LAUDATIO ZUM 2. PREIS VON DR. KLAUS DAUTEL
Erinnerung sichtbar machen
Schülerwettbewerb, Preisverleihung Mainz, 28. Oktober 2018

LAUDATIO ZUM 2. PREIS
von Dr. Klaus Dautel aus Tübingen (im Vorstand der Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet e.V.; ZUM.DE)
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Verehrte Gäste,
liebe Schülerinnen und Schüler,
liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wie kann man den Begriff „augmented reality“ (abgekürzt: AR) ins Deutsche übersetzen?

Handelt es sich hier um eine „verbesserte“ Wirklichkeit, eine angereicherte, eine medial aufgehübschte Wirklichkeit – also um noch mehr Wirklichkeit als es in Wirklichkeit schon gibt?

In der Wikipedia – wo sonst – steht hierzu:

Unter AR versteht man „die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung. […] Häufig wird jedoch unter erweiterter Realität nur die visuelle Darstellung von Informationen verstanden, also die Ergänzung von Bildern oder Videos mit computergenerierten Zusatzinformationen … beispielsweise das Einblenden von Entfernungen bei Freistößen mithilfe eines Kreises oder einer Linie.“ (24.10.18)

Von Verbesserung der Wirklichkeit, so sehr man sich das gelegentlich wünschen mag, ist also nicht die Rede, sondern von einer erweiterten Realitätswahrnehmung! Wie kann diese – außer bei Freistößen – noch aussehen?

Der Ratschlag unserer Preisträgergruppe lautet kurz und bündig: „Man braucht dazu ein Tagesticket der Kölner Verkehrsbetriebe.“ Es kostet – so meine eigene Recherche! – für eine Person 8,60 €, billiger wird’s, wenn Sie eine Gruppe von 5 Personen bilden.

Dieses Tagesticket hilft erheblich bei den beiden Smartphonetouren zu historischen Stätten, welche sechs Schülerinnen und Schüler aus der Lise-Meitner-Gesamtschule Köln-Porz erarbeitet haben.

➙ Da ist zum einen die Synagogen-Tour (Strecke: 15,76 km), sie führt zu fünf der ehemals sechs Kölner Synagogen-Standorten. Die Gruppe hat sie aufgesucht und dokumentiert, was davon übrigblieb. Welche Entdeckungen und persönlichen Erfahrungen sie dabei gemacht haben, werden wir von ihnen noch selbst hören (und sehen).

➙ Die zweite Tour (Strecke: 2,89 km) führt zur Synagoge Zündorf und dem Friedhof auf dem Rosenhügel, genauer: zum dem, was man noch mit Glück und gutem Willen findet. Die Gruppe berichtet dazu:

„Fast hätten wir die Bronzeplakette auf dem Gehsteig übersehen, die seit 2011 an die vertriebene und deportierte jüdische Gemeinde Zündorf erinnert. Aber eine alte Nachbarin am Rollator half uns die ehemalige ‚alte Synagoge‘ zu erkennen und die letzte Bewohnerin im Altersheim zu besuchen. Diese erzählte uns vom jüdischen Friedhof auf dem Rosenhügel. Uns Schüler*innen der Lise Meitner Gesamtschule hat der Ausflug beeindruckt. Wir verstehen jetzt, warum wir eine „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ sind!“

Und wir verstehen: Die Schülerinnen und Schüler der Lise-Meitner-Gesamtschule haben mit ihren Recherchen zunächst ihre eigene Realität um bedeutsame historische Dimensionen erweitert, sie können nun mit ihren Smartphone-Touren auch unsere Wirklichkeit um Erfahrungs- und Wissensangebote bereichern.

Vielleicht ist es dann doch angemessen, den Begriff „augmented reality“ auch mit „bereicherte Wirklichkeit“ zu übersetzen, dann nämlich, wenn die richtigen Leute zum richtigen Thema am Werke sind.

Und noch eine Erfahrung hat die Gruppe bereichert, ich zitiere noch einmal aus der Projektbeschreibung:

„Eine Schülerin von uns weinte zornig: „Immer nur sprechen wir über den Holocaust. An das Unglück der Yeziden durch den Islamischen Staat denkt niemand!“ Sie hat recht! … wir machen das ja auch für die Gegenwart und nach dem Motto: Für die Zukunft lernen! Wir wollen deshalb an die Verbrechen an den Yeziden erinnern, [als Beispiel für Völkermord heute] – unsere Mitschülerin … darf sich mit ihrem Familienschicksal nicht alleine gelassen und vergessen fühlen.“

Mehr ist nicht zu sagen!

Wir bedanken uns dafür bei Melisa, Max, Alina, Moritz, Lea und Jaceline aus der Lise-Meitner-Gesamtschule Köln-Porz, wir bedanken uns bei ihrem Klassenlehrer Herr Weitzell und bei Frau Dienst-Demuth von der Geschichtswerkstatt Freiburg.

Vielen herzlichen Dank!