„Plötzlich müssen wir erkennen, dass die Welt anders ist als gedacht oder erhofft.“ (S.9)

Sascha Lobo hat sich nichts Geringeres vorgenommen, als uns die Welt zu erklären. Wer ihn bei seinen medialen Auftritten erlebt hat, weiß, dass er sich das zutraut. Und – er kann es auch. 
Dabei geht er von zwei Prämissen aus: 

  1. Die Erkenntnis ist „schockierend“ und 
  2. sie kommt „plötzlich“. 

Beides muss man so nicht unbedingt nachvollziehen, aber es wirkt. Tatsächlich vermag der Inhalt des Buches durch die Überzahl an schlechten Nachrichten aus der – digitalisierten – Welt zu schockieren. Das Buch lässt den Leser aber nicht nur erschreckt, sondern auch ein wenig ratlos zurück, vergleichbar der handschriftlichen Signatur des Autors für die Erstausgabe.
Die angekündigten „Zehn Lehren aus der Gegenwart“ nähren nämlich die Hoffnung, auch Lösungen und Handlungsoptionen vorgestellt zu bekommen. Diesem Bedürfnis kann das Buch dann doch nicht ganz gerecht werden. Verständlicherweise!

Worum geht’s
Leitmotivisch geht es um den bislang unterschätzten bzw. unerkannten Stellenwert der Digitalisierung – zumeist in ihren beunruhigenden Erscheinungsformen.
Das betrifft die Bereiche:

  • Klimawandel
  • Migration weltweit & Integration hierzulande
  • Bedrohung der Demokratie durch Rechtsruck im Inland und durch das chinesische Erfolgsmodell global
  • Künstliche Intelligenz
  • Gesundheit
  • Ökonomie 
  • Soziale Medien

Diesen Realitätsbereichen ist jeweils ein Kapitel gewidmet, in dem umfänglich über die sich verändernden Sachverhalte informiert wird. Es ist bemerkenswert, welche Fülle von Fakten und aktuellen Erscheinungsformen der Autor zur Lage der Gegenwart zusammenträgt. Das Buch linear lesen zu wollen, also von Kapitel zu Kapitel, ist vielleicht nicht die beste Vorgehensweise, es sollte eher ausschnittsweise und interessen-orientiert gelesen werden. Ein Quellen- oder Stichwortverzeichnis gibt es allerdings nicht, es hätte dem Leser den gezielteren Zu- und Rückgriff auf Wichtiges ermöglichen können.

Dafür ist jedem Kapitel ist eine thesenhafte Sentenz vorangestellt, in der die Botschaft des Folgenden vorweggenommen bzw. angedeutet wird, wie z.B. „Warum Migration heute ein höchst digitales Phänomen ist“ (Massenwanderungen) oder „Wie Künstliche Intelligenz und Plattformen verändern, was wir unter Arbeit verstehen.“ (Wir nannten es Arbeit) oder „Wie Chinas Gegenwart auch unsere Zukunft verändert.“ (Die chinesische Weltmaschine)

Hoffnung: ein Lob der Jugend
Das 10. und letzte Kapitel ist „Zukunft“ überschrieben mit dem Untertitel „Die Weisheit der Jugend“. Hier wird es heller. Sascha Lobo setzt seine Hoffnungen auf das Medienverhalten der jungen Generation und stellt dies den „Älteren“ entgegen. Das ist für  mich ebenso überraschend wie bedenkenswert. Wie argumentiert Sascha Lobo?

Die Jugend – gemeint sind die unter 30-Jährigen („Millenials“) – besitze eine größere „Gegenwartskompetenz“ (S. 370):
„Vielleicht sind es gerade die neuen Medien, die es der Jugend ermöglichen, die hyperkomplexe, superschnelle, überanstrengende Welt voller Realitätsschocks zu bewältigen.“ (369). 
Gemeint ist: Weil diese Generation mit dem Internet aufgewachsen ist, durchschauen sie dessen Mechanismen und Wirkungsweisen auch besser und gehen damit flexibler um – als die „Älteren“. Diese These basiert auf US-amerikanischen Untersuchungen der letzten Jahre, die u.a. zeigen, dass „junge Menschen deutlich seltener auf Fake News hereinfallen als ältere.“ (370) Die Fähigkeit, in Medien Meinungen von Fakten unterscheiden zu können, ist bei 18 bis 29-Jährigen besser ausgebildet als bei den über 50-Jährigen. Des Weiteren verbringen Amerikaner zwischen 35 und 49 mehr Zeit in sozialen Medien als die „Millenials“. Das Internet ist trotz allem auch eine „fabelhafte Bildungmaschine“ (372). 
In drei Problembereichen erkennt Sascha Lobo vorbildliche Verhaltensänderungen junger Menschen: 

  1. Flexibler Umgang mit den digitalen Monopolen: „Sie haben ihr Social-Media-Verhalten ausdifferenziert … Ihre große Neugier führt zu wechselnden Moden und Zyklen in der Nutzung…“ (374)
  2. Ein meist „souveränerer Umgang junger Menschen mit dem reißenden Strom der Informationen“ (376). Die Furcht, etwas Wichtiges zu verpassen, wird ersetzt durch die Gewissheit, “alles wirklich Wichtige schon irgendwie von irgendwem mitgeteilt zu bekommen“ (377).
  3. Die Bereitschaft, „den eigenen Lebenswandel zu verändern“ (380). Sein Leben neu zu sortieren, falle jungen Menschen leichter. Sie haben ein „Rezept gegen den Klimawandel gefunden“ (380), politisieren sich und praktizieren Konsumverzicht. Letzteres betreffe nicht nur Ernährungsgewohnheiten, sondern auch die Haltung zum Autofahren und dem frühestmöglichen Erwerb eines Führerscheins, wie jüngste Untersuchungen bestätigen.

Fazit: 
Ein lesenswertes Buch, dessen Informationsfülle auch überwältigend wirken kann und für dessen Lektüre man sich mit viel Lebensmut und Optimismus rüsten sollte. Sonst könnte es einem beim Blick in die Zukunft dunkel vor Augen werden. Vor allem, wenn man über 30 ist und im – als etwas zurückgeblieben dargestellten – Deutschland lebt. Ist man aber Weltbürger und U30, dann eröffnen sich Fenster für hoffnungsvollere Ausblicke nach vorn. 
Meine drei Lese-Tipps:

  1. Man soll das Buch auf jeden Fall lesen, aber gut dosiert.
  2. Als Lehrer*in fängt man am besten mit dem letzten Kapitel an und
  3. denkt dann über die Jugend von heute noch einmal nach.

Klaus Dautel, Sept. 19

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