadern, die zum
Teil von römischen Bauten herstammen. Der Grundriß ist quadratisch, die
Seitenlänge 13,5 m; die Dicke der Mauern beträgt 2,5 m. In 25 m Höhe beginnt die
Ausschmückung der Mauerflächen mit einem Netzwerk aus arabeskenartigen,
durch Ziegelsteine gebildeten Bändern, die als vertikale Reckteckfüllungen die
Außenwand des Turmes bis hoch hinauf bedecken. Zwischen diesen Streifen sind
die zierlichen Zwillingsfenster durchgebrochen; sie sind mit Säulchen, hufeisenförmigen
oder ausgezacktem Bogen und hübschem Maßwerk versehen. Die Nischen, von denen
aus das Netzwerk seinen Ursprung nimmt, sind ungleich hoch auf den vier Turmseiten;
sie richten sich nach dem im Innern emporführenden Wendelgang.
Diese Ungleichheit trägt sehr dazu bei, den Bau leicht und lebendig
erscheinen zu lassen. Eine prächtige Spitzbogenarkade, die rings um den Turm
herabläuft, schließt den maurischen Unterbau in 70 m Höhe ab.
Er trug ein schmales Türmchen wie die heutigen Minarets in Marokko. Dies war von
vier kupfernen, aber vergoldeten Kugeln gekrönt. Wenn sie Sonne sich auf ihnen
spiegelte, konnte der Lichtglanz schon aus der Entfernung einer Tagereise
wahrgenommen werden. Jetzt steht auf dem maurischen Turm ein aus dem
16. Jahrhundert stammender Aufbau von fünf Stockwerken. Das unterste, die
Glockenstube, krönt das frühere Minaret in seiner ganzen Breite; die übrigen sind
schmäler. Das oberste trägt auf seiner Kuppen eine mächtige Kugel mit der
Statue des Glaubens, einer weiblichen Figur mit Banner. Sie dreht sich mit dem
Winde und hat dem Turm den Namen gegeben (girar-drehen). Einschließlich dieser
Wetterfahne erreicht der Trum eine Höhe von 93 m.
Es sind uns in Sevilla noch andere Minarets aus der Zeit der muhammedanischen
Herrschaft erhalten geblieben; sie stehen aber an Größe und ornamentalischer
Ausschmückung weit hinter der Giralda zurück und haben durch christliche
Zutaten mehr oder weniger ihren arabischen Charakter eingebüßt. Berühmter ist
der herrliche Alcázar oder maurische Königspalast; indessen gehört
dieser Bau schon der christlichen Zeit an, weshalb wir ihn hier übergehen.
Wohl aber ist der mächte Torre del Oro am Guadalquivir altmaurisch,
einer der festesten Punkte der Stadtmauer. Sein Grundriß ist ein reguläres
Zwölfeck; auf dem hohen, mit Zinnen gekrönten Unterbau, der nur von der Mauer
aus betreten werden konnte, erhebt sich ein schmäleres Stockwerk; das kleine
runde Kuppeltürmchen, womit das Ganze abschließt, ist spätere Zutat. In
arabischer Zeit war auf der andern Seite des Flusses ein ähnlicher Wachtturm;
beide waren durch eine schwere eiserne Kette verbunden, die den Hafen abschloß.
Von den maurichen Wohnhäusern Sevillas, die durch Eleganz der Einrichtung wie
druch Solidität der Bauart berühmt waren, finden wir wenig mehr. Umsonst suchen
wir Überreste der Paläste, welche die Flußufer auf- und abwärts schmückten und
deren Pracht in glanzvollen Farben geschildert wird. Viele Meilen weit war der
Guadalquivir mit Fischerbooten und Lustkähnen belebt, so daß er mit Euphrat,
Tigris und Nil verglichen wurde. Das Schicksal Az-Zahras hat sich auch an den
herrlichen Bauten von Sevillas Umgebung vollzogen. -
Granada! Eine paradiesische Landschaft taucht in unserer Erinnerung
auf bei diesem Zauberwort. Ein weites Gelände breitet sich, umflossen von einem
silbernen Strom, vor uns aus. In üppiger Kraft gedeihen Eiche, Ulme, Pappel;
die weißgetrüncheten Mauern der Gehöfte, Villen und Dörfer werden beschattet von
Palmen, Zypressen, Pinien, Lorbeer; die Weinrebe rankt von Baum zu Baum. Im
Garten blühen Orangen und Granaten, reifen Oliven, Feigen, Mandeln und Zitronen.
Ein vielfarbiger Blumenflor entzückt das Auge; bunte Schmetterlinge flattern
darüber hin; Vogelsang erfüllt die Luft. Auf steiler Höhe thront eine mächtige
Feste aus rotem Gestein; trotzig schauen ihre Mauern und Türme auf das Häusermeer
der Stadt herab.
Das ist die Alhambra, die "rote Burg". Schon längst war uns dieser Name
nicht mehr fremd. Als wir noch auf der Schulbank saßen, belebten wir das Königsschloß
mit jenen Gestalten und Farben, die uns in "1001 Nacht" so entzückten. Später
lasen wir die Schilderungen, die Washington Irving und der Freiherr von Schack
von dem Wunderbau gemacht und beneideten alle die Glücklichen, welche ihn aus
eigener Anschauung kennen lernen durften. Und nun weilen wir
selbst in Granada und blicken zu dem Palaste empor, den in Wirklichkeit zu
sehen wir nicht einmal zu träumen gewagt. Es duldet uns nicht in der Stadt,
so zahlreich ihre Sehenswürdigkeiten auch sein mögen; wir suchen die Calle de
Gomeres auf, welche uns zum Eingangstor der Alhambraanlagen bringen soll. Kaum
haben wir dasselbe durchschritten, so umfängt uns entzückende Waldeinsamkeit.
Wir glauben uns in ein stilles Tal unserer Heimat versetzt; es sind dieselben
Bäume, die über uns ihr grünes Blätterdach ausbreiten. Aber wir drängen vorwärts
und eilen auch an dem schönen Renaissancebrummen Karls V. vorbei, aus dessen
drei Röhren sich das Wasser mit heimeligem Plätschern in das moosbewachsene
Steinbecken ergießt. Nun stehen wir vor einem gewaltigen Turm. Über dessen Tor
wölbt sich ein Hufeisenbogen; im Schlußstein desselben findet sich die
Zeichnung einer Hand, deren fünf Finger die Hauptgebote des Islams bedeuten
sollen: Gebet, Fasten, Almosengeben, Wallfahrt nach Mekka und Glaubenskrieg.
Ein Schlüssel über dem Innern Bogen des Tors, wegen der früher hier stattfindenden
Rechtssprechungen Tor der Gerechtigkeit genannt, besagt, daß der Turm den
Eingang der Alhambra bewacht. Der Weg führt uns noch an einem zweiten Tor vorbei,
dem Weintor, der Name stammt aus dem 16. Jahrhundert, da sich hier damals eine
Weinniederlage befand. Wir sind jetzt auf dem Zisternenplatz angelangt; ein
über 30 m langer, 8 m breiter Brunnen liefert den Granadinern das Trinkwasser,
das durch zahlreiche Wasserträger vermittelst Fäßchen und Schläuchen in die
Stadt befördert wird. Zu unserer Linken haben wir die altarabische Zitadelle mit
zwei Türmen, rechts den Alhambrapalast und einen gewaltigen Renaissancebau, ein
unglückliches Bauwerk Karls V. Dieser Herrscher beschloß 1526, auf der Alhambra
seine Residenz aufzuschlagen. Er ließ einen Teil des arabischen Palastes niederreißen un d
an dessen Stelle das heutige Gebäude erstellen, das alle Alhambrabauten überragen
sollte. Der Bau blieb unvollendet. Die Zerstörung der Hauptfassade des arabischen
Schlosses - wir haben sie uns vielleicht ähnlich derjenigen am Alcázar in
Sevilla zu denken - war umsonst gewesen. Das heutige Äußere desselben ist
außerordentlich unansehnlich und bescheiden, sehr im Gegensatz zu
dem gewaltigen Kaiserbau. Es verrät keineswegs die Pracht, die wir innen finden.
Wir gehen an den zerlumpten Bettlergestalten, die vor dem Eingang Spalier
stehen und uns durch ihr Gitarrenspiel und ihren lauten eintönigen Gesang
einige Perros (Kupfermünzen) zu entlocken suchen, vorbei und treten durch eine
einfache Türe ein. Einige Schritte noch, und wir befinden uns im Myrtenhof!
Ein seltsames Gefühl beschleicht und beklemmt uns. Ist es Enttäuschung, weil
wir vielleicht nach all dem Ruhme mehr erwartet, ist es ein Zauberbann, in den
wir geraten? - Tiefste Stille ringsumher, kaum gestört durch das Lispeln der
Hecken und Bäume, deren Blätter im leisen Windhauch erzittern; duftige
Säulenarkaden, die im Wasser des Teiches sich spiegeln; geheimnisvolle Seitengemächer,
durch deren dunkles Innere der Blick auf eine herrlich grüne Landschaft gleitet;
an den Wänden eine fremdartige, wie von Feenhand gewirkte Ornamentation, die in
ungekannten Formen und Farben erstrahlt; über das glänzende Ziegeldach mit
seinem zierlichen Kuppelchen blickt ein zinnenbekrönter Turm von gewaltigen
Dimensionen herein; hoch über uns wölbt sich ein tiefblauer Himmel, und die
südliche Sone erfüllt den Hof mit grellen Lichtern und Schatten. All das wirkt
gleichzeitig auf uns ein und verwirrt. Erst nachdem wir uns eine Weile der
Einwirkung des Ganzen hingegeben haben, finden wir uns zurecht und fangen an,
die Schönheiten einzeln auf uns wirken zu lassen. Die ganze Länge des Hofes
nimmt ein schmales alabasternes Wasserbecken ein, zu dessen Seiten sich
grüne Myrtenhecken hinziehen. Die Langseiten des Hofes werden von weißgetünchten
Mauern gebildet, deren einziger Schmuck die zahlreichen, mit Stuckornamenten
ausgestatteten Bogentüren und die allerliebsten kleine Ajimezfensterchen im obern
Stockwerk sind. Viel reicher sind die zwei Schmalseiten behandelt. Hier finden
sich herrliche Bogengänge. Je acht schlanke Säulen aus kostbarem Material
tragen sieben reichverzierte, erhöhte Rundbogen, deren mittlerer breiter und
höher als die übrigen ist. Der Raum bis zum Dach ist mit durchbrochener
Stuckarbeit ausgefüllt. Auf der nördlichen Seite ragt über dasselbe
der mächtige Comaresturm hinaus, flankiert von zwei kleineren Türmchen.
Die entgegengesetzte Seite weist drei Stockwerke auf, über welche die kahlen
Mauern des Karlsbaues hinausragen. Sie weisen darauf hin, daß der eingerissene
Teil der Alhambra ebenfalls dreistöckig war. Wahrscheinlich wohnten die Frauen
darin, und die Galerie oben, von der aus man einen entzückenden Ausblick auf den
Myrtenhof haben muß, diente ihnen zur Befriedigung der Neugierde bei festlichen
Anlässen. In den Ecken des Hofes finden sich reichverzierte Nischen; sie
enthielten Kissen und Polster. Die Arkadendecken bestehen aus Mosaik von
Zedernholz; sie kleine Kuppel der Nordgalerie ist auf tiefblauem Grunde mit
goldenen Sternen bemalt.
Der Comaresturm thront hoch über der Schlucht des Darro auf steiler
Felsenkante und ist mit seinen mächtigen Mauern eine der wichtigsten
Verteidigungsbauten der ganzen Burg. In diesem Turm befindet sich der
Gesandtensaal. Er wird vom Myrtenhof aus betreten. Das reichverzierte Portal
führt zwar zunächst in das längliche Vorzimmer des Saales, die Halle des
Segens. Sie war der Aufenthaltsort der maurischen Ehrenwache. In verschwenderischer
Fülle sind hier die Ornamente über die Wände ausgestreut. Wir verstehen,
daß die Dichter diesen Raum als dem Vorhof des Himmels verglichen. Leider
leuchten die Farben nicht mehr in ihrem ursprünglichen Glanz. Ein Feuer, das 1860
in diesem Gemach ausbrach, hat die Wände geschwärzt; die Decke wurde teilweise
zerstört. Welch ein Glück, daß dem Feuer rasch Einhalt geboten werden konnte
und dasselbe nicht vollends ein Bauwerk verzehrte, das seinesgleichen auf
der ganzen Erde nicht findet und selbst nur der letzte Rest einer glänzenden
Kunstepoche ist.
Der Boden, durch den wir zum Gesandtensaale gelangen, ist gleich dem
Eingang vom Myrtenhofe her mit bemalten und vergoldeten Stuckornamenten,
Stalaktiten und Azulejos geschmückt. Auf beiden Seiten finden sich kleine
Nischen; die Inschriften, in denen vielfach von Vasen, vom Stillen des
Durstes, von der Köstlichkeit des Wassers die Rede ist, zeigen, daß dieselben
zur Aufstellung von Wasserkrügen dienten und nicht, wie der spanische Name
Babuchero besagen könnte, zur Aufnahme des abgelegten Schuhzeugs bestimmt waren.
Der Schmuck dieser Nischen ist ungemein zierlich. Es ist wahr, was sie von sich
selber rühmen: "Künsterhände haben und gewebt und unser Diadem mit Edelsteinen
geziert; wir gleichen dem Throne einer Braut; man kann uns dem funkelnden
Regenbogen vergleichen."
Wir treten in die Halle der Gesandten, den Thron- und Audienzsaal der Könige
von Granada. Er ist groß und quadratisch; die Seitenlänge beträgt 9 m. Die
mächtige Höhe überrascht uns. Während die Moschee zu Cordoba durch ihre gewaltige
horizontale Ausdehnung den Eindruck der Unendlichkeit erweckte, werden unsere
Sinne und Gedanken hier durch die vertikale Entwicklung des Raumes nach oben
gelenkt. Er wird nur spärlich erhellt, was dem Innern einen um so eigenartigeren,
weihevollen Reiz verleiht. Neun Fenster, auf jeder nach außen schauenden Seite drei,
gewähren dem Licht Eintritt. Die Mauern des Turmes sind aber so dick, daß die
Fenster kleine Kammern bilden, deren Höhe 5 m erreicht. Die Wände dieser
reizenden Gemächer sind wie das Innere des Saales reichlich verziert. Die
Mittelfenster sind durch zierliche Säulchen und Bogen zweifach geteilt. Wenn
wir an die Brüstung treten, gewahren wir, daß wir hoch über dem Tale des Darro
schweben, aus dessen Tiefe das Rauschen des Wassers heraufdringt, und entzückt
schweift das Auge über die herrliche Landschaft. Dort drüben an den Abhängen
des Sacro Monte liegen die Höhlenwohnungen des Albaicin, des Zigeunerviertels
von Granada; an der zum Peinador der Königin führenden Säulengalerie vorbei
gleitet der Blick hinüber zum Generalife, dem herrliche gelegenen Sommerpalast
der maurischen Könige, aus dessen Garten schlanke Zypressen aufragen; in der
Ferne leuchten die schneebedeckten KUppen der Sierra; nach Westen dehnt sich
die Stadt aus, über welche zahlreiche Kirchentürme emporragen. - Treten wir
in den Saal zurück, um den Raum in seinen Details zu studieren, so staunen wir
über den Reichtum der Ornamente, der an Wänden und Decke sich findet. Der Maler
Contreras hat 152 verschiedene Motive gezählt. Vom Fußboden bis zur Gürtelhöhe
sind die Wände ringsum mit metallisch glänzenden, glasierten
Kacheln, Azulejos, besetzt, deren Linienverzierung prachtvolle geometrische
Figuren bilden. Man kann nicht müde werden, den Bändern zu folgen; immer wieder
verschlingen und verschränken sie sich, und bei jedem Zusammentreffen entstehen
neue überraschende Bildungen. Die Farben sind so gewählt, daß unser Auge mit
Wohlgefallen auf denselben ruht; ein gebrochenes Grün, Ockergelb, Blau,
Indischrot, ein leise grünliches Weiß. Über der Azulejosbrüstung folgen bis zur
Höhe der Fensterkammern teils wagrechte, teils vertikale Rechtecke und Bogenfüllungen
mit Band und stilisierten Pflanzenornamenten. Diese sind derart in Stuck ausgeführt,
daß sich das eigentliche Ornament in flachem Relief von einem tiefern,
gewöhnlich rot oder blau bemalten Grunde abhebt; die Vergoldung der Höhen ist von
der umgebenden Farbe durch die weiße Kante der Skulptur getrennt, so daß stets
eine scharfe Sonderung besteht und kein verletzender Farbenwirrwarr entstehen
kann. Weiter kommen nach oben fünf schmälere oder breitete Friese, welche sich
um den ganzen Raum herumziehen. Der unterste und oberste sind Inschriftenbänder;
Fries 2 wiederholt in seinen halbkreisförmig gebogenen Bändern in unendlicher
Variation die Formen der Fenster; Fries 4, der breiteste von allen, zeigt in
seiner Linienführung ähnliche Figuren wie die Azulejos in den untersten Teilen
der Wände, allerdings wegen der bedeutenden Höhe über dem Boden ins Riesenhafte
übertragen. Zackenförmig schießen die Linien hin und her und bilden die
prachtvollsten Sternfiguren, ohne daß es uns möglich wäre, das Gewirr der Linien
aufzulösen und eine einzelne längere Zeit zu verfolgen. Von den fünf Bogenfenstern,
die alle vier Wände durchbrochen haben, sind je zwei wieder vermauert worden. Das
Licht, das durch sie eintritt, bricht sich an den reicht in Gold und Farben
strahlenden Wänden. Wo diese in die Decke übegehen, finden sich zwei
Stalaktitengesimse. Mit dem Namen Stalaktiten bezeichnet man jenes seltsame
Motiv, das nur die Araber kannten und mit dem sie so zauberhafte Wirkungen
hervorzurufen imstande waren. Es sind tropfsteinartige Gebilde, die nicht nur
als überhängende Friese unter dem Dache verlaufen, sondern auch die Ecken
ausfüllen, oft selbst von der Decke herabhängen. Die Bemalung der
hängenden Zapfen mit Gold, Rot und Grün macht sie zu einem äußerst wirksamen
Bestandteil der arabischen Dekorationskunst. In der Alhambra findet derselbe
recht ausgiebige Verwendung.
Über den zwei Stalaktitenfriesen der Gesandtenhalle steigt die kuppelförmige
Decke an, welche aus kostbarem Zedernholz gearbeitet ist. Auch sie ist reich
ornamentiert. Das Sternmotiv, das wir unterhalb der Fensterchen als Band
kennen gelernt, ist hier als Flächendekoration entwickelt und so durch jenes
gleichsam vorbereitet worden. Die gezackten Bänder, welche die Decke überziehen,
teilen sie in zahllose Zellen von der verschiedensten geometrischen Form; aber
immer und immer wieder wird der Blick auf die zwölfstrahligen Sterne geleitet,
welche die Ruhe in dem sonst unentwirrbaren Chaos von Linien bedeuten.
Einzelne Schriftsteller haben die herrliche Decke mit einem geschliffenen,
reich facettierten Diamanten verglichen.
Es ist unmöglich, ein Stückchen Fläche zu entdecken, das nicht mit
leuchtenden Ornamenten geschmückt wäre. Trotzdem macht sich nicht die geringste
Überladung bemerkbar. Alles wirkt harmonisch zusammen. Unser Auge überläßt sich
unwillkürlich dem Spiel der Linien, und wie uns eine weiche Melodie von Tönen
in einem traumhaften Zustand zu versetzen vermag, so diese Arabeskenmusik.
In dieser Halle spielt neben den vielen erwähnten Ornamenten auch die
Schrift eine große Rolle. Die arabischen Schriftzeichen stellen ein reiches
dekoratives Material dar, und oft ist es für das ungeübte Auge nicht leicht,
ihre Verschlingungen aus den Arabeskenbändern herauszulösen [ Man möchte
vermuten, daß die Arabesken sich aus den Schriftzeichen herausgebildet haben. ].
Zahlreiche Rahmenfüllungen und Friese bestehen aus Inschriften: Sprüche aus dem
Koran, geschichtliche Angaben, die sich auf die Erbauer beziehen, Lobsprüche
auf die Herrscher der Zeit, Gedichte, in denen das Haus, der Garten, eine
kostbare Vase u. dgl. besungen wird. Schon dem des Arabischen
unkundigen Besucher fällt es bei aufmerksamer Betrachtung bald auf, daß gerade
im Gesandtensaale dieselben Schriftzeichen häufig wiederkehren, bald als
Füllung, bald im Fries sich wiederholend; dann aber auch im Schrägbalken
der roten Schilder, welche manchenorts anmutig in die Arabeskenverschlingungen
eingestreut sind.
Es ist das Wappen von Mohammed I., des Gründers der granadinischen Königsdynastie;
die Schrift ist das berühmte Motto der Nasriden: Wa la ghálib iba Alá!
Es ist kein Sieger außer Gott! Unter den Inschriften erwähnen wir diejenige,
welche die mittlere Nische dem Eingange gegenüber ziert. Dort befand sich der
Thron des Königs. Sie spricht also:
"Dich begrüßt abends wie morgens mein Mund mit Wünschen für dein Heil, dein
Glück und deine Dauer.
"Dieser Saal mit seiner Kuppel ist unser Ahne, und wir sind seine Kinder. Ich
jedoch bin die vornehmste, die erstgeborene seiner Töchter, und zum Vorrang
auserkoren.
"Ich bin das Herz inmitten des Leibes; denn im Herzen allein weilt die Kraft
des Geistes und der Seele.
"Meine Schwestern sind nur Sterne in dem großen Zodiakus, ich jedoch bin die
Sonne, um die sie kreisen.
"In ein Gewand von Ruhm und Pracht hat mich mein Herr und Meister, der von
Gott geliebte Jusuf gekleidet, wie keine meiner Schwestern.
"Meine Strahlen treffen den Thron seiner Herrschaft. Möge seine Hoheit durch
Gottes Gnade erhalten werden, der das Licht ist und der Wohnsitz der Heiligen."
Wie glanzvoll mögen in frühern Zeiten die Aufzüge in diesem herrlichen Saale
gewesen sein! In der Nische auf vergoldetem Thron der Herrscher, um ihn alle
die Großen des Reiches in wallenden Gewändern; über kostbare Teppiche
schritten die Gesandten ferner Länder, dem König huldigend und
kostbare Geschenke darreichend. In der Mitte plätscherte ein Marmorbrunnen,
dessen Wassserstrahlen Kühlung spendeten. Hier war es, wo der unglückliche
Boabdil mit den arabischen Fürsten über die Übergabe Granadas an Ferdinand
und Isabella beriet; hier war es aber auch, wo Kolumbus der Königin seine
Entdeckungspläne entwickelte. Seltsame Fügung des Schicksals - im gleichen
Jahr und im gleichen Saal, da sich das Geschick der Maurenherrschaft in Spanien
vollzog, wird die Idee dargelegt, deren Ausführung eine neue Ärea in der
Weltgeschichte heraufführen sollte.
Um in die übrigen Räume der Alhambra zu gelangen, müssen wir in den
Myrtenhof zurückkehren. In der südwestlichen Wand führt eine Tür durch eine
schmale Seitenkammer in die Sala de los Mocarabes, einen langgestreckten Raum.
Bei dem spärlichen Lichte, das in denselben einfällt, nehmen wir wahr, daß die
arabische Ausstattung fast völlig verschwunden ist. Die ursprüngliche Decke
ist großenteils durch ein Renaissancegewölbe ersetzt, das nach einer
Pulverexplosion im Jahre 1591 erstellt wurde[ Ein ähnliches Ereignis hat das
herrlichste griechische Bauwerk, den Parthenon in Athen, betroffen! Die
Explosion des Pulvers, das im Dachraum aufgespeichert lag, zerstörte 1687 nicht
nur das Innere, sondern verwandelte den ganzen Tempel in eine Ruine. ]. Von
dieser Halle aus gelangen wir in den sagengefeierten Löwenhof.
Tausende von Reisenden haben sein Lob gesungen und seinen Ruhm in alle
Lande getragen. Längst haben wir ihn aus Liedern und Bildern kennen gelernt.
Und nun stehen wir selbst bewundernd vor dem herrlichen Werke! - In der Mitte steht
der Brunnen, welcher dem Hofe den Namen verliehen hat. Er besteht aus zwei
marmornen Becken; das untere, größere ruht vermittelst zylindrischer Träger auf
zwölf seltsamen Tieren. Sie sind plump, stark stilisiert, die Beine gelenklos;
der Vorderleib ist mit einer Art Schuppen bedeckt. Wir würden diese Skulpturen
als flügellose Greife bezeichnen, wenn nicht die Inschrift auf dem Rand der
untern Schale sie Löwen nennen würde. Diese Tierstatuen genossen bei
den Arabern das größte Ansehen; die Wüstenkönige, die hier ihrer Wildheit
vergessend im Staube liegen, versinnbildlichten die Macht des Herrschers, vom
dem die Völker sich demütig beugen. Es mag für die Sühne des heißen Arabiens
ein herrlicher Anblick gewesen sein, wenn das Wasser aus der Mitte des Bassins
hoch aufschoß, in zierlichem Boden die Tropfen diamantartig blitzend in die
Schale zurückfielen und das erfrischend Naß über den Marmorrand hinausquoll, die
Löwen benetzend, die aus ihrem Maule einen Wasserstrahl ausspien. Das Wasser
sammelte sich in einer Rinne, von der aus vier Marmorkanäle nach den vier
Seiten führen, wo sie in kleineren, im Boden vertieften Schalen enden. Es stammte
aus der Wasserleitung, welche die Alhambra heute noch mit der Sierra Nevada
verbindet und alle Gärten und Höfe des Palastes speist; beinahe überall befinden
sich im Pflaster Rinnsale, welche das kühle Naß murmelnd und plätschernd
durch die Säle führen. In arabischer Zeit fehlte die kleinere Schale des Brunnens
mit ihrem Aufsatz; das große Becken lag, wie man aus dem Bau der Tiere sehen
kann, tiefer und diente wahrscheinlich den Waschungen, die täglich viermal
vorgeschrieben waren.
Der tiefe Eindruck, den der Brunnen auf uns macht, hängt mit der glänzenden
Umgebung zusammen. Der Löwenhof stellt ein großes Rechteck dar, 28 m lang,
16 m breit; der Boden ist mit Marmorplatten belegt. Offene Arkaden umgeben
dasselbe auf allen Seiten; auf den Schmalseiten ragen zwei zierliche Kiosks
in den Hofraum hinein. Die Säulen sind aus milchweißem Marmor, rein wie
Alabaster, von ungemeiner Schlankheit. Ihre Zahl beträgt 124. Bald sind sie
einzeln, bald stehen sie paarweise, zu dreien oder zu vieren beisammen,
anscheinend regellos. Die Kapitäle sind äußerst mannigfaltig und zeugen von der
bewundernswerten Erfindungsgabe der arabischen Künstler. Über den Bogen findet
sich herrliches Arabeskenwerk, das wie aus feinstem Elfenbein geschnitten ist.
Die hohen Kuppeldecken der Pavillons bestehen aus reichem Stuck; über einen
Stalaktitenfries ist ein geometrisches Linienornament über das Feld ausgestreut,
so daß die Decke einige Ähnlichkeit mit derjenigen im Gesandtensaal hat. Die
Wände der Kolonnaden sind
bis zur Brusthöhe mit blauen und gelben Azulejos bekleidet. Das Dach
derselben war einst mit schimmernden Fliesen bedeckt.
Wohl kann man mit Worten die Einzelheiten des Hofes aufzählen und
beschreiben; doch vermögen sie nur ein armseliges Bild von all der Pracht zu
schaffen, die uns umgibt. Alles wirkt gleichzeitig auf uns ein: der Reichtum
und die Schönheit der Säulen, die wechselnde Bildung der Bogen, das Häkelwerk
der Stuckornamente, der Farbenglanz der Arabesken, der Marmorbrunnen mit seinen
Fabeltieren, der südliche Himmel, der sich über uns wölbt. Unvergleichlich aber
ist das Bild, wenn wir in eines der anstoßenden Gemächer treten und durch die
Stalaktitenporten auf den Hof hinausblicken. Eine unnachahmliche Grazie ziert
das Ganze, dessen Reiz noch erhöht wird durch das vielfältige Lichter- und
Schattenspiel, das die Sonne auf Boden und Wände zaubert. Wir bewundern den
Baumeister Aben Cencid, der ein Werk von solcher Schönheit zu schaffen vermochte;
wir dürfen ihn an die Seite der ersten griechischen Künstler und der Erbauer
der gotischen Dome stellen. - Besonders märchenhaft mochte es einst sein, wenn
in milder andalusischer Nacht der Mond in stillem Glanze über dem Hofe
schwebte und Dächer, Säulen, Wände, Brunnen und Boden mit sanfter Lichtflut
übergoß. Der Marmor erstrahlte in magischem Schein; der Brunnen plätscherte,
die Blätter der Orangenbäume, die hier wuchsen, rauschten, der Blüten erfüllten
die Luft mit ihrem Duft. Aus einem anstoßenden Gemacht drangen die weichen Töne
einer sehnsüchtigen Liebesklage. -
Auf allen vier Seiten des Löwenhofes liegen Säle, zu denen man über einige
Marmorsäulen hinaufsteigt. Der nördliche und südliche, die Halle der beiden
Schwestern und diejenige der Abencerragen, haben ein Wasserbassin in der Mitte,
von welchem aus eine Rinne zu den Löwenbrunnen hinausführt. Die beiden Räume
gehören zu den schönsten der Alhambra.
Die Abencerragenhalle ist ein ungefähr quadratisches Gemach, an welches sich
auf zwei Seiten je eine um eine Stufe erhöhte Kammer anschließt. Jede ist vom
Mittelraum durch drei Säulen mit zwei reich ausgestatteten Bogen getrennt. Die
Wände sind unten mit Azulejos bekleidet; indessen stammt diese
Ausschmückung erst aus dem 16. Jahrhundert, da der Saal durch die erwähnte
Pulverexplosion stark beschädigt worden war. Dafür sind die beiden obern
Stockwerke noch wohlerhalten und gehören zu den Meisterwerken arabischer
Kunst. Die Stalaktiten sind hier zu ausgiebigerer Verwendung gekommen als
anderswo. Über den Bogen der Alkoven zieht sich ein breiter Linienfries hin, der
sich auf den übrigen Wänden fortsetzt. Über ihm leiten acht reichgezachte
Stalaktitenzwickel zu der Galerie des zechzehneckigen dritten Stockwerkes über.
Die Flächen desselben verlaufen zickzackartig, so daß dasselbe einen
achtstrahligen Stern mit kurzen Armen darstellt. Das Ganze errinnert uns an
das geometrische Sternornament mit seinen hin und he schießenden Linien; hier
ist es in den Raum übertragen. Über jeder Seite ist ein hübsches
Rundbogenfensterchen angebracht, das von zwei schlanken Säulchen flankiert
wird. Spärliches Licht dringt durch sie herein und hüllt uns in ein
geheimnisvolles Halbdunkel, das die herrliche, vielgegliederte Stalaktitenkuppel
obon nur um so platischer erscheinen läßt. Von den zwei Säulchen aus steigen
zierliche Zwickel auf, 32 an der Zahl; je vier vereinigen sich zu einem
größeren, welcher sich inder halbkugeligen Decke schließlich verliert. Wir
staunen über die Geschicklichkeit der Araber, harmonisch Übergänge aus dem
Quadrat ins Vieleck herzustellen und wieder aufzulösen, sowohl in der Fläche
wie im Raum. - Noch müssen wir den Brunnen erwähnen, der die Mitte des Saales
einnimmt. Es ist ein zwölfeckiges Marmorbecken, in welchem das Wasser rostrote
Eisenoxydflecken hinterlassen hat. Das Volk weiß dieselben allerdings anders
zu deuten: es sind Blutstropfen. In dieser prächtigen Halle soll nämlich
König Boabdil die bei ihm verleumdeten Abencerragen, 36 Männer, haben
hinmorden lassen. Die Sage entbehrt der historischen Grundlage.
In Osten schließt an den Löwenhof eine langgestreckte Halle, der Saal des
Gerichts. Durch mannigfaltig ornamentierte Mauerpfeiler und Säulen, die einen
winkelbildenden Tropfsteinbogen tragen, wird sie in sieben Abteilungen zerlegt,
deren jede eine halbdunkle Hinterkammer enthält. Das nördliche Ende schließt
mit einem Fenster ab, dessen Vergitterung der bekannten geradlinigen
Ornamente aufweist. Der Schmuck der Halle entspricht demjenigen der übrigen
Säle; dieselbe Mannigfaltigekit der Motive, derselbe Reichtum und Glanz der
Farbe. Was hier besonders die Aufmerksamkeit des Beschauers erregt, sind die
Deckenbilder, welche die drei größten Seitenkammern enthalten. Auf dem
mittlern Bilde sieht man zehn Muselmänner auf gestickten Kissen sitzen; jeder
führt ein Schwert in der Hand. Es sind die Herrscher von Granada; das Wappen,
roter Schild mit goldenem Schrägbalken, weist darauf hin. Die frühere Ansicht,
das das Gemälde einen Gerichtshof darstelle, hat dem Saale zur Bezeichnung
verholfen. Die andern Bilder stellen Jagd- und Liebesszenen aus granadinischen
Märchen dar.
Wir verweilen nicht allzulange bei dieser Deckenmalerei. Die steifen, mit
schwarzer Farbe umrissenen Figuren sind nur für den Kunsthistoriker von
Interesse, da die Fälle, wo die Araber die menschliche Gestalt darzustellen
versucht haben, sehr selten sind. Ähnliche primitive Gestalten zeigt ein
marmorner Sarkophag, der in einem der Alkoven aufbewahrt wird und lange Zeit als
Brunnentrog diente; er ist mit Hirschen und Löwen geschmückt. Eine eigenartige
Tatsache: wo die Araber die lebendige Welt bildnerisch wiedergeben wollen, sind ihre
Werke unvollkommen und roh und ragen kaum über die Anfänge der Kunst hinaus; wo
sie aber ihre Phantasie allein walten lassen, höchstens die Geometrie als Wegweise
benutzend, da erreichen sie eine Meisterschaft, die unnachahmlich ist. Aber
gerade diese wunderbare Einbildungskraft erklärt die Unvollkommenheit ihrer
figürlichen Darstellungen; die für uns rohen Werke wurden von ihnen nicht als
solche angesehen, da die Phantasie dieselben zu einem vollkommenen Bilde
ergänzte. So ist es erklärlich, daß viele arabische Schriftsteller des Lobes
voll sind über solche einfachen Erzeugnisse der Kunst und ihre Naturwahrheit
preisen.
Auf der Nordseite des Löwenhofes liegt der Saal der zwei Schwestern. Drei
breite Marmorstufen führen zu ihm empor. Die Anlage entspricht der gegenüberliegnden
Halle der Abencerragen: ein quadratischer Mittelraum mit Brunnen und zwei etwas
erhöhte Seitenkammern, welche indessen durch Türen zugänglich sind. Über diesen
wie über den zwei übrigen Pforten findet sich ein großes Fenster mit Rundbogen,
das aber nichts ins Freie, sonden in die obern Räume führt. In einer Höhe von
7 m wird das Quadrat durch prächtige Stalaktitenzwickel in ein Achteck
übergeleitet; hierauf folgt eine Galerie mit je zwei Fensterchen und darüber
eine Decke von unbeschreiblichem Reiz. Tausende von Zapfen, in den glänzendsten
Farben bemalt, hängen herunter, zwischen sich Tausende von Zellen und Hohlräumen
bildend. Mehr als je werden wir an jene Gebilde erinnert, die in den
Tropfsteingrotten die Decken schmücken und ihnen öfters ein feenhaftes
Aussehen verleihen. Aber nicht nur die Kuppel, auch die Wände strahlen von
Glanz und Pracht. Die Lambris bestehen aus musivischem Tafelwerk von Azulejos;
darüber flimmern und glitzern zierliche Blattarabesken, verwirrende Linienmuster,
kostbare Inschriftenfriese, alles Eleganz und Anmut atmend. Hierzu kommt die
zierliche Gitterung der Fenster und Türen, die aus Zedernholz gearbeitet sind.
Wir begreifen Schack, wenn er behauptet, "daß die Baukunst nie etwas
hervorgebracht habe, was an Feinheit, blendender Pracht und Harmonie aller
Teile den Saal der zwei Schwestern überträfe."
Die Inschriften des Raumes werden als die schönsten Muster arabischer
Kalligraphie angesehen. Von allen Wänden ruft es uns entgegen: "Es ist kein
Sieger aus Gott!" In zahlreichen Friesen und Medaillonfüllungen wird die
Schönheit des Saales in überschwenglichen Worten gepriesen. So heißt es:
"Ich bin der am frühen Morgen mit Schönheit geschückte Garten. Betrachte
mein Gewand und due wirst meine Pracht erfassen.
"Durch Muhammed, meinen Gebieter, ward mir Herrlichkeit verliehen, und nichts,
was ist, noch sein wird, kommt mir gleich.
"Ich bin durch Gott an Glück so reich geworden, wie kein anders Bauwerk auf
Erden.
"Welche Menge von anmutigen Blicken biete ich den Augen dar! Der Geist eines
Frommen wird in mir seiner Wünsche Befriedigung finden.
"Hier in meiner Halle schlagen oft die fünf Plejaden ihr nächtliches Asyl
auf. Die balsamische Luft verbreitet Süßigkeit und Genuß.
"Mich deckt eine Kuppel ohnegleichen, die verborgene und umhüllte Reize birgt.
"Mich begrüßt das Sternbild der Zwillinge,und diesem gesellt sich der
Mond zu, um mit ihnen zu lispeln und zu kosen.
"In meinen zwei Höfen möchten sie gleich jungen Sklaven Dienste leisten
"Und von ihrer Höhe für immer scheiden, die ihren Weg beengt,
"Damit sie ewig meinem Herrn dienen könnten, der sie dieser Ehre würdig
hielte.
"Ich besitze einen so zahlreichen Eingang, daß er sich mit dem Himmelsgewölbe
messen kann.
"Mit welcher Zier hast du ihn, o König, umhüllt! In seiner Umfassung ist er
so formenreich, wie die kostbaren Teppiche von Yemen.
"Wieviel Bogen stehen in seiner Wölbung auf Säulen, die gleichsam im Lichte
sich baden!
"Du glaubst, es sind Planeten, die in irdischen Bahnen kreisen und die
Strahlen der Morgenröte verdunkeln.
Stolzer kann kaum ein Meister sein Werk rühmen, als des Aben Cencid hier
getan.
Der Name des Saales rührt von den zwei großen Marmorplatten her, die
nebeneinander in den Boden eingefügt sind und von den bilderliebenden Arabern
Schwestern genannte wurden. Er mag uns aber auch daran erinnern, daß dieser
Raum mit den anstoßenden Gemächern, sowie den Zimmern im obern Stockwerk den
Frauen zur Wohnung diente. Ein wahrhaft königliches Frauengemacht! Und zu all
dem Glanze, den heute noch Wände und Decke aufweisen, kam die ganze kostbare
Ausstattung eines vornehmen arabischen Wohnraumes. Der Boden war mit braunroten,
weichen, reich dekorierten Yementeppichen belegt; unhörbar schritten schöne
Sultaninen in goldgestickten Corduanpantoffeln darüber hin. Um das Marmorbecken
herum waren blühende Pflanzen aufgestellt, deren Blüten die
Luft mit ihrem Wohlgeruch erfüllten. Der Eingang der Seitenräume war durch
schwere faltige Stoffe verschlossen; drinnen befanden sich seidenglänzende
Diwans, auf denen gestickte Kissen und kostbare Dekcen lagen. Nachts war der
Raum durch Ampeln erhellt, bei deren flackerndem Scheine die Ornamente der
Wände in noch köstlicherem Glanze erstrahlten.
Bevor wir den Saal der zwei Schwestern verlassen, betrachten wir noch die
berühmte Alhambravase, welche, angeblich mit Goldstücken gefüllt, einst in
einem Garten des Palastes gefunden wurde. Sie ist eine der schönsten
keramischen Erzeugnisse der Araber und stammt aus dem Jahre 1370. Die
Ornamente, Pflanzenarabesken, Tierfiguren und Inschriften, sind in
Emaillemalerei ausgeführt; die Farben sind Weiß, Blau und Gold. Der eine der
früheren zwei Henkel ist noch vorhanden und ebenfalls reicht verziert. Wahrscheinlich
stand das schöne Gefäß in einer der Nischen, die sich bei dem Eingang einiger
Säle befinden und zur Aufnahme von Wassergefäßen dienten. Die Alhambravase
und die Azulejos beweisen, daß die Keramik bei den Arabern in höchster Blüte
stand.
Wir durchschreiten nunmehr die langgestreckte, ebenfalls reich geschückte
Sala de los Ajimeces und gelangen zum Erker der Daraja oder Lindaraja, einer
Favoritin eines der granadinischen Könige. Dies ist ein kleines, aber überaus
reizendes Gemacht. Vor allem fesselt uns der Blick durch das mittelst einer
Säule geteilte, mittlere Fenster oder Ajimez. Wir schauen in einen kleinen
Garten, der rings von Hausmauern umschlossen ist. In der Mitte stand ein von
Zypressen, Orangen- und Limonenbäumen umgebener Springbrunnen. Nachdem wir so
lange im Banne der arabischen Bauweise und Dekorationskunst gestanden, dünkt
uns der Blick ins Grüne doppel köstlich, und wir überlassen uns eine Weile der
Einwirkung dieses abgeschiedenen, traulichen, Frieden atmenden Palastwinkels. -
Wenden wir uns in den Raum zurück, so entrollt sich vor unserem Auge ein neues
reizvolles Bild. Durch all die reichverzierten Türbogen der Ajimeceshalle und
des Schwesternsaales hindurch sehen wir auf den sonnbeschienenen Löwenhof
hinaus. Die schlanken Säulen der Arkaden scheinen den Brunnen einzurahmen,
und hinter ihm zieht sich die stark verjüngte Säulenhalle der entgegengesetzten Seite
hin. Noch weiter zurück sehen wir in das Dunkel des Abencerragensaales hinein.
Diese Durchblicke, die wir in der Alhambra haben, gehören zum Entzückendsten,
was man sich denken kann. Durch die in einer Flucht liegenden, reich mit
Stalaktiten und andern farbenglänzenden Ornamenten geschmückten Türöffnungen
der dunkel erscheinenden Räume schauen wir auf ein zierliches Fenster, durch
welches das Grün eines Gartens oder der Landschaft hereinschimmert, oder auf einen
Hof hinaus, und wir müssen die arabischen Archtekten bewundern, welche mit einer
gegebenen Anlage - Hof mit ringsum anschließenden Räumen - so herrliche Wirkungen
zu erzielen vermochten.
Noch haben wir nicht alle Räumlichkeiten des Alhambrapalastes gesehen; aber
wir haben so viele neue Eindrücke gewonnen, daß wir uns sehnen, dieselben
nunmehr still zu verarbeiten. Nur der Vollständigkeit halber machen wir noch
rasch einenGang durch die übrigen Gemächer. Wir kehren zum Myrtenhof zurück und
steigen durch einen Gang oder Zaguan zu dem 4 m tiefer liegenden Hofe des
Mexuar hinauf, dem ältesten Teile der Alhambra. Das Mexuar selbst war der
Ratssaal der Mauren; im 16. Jahrhundert wurde es in eine christliche Kapelle
verwandelt. Eine moderne Türe führt von hier aus in die kleine maurische
Schloßmoschee, deren Südostwand mit einem prächtigen Mihrab geschmückt ist. Ein
unterirdischer Gang bringt uns zu den Bädern, welche die gewöhnliche
muhammedanische Anlage zeigen. Der erste Raum, die Sala de la Camas, diente
zum Auskleiden; der lichte Oberbau ruht auf schlanken Säulen. In den Nischen
waren die Ruhebetten angebracht; auf der Galerie nahmen Sängerinnen Platz. In
der Mitte ist eine marmorne Brunnenschale. Das Frigidarium, ein kleiner
Vorraum, führt zum Hauptbad, in dem sich nur Reste der arabischen Ausschmückung
befinden. In der Umgebung sind Überbleibsel der Öfen, die zum Erhitzen des
Wassers und der Luft dienten. Von den Bädern aus betritt man den Garten der
Daraja, der uns vom Erker aus entzückte. Der Peinador de la Reina, das
Putzzimmer der Königin, ist ein prächtiger Pavillon in einem luftigen Turm,
der eine reizende Aussicht gewährt. Im untern Teil desselben liegt ein Saal
mit Überresten maurischer Dekoration; durch einen engen Gang steht er mit den
unterirdischen Teilen des Comaresturmes in Verbindung. Unter den übrigen
maurischen Bauten auf dem Alhambrahügel sind zwei Türme besonders bemerkenswert,
der Torre de la Cautiva und der Torre de las Infantas. Beide wetteifern an
Schönheit der Ausschmückung mit den Prachtsälen des eigentlichen Schlosses.
Auch das Festungstor, durch das Boabdil die Alhambra für immer verließ, ist
noch erhalten (die Puerta de los Siete Suelos).
Das war am 2. Januar 1492. Zweieinhalb Jahrhunderte lang hatte die Herrschaft
der Araber in Granada gedauert; denn 1248 hatte Ibn Al-Ahmar nach dem Fall von
Sevilla diese Stadt zum Mittelpunkt des Maurentums in Spanien gemacht. Die
jetzige Alhambra wurde durch Jusuf I. und Mohammed V. erbaut (Myrtenhoft 1368,
Löwenhof 1377). - Als sie in die Hände der Spanier gefallen, begann die
unverantwortliche Vernachlässigung des herrlichen Baues. Den Vandalismus
Karls V. haben wir oben schon erwähnt; aber auch lange nach ihm wurde nichts
zur Erhaltung der Gebäulichkeiten getan. Nur die gelegentlichen Schäden, die
durch Umwandlung einzelner Räume in ein Munitionsarsenal entstanden, wurden
ersetzt. Schlimm hausten auch die Franzosen zu Anfang des 19. Jahrhunderts in den
kostbaren Gemächern. Erst 1869 ward die Alhambra Staatseigentum; man säuberte
sie und begann mit der Rekonstruktion nach alten Mustern, die heute noch
fortdauert.
Ein weiteres Denkmal arabischer Kunst ist der Generalife, der "Garten des
Baumeisters". Er liegt höher am Berge als der Königspalast; der Weg führt durch
einen prächtigen Garten mit langer Zypressenallee. Der Generalife war der
Sommeraufenthalt der granadinischen Könige. Hier konnten sie sich, fern von den
Sorgen des Regierens, frei von den Fesseln des Königtums, ungestört dem
Genusse der Natur und der Liebe hingeben. Duftende Orangenbäume, Myrten, Rosen
und Granaten umgaben, Lorbeeren und Zypressen beschatteten sie; ihr Blick
schweifte über die Alhambra, die rote Burg, mit all ihren Höfen,
Türmen und Mauern, über die vieltausend Häuser zählende weiße Stadt und die
weithin sich dehnende fruchtbare grüne Ebene; im Süden winkten dem Wüstensohne die
schneeigen Gipfel der Sierra entgegen.
Der Hof des Generalife wird der ganzen Länge nach von einem schmalen
Wasserbassin durchzogen. Die Bauten der Ostseite, die wir beim Eintreten hinter
uns lassen, stammen aus dem 16. Jahrhundert; links findet sich eine
prächtige maurische Säulenhalle mit 18 Spitzbogen, deren Mitteltüre in einen
aussichtsreichen Raum, jetzt Kapelle, führt. Am besten erhalten ist die
fünfbogige Galerie dem Eingang gegenüber; ein prächtiges Portal, über dem ein
Inschriftenfries und fünf zierliche Gitterfensterchen sind, bringt uns in einen
Saal, an den sich ein kleines Zimmer mit Aussicht auf das Tal des Darro schließt.
Im Norden grenzt an den Acequiahof der Hof der Zypressen; unter den uralten Bäumen ist
einer, unter dem der Sage nach Boabdils Gattin ein Stelldichein mit einem
Abencerragen hatte; die Folge war die Niedermetzelung, nach welcher der betr.
Saal in der Alhambra seinen Namen hat. Eine maurische Treppe führt von hier
aus zu einem luftigen Mirador. Weit berühmt waren die Wasserkünste des Generalife;
nach übereinstimmenden Aussagen muhammedanischer und christlicher Schriftsteller
sollen sie ihresgleichen nicht gefunden haben. Heute noch erregen sie die lebhafte
Bewunderung des Besuchers, sei es, wenn aus den zahlreichen seitlichen Öffnungen
der Acequia das Wasser in hohem Silberstrahl aufspritzt und in zierlichem
Bogen zurückfällt, sei es, wenn die springenden Fontänen im Hof der Sultanin
in Bewegung gesetzt werden oder das kühle Naß in kleinen und größeren Kaskaden
über die steinerne Treppe hinabstürzt, die zum Aussichtstürmchen emporleitet.
Nach dem Besuch der Alhambra und des Generalife möchten wir noch die übrigen
arabischen Bauten Granadas kennenlernen. Meist sind es nur spärliche Reste;
halbzerfallenes Gemäuer, ein Hufeisenbogen, ein Inschriftenfries, das Stück
einer Stalaktitendecke, verblichene Arabesken, zerbrochene Azulejos, Überbleibsel
eines Bades - das ist alles.
Soweit ist es gekommen mit einer Kunst, deren Preis im Morgen- und
Abendland erscholl. Das Volk, das so herrliche Werke zu erschaffen vermochte,
ist vernichtet oder vertrieben; was sich flüchten konnte, ist in die Barbarei
zurückgesunken, aus der sich die Vorväter zu glänzender Kultur aufgerafft haben.
Cordoba, das Mekka des Okzidents, der Mittelpunkt aller Bildung, ist eine
unbedeutende Ortschaft geworden; Az-Zahra, von den arabischen Herrschern mit
aller Pracht und allem Reichtum des Orients ausgestattet, ist völlig vom
Erdboden verschwunden. Das Gefühl der Wehmut beschleicht uns, wenn wir des
tragischen Schicksales der poesiereichen Araber gedenken, und die Fahne auf dem
Turme zu Sevilla, der Giralda, ist uns ein trauriges Symbol vom Kommen und
Gehen der Völker in der Weltgeschichte.
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Erstellt am 6. August 2001 von
Kurt Stüber.
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