Zwangsarbeit - Ein Jahr nach
Inkrafttreten des Entschädigungsgesetzes:
Für viele Steine statt Brot?

Berliner Büro der Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter

Von Alfred Hausser

Der Sprecher der Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime, Jahrgang 1912, war Zwangsarbeiter bei Bosch

Am 12. August 2000 trat das Gesetz zur Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" in Kraft. Wie bewerten wir, die wir viele Jahre lang gegen die Entschädigungs- verweigerung angekämpft haben, das erreichte Gesetz heute?

1. Es bleibt positiv festzuhalten, dass die rot-grüne-Koalition im Oktober 1998 die Entschädigung für Zwangsarbeit erstmals auf die Tagesordnung der Politik gesetzt hat. Dies war ein Erfolg zäher Anstrengungen außerparlamentarischer und par- lamentarischer Initiativen, die sich seit Mitte der 80er Jahre - unterstützt von einer neuen Historikergeneration - zum Ziel gesetzt hatten, die Nachfolger der Nazi-Sklavenhalter, den deutschen Staat also und vor allem die deutschen Unternehmen, zur Anerkennung des Unrechts der Zwangsarbeit und zu Wiedergutmachung zu veranlassen. Einmal mehr aber brachte nicht Einsicht, sondern erst Druck "von außen" (vor allem der Sammelklagen von Opfern in den USA) den Durchbruch.

2. Paradoxerweise führte dieser Durchbruch zu jenen Ungerechtigkeiten, die dem Gesetz weitgehend das Gepräge geben und deren Folgen bereits zu Tage treten. Macht und Einfluss der deutschen Wirtschaft, die ihre Verweigerungshaltung aufgeben musste, waren stark genug, um Bedingungen durchzusetzen: Begrenzung der Stiftungsmittel ohne Nachschusspflicht (der Stiftungsvorstand schlägt schon Alarm, weil abzusehen ist, dass die Stiftungsmittel nicht ausreichen werden); keine Rechtspflicht zur Entschädigung; Sicherheit der Unternehmen vor Klagen der Opfer, Freistellung von weitergehenden Forderungen im Zusammenhang mit NS-Unrecht - eine perfektere Schlussstrichregelung ist kaum denkbar! Die an der Kampagne "Gerechtigkeit für die ehemaligen Zwangs- arbeiterInnen" beteiligten Organisationen und beharrliche Bundestagsabgeordnete konnten zwar Verbesserungen im Gesetzesentwurf erreichen, nicht aber das Hauptziel: die Entschädigung aller heute noch lebenden Opfer der Zwangsarbeit. Die auf Vorschlag unserer Interessengemeinschaft zustande gekommene Gesetzespräambel anerkennt zwar das schwere Unrecht der Sklavenarbeit, das Gesetz selbst aber zieht daraus nicht die Konsequenz einer Entschädigungsregelung, die auch nur entfernt den Dimensionen dieses Verbrechens und der Milliardenprofite entspricht, die Kriegswirtschaft und NS-Staat daraus gezogen haben.

3. Fristen und Stichtagsregelungen wecken bei NS-Verfolgten böse Erinnerungen. Ein starkes Stück: Der Tag der Pressekonferenz, auf der die Schuldner nach jahrzehntelanger Leugnung ihrer Pflicht zur Entschädigung von Zwangsarbeit erstmals einen Finanzbeitrag ankündigen, wird 54 Jahre nach Kriegsende und nachdem 80 oder gar 90 Prozent der Opfer gestorben sind, zum ausschlaggebenden Stichtag! Wenn schon ein Stichtag, dann wäre der 16. Januar 1986 angemessen, an dem das Europaparlament Bundesregierung und deutsche Wirtschaft zur Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter aufgefordert hat - eine Aufforderung, auf die niemals eine Antwort erfolgt ist.

4. In Wirklichkeit ist das Entschädigungsgesetz nicht im August 2000 in Kraft getreten, sondern erst mit der Feststellung des Bundestages vom 30. Mai 2001, nun bestehe "ausreichende Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen". Rasch ausgezahlt wird an jene, deren Berechtigung außer Zweifel steht. Was aber geschieht mit jenen Hunderttausenden, die keine oder nur unzureichende Nachweise für ihre Zwangsarbeit vorweisen können? Ohne wirksame Hilfe beim Aufspüren von Nachweisen in Archiven bietet das Gesetz ungezählten Überlebenden nur die sprichwörtlichen "Steine statt Brot". Weil die Bundesstiftung nicht nur administrativ für die Umsetzung des Gesetzes verantwortlich ist, muss sie die Interessen gerade dieser "papierlosen" Überlebenden aktiv wahrnehmen und sicherstellen. Die jahrzehntelange Missachtung der Zwangsarbeitsopfer war eine zweite, nicht wiedergutzumachende Demütigung der Überlebenden.

Ob die Umsetzung des Entschädigungsgesetzes wenigstens teilweise als die oft beschworene "Geste der Versöhnung" angenommen werden kann, hängt maßgeblich davon ab, ob die Bundesstiftung alles, aber auch alles daran setzt, möglichst vielen Antragstellerinnen und Antragstellern bei der schwierigen Nachweisbeschaffung effektiv zu helfen. Ohne diese Anstrengung ist der im Stiftungsnamen zum Ausdruck kommende Anspruch - "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" - nicht einzulösen.


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