Zwangsarbeit - Lager vor Ort -
Interview mit Fritz Sauer

Interview geführt am 28.4.2001 in Gersthofen

Wir stammen aus einer alten Feuerwerkerfamilie. Mein Urgroßvater Franz Georg Sauer wohnte bei Rieden bei Ansbach, vermutlich war er bereits der Sohn eines Feuerwerkers aus München. Jedenfalls hat die hohenzollersche Nebenlinie gewußt, wie man Feste feiert, dazu gehörte natürlich das Feuerwerk.

Ab 1863 übernimmt der Urgroßvater die Konzession eines Feuerwerkers in Augsburg, zuerst war der Betrieb am Lueginsland (Thommstraße), ab 1873 dann am Oblatterwall, wo es bis 1940 verblieb. Weil die drei Söhne das väterliche Geschäft nicht gemeinsam übernehmen konnten, zog Johann Friedrich Sauer nach Wiesbaden und eröffnete hier eine Kunstfeuerwerkstätte, während der ältere Bruder und die Schwester das Geschäft in Augsburg bzw. München übernahmen.

Wiesbaden war ein dankbares Publikum, schließlich gab es viele Kurgäste und demnach zahlreiche Feuerwerke. Ich wurde 1931 in Wiesbaden geboren, 1932 schloß mein Vater den Betrieb in Wiesbaden während der Weltwirtschaftskrise, Feuerwerke waren natürlich auch konjunkturabhängig, und wer wollte zu dieser Zeit noch Feuerwerke abhalten? Ab 1933 erhielt der Vater in Wiesbaden wieder Aufträge durch den Nationalsozialismus, der sofort die Wiederaufrüstung betrieb. Die Aufträge bestanden in Leucht- und Signalmittelherstellung. Die Frage war, ob der veraltete Betrieb modernisiert werden sollte. Dazu hätte man etwa 25 Mann einstellen müssen. So reifte der Entschluß, nach Augsburg zurückzukehren. Ab 1936 lief die Suche nach einem geeignetem Gelände.

Aus dem Vermögen der Brauerei Straßer wurde schließlich 1939 ein Gelände in Gersthofen erworben. Der Staat verordnete die Produktion von Leuchtmunition und so konnten bis zu 70 Personen eingestellt werden. 1940 waren die Fertigungsgebäude schließlich errichtet und die Produktion konnte beginnen.

Für die Firma war es wichtig, dass produziert werden konnte, die Reichswehr erteilte die Aufträge, Leuchtmunition war, so dachte man sich, für die Manöver notwendig, deshalb machte man sich keine Gedanken über die Verwendung. Nach der Weltwirtschaftskrise ging es schließlich um das eigene Überleben. Man war froh, Arbeit zu haben und etwas produzieren zu können, was Abnehmer fand. Für die Produktion waren wenige Fachleute notwendig, die der Vater aus Wiesbaden mitgebracht hatte, darunter einen Italiener. Schließlich wurde noch ein Ingenieur als Betriebsleiter eingestellt.

Die Arbeiter kamen aus Gersthofen, Augsburg, Meitingen, die Zugverbindung war überaus günstig. Nach dem Sieg gegen Frankreich 1940 gab es auch wieder die Produktion von Feuerwerken, aber das Hauptgeschäft blieb die Produktion von Leuchtmunition. Während des Krieges wurden viele Leute, hauptsächlich Frauen zur Arbeit zwangsverpflichtet, Frauen waren traditionell in den Feuerwerksgewerbe in der Überzahl. Vater Friedrich, geboren im Jahre 1900 war mit den zwangsverpflichteten Frauen ganz und gar nicht einverstanden, denn diese Frauen kamen aus allen Schichten und ganz und gar nicht arbeitswillig. Die DAF wies zu dieser Zeit den Betrieben die Arbeit zu. Gearbeitet wurde in zwei Schichten von 6 bis 23 Uhr. Bei den Zwangsverpflichteten gab es natürlicherweise eine hohe Ausfallquote, allerdings gab es immer wieder Stichproben durch die DAF.

Ich ging zu dieser Zeit - 1942 - in Oberhausen in die Schule und ich erinnere mich gut daran, dass 20 Ostarbeiterinnen, Ukrainierinnen, mit dem Zug am Morgen zu unserem Betrieb täglich kamen. Im Zug habe ich sie nie gesehen, Ostarbeiter durften nicht im Abteil mitfahren. Als der Vater das erste Mal die Zwangsarbeiter von der DAF zugewiesen bekam, wurden diese Arbeitskräfte am Hauptbahnhof abgeholt.

Unsere Zwangsarbeiter wohnten in Baracken in der heutigen Schönbachstraße, besser bekannt unter dem Namen Fischerhölzle. Dort hatte die Firma Kuka und MAN ein gemeinsames Zwangsarbeiterlager errichtet. Es wurde unter dem Namen Sammellager II geführt und taucht erstmals in den Akten am 5.11.42 auf (vgl. Dokument). Im November 1942 waren insgesamt 1409 Personen in 29 Baracken untergebracht, davon 909 von MAN, 500 Personen im Lager der KUKA. Neben Ostarbeitern und Ostarbeiterinnen vor allem auch französische Kriegsgefangene, die vor allem bei Kuka und Hugo Eckl arbeiteten. Daneben waren in diesem Lager auch Zwangsarbeiter von der Haindl'schen Papierfabrik, der Stadtverwaltung, der Michelwerke und J.N. Eberle & Cie. untergebracht.

Die bei uns beschäftigten Zwangsarbeiterinnen wurden von der Schönbachstraße mit Essen versorgt. Bei uns arbeiteten während des Krieges auch ein Ukrainer mit seinem etwa 16 Jahre altem Sohn, der ebenfalls im Sammellager II wohnte. Das Militär hatte uns zwei Pferde gestellt, mit diesen brachte der junge Ukrainer gegen 12 Uhr das Essen aus dem Sammellager II.

Die bei uns beschäftigten Ukrainerinnen waren alle im Alter von ca. 20 Jahren, sie waren durchwegs fleißig und zuverlässig, man merkte, dass sie harte Arbeit gewohnt waren. Sie waren ländlich-einfach gekleidet, trugen Kopftücher und sangen häufig bei der Arbeit, daran kann ich mich gut erinnern. Auch mein Onkel und der Schwager arbeiteten bei meinem Vater in den Fertigungsgebäuden. Der Onkel kümmerte sich besonders um die Ostarbeiter und erwarb eine Art Vertrauensstellung bei ihnen. Meine Schwester, Frau Hollenried ließ sich mit ihnen photographieren. Leider ist sie letztes Jahr verstorben. aber vielleicht läßt sich die Photographie noch finden. Zur Weihnachtsfeier kamen die Ukrainerinnen am Abend ins Haus, die Mädchen kamen mit ein paar Ukrainern, die sie aus dem Lager mitgebracht hatten und oben bei uns im 2. Stock spielten sie die Balalaika.

Ende 1942/43 wurde mein Vater von der Gestapo verhaftet. Man warf ihm Sabotage vor. Er blieb ein halbes Jahr eingesperrt. Man sagte, die Munition habe in Rußland nicht funktioniert, deshalb wurde am Lech in Gersthofen eine Überprüfung vorgenommen. Glücklicherweise funktionierte die Munition, dennoch blieben der Vater und der Italiener verhaftet. Die Münchner Verwandtschaft stellte deshalb jemand für Gersthofen ab, ein gewisser Pettikofer, Pyrotechniker übernahm während der Zeit der Verhaftung den Betrieb.

Nach der Entlassung aus der Haft wurde es dem Vater und meiner Mutter anfangs strikt verboten, den Betrieb zu betreten. Der Italiener Domenico Januale aber musste den Betrieb verlassen und wurde einem anderen Betrieb zugewiesen. Weil während der Zeit der Verhaftung meines Vaters viel Ausschuß produziert worden war, wurde er nach einiger Zeit wieder eingestellt. Er war aber während des Krieges nie mehr der Chef der Firma und mußte unter strikter Anweisung des OKW (Oberkommando Wehrmacht) arbeiten.

Die Standortfrage war für den Betrieb überaus wichtig. Die Munition wurde nach Fertigung stets mit Ochsenkarren zum Bahnhof gebracht.

Unmittelbar nach Kriegsende besetzten die Amerikaner die Häuser der Firma Sauer. Das ganze Areal war voll von schweren Lastern. Die Familie Sauer mußte in ein kleines Häuschen ausgelagert. Zu dieser Zeit diente die Firma Sauer als Sammelstelle für die alliierten Gefallenen, die von dort aus in ihre Heimat zurückgebracht wurden. Drei Geistliche in Uniform taten hier ihren Dienst. Das Haus glich einer riesigen Leichenhalle. Die gefallenen Soldaten, oft auch exhumierte Leichen, wurden in Säcken in die Heimat geflogen. Das blieb etwa ein halbes Jahr lang so.

Nach dieser Zeit wurde die Firma Sauer demontiert. Alle Schränke, die Werkküche und Maschinen wurden weggebracht und dienten, wie die Amerkaner sagten, als Reparationsleistung. Die Munitionslager wurden gesprengt und in den Fertigungshallen (ca. 10-15 kleine Häuschen) brachte der Flüchtlingskommissar Flüchtlinge unter. Das Verhältnis zu den Flüchtlingen blieb stets gespannt. Die Enteignung des Betriebes war geplant. Ein Treuhänder wurde eingesetzt und ein Prozess lief in München. Alle Chemikalien wurden in dieser Zeit vernichtet. Erst nach 1949 erhielt die Familie Sauer ihren Betrieb wieder zurück. Mit Ofenanzündern begann der Familienbetrieb wieder ganz von vorn.


Arbeitskarte für zwei Zwangsarbeiter 18.07.43


Antrag zur Produktion 08/41


Expertise des Landratsamts (1)


Expertise des Landratsamts (2)


Expertise des Landratsamts (3)


Luftaufnahme 25.04.45


Luftaufnahme (2) 25.04.45


Produktion von Leuchtmunition 08/41


Skizze des Sammellagers Zugspitzstraße


Unterbringung in Sammellagern 04/44


Ehemalige Zwangsarbeiterbaracke


vorhergehender
Artikel
zurück zur
Übersicht
nächster
Artikel
Impressum · Datenschutz