Was passiert, wenn ein Schüler oder eine Schülerin im Unterricht stört oder wenn die Lehrkraft ein Verhalten als störend empfindet? Die Lehrkraft kann

  • es ignorieren und weitermachen
  • den Schüler zur Ordnung rufen und weitermachen
  • dem Schüler ein Ultimatum stellen („Beim nächsten Mal aber…“) und weitermachen.

Was ist, wenn das nichts nützt? Dann kann die Lehrkraft

  • den Unterricht unterbrechen und den Schüler / die Schülerin belehren, ermahnen oder auch zu einer Erklärung seines Verhaltens auffordern
  • direkt oder danach zum Tagebuch greifen und einen Klassenbucheintrag tätigen
  • schlimmstenfalls den Schüler / die Schülerin des Raumes verweisen und – wohin auch immer – schicken.

In diesen Fällen kommt es zur Unterrichtsunterbrechung, zu erregten Wortwechseln und unschönen Szenen, die die Stimmung verderben. Nicht selten fühlen sich Schüler ungerecht behandelt, aber es ist gerade nicht die Zeit und der Ort, dieses mögliche Missverständnis zu klären.

Fazit: Die ungute Situation ist nicht aufgelöst und wirkt möglicherweise im Stillen nach: Beim Lehrer mit erhöhtem Blutdruck, beim Schüler mit einem Unterlegenheitsgefühl, bei der Klasse mit Solidarisierung – und mit dem Unterrichtsstoff ist man auch nicht weitergekommen.

Die Trainingsraum-Methode

ist ein Konzept, das solche Situationen entlasten kann. Dargestellt wird es in dem gleichnamigen Buch von Heidrun Bründel und Erika Simon: Die Trainingsraum-Methode. Unterrichtsstörungen – klare Regeln, klare Konsequenzen (Beltz Verlag 2013).

Die Regeln, auf welche hier Bezug genommen wird, sind kurz und sollten in jedem Klassenzimmer hängen:

  1. Jeder Schüler hat das Recht ungestört zu lernen.
  2. Jeder Lehrer hat das Recht ungestört zu unterrichten.
  3. Jeder muss das Recht des anderen respektieren.

Mit diesen Regeln soll ein störungsfreier Unterricht und ein respektvoller Umgang zwischen Schülern und Lehrern erreicht werden.

Vorgehen und Abläufe

Wenn ein Schüler (ab jetzt männlich) stört, dann wird ihm die Frage gestellt: Willst Du in den Trainingsraum und dort über Dein Verhalten nachdenken und sprechen? Wenn Du lieber hierbleiben willst, dann ist es auch recht, aber Du musst Dich gemäß unseren Regeln Verhalten.

Wenn der Schüler/die Schülerin es vorzieht, in den Trainingsraum zu gehen, so füllt die Lehrkraft einen Laufzettel aus, in dem Namen, Uhrzeit und Störungsverhalten festgehalten werden (am besten zum Ankreuzen). Der Gang des Schülers in den Trainingsraum soll kein Rauswurf sein, sondern eine bewusste Entscheidung!

Mit dem Laufzettel meldet sich der Schüler im Trainingsraum und überreicht ihn dem dortigen Ansprechpartner. Das muss keine Lehrkraft sein. Fast besser ist es, wenn dies von Ehrenamtlichen durchgeführt wird. Der Schüler bekommt einen Reflexionsbogen und Zeit, sich damit zu beschäftigen. Auf der Grundlagen dieses Bogens führt der Ansprechpartner dann das anschließende Gespräch. Das Ziel ist es, konkrete Pläne für den Umgang mit problematischen Situationen zu entwickeln und diese dann in einem Rücklaufformular festzuhalten.

Damit begibt sich der Schüler zurück ins Klassenzimmer, überreicht der betreffenden Lehrkraft eine Kopie des Formulars und setzt sich so wortlos wie möglich an seinen Platz.

Was im Trainingsraum gesprochen wird, bleibt dort und dringt nicht nach außen. Diese Gewähr muss der Schüler haben, denn der Trainingsraum ist kein Strafraum und der Ansprechpartner ist weder Richter noch Henker, sondern Gesprächspartner.

Der Leitgedanke

Der Schüler/Die Schülerin soll lernen, für sein Verhalten die Verantwortung zu übernehmen. Dazu soll ihm außerhalb der Unterrichtssituation die Gelegenheit gegeben werden, das Vorgefallene aus seiner Sicht zu erklären, zu reflektieren und mit einem konkreten Verbesserungsvorschlag in die Klasse zurückzugehen.
Wenn also Schüler in den Trainingsraum geschickt werden, weil sie den Unterricht in irgendeiner Form gestört haben, dann haben sie einen Ansprechpartner, der sich Zeit für sie nehmen kann: Sie

  • denken sie über ihr Verhalten und dessen Folgen nach
  • erkennen sie die Verantwortung für ihr Tun
  • können sie lernen, ihr Verhalten zu  ändern
  • ist es keine Strafe, sondern eine Chance.

Und: Die Lehrkraft bekommt die Möglichkeit, den Unterricht fortzusetzen, ohne Wortgefechte durchführen, Ursachenforschung betreiben oder Strafen aussprechen zu müssen.

Umsetzung

In meiner Schule, einem Gymnasium, wird das Konzept „Trainingsinsel“ (kurz TI) genannt. Als Raum dient die Bibliothek (außerhalb der Ausleihzeiten), besetzt ist die Trainingsinsel von 8 bis 13 Uhr, engagierte Eltern von ehemaligen Schülern sind die Ansprechpartner, eine überschaubare Aufwandsentschädigung wird gewährt. Die Einrichtung ist jetzt 10 Jahre alt,  wird auf Elternabenden der Eingangsklassen vorgestellt und bringt sich in der Lehrerkonferenz regelmäßig in Erinnerung.

Dem ging voraus, dass die Schulleitung das Konzept als Teil der Schulentwicklung betrachtet und es vom Kollegium mitgetragen wird. Dies beginnt mit der Vorstellung der obigen drei Regeln in allen Klassen, setzt sich fort in der Bereitschaft, ein Stück weit pädagogische Verantwortung an außerschulische Ehrenamtliche abzutreten, und schließlich darauf zu vertrauen, dass auf der Trainingsinsel fair gehandelt wird.

Natürlich hat das Verfahren auch bürokratische Seiten, dazu gehören z.B. die Formulare, deren gewissenhafte Führung und sichere Aufbewahrung. Des Weiteren kommt man nicht umhin, bei wiederholten Besuchen von Schülern in der Trainingsinsel die Klassenkonferenz und die Eltern einzubeziehen. Und schließlich werden Freiwillige und Ehrenamtliche benötigt, die nicht nur Zeit und guten Willen aufbringen, sondern auch die Bereitschaft, an Fortbildungsangeboten z.B. von schulpsychologischen Beratungsstellen teilzunehmen.

Das Buch

Zur Einarbeitung und Begleitung ist das angesprochene Buch von Bründel/Simon sehr hilfreich. Es beschäftigt sich recht grundsätzlich mit dem, was „Störungen“ genannt wird, und setzt auf Stärkung der Eigenverantwortlichkeit. Sehr konkret wird es dann bei der Beschreibung dessen, was im Trainingsraum „geschieht“ (S. 60 – 90). Es gibt Beispiele von Trainingsraum-Gesprächen und viele Vorlagen für Formulare, Frage- und Reflexionsbögen. Und zum Schluss eine Argumentationshilfe für allerlei „kritische Einwände gegen das Programm“ (S. 141 ff).

Quellen:

– Der Beltz-Verlag stellt zu diesem Buch Inhaltsverzeichnis und Leseprobe zur Verfügung 

– Ebenso zum Vertiefungsbuch der Autorinnen: Gespräche im Trainingsraum erfolgreich führen (2019)

– Es gibt eine etwas in die Jahre gekommene Webseite der Autorinnen: Die Trainingsraum-Methode 

Klaus Dautel

1 Kommentar zu “Die Trainingsraum-Methode – Unterricht störungsfreier machen

  1. Walter Böhme says:

    Im Prinzip sinnvoll

    Danke für den Hinweis! Ich habe die Methode vor 40 Jahren an den Europäischen Schulen kennengelernt. In Frankreich war sie damals schon lange üblich.

    Sehr sinnvoll ist es, wenn der Raum nicht überlastet ist, so dass es wirklich zu einem Gespräch kommen kann. Aber auch unter weniger günstigen Umständen kann es meiner Erfahrung nach nützlich sein.

    Ich habe auf meinem Blog auf diese Besprechung hingewiesen.

    Antworten

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