Familie Pröll - Anna Pröll

Aktualisierte Biografie

Anna Pröll - Ihr Leben

Anna Pröll wurde am 12. Juni 1916 in eine Augsburger Textilarbeiterfamilie geboren. Sie hatte eine vier Jahre ältere Schwester namens Rosa und einen drei Jahre jüngeren Bruder, der Karl hieß. Anna absolvierte nach 8 Jahren die Volksschule, ehe sie eine 3-jährige kaufmännische Fortbildungsschule besuchte. Im Alter von 14 Jahren begann sie eine Lehre in einer Stickerei und trat bereits mit 16 Jahren, am 8. März 1932, in den Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) ein.
Im Frühling 1933 wurden ihre Eltern verhaftet. Ihr Vater wegen Vorbereitung zum Hochverrat, ihre Mutter einfach nur deshalb, weil sie seine Frau war. Im selben Jahr verlor die Familie auch ihre Wohnung und kam notdürftig bei Verwandten unter.
Am 1. September 1933 wurde sie mit anderen Mitgliedern ihrer Gruppe wegen Verteilung antifaschistischer Flugblätter verhaftet und in Schutzhaft genommen.
Im Jahr 1934 wurde sie nach Einzelhaft im Katzenstadl durch das Jugendamt freigelassen. Allerdings wurde sie bald darauf erneut verhaftet und musste sich zwei Verhandlungen stellen. Erst wurde sie im Juni 1934 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 9 Monaten Gefängnis verurteilt und bei der zweiten Verhandlung kamen noch einmal 12 Monate hinzu. Diese 21 Monate musste sie in Einzelhaft in der Jugendabteilung des Aichacher Frauengefängnisses absitzen. Als sie einer Mitgefangenen einen Zettel zuschob, lernte sie kennen, was strenger Dunkelarrest bedeutete.
Nach Ende ihrer Haftzeit wurde sie sofort in das KZ Moringen "verschubt". Dies war das erste Frauenkonzentrationslager. Interniert waren Kommunistinnen, Sozialdemokratinnen, Jüdinnen, Bibelforscherinnen, Kriminelle und Dirnen. Bei vielen genügte die Parteimitgliedschaft für die Inhaftierung.
1937 begegnete sie im KZ dem Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, dem gegenüber sie den Mut aufbrachte, ihre Kritik am Nationalsozialismus zu äußern.
Im Juni 1937 wurde sie überraschend freigelassen. Sie musste sich sofort um Arbeit bemühen und fing schließlich wieder an, in der Stickerei zu arbeiten.
Anna lernte den Mechaniker Josef Pröll kennen, den sie gegen den Willen der Gestapo am 5. November 1938 heiratete. Am 16. Februar 1939 kam ihr erster Sohn Rudolf zur Welt.
Kurz darauf wurde die junge Familie durch die Verhaftung ihres Mannes wieder getrennt.
Anna schaffte es trotzdem, ihn während dieser Zeit 4mal zu sehen und ihn für ein paar Minuten zu sprechen. Josef kehrte erst im Mai 1945 zurück.

Anna Pröll - eine verfolgte Frau

Schon während ihrer Schulzeit, entwickelte sie politisches Interesse. Ihre Überzeugung wurde bereits durch das Elternhaus und durch eigenes Erleben und Nachdenken geprägt: Sie musste die Verhaftung von Vater, Mutter und Geschwister durch SA und SS, die diese gefoltert und eingesperrt haben, erleben.
Als 15jährige schloss sie sich dem KJVD an. Anna wurde eine der wichtigsten Personen der Gruppe Jugendlicher, die den Widerstand in Augsburg versuchten. Treffpunkt des KJVD war das kommunistische Arbeiterheim in der Mittelstraße, in der Vorstadt "Rechts der Wertach" nahe dem Senkelbach. Sie nutze die Zeit zu Fortbildungen und konnte als Leiterin der dortigen Jugendbibliothek auch ihren Lesehunger befriedigen.
Im Frühling 1933 wurden ihre Eltern verhaftet. Anna stand täglich vor dem Gefängnis beim Katzenstadel, um ihre Mutter zu sehen. Als Rosa wegen Überfüllung nach Aichach verlegt wurde, radelte sie jeden Sonntag dorthin, um ihr Lebensmittel zu bringen.
Anna und ihre Freunde nahmen Kontakt mit der noch bestehenden kommunistischen Jugendgruppe in München auf, besorgten sich dort Zeitschriften und Losungen, die sie dann - meist nachts - in den Arbeitervierteln verteilten. An Hauswände und Litfasssäulen schrieben sie Aufrufe zum Widerstand und riefen mit Flugzetteln, die sie auf einer eigenen Handpresse gedruckt hatten, zum Kampf gegen das Nazi-Regime auf.

"Wir Jungen, wir haben ja schon vorher Polizeiverhöre geübt.
Man war also schon gefasst, dass das kommen kann." (Anna Pröll)

Im September 1933 flog die Augsburger Jugendgruppe auf und Anna wurde wegen Aufbaus einer Widerstandsgruppe am Oberlandesgericht München zu einer Haftstrafe von 21 Monaten verurteilt. Im Gefängnis wurde auf ihr jugendliches Alter keine Rücksicht genommen. Die mittlerweile 17 Jahre alte Anna, wurde geschwächt und abgemagert ins KZ Moringen abtransportiert. Sie empfand die Verlegung jedoch als Erleichterung, da sie dort Bekannte aus München traf. Nur durch Hilfe der anderen Mitgefangenen, die sie wieder hochpäppelten, überlebte sie. Diese gegenseitige Solidarität war für die junge Frau eine der wichtigsten Erfahrungen während der gesamten Haft und Verfolgung.
Als Anna 1937 entlassen wurde, war ihre Verfolgung jedoch noch nicht zu Ende. Sie musste sich regelmäßig bei der Gestapo in der Prinzregentenstraße melden. Auch ihr Privatleben wurde ständig überwacht, so wollten die Nazis ihre Heirat mit dem ebenfalls antifaschistischen Josef Pröll verhindern. Jedoch ist ihnen dies nicht gelungen. Die beiden heirateten am 5. November 1938.
Seit nunmehr 70 Jahren tritt Anna Pröll als eine der letzten Überlebenden des Augsburger Widerstandes für Antifaschismus und Demokratie ein.

Interview mit Anna Pröll über ihre Vergangenheit

geführt am 12.03.01; anwesend waren Frau Pröll und die Schüler Susanne Berger, Andreas Miehling und Jürgen Wünsch

Wer von Ihrer Familie war im Konzentrationslager? (1)

Von meiner Familie, geborene Nolan, ist mein Vater 1933 schon gleich zu Anfang verhaftet worden. Er hatte eine Verhandlung wegen Vorbereitung zum Hochverrat und Zersetzung der Wehrmacht, weil er Kriegsgegner war. Deshalb wurde er auch verurteilt.
Er hatte eine Diskussion mit einem Soldaten - eigentlich eine gemütliche. Er gab ihm einige Schriften und deshalb ist er dann von dem Soldaten angezeigt worden und bekam ein Jahr Gefängnis. Er war gleich 1933 in Haft und wurde anschließend ins KZ-Dachau verlegt und dann entlassen. Im darauffolgenden Februar 1934 kehrte er nach Hause zurück.
Dann gab es in Augsburg eine Jugendgruppe, in dieser hat die Gestapo meinen Vater wieder verhaftet, unter dem Vorwand er hätte von dieser Gruppe gewusst und sie nicht angezeigt. Die Anzeige der Gruppe wäre seine Aufgabe gewesen. Worauf er erneut eine Strafe von 1 ˝ Jahren in Dachau bekam. Im Oktober 1937 ist er dann umgekommen.
Im März und April 1933 war meine Mutter ungefähr 8 Wochen in Augsburg in Haft, ohne dass sie Mitglied einer Partei war, nur weil sie die Ehefrau meines Vaters war. Sie war nicht alleine. Es wurden damals viele Frauen als Geiseln gefangen genommen. Das Wort Geiseln wurde damals nicht benützt, aber sie wurden halt einfach verhaftet. Ebenfalls wurden auch Frauen verhaftet, deren Männer noch nicht gefasst werden konnten, wie zum Beispiel eine Freundin von mir. Die war dann in Haft bis ihr Mann in Dachau umgekommen ist. Danach wurde sie erst entlassen.
Nach meiner Mutter war ich dann in Haft, ich habe wegen Vorbereitung zum Hochverrat in 2 Verhandlungen 21 Monate Haft bekommen - im Alter von 17 Jahren. Die habe ich in Aichach abgesessen. Anschließend kam ich dann in das Lager Moringen. Das war das erste Lager in dem Frauen konzentriert wurden. Bis dahin wurden Frauen immer in Gefängnissen untergebracht, wenn sie in Schutzhaft waren. Das war schlimm, denn sie wussten ja nicht wann sie nach Hause kommen würden. Einige Münchner Frauen hab ich 1934 bei meiner Verhandlung in München getroffen und dann 1936 nach meiner Haft wieder in dem Lager Moringen.
Sie wurden ohne Urteil in dieses Lager gebracht. Dies war so willkürlich, aber es war natürlich eine Abschreckungsmöglichkeit für das Volk.

Es war damals so üblich zu sagen:
"Halt dein Maul, oder du kommst nach Dachau!" Jeder hatte Angst! Es gab viele Gegner, aber die hatten so viel Angst durch diesen Terror. Es haben ja auch nicht alle überlebt. Die ersten Jahre 1933 und 1934 gab es viele Tote, willkürlich Erschlagene. Dies verbreitete unter dem Volk Angst.
Von der Seite meines Mannes, mit dem ich damals noch nicht verheiratet war, wurde mein Mann selber 1933 im März verhaftet, ebenso wie sein Bruder Alois. Der Bruder Fritz kam erst 1935 in Haft, er hatte sich einer Gruppe angeschlossen, die für Häftlinge in Dachau und deren Familien sammelten. Die Familien waren in Not, sie waren jung und hatten oft kleine Kinder. Sie haben nichts bekommen. Die Frauen schauten zwar, dass sie Arbeit bekamen, aber es ist halt nicht allen gelungen. Es war einfach eine große Not unter diesen Leuten.
Da gab es dann die "Rote Hilfe", eine Gruppe, die vor 1933 gegründet worden war. Diese wurde von Leuten organisiert, die nicht parteilich gebunden waren, die haben da auch reingezahlt, mal 50 Pfennig oder 1 DM. Das war damals viel Geld, anders als heute. Diese Gruppe sammelte also für diese Häftlinge und hat auch Schriften gegen Hitler herausgeben bzw. verkauft. Der Erlös kam in diese Kasse.
Eben bei dieser Gruppe war der Fritz dabei.

Also sozusagen eine Widerstandsgruppe?

Ja, es war Widerstand. Da waren auch viele dabei, die schon in Dachau mal einige Monate oder Jahre waren. Es war eine riesige Gruppe, aus der 7 Leute nicht mehr zurückkehrten. Die sind, glaube ich, während ihrer Haftzeit einfach umgekommen, wie z.B. 2 oder 3 im Zuchthaus Amberg. Da gab es einen Arzt namens Vigenscher, er soll Augsburger gewesen sein. Er hat sich später selber aufgehangen, und er hat gegen Lungenentzündungen an Menschen gearbeitet. Sie wurden gespritzt und danach beobachtet. Einige von ihnen sind dabei draufgegangen, sie starben an diesen Versuchen. Damals war das legal, Ärzte durften das.

Wer von Ihrer Familie war im Konzentrationslager? (2)

Dann war auch noch eine Schwester im KZ, Anfang 1933. Sie war nur einige Monate, aber unter dauernder Beobachtung.
Die Mutter der Prölls war so eine tapfere Frau. Sie arbeitete in einer Textilfabrik, denn der Vater starb bereits 1925 ganz jung an einer Krankheit die man heute vielleicht hätte heilen können, aber damals war das nicht möglich. Als er starb musste sie mit ihren 7 Kindern durchkommen. Sie war wirklich so tapfer. Sie sprach auch im Betrieb, was man tun könnte gegen die Not. Sie gehörte auch einer betriebsinternen christlichen Gewerkschaft an. Oft wurde auch mit den Kindern diskutiert. Sie meinten, dass ihre Mutter vor mehr Menschen sprechen müsste.
Die Frau saß die ganze Nazizeit vor englischen Sendern und erzählte dann ihren Kindern, was sich alles begeben hatte. Sie war sehr interessiert und hängte auch nie eine Fahne zum Fenster hinaus. Beispielsweise am Muttertag wäre sie Aufgrund der 7 Kinder ausgezeichnet worden. Aber dies hat sie dankend abgelehnt, worauf sie dann wieder unter Beobachtung stand.
Diese Frau, die beim Bombenattentat ums Leben kam, wartete so sehnlichst auf das Ende.
Wie ich dann schon verheiratet war, was die Gestapo verhindern wollte, sagten sie: "Eure Familie rotten wir sowieso aus!"
Dies ist ihnen aber nur fast gelungen. Aber wenn es weitergegangen wäre, hätten sie es geschafft.
Die Geschichte des Alois, der zweite Bruder meines Mannes: Er war in Dachau, wo er immer verhört wurde. Er sollte seine Freunde angeben, die mit ihm gegen Hitler zusammen gearbeitet hätten. Aber der Alois hätte sich lieber vorher die Zunge abgebissen. Daraufhin haben sie ihn öfter bewusstlos geschlagen, danach mit kaltem Wasser überschüttet bis er aufwachte und dann wieder von vorn angefangen ihn zu schlagen. Schließlich wurde er dann sterbenskrank nach Hause geschickt. Er lebte noch 2 Jahre in Augsburg und erlag dann den Folgen der Haft. Dies ist auch erwiesen, dass er an den Folgen starb. Er hatte auch eine Freundin, mit einem kleinen Kind, die er heiraten wollte, aber nicht durfte. Das war sehr schwer für ihn, denn solche Menschen, die wissen, dass sie nicht mehr lange leben werden, hängen noch mehr an ihren Kindern.
Der Fritz war dann in dem Lager Dora. Er hatte gesamt 18 Jahre Haft. 3 Jahre allein für die "Rote Hilfe", die er im Alter von 20 Jahren in Landsberg absaß. In Dachau war er dann 9 Monate in der Strafkompanie. Danach wurde das Lager aufgelöst.
Die SS hat sich darin dann geschult - das war Ende 1939 - denn das Lager Dachau war ein Musterlager. Die Häftlinge wurden nach Mauthausen, Sachsenhausen und Buchenwald versetzt. Fritz kam dann nach Buchenwald und traf da seinen Bruder, meinen Mann, wieder. Diese Leute waren in der Strafkompanie, aber die länger anwesenden Häftlinge versuchten, sie aus den Bunkern herauszubekommen oder ihnen zumindest Essen zustecken zu können. Es herrschte also sozusagen eine sehr große Solidarität in Buchenwald. Der Grund dafür war, dass sich natürlich viele schon lange kannten und sich gegenseitig helfen wollten. Andere Lager im Gegensatz waren nur Durchgangslager, in denen kam so etwas nur sehr schwer zu Stande .
Die 2 Brüder haben sich da wieder getroffen. Mein Mann war auch bei dem "Kind von Buchenwald" dabei. Es ist eine Geschichte, die auf Tatsachen basiert. Es war ein Kind, das von Häftlingen aufgezogen wurde, da es sonst nicht überlebt hätte. Dieses 3jährige Kind haben sie beschützt. Es ging durch mehrere Hände und ist in die Desinfektionsbaracke gekommen, denn dort traute sich die SS nicht hinein, wegen der Ansteckungsgefahr. So konnten sie das Kind retten. Dies wurde in Romanform festgehalten ("Nackt unter Wölfen" von Bruno Apitz), es gibt auch einen Film dazu, mit dem Kapo, der da hauptsächlich daran beteiligt war. Mit dem hat mein Mann in Buchenwald in der Effektenkammer zusammen gearbeitet.
Dann kamen beide Brüder nach Natzweiler, das ist ein Lager in Frankreich. Die SS ließ dort immer die Häftlinge Steine abbauen, beispielsweise für die Hitlerbauten und Domizile. Auch in Italien den Marmor. In diesem Lager waren sie 2 Jahre zusammen. Fritz hatte während seiner langen Gefangenschaft Arztbücher studiert, denn er war ein sehr gescheiter Mann und auf die SS-Ärzte war kein Verlass, denn sie trauten sich nicht an die Gefangenen hin. Ein anderer Arbeiter hatte sich sogar selber das Operieren beigebracht. Die Bücher bekamen sie aus Bibliotheken, denn diese Art von Büchern war nicht verboten. Im Lager Dora wurde Fritz dann aufgrund seines medizinischen Fachwissens zum Schreiber des Reviers. Er war, wie auch in vielen Büchern steht, ein hochintelligenter Mensch. Es ist in so einer Situation immer das gleiche, der eine geht unter, der andere wächst über sich hinaus.
Dort war auch ein gewisser Kramer. Er war SS-Kommandant, lebte in Pfersee (Augsburg) und er war so ein ausgesprochener Sadist. Er brachte so viele Menschen um. Er war auch verantwortlich in Bergen-Belsen, dem letzten Lager in dem konzentriert wurde und riesige Laichenberge rausgeschleppt wurden.
Dieser Kramer baute in Natzweiler eine Vergasungsanlage und probierte sie an Frauen aus. Junge Frauen sind in Massen aus Ravensbrück angekommen. Sie wurden vermessen, dann mit einer angeblichen Verfrachtung hinters Licht geführt und einen Tag später in der Gaskammer ermordet. Ich komme einfach nicht darüber hinweg, aber sage trotzdem: die Jungen müssen das wissen, damit solche Dinge nie wieder passieren. Man muss es wissen, auch wenn es so schwer ist aufzunehmen. Es haben ja auch nicht alle mitgemacht, aber der Terror war einfach zu groß. Hitler hat auch beispielsweise seine letzten Wahlen nicht gewonnen. Genauso wurden die Vorkommnisse in Dachau nicht verschwiegen, denn man wollte der Bevölkerung das Fürchten lehren.
Die Pogrome gegen Juden brauchten auch 5 Jahre, von 1933 bis 1938, bis sie durchgeführt wurden. Ich hatte auch eine Freundin, deren ganze Familie Juden waren. Die Mutter meiner Freundin, der Bruder und die Schwester wurden alle getötet. Der Vater ist glücklicherweise noch im Bett gestorben.
Die Leni, die mit mir in einer Klasse war, wurde herausgekauft (von außen musste jemand eine gewisse Summe zahlen, damit ein jüdischer Bürger frei in der Gesellschaft leben durfte).
Amerika machte das genauso, sie nahmen nur Leute auf, deren Existenz finanziell gesichert war.
Ich hatte eine Freundin, die ist in die Schweiz geflohen, aber da sie keine Papiere hatte, wurde sie zurückgeschickt und hingerichtet.

Leben eigentlich noch Bekannte, die sie im KZ kennengelernt haben?

Ja, eine aus Nürnberg, mit der hab ich auch heute schon telefoniert. Die ist so alt wie ich. Wir telefonieren oft und wollen uns im Sommer wieder treffen. Deren Familie hatte auch ein ganz mieses Schicksal gehabt. Wir zwei lernten uns in Aichach kennen.

Können sie mittlerweile beruhigt über dieses Thema reden, oder haben sie immer noch ein mulmiges Gefühl?

Ich habe mich sehr lange zurückgehalten und verdrängt. In meinem Umfeld waren viele, die das selbe durchgemacht haben. Sie haben darüber berichtet. Ich selber hab auch lieber zugehört. Als mich der Herr Römer von der AZ vor 2 Jahren zum Thema "Fragt uns, wir sind die letzten" einlud, habe ich ihm zuerst einen Zeugen besorgt. Ich wollte mich wieder drücken, kam aber dann auch dran. Das war das erste Mal, dass ich über mein Schicksal in der Öffentlichkeit berichtete bzw. auch gefragt wurde - es dauerte 2 Stunden. Ich sah, dass wirklich keine [Zeitzeugen] mehr da sind, aber die Jungen wollen es wissen. Es wurde ja auch solange verdrängt. Man konnte halt nicht anders. Mein Mann war 8 ˝ Jahre im Lager Dachau, Buchenwald und Natzweiler. Junge Schüler wollten ihn dann 1974 in ihre Schule in Königsbrunn einladen. Sie schrieben er sei KZ-Häftling, aber die Lehrerschaft lehnte dies ab.
Die Schüler hatten eine ganze Broschüre ausgearbeitet. Dies erfuhr ich erst später, als mein Mann schon tot war. Sie haben auch Unterschriften in ganz Bayern gesammelt und protestiert.
Die Zeitschrift "Stern" war auch schon bei uns und haben ihn mitgenommen ins Lager Dachau zu einer Führung. Aber er konnte schon fast nicht mehr. Ich habe auch oft gesagt: "Ich schreib mit der Maschine oder dem Tonband und du erzählst bloß. Aber er sagte: 'Ich kann das alles nicht so erzählen, wie es wirklich war! Es wirkt zu trocken wenn ich das erzähle. Es war so schlimm wie mit den Menschen umgegangen wurde!'" Er hat ja auch die letzten Monate von Buchenwald erlebt, in denen die ganzen Leute von Auschwitz transportiert wurden, als sie nur noch als Skelette in Buchenwald ankamen, dann mussten sie wieder transportiert werden. Man kann das einfach nicht schildern, auch die Kinder die nicht wussten warum das alles...

Waren sie seitdem mal wieder in dem KZ Moringen oder in anderen?

Ja, ich war schon zu Besuch. Früher war es ein Frauengefängnis, da hatten wir noch Zivilkleidung und auch keine Nummern. Da gab es auch nur eine Art Anstaltsverwalter und nicht die SS und er wollte die langjährigen Häftlinge einfach loswerden, weil er immer wieder neue bekam und nicht wusste wohin damit. Wir mussten auch keine Zwangsarbeit leisten, also es war in dem Sinne noch nicht so furchtbar. Es war so, da waren nur politische Frauen oder z.B. Berlinerinnen, die schon vor ihrer Ankunft verschlagen wurden.
Man wusste nicht genau, wie das mal alles aussehen würde. Man wusste nicht wie sich der Terror ausbreiten würde, die Morde etc.
Die jüdischen Mädchen, die zuerst kamen, waren damals bei uns in einem 75 Meter langen Saal, wie ein Schulsaal. Daraufhin wurden sie vermessen und bekamen einen extra jüdischen Saal. Die durften auch nicht mehr ins Freie. Wir hatten immerhin noch eine Stunde zum Luftschnappen. Danach mussten sie auch schon mit Binsen arbeiten, die haben richtig gestaubt; dreckig war es. Da mussten sie auch essen. Die jüdische Bevölkerung war von Anfang an bedroht, auch in Dachau. Da sind schon die ersten umgekommen. Zum Beispiel Rechtsanwälte aus Nürnberg, die sich eingesetzt haben für einen Arbeitslosen, der verurteilt wurde für einen Streit oder ähnliches. Die haben diese Leute billig vertreten und kamen dann auch gleich um.

Wie sah ihr Tagesablauf genau aus?

Als ich in Aichach war, habe ich zuerst Säcke geflickt, gestrickt und Weisswäsche gestickt, weil mein Beruf in diese Richtung ging. Die Arbeit war auch für Firmen, da hat also die Anstalt Aichach auch wieder verdient. Ich war ja in Einzelhaft und musste immer von in der Früh um 7 bis abends um 6 Uhr arbeiten.
In Moringen, da gab es keine Arbeit für mich, da haben wir unsere Tage mit Malen und Zeichnen ausgefüllt. Es ist aber auch schlimm, wenn man keine Arbeit hat.
Ich habe aber auch ziemlich viel geschlafen, denn ich war sehr müde von meinem Arrest, den ich in Aichach hatte. Das ging soweit, dass ich oft sogar am Tisch einschlief. Da hörte ich oft die anderen sagen: "Lass sie schlafen, die braucht das!" Die, die vor mir schon da waren, die haben mal für das Winterhilfswerk Wäsche bekommen, damals hatte man ja nur "Lumpen" als Kleidung und die mussten diese dann auch zusammennähen. Man arbeitete auch auf dem Acker, aber das wurde dann abgestellt, denn die Bevölkerung hat auch geschaut: ‚Was kommen da für Frauen?' Danach durften sie nicht mehr raus. Das ging so bis 1937-38. Dann wurde das Lager zu klein und man brachte dann nur noch Jungs dorthin, als Zwangsarbeiter. Die waren so in unserem Alter (also 16-18). Eingesetzt wurden sie in der Umgebung, in Fabriken etc., da mussten sie richtig schwer arbeiten. Da gab es auch einen Friedhof, das wurde erst jetzt aufgearbeitet, das wurde alles verschwiegen. Es waren 46 Jungs, die namentlich ganannt waren, die dort umgekommen sind. Die waren alle 15-19 Jahre alt. Von diesem Ort Moringen fuhr einmal eine kleine evangelische Gruppe Schüler nach Auschwitz und wollte dieses besichtigen. Auf einer Tafel auf der alle KZ-Lager aufgeführt waren, lasen sie ihren Ort, Moringen. Sie waren entsetzt, in einem Ort wie Gersthofen...
Daraufhin haben sie Nachforschungen angestellt, über diese Jungs, die sich buchstäblich zu Tode gearbeitet hatten.

Kurze Aussage über die Ausmaße der KZ-Lager

Die Nazis bauten bei Dresden ein größeres Lager, die Lichtenburg. Aber dieses wurde auch wieder zu klein und dann gab es das Ravensbrück, das ganz große Frauencamp. Da kamen aber auch schon die ausländischen Frauen mit, anfangs die österreichischen Frauen....

Was können sie über den Kontakt zu der Frau von Hans Beimler sagen?

Die Frau Beimler hab ich schon in Augsburg gekannt, vor 1933, denn ihr Mann war im Stadtrat in Augsburg. Er wurde dann auch in den Reichstag gewählt und ist dann von Augsburg weg. Die Schwester der Frau von Hans Beimler lebt heute noch (bettlägerig). Sie war von Ostern 1933 bis September in meiner Jugendgruppe in Augsburg, da hatten wir mit München Verbindung. Ihr Freund hat uns eine Schreibmaschine und einen Abziehapparat gegeben, die wir mit dem Rad aus München holten und deshalb waren sie mit ihnen schon verbunden. Die sind dann auch mit uns verurteilt worden.
Die Frau Beimler hab ich dann in Stadelheim getroffen. Für die Verhandlung wurde sie nach München transportiert und kam dann in das Gefängnis. In der Hofstunde hab ich dann die Frauen gesehen. Sie waren in Schutzhaft - nicht abgeurteilt. Da sagte ich dann: "die kennen wir doch!". Die haben mir dann immer Lebensmittel zugeschmuggelt, im Kloeimer. Wir haben bloß so einen Eimer bekommen, Früh rein, Abend raus. Als ich den Eimer aufmachte, war viel Backpapier darin, in dem Bananen und Schokolade, also nur gute Sachen verpackt waren. Die haben als Schutzhäftlinge von zu Hause immer Pakete bekommen, also wenn sie es verkraften konnten, haben sie immer geteilt. Aber es gab auch Frauen, die bekamen nichts. Wenn zum Beispiel der Mann auch eingesperrt war, wo sollten sie etwas herbekommen?
Ich war dort nur 3 Tage. Aber da haben sie mir auch so etwas zugeschmuggelt. Wissen sie, wenn so etwas passiert, da hält das ganze Leben an, wenn es solche Frauen gibt, die teilen. Die hab ich dann wieder getroffen, 21 Monate war ich in Haft und nach diesen 21 Monaten hab ich die Münchner Frauen im Lager wieder getroffen. So lange waren diese ohne Verurteilung in Haft. Man hatte aber wirklich auch nette Stunden, wenn man beisammen war und gesungen hat oder so.
Die ersten Jahre waren es aber nur politische Frauen, keine die kriminelle Taten begangen hatten. Später wurde das aber dann absichtlich gemischt. Im letzten Jahr kamen dann Frauen, Straßenmädchen, die haben aus Not dies zu ihrem Beruf gemacht. Man kann nicht sagen, dass das kriminell war!
Die Bibelforscher, im letzten Jahr in dem ich dort war (1937), die haben sich geweigert für die Nazis zu arbeiten. Die hatten ihren Glauben an den sie sich gehalten haben.
Bis die Frau Beimler entlassen wurde, kannte ich sie. Ihr Mann ist in Dachau zuerst geflüchtet. An dem Tag an dem er flüchtete, war die Schwägerin Maria bei mir in der Wohnung in Pfersee mit ihrem Freund.
Wir haben damals schon die politische Arbeit gemacht. Der Heini Döbbel (inzwischen gestorben), der hatte das Motorrad vom Hans Beimler. Dann hörten wir im Radio, dass Beimler Hans auf der Flucht ist. Zuerst glaubten wir es nicht, denn der Hausmann aus Augsburg, der wurde praktisch bei der Flucht erschossen. Wir dachten, dies sei ein Vorwand und trotzdem ist der Heini gleich aufgesprungen und sagte: "Mensch ich hab sein Motorrad, wenn er es braucht" und ist gleich weggefahren. Wirklich, das vergess ich nie.
Er hätte sein Motorrad nicht nehmen können, denn die Gestapo hat ja seine Nummer. Aber er ist trotzdem durchgekommen und ist dann in Spanien im Bürgerkrieg gefallen am 1. Dezember 1936. Da war die Centa bei uns im Lager. Da kamen dann auch eine schwedische Abordnung und hat nach der Frau Beimler gefragt, "Wie es ihr geht ?", da hat sich das Ausland dann um sie gekümmert. Sie wurde dann Anfang 1937 entlassen, wurde aber später nochmals verurteilt. Da hatten wir dann Verbindung mit ihr. Ich bekam dann einen Auftrag in Augsburg von der Münchner Gruppe: wir sollten Quartiere besorgen, für Leute, die in Gefahr waren. Dies haben wir auch getan, aber die Gruppe München ist dann hochgegangen und da gab es dann auch einige Todesurteile.
Aber man konnte einfach nicht nur zuschauen, wenn man weis, wie viele Leute da in Gefahr waren...

Wie denken sie heute über den deutschen Staat?

Das ist eine berechtigte Frage, aber wissen sie, es hat sich ja etwas geändert. Aber wenn man weiss wie es 45 weitergegangen ist, dass die Nazis wieder unterstützt worden sind, dass diejenigen die Täter waren, dass die nach kurzer Zeit wieder in die Industrie gekommen sind.
Beispielsweise die Gestapo: der Anführer der Augsburger Gestapo, wurde als Mitläufer eingestuft. Es ist schlimm, nicht für die, die überlebten, sondern für die, die ihr Leben lassen mussten, oder für die vielen jüdischen Menschen. Das wurde alles unterdrückt. 1945 sagten die Menschen: "Wenn wir das büßen müssen, dann Gnade uns Gott!". Aber sie haben es nicht gebüßt. Einige wurden durch die Amis abgeurteilt, aber die anderen sind alle wiedereingestellt worden. Das ist das Schlimme.
Genauso der Wernher von Braun, der hat eine Technik entwickelt, bei der alle mitjubelten.
Auf einer aufgezeichneten Kassette spricht der Prof. Eisfeld, der sagt: "Wenn auch Wernher von Braun nur für seine Idee gelebt hat, dann haben neben ihm so viele ihr Leben lassen müssen; buchstäblich sind die Menschen verreckt dabei. Das Lager Dora war furchtbar, noch furchtbarer als alle anderen. Wernher von Braun war öfter in diesem Lager, und sah einfach nicht hin. Er hat seine Wissenschaft freiwillig dann den Amis übergeben, und hat damit eben seine weitere Zukunft gerettet. Ich sag, wenn wir so einen Mann ehren, dass man ihm eine Straße gibt, muss das Volk auch wissen, was dort passiert ist, denn so etwas darf man nicht verheimlichen. Ein Franzose, der auch in Dora war, hat ein sehr dickes Buch geschrieben, der schreibt so detailliert. Auf einem Tonband sagt Wernher von Braun, er habe die Rakete gebaut, weil seine Mutter ihm immer vom Mond erzählte und er wollte unbedingt dort hin. Aber er darf mit dieser Wissenschaft nicht so viele Menschen umkommen lassen, damit er sein Werk vollbringen kann.
Die V 2 stellte Hitler der Bevölkerung als Wunderwaffe vor. 1944 flogen die ersten Raketen nach England, viele kamen nicht an, aber man hielt sie der Bevölkerung so hin, als könne man mit dieser Rakete den Krieg gewinnen, wo er schon verloren war. Daraufhin fielen noch so viele junge Menschen, wegen diesem Versuch den Krieg doch noch zu gewinnen - das ist das Schlimme. Der Hahn, der Wissenschaftler, der auch bei der Atombombe mitwirkte, sagte: "Bis hierhin, und nicht weiter...". Der hätte ja auch weiter machen können. Da sag ich, der Mensch muss alles untersuchen können und sagen, was tut der Menschheit gut und was nicht. Das ist ganz schlimm, darum rege ich mich auch immer auf und erzähle auch immer. Ich könnte mir ja auch ein leichteres Leben machen, aber wenn man sieht, was so auf uns zukommt. Die Jugend muss es wissen, auch wenn es schwer ist. Aber wenn alle zusammengehalten hätten, hätte man es verhindern können. Die Industrie hat auch auf den Krieg hingearbeitet, die haben ja Hitler auch mit dem Geld unterstützt. Die Jugendlichen, die damals 14 Jahre waren, die haben gesagt: "Wir haben ja nichts anderes gelernt als schießen!". Die sind als Buben in das Feld gekommen und wenn sie Glück hatten, sind sie zurückgekommen, oder sie sind einfach gefallen. Die Ideologie der Nazis: Deutschland über alles!
Das war ja auch so eine Idee, die bis heute noch nachwirkt.

Haben sie irgendwelche Entschädigungen oder Entschuldigungen erhalten?

Ja, wir haben eine Haftentschädigung bekommen. Das halbe Haus haben wir hier bauen können. Dann haben wir wieder 5 Jahre gespart, geschuftet, dass wir die Treppe bauen konnten, da haben uns viele Freunde geholfen, dass wir das fertigbekommen. Es ist ein altes Haus mittlerweile. Aber Nazis haben mehr Geld bekommen. Wir haben 150 DM im Monat bekommen und da wurde abgewertet wegen der Währungsreform damals.
Eine Wohnung haben wir nicht bekommen, wir hatten eine große Betriebswohnung in Pfersee gehabt. Und wie mein Vater verhaftet wurde, haben sie uns hinausgeworfen, und dann hatten wir gleich eine Notwohnung bei einer Tante, die uns aufgenommen hat. Der Vater war in Dachau, der Bruder war beim Arbeitsdienst, also auch nie mehr daheim. Dann musste er noch als Soldat dienen, dann hat es uns gereicht, dann war ich wieder weg. 1945 war es praktisch so, dass wir gar keine Wohnung hatten. Bei meiner Tante war alles ausgebombt und im Parterre hat eine Frau gewohnt, die ist mit ihrem Kind zu unserer Mutter und hat gesagt "Gehen sie in meine Wohnung Frau Pröll, dann brauche ich keine Fremde reintun!". Aber dann ist sie wieder heimgekommen und wir mussten wieder raus. War schlimm bis wir etwas hatten.
1953 haben wir dann erst einziehen können, die Wiedergutmachung kam erst 51, dann haben wir dort angefangen.
Es war nicht in allen Städten gleich. In München, zum Beispiel, da waren einige im Kultusamt, die waren auch ehemalige Häftlinge. Oder der Högner zum Beispiel von der SPD war ja auch im Reichstag vor 1933, der war auch in Haft. Die haben danach in München gleich wieder ihre Wohnung und Arbeit bekommen, bei uns in Augsburg ist nichts los gewesen. Mein Mann hat vom Wohlfahrtsamt eine Rechnung bekommen, wie er verhaftet wurde. Ich hab ein Kind gehabt, 6-7 Monaten. Da habe ich dann erst lange gebraucht, bis ich eine Arbeit bekommen habe. Es hieß ja Frauen an den Herd, zurück von der Arbeit, damit die Arbeitslosenquote zurückgeht. Ich habe die Arbeit gebraucht und habe dann 6 Monate vom Wohlfahrtsamt leben müssen.

Wer am Nationalsozialismus etwas auszusetzen hatte, wurde benachteiligt.

Die sich damals darum gekümmert haben, die waren gar nicht in den Schulen zugelassen. Die Lehrer, die sind entlassen worden, die erhielten Berufsverbote, man wollte es einfach nicht. Und das ist das Schlimme, weil heute hätten die Jungen ja noch ihre Eltern befragen können. Aber viele waren ja ruhig, weil sie nicht erinnert werden wollten. Ich habe neulich eine alte Frau mit einem Pelzmantel gesehen, die war bestimmt nicht gut situiert. Und wenn ich so etwas sehe, da lache ich innerlich, und sag, die hat den bestimmt noch von Frankreich. Ich weiss noch, da sind die Soldaten damals mit den LKWs nach Frankreich gefahren und haben Lastwagenweise den Wein oder die Pelze geholt. Jede Frau eines Nazis lief damals mit einem Pelz rum. Heute, wenn ich so eine sehe, denke ich, die ist sicher auch noch aus dieser Zeit.

Leute, die bei den Nazis beschäftigt waren, haben anscheinend gut verdient.

Ja, die haben gut gelebt. Es ist ja so, viele haben sich zur SS gemeldet. Es gab die Waffen-SS und dann später die, die eingezogen wurden. Die in den KZ-Lagern Dienst machen mussten, die hatten Angst, wenn es an die Front ging. Die haben sich unbrauchbar gemacht, um nicht an die Front zu müssen.
Ich habe meinen Mann 1942 getroffen, als er von Natzweiler, das ist in der Nähe von Strassburg, nach Dachau transportiert wurde. Da hat er mir einen Brief geschrieben, er komme in den nächsten Tagen. Die Briefe waren ungestempelt, also illegal. Man warf sie ein, während einer draußen arbeiten musste. Der Brief kam aber einen Tag zu spät und der Zug mit meinem Mann war schon durch.
Dann ist er wieder zurückgekommen - um den 1.Juni herum. Da hat er geschrieben: ‚Ich muss am 1.Juni in Natzweiler sein, richte deine Post wieder dahin'. Ich habe gewusst, er muss wieder über Augsburg fahren. Da bin ich 8 Tage mit dem Kind und mit der Schwiegermutter am Bahnhof gestanden. Da haben wir immer den Strassburger Zug abgepasst. "Ist er drin, dann ist es recht, dann sehen wir ihn. Ist er nicht darin, haben wir Pech gehabt.".
Er wollte uns sehen, das Kind vor allem. Und dann ist der Zug am letzten Tag durchgefahren und ich habe das Gesicht gesehen, von meinem Mann, und meine Schwiegermutter auch. Die packte mich und wir sind eingestiegen, ohne Fahrkarte. Das war so ein schneller Entschluss. Der Zug hatte bloß eine Minute Aufenthalt gehabt und hat dann nur in Stuttgart gehalten, und wir waren da drin. Da hat es einen ziemlichen Auflauf gegeben, weil wir sind da gestanden und haben reingeschaut und er raus.
Meine Schwiegermutter nahm mir das Kind vom Arm, machte das Abteil auf und setzte den Jungen auf den Schoss von meinem Mann und sagte: "Da, geh hin zu deinem Papa!" Es waren 2 Häftlinge und 2 SS Leute da. Die sind aufgesprungen und haben natürlich geschrieen: "Was fällt euch ein?" Da sind natürlich die anderen Leute erst aufmerksam geworden und sind dort hin gelaufen. Da war alles voller Leute. "Zurück, zurück, wir transportieren hier Verbrecher!". Das vergess ich nie. Meine Schwiegermutter hat immer geschrieen: "Das sind keine Verbrecher! Schutzhäftlinge aus Dachau, politische Häftlinge aus Dachau." Dann haben sich die Leute nicht mehr vertreiben lassen. Ein etwa 60 Jahre alter Mann hat mich geschubst und gesagt: "Setzen sie sich doch zu ihrem Mann hin!", und hat mich da rein geschubst. Die haben die SS nicht mehr zum Reden kommen lassen.
Dann kam die Schaffnerin, die wollte die Fahrkarten sehen, aber wir hatten ja keine. Wir mussten nachlösen. Dann kam die Frage, wie wir überhaupt wussten, das mein Mann auf Transport sei. Da haben wir dann gesagt: "Es kam ein gestempelter Brief und da habe ich mir gedacht, vielleicht kommt er über Augsburg! Jetzt stehen wir schon 8 Tage!" Das haben die Leute alles mitangehört. Wir hatten schon Angst als wir in Stuttgart ankamen, aber mein Mann hat dann noch später gesagt: "Die SS-Leute haben soviel Angst gehabt vor ihren eigenen Leuten, wenn das im Lager aufgekommen wäre, dann wären sie sofort an die Front versetzt worden!". Drum haben sie geschwiegen.
Der andere der noch darin saß, der war Jude und der ist dann noch umgekommen. Aber als ich damals heimgefahren bin, da war ich richtig glücklich und auch deshalb, weil uns die Leute geholfen haben und ich mir dachte, es gibt nicht nur Nazis. Aber das war schon nach Stalingrad, da hat man gemerkt, sie drehen sich um, die Leute...

Wie war das Treffen mit Heinrich Himmler, was war das für ein Mensch, was hatte er für eine Ausstrahlung?

Wir haben ja schon viel gewusst von ihm. Die Münchner haben ihn schon persönlich gekannt, denn dort war er ja Polizeipräsident. Wir hatten eine Frau mit im Lager gehabt, die Frau Höser, die war Mitglied vom Landtag, die hat der Himmler gekannt. Er ist gekommen und hat jeden einzelnen besichtigt und befragt wieso? weshalb? warum? und so weiter. Diese Frau hat er gekannt, vom Landtag her, die hat er so heruntergesetzt. Sie konnte sich ja nicht verteidigen. Bei uns jüngeren hat sich alles verschlossen. Da wird man dann stur. Und wie er zu mir hergekommen ist und mich auch fragte was ich vom 3. Reich halte, hab ich geantwortet:

"Ich habe es bloß von der schlechtesten Seite kennengelernt! Ich kann nichts sagen!"

Dann ist er weiter gegangen und der Direktor von dem Lager kam und hat mich richtig zusammengestaucht. Er sagte, statt dass ich gebeten hätte, dass ich entlassen werde, war ich so frech. Dann hab ich gesagt, dass ich nicht betteln brauche, dass ich entlassen werde. Aber 3 Wochen später kam dann doch die Entlassung, das war dann im Juni 1937 und da bin ich mit dem Zug nach München gefahren, denn ich hab mich sofort bei der Gestapo melden müssen. Die waren natürlich enttäuscht, weil sie mich nicht entlassen haben. Sie fragten wieso und warum, da sagte ich der Himmler war bei uns, da waren sie ruhig, denn vor dem hatten sie Respekt. Dann musste ich sofort eine Arbeit suchen und jede Woche zweimal melden. Es war so, dass meine Lehrfirma, bei der ich gelernt hatte, mich sofort wieder aufnahm, dann konnte ich das nachweisen.

Man hatte also unter der Bevölkerung einen Zusammenhalt

Zum Beispiel bei meinem Mann, der hatte eine Arbeit bei Ferrozell. Die Firma ist jetzt in Inningen, die waren damals in Göggingen und der Meister in diesem Betrieb hat viele eingestellt, die aus Dachau oder aus einem der Lager kamen. Der hat sogar solche eingestellt, die nicht so qualifiziert waren. Einer der war im Stadttheater vorher angestellt und mein Mann hat ihn dann dort hingeschickt, weil er eine Arbeit brauchte.
Mein Mann hat immer gesagt, so einem Menschen müsste man ein Denkmal setzen, weil wenn die keine Arbeit bekommen hätten, wäre wieder das Lager fällig gewesen. Es waren politische Häftlinge - die waren auch in ihrer Arbeit gut - die sich nicht so schnell runterputzen ließen. Da gibt es viel Sachen, aber dieser Mann war wirklich wertvoll.

Genau deshalb starten wir auch dieses Projekt, denn viele Menschen die es verdient haben, weil sie geholfen haben, gehen unter und solche wie Wernher von Braun bekommen eine eigene Schule und Straße!!!

Anmerkung: Fettgedruckt entspr. Zitat des Interviewers

Beispiel für ein Flugblatt, von Anna 1933 in Augsburg-Oberhausen verteilt:

Proleten!
Kampfgenossen!

Unaufhaltsam wütet der Mordfaschismus weiter. Täglich fordert der Aasgeier des Kapitalismus neue Opfer. 50.000 revolutionäre Arbeiter schmachten im Kerker.

Wollt ihr sie wie Freiwild dem faschistischen Tyrannen ausgesetzt lassen?

Arbeiter heraus!

Duldet es nicht länger. Es ist Blut von eurem Blut.

DARUM KÄMPFT MIT UNS KOMMUNISTEN!!!!!

Ende eines Flugzettels:

Befreit vom Joch der kapitalistischen Tyrannei werden alle Unterdrückten nur durch den Kommunismus! Von Reden und Aufmärschen, Festen und Feuerwerken werdet ihr nicht satt.

Erkennt das
und kämpft mit uns!

KPD


Anna Pröll


Annas Eltern Karl und Rosi


Geburtshaus Anna Prölls (vorne links)


Anna mit ihrer Handballmannschaft


Hochzeit mit Josef


Gedenkakt für Pfarrer Metzger in Meitingen


Anna Pröll mit dem Augsburger OB Menacher


Artikel über Anna Pröll aus Gernot Römers "Für die Vergessenen", Seite 214


Artikel über Anna Pröll aus Gernot Römers "Für die Vergessenen", Seite 215


Artikel über Anna Pröll aus Gernot Römers "Für die Vergessenen", Seite 216


Artikel über Anna Pröll aus Gernot Römers "Für die Vergessenen", Seite 217


Artikel über Anna Pröll aus Gernot Römers "Für die Vergessenen", Seite 218


Artikel über Anna Pröll aus Gernot Römers "Für die Vergessenen", Seite 219


Artikel über Anna Pröll aus Gernot Römers "Für die Vergessenen", Seite 220


Artikel über Anna Pröll aus Gernot Römers "Für die Vergessenen", Seite 221


Artikel über Anna Pröll aus Gernot Römers "Für die Vergessenen", Seite 222

Gedenktafel in Erinnerung an die Widerstandskämpferin Anna Pröll in Pfersee enthüllt



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