13.12.16
Archäologen entdecken neues
frühkeltisches Wagengrab in Unlingen (Lkr. Biberach)
(rps) Im Zug des Neubaus der Umfahrung der Bundesstraße
B 311 bei Unlingen (Landkreis Biberach) und der nachfolgenden Rettungsgrabung
des Landesamtes für Denkmalpflege im Regierungspräsidium
Stuttgart (LAD) kamen im Sommer 2016 unerwartet mehrere gut erhaltene
und außergewöhnlich ausgestattete keltische Gräber
aus der Hallstattzeit (8./5. Jh. v. Chr.) zum Vorschein. Eines
davon enthielt die Überreste eines frühkeltischen Wagens
und zudem eine Aufsehen erregende figürliche Bronzeplastik
von überregionaler Bedeutung. Das kleine Grabhügelfeld
lag am Fuße des Berges Bussen unweit des frühkeltischen
Machtzentrums Heuneburg. Die Beigaben aus den Gräbern, die
unter der fachlichen Anleitung und Mitarbeit der beiden Restauratorinnen
Dipl.-Rest. Nicole Ebinger-Rist und Dipl.-Rest. Tanja Kreß vom
LAD teilweise im Block geborgen wurden, werden zurzeit in den Restaurierungswerkstätten
des Landesamts freigelegt und dokumentiert.
![Durch eine Drohnenbefliegung erzeugte Übersicht über die drei Grabhügel im Bereich der neuen Straßentrasse der B 311 bei Unlingen. [© LAD/Autor: Christoph Steffen]](bilder/unlingen1.jpg)
Durch eine Drohnenbefliegung erzeugte Übersicht über
die drei Grabhügel im Bereich der neuen Straßentrasse
der B 311 bei Unlingen. [© LAD/Autor: Christoph Steffen]
„Wir haben tatsächlich mindestens drei bisher unbekannte
frühkeltische Grabhügel entdeckt, von denen zwei Gräber
besondere Beigaben enthielten“ sagte Landesarchäologe
Prof. Dr. Dirk Krausse vom LAD bei der Präsentation der Funde. „Sie
stammen aus der mittleren und späten Hallstattzeit, also einem
Zeitraum von etwa dem 8. bis Mitte des 5. Jh. v. Chr.“ fügte
er hinzu und ergänzte: „Bislang sind aus diesem Bereich,
am Fuße
des Berges Bussen, in rund 11 km Entfernung der bedeutenden frühkeltischen
Siedlung Heuneburg noch keine vergleichbaren Gräber bekannt
geworden.“
![Blockbergung des oberen Frauengrabes aus Hügel 1. [Foto: © LAD/Peter Burkhardt]](bilder/unlingen3.jpg)
Blockbergung des oberen Frauengrabes aus Hügel 1. [Foto: © LAD/Peter
Burkhardt]
Zwar waren zwei der drei Grabhügel, die noch Durchmesser
zwischen 16 und 31 m besaßen, wahrscheinlich schon in der
Antike beraubt worden, dennoch ließen sich bei allen drei
noch Reste der in ihnen angelegten Gräber im Boden nachweisen.
Dabei handelte es sich um bis zu 6 m × 5,6 m messende hölzerne
Grabkammern.
Goldener Schläfenring aus Hügel 1. Durchmesser 1,3 cm.
[Foto: © LAD/Yvonne Mühleis] Herausragend ist das Inventar aus Hügel 3, der zu etwa zwei
Dritteln ausgegraben wurde. Er enthielt eine zentrale Grabkammer
sowie eine Nachbestattung. Die große Grabkammer war beraubt
worden und enthielt keine Überreste des oder der Bestatteten
mehr, wies aber an der Nordseite eine Konzentration von Beigaben
auf, darunter ein kleines bronzenes Reiterfigürchen. Die nicht
ganz vollständige aber recht gut erhaltene Statuette zeigt
einen Reiter oder eine Reiterin in stehender Haltung auf einem
Doppelpferd. Die Bruchkanten an den unvollständigen Beinen
lassen erkennen, dass die Statuette ursprünglich wohl an einem
anderen Objekt angebracht war. Infrage kommen Fußkonstruktionen
von größeren Bronzegefäßen oder die Oberseite
von bronzenen Deckeln, ferner Möbel, Wagen oder Joche.
„Das kleine Reiterfigürchen ist der bedeutendste Fund,
den wir bisher hier gemacht haben.“ sagte Dr. Marcus Meyer,
Archäologe am LAD und Leiter der Grabung in Unlingen. „Aufgrund
der Mitfunde lässt sich das Figürchen in die Stufe Hallstatt
C datieren, also etwa in den Zeitraum 8./7. Jahrhundert v. Chr.
Aus dieser Zeit sind plastische Darstellungen aus frühkeltischen
Fundzusammenhängen in Baden-Württemberg eine sehr große
Seltenheit.“ ergänzte Dr. Meyer.
Die Herkunft der Kleinplastik ist bislang noch nicht eindeutig
gesichert, da im Augenblick noch nach Parallelen gesucht wird.
Aufgrund der Gestaltung dürfte es sich um eine einheimische
Arbeit handeln, beeinflusst von Vorbildern aus dem Raum südlich
der Alpen. Damit besitzt das Stück in jedem Fall eine überregionale
Bedeutung.
![Das bronzene Reiterfigürchen aus dem Zentralgrab in Hügel 3 im Auffindungszustand. [Foto: © LAD/Jan König] und im CT-Scan [Foto: LAD]](bilder/unlingen4.jpg)
Das
bronzene Reiterfigürchen aus dem Zentralgrab in Hügel
3 im Auffindungszustand. [Foto: © LAD/Jan König] und
im CT-Scan [Foto: LAD]
Nicht nur die Grabausstattung der Unlinger Grabhügel macht
sie besonders, sondern auch die räumliche und zeitliche Nähe
zur frühkeltischen Heuneburg. Hier beginnt die Siedlung etwa
um 620 v. Chr. Die Gräber in Unlingen stammen sowohl aus der
Zeit vor der Errichtung der Heuneburg als auch aus der Zeit ihres
Bestehens. Welche Beziehungen zwischen deren Bewohnern und den
Bestatteten aus den Unlinger Gräbern bestanden haben, lässt
sich derzeit noch nicht beantworten. Allein aufgrund der räumlichen
Nähe sind Kontakte zur dortigen Bevölkerung aber anzunehmen. Dies und der Frage, ob auf dem Berg Bussen eine zeitgleiche, möglicherweise
den Grabhügeln zugehörige Siedlung bestand, soll im Rahmen
des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten
Langzeitprojekt des LAD „Besiedlungs- und Kulturlandschaftsentwicklung
im Umfeld der Heuneburg während der Hallstatt- und Frühlatènezeit“ in
den nächsten Jahren durch archäologische Forschungen
noch weiter nachgegangen werden.
Auffindungsgeschichte
Beim Bau der neue Ortsumfahrung der B 311 bei Unlingen 2016 fielen
am Rand der Donauniederung mehrere runde flache Erhebungen auf,
die genau im Bereich der zukünftigen Straßentrasse lagen.
Die Erfahrung und die räumliche Nähe zur frühkeltischen
Höhensiedlung Heuneburg bei Herbertingen-Hundersingen (Lkr.
Sigmaringen) legten nahe, dass es sich hierbei um verflachte frühkeltische
Grabhügel handeln könnte. Deshalb strengte das LAD zunächst
umfangreiche Voruntersuchungen an (luftbildarchäologische
LIDAR Untersuchungen mit Drohnen und geophysikalische Untersuchungen
des Bodens).
Die anschließende Rettungsgrabung im Juni und Juli 2016
brachte dann die Gewissheit, dass es sich um stark verflachte keltische
Grabhügel aus der mittleren und späten Hallstattzeit
(Ha C/Ha D), einem Zeitraum von etwa 8. bis Mitte 5. Jh. v. Chr.
handelte, die durch landwirtschaftliche Tätigkeiten bereits
sehr stark zerstört wurden.
Nur die Zusammenarbeit des Landesamtes für Denkmalpflege
im Regierungspräsidium Stuttgart mit der Abteilung Straßenbau
des Regierungspräsidiums Tübingen und der Baufirma STRABAG
machte die archäologischen Untersuchungen möglich.
Ausstattung/Inventar
Herausragend ist das Inventar aus Hügel 3, der zu etwa zwei
Dritteln ausgegraben wurde. Er enthielt eine zentrale Grabkammer
sowie eine Nachbestattung. Die große Grabkammer war beraubt
worden und enthielt keine Überreste des oder der Bestatteten
mehr. Sie wies aber an der Nordseite eine Konzentration folgender
Beigaben auf:
- bronzene Wagenbeschläge (= die Überreste eines
Wagens)
- ein mit zahlreichen feinen Bronzenägeln verziertes
Joch
- ein kleines bronzenes Reiterfigürchen. Die nicht
ganz vollständige aber recht gut erhaltene Statuette zeigt
einen Reiter oder eine Reiterin in stehender Haltung auf einem
Doppelpferd. Die Bruchkanten an den unvollständigen Beinen
lassen erkennen, dass die Statuette ursprünglich wohl an einem
anderen Objekt angebracht war. Infrage kommen Fußkonstruktionen
von größeren Bronzegefäßen oder die Oberseite
von bronzenen Deckeln, ferner Möbel, Wagen oder Joche.
- sowie weitere Fragmente aus Eisen und mindestens vier
zerbrochenen Keramikgefäße
Ebenfalls in Hügel 3 befand sich die später angelegte,
nicht beraubte Bestattung einer Frau, wie aufgrund der Beigaben
angenommen werden kann. Sie wurde mit zahlreichen Bronzeobjekten
wie Haarnadeln, einem Gürtelblech und Fußringen ausgestattet.
Oberhalb ihrer Handgelenke fanden sich zahlreiche winzige Gagatperlen
von Perlenketten. Da hier die Erhaltungsbedingungen sehr gut waren,
wurde die Bestattung in zwei Blöcken geborgen, die bislang
noch nicht freigelegt sind.
Im südlichsten Hügel 1, der nicht beraubt wurde, kamen
in der zentralen Grabkammer zunächst die Überreste einer
Körperbestattung mit umfangreichen Beigaben im Kopf- und Rumpfbereich
zum Vorschein, wie goldene Schläfenringe, ein großer
Halsring aus Bronze, große Gagatkugeln (Gagat = durch Humusgel
oder Bitumen imprägniertes fossiles Holz) und Haarnadeln mit
kleineren Köpfen aus Gagat. Der sehr komplexe Befund wurde
im Block geborgen, um ihn mit größerer Sorgfalt und
unter Einsatz moderner technischer Untersuchungsmethoden im Labor
freilegen zu können, was bislang nur zu einem Teil erfolgte.
Da der Boden im Bereich der Ausgrabung insgesamt recht sauer ist,
haben sich von der bestatteten Person nur sehr geringe Knochenreste
im Bereich des Kiefers erhalten. Die Beigaben sprechen für
eine Datierung in die späte Hallstattzeit (Stufe Ha D3, diese
endet um 450 v. Chr.). Nach der Entnahme des Blocks fand sich direkt
darunter eine weitere, etwas besser erhaltene Körperbestattung,
in der mehrere Glasperlen von Perlenketten bei beiden Unterarmen
ebenfalls auf eine Frauenbestattung hinweisen. Es gibt Hinweise
auf noch weitere bereits zerstörte Bestattungen in dem Hügel.
Hügel 2, der größte der drei Grabhügel von
Unlingen, war stark beraubt worden und enthielt lediglich in der
Westecke eine Ansammlung von mindestens vier verschiedenen zerdrückten,
aber wohl noch vollständigen Keramikgefäßen. Da
von einer Bestattung keine Spuren mehr anzutreffen waren, muss
davon ausgegangen werden, dass diese im sauren Milieu des Bodens
vergangen ist. |