Musikdarstellungen an gotischen Kirchen

Die Bedeutung der Plastiken in der mittelalterlichen Kathedrale

Durch die figürlichen Darstellungen wurde die gotische Kathedrale zur Biblia pauperum, der Bibel der Armen. Plastischer und malerischer Schmuck sollte den des Lesens Unkundigen die gesamte Heils- und Seelengeschichte der Menschheit von der Erschaffüng bis zum Weltgericht sichtbar machen. So findet man nicht nur Abbildungen des Guten, des "Himmlischen", sondern auch Darstellungen der Hölle und der Verdammnis.

Die Musikdarstellungen

Die Musikdarstellungen werden meist als Abbildungen der realen praktischen Musik verstanden. So ist die musikalische Ikonographie ein wichtiges Hilfsmittel für die Instrumentenkunde und die Aufführungspraxis geworden. Aber sind sie wirklich nur die Illustration zur bunten historischen Musikwirklichkeit des Mittelalters?
 
 

Musik als Magie

Am Freiburger Münster sind die Glocken und die Weltgerichtsposaunen grossartige Beispiele für die magisch-zauberisch-numinose Seite der Musik.

 Hier fällt die reale und symbolische Bedeutung zusammen. Das Läuten gibt nicht nur die Stunden und die Tageseinteilung an oder ruft die Gläubigen zum Gottesdienst, es hat auch einen magischen Sinn: Die Abwehr des Bösen, Vertreibung böser Geister, Dämonen, Teufel, schlechten Wetters sowie das Beschwören und Herbeirufen Christi und der Engel. Der Glockenklang assoziiert somit auch die himmlische Musik der Engel.
 

Im 19. Jahrhundert wurde dieser magische Glockenzauber durch eine biedermeierlich idyllisierte Glockenpoesie verdrängt.

Die Posaunenengel

Die vier Posaunenengel am Turm blasen Instrumente arabisch-sarazenischen Ursprungs. In Europa waren sie Attribute königlicher Herrschaft. Hier repräsentieren die "Businen" Macht und Glanz des himmlischen Königs Christus. Sie stellen den Wächterruf dar und haben ausserdem auch eine abwehrende Wirkung gegenüber Dämonen.Hier seien auch die vier Engel im grossen Tympanon des Hauptportals genannt, die sich durch ihr Alter (13. Jh. - Turmengel 14. Jh.), aber besonders durch ihre Instrumente von den erstgenannten unterscheiden: sie spielen altertümliche Heerhörner, die schon zu germanischen Zeiten bekannt waren. Deren Klang war der lauteste und rauhste in dieser Zeit. Die Turmengel hatten die Aufgabe, durch ihr Blasen über die Stadt und den nahegelegenen Friedhof das Jüngste Gericht zu verkünden.

Musik als Logos

In der Vorhalle rechts zur Südwand hin findet man sieben Figuren, die die freien Künste darstellen, zunächst das Trivium mit der Grammatik, Dialektik und Rhetorik, dann das Quadrivium mit der Geometrie, der Musik mit einer Glocke in der einen und einem Hammer zum Anschlagen in der anderen Hand, Arithmetik und Astronomie. An Kloster- und Domschulen, später an der Universitäten wurde das Studium der freien Künste betrieben. "Ars" ist hier nicht Kunst oder Kunstfertigkeit im neuzeitlichen Sinne, sondern die Fähigkeit des geistigen Durchdringens des Wesens und der erzieherischen Kräfte dieser Disziplinen.
Die Musik als "Freie Kunst" steht auch in Freiburg im Verband der zahlbezogenen Disziplinen des Quadriviums. Isidor von Sevilla, dessen Anordnung der Freiburger Vorhallenzyklus folgt, sagt: "Musik ist die Disziplin, die über die Zahlen, die in den Klängen gefunden werden, berichtet. Ohne Musik keine Disziplin, nichts aber ist ohne sie." Die Zahl ist Seinsgrund der Musik und aller geordneten Dinge. Ohne die Zahl sind sie dem Untergang geweiht. Die Musik ist das Mittel, das die Welt im Innersten zusammenhält.

Im Mittelalter wurde die Dreiteilung der Musik gelehrt: die musica mundana (himmlische Musik) steht über der musica humana (menschliche Musik), diese wiederum über der musica instrumentalis (gespielte Musik). Die Weite ihres Geltungsbereiches macht sie würdig, in die Freien Künste eingereiht zu werden. Als reine Kunstfertigkeit von Singen und Spielen hätte sie diesen Rang nie erreicht. Musik ist der Mathematik, der Philosophie und der Kosmologie zugeordnet.Der Rang der Musik gründet auf der Pythagoras zugeschriebenen Entdeckung der harmonischen Konsonanzen. Er soll an proportional gespannten Saiten die musikalischen Grundintervalle mit ihren mathematischen Berechnungen gefunden haben: Oktave 1:2, Quinte 2:3, Quarte 3:4.

 In mittelalterlichen Bilddarstellungen findet man diese Zusammenhänge immer, gleich ob man Pythagoras selbst oder König David oder eine andere Figur nimmt. Die Instrumente weisen immer auf das zahlenmässige Ordnungsprinzip der Musik hin: Glocke oder Glockenspiel mit Hammer oder auch die Harfe, die durch ihre Stimmbarkeit ebenfalls dieses Ordnungsprinzip verkörpert.

So sind auch der Pythagoras-Hammer und die Glocke in der Hand der Freiburger Musica nicht im Sinne eines realen Musikinstruments zu verstehen: sie repräsentieren vielmehr die akustisch-mathematisch-harmonikale Seite der Musik. In ihr offenbart sich die Bewältigung der musikalischen Phänomene aus der Kraft des Geistes. Der Musicus ist ein Wissender geworden; die geistige Seite der Musik (Logos) wird über ihrer magischen Gewalt sichtbar. Die musikalischen Erscheinungen sind beherrscht und aus chaotischer Unberechenbarkeit geordnet, ihr Zauber ist gebannt, ihre bedrohlichen Kräfte sind entdämonisiert und dem geistigen Dasein ein- und untergeordnet. Dieses Musikverständnis setzt sich im Mittelalter fort und wurde eine der Leitideen der Musik bis in unsere Zeit.

Musik als geistiges Weltprinzip

König David, dargestellt mit einer Harfe, ist das häufigste musiklkonographische Thema des Mittelalters. In seiner Gestalt sind verschiedene Sinngehalte vereinigt: Die magisch-apotropäische (heilende) Kraft der Musik. Durch sein Spiel vertreibt David Schwermut und böse Geister vom kranken Saul. Dies lässt ihn im Mittelalter zu einer Art Vorläufer des Heilands werden. Das Instrument Davids wird gern symbolisch als "corpus Christi" gedeutet, die gespannten Saiten als die ausgespannten Glieder des Heilands. Zweitens ist David Gründer und Ordner der Kirchenmusik. Nach biblischen Berichten schuf er die Einrichtung der ständigen kultischen Musik vor dem Heiligtum. Schliesslich verkörpert David als Dichter und Sänger der Psalmen die spezifisch christliche Idee der Kirchenmusik. Er gilt als Repräsentant des kultischen Lobgesanges, er ist Sinnbild des Lobpreises Gottes. In dieser Richtung wird aus dem autonomen Sphärenklang die funktionale Weltliturgie mit den Engeln an der Spitze der Hierarchie. Alles liturgische Singen der Kirche hat Ursprung, Sinn und Begründung im Gesang der Engel.

Diese dringen überall in die literarische und künstlerische Sphäre ein. Mit der auflebenden Marienverehrung umgeben Scharen musizierender Engel die Lebensstationen Mariens.

 Auch als Seelengeleiter (Psychpompen) gehören singende und spielende Engel zum festen Vorstellungkreis des Mittelalters. In Legenden und Bildern fuhren imme wieder musizierende Engel die Seelen zum Himmel. In diesen musizierenden Geleitengeln lebt ein uraltes Jenseitswissen fort. 

Denn diese Engel sind nicht biblischen Ursprungs, sondern aus der griechischen Antike in die christliche Kunst übernommen worden. 

Der christliche Lobgesang umfasst selbst die Dissonanzen der Hölle. Die Zerrmusik des Teufels ist noch Gotteslob "ex contrario", aus dem Gegensatz heraus.

 Am Freiburger Münster befindet sich hierfür nur ein einzelnes Beispiel an der Konsole einer der klugen Jungfrauen: ein Untier, dessen Nase zu einer Trompete verlängert und erweitert ist.
 
 

Die weltliche Musik

Ohne symbolischen Gehalt ist die realistische Darstellung einer Spielmannsszene links vom Hauptportal am Freiburger Münster. Die Darstellung zeigt zwei Musikanten, einer mit Einhandflöte und Trommel, der ändere mit einer 3-saitigen Fidel. Zwischen ihnen befindet sich eine auf den Händen stehende Tänzerin. Auch Jagddarstellungen finden können in diesem Rahmen ihren Platz finden, wie z. B. im Münster von Basel.Ergebnis eines Projektes am Theodor-Heuss-Gymnasium. F.D.Sauerborn Lit.: Reinhold Hammerstein: Die Musik am Freiburger Münster. Ein Beitrag zur musikalischen Ikonographie. In: Archiv für Musikwissenschaft 9.1952, S. 204 - 218.


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