Liebe Leserin, lieber Leser, liebe Leser, liebe Leserinnen, liebe Alle,

wenn Sie die Wörter „geschlechtergerechtes Sprechen” lesen, woran denken Sie?
Ich denke zuerst an die lautlichen Zumutungen der deutschen Sprache: Zählen Sie einmal die verschiedenen Vokale und Sie finden nur einen, den grauesten und langweiligsten unter allen, das [e]. Und dann die Konsonanten: Es sind 21, immerhin acht verschiedene. Die aber erzeugen ein gehöriges Zischen und Krächzen und Rollen im Ohr – oder im Hals – und wir verstehen, warum es unsere Muttersprache im Rest der Welt so  schwer hat. Dies kann ich als langjähriger DaF-Lehrer im In- und Ausland bezeugen.
Darum geht es hier aber nicht.
In dem Buch „Genderleicht” der Journalistin Christine Olderdissen geht es um Gerechtigkeit in der deutschen Sprache: Dass darin allen gesellschaftlichen Gruppen und Identitäten ihr Recht widerfährt, dass sie angemessen zur Sprache gebracht werden und in Wort und Klang sichtbar sein können. Neben dem grammatischen Geschlecht (Genus) soll auch das biologische Geschlecht (Sexus) sichtbar – und die Möglichkeit weiterer geschlechtlicher Identitäten nicht ausgeschlossen werden.

Das ist eine Herausforderung für alle, die sich in der Öffentlichkeit diskriminierungsfrei und geschlechtersensibel äußern wollen bzw. müssen: Journalistinnen und Journalisten, Politikerinnen und Politiker, Moderatorinnen und Moderatoren, Lehrerinnen und Lehrer … Diese Auflistung zeigt schon eine Dimension des Problems: Länge und Langeweile einerseits – und Nicht-Berücksichtigung weiterer Geschlechtsidentitäten andererseits.

Zur Abhilfe sind bislang mehrere orthografische Lösungsansätze im Gebrauch: Das Binnen-I, der Doppelpunkt, der Unterstrich und der Genderstern. Diese Lösungen werden vom Deutschen Rat für Rechtschreibung zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinnern aber (noch) nicht „empfohlen”.

Dem setzt die Autorin entgegen: „Es wird der Moment kommen, da der Sprachgemeinschaft Regeln für Genderzeichen an die Hand gegeben werden müssen.“ (S. 57)

Christine Olderdissen plädiert für den Genderstern als symbolischem Platzhalter für alle Geschlechter.

Das „generische Maskulinum”, also das semantische Mitgemeintsein anderer Geschlechter in Berufsbezeichnungen wie Lehrer oder Sänger, erachtet sie demgegenüber als „überlebt”, weil es nicht mehr „zur derzeitgen Gesellschaftsordnung von 130 Millionen deutschsprachigen Menschen” passe. (S.25)

Auch die gerne empfohlene Partizip-Lösung: Geimpfte, Studierende, Lehrende … , sei unzureichend, denn sie funktioniert genderneutral nur im Pural. (S.74 f)

Christine Olderdissen fordert angesichts dieser noch offenen Regel-Lage zu gesteigertem weiblichem Selbstbewusstsein auf („Mehr Stolz, ihr Frauen!”) und empfiehlt mehr sprachliche Kreativität. Hier einige wenige Beispiele:

  • Der Genderstern kann schnell überhand nehmen, das sollte vermieden werden: Statt „Das weiß doch jede*r” kann es auch heißen ➙ „Das wissen doch alle.”
  • Berufsbezeichnungen umgehen: „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ➙ in Ihrer Arztpraxis oder Apotheke nach.”
  • geschlechtssneutrale Begrüßungen verwenden: statt „Sehr geehrte Damen und Herren …”  ➙ Sehr verehrtes Publikum / Guten Abend und herzlich willkommen … (S. 170)
  • statt dem allgegenwärtigen „man” kann auch „ich / du / wir” gesagt werden oder statt „Wenn man viel Geld hat, dann soll …” ➙ „Wer viel Geld hat, (der) soll …” (S. 194 f)
  • was für jede*r gilt, geht auch für keine*r: „Es war mal wieder keine*r da.” ➙ „Es war … niemand da.” (S. 79)
  • statt „Mehr Geld für Rentner” ➙ „Die Rente steigt” (S. 108 f)
  • statt „Wir suchen jemand, der oder die das Protokoll schreiben kann” geht auch ➙ „Frage an alle: Wer schreibt das Protkoll?” (S. 80)

Christine Olderdissen lädt uns Leser*innen zum Schmökern ein und macht deutlich, dass der gesellschaftliche Wandel erst noch seine angemessenen sprachlichen Ausdrucksformen finden muss. Sie macht es sich und uns allerdings nicht immer leicht bei der Vielzahl von Aspekten, die abgehandelt oder auch nur angesprochen werden. Eine gewisse Portion Grammatik ist ebenfalls zu verkraften. Dafür gibt sie aber auch eine Fülle von praktischen Tipps, wie „Sprache für alle elegant” gelingen kann, so der Untertitel des Buches.

Meine Empfehlung: Auf jeden Fall für alle Deutsch-Lehrkräfte (genderneutral formuliert), die am gegenwärtigen und noch bevorstehenden Sprachwandel aktiv teilhaben wollen.

Christine Olderdissen: Genderleicht. Wie Sprache für alle elegant gelingt. 224 Seiten, Taschenbuch. Dudenverlag 16,00 €

Noch ein Hinweis:

Die 2019 gestartete Webseite Genderleicht.de, an deren Zustandekommen die Autorin leitend beteiligt war, bietet nützliche Tipps & Tools, wie diskriminierungsfreies Schreiben und Sprechen aussehen kann. Dort sind auch Fakten zu Geschlechtergerechtigkeit in Wort und Bild gesammelt.

Klaus Dautel

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