"Auf was ich aus bin, ist, mich und meine Kinder durchzubringen mit meinem Wagen" (S. 72). Vordergründig hält sich die Courage damit die Annäherungsversuche des Feldpredigers vom Hals. Genauer betrachtet erweist sich diese Aussage als programmatisch. "Mit meinem Wagen" meint: mit Hilfe meines Wagens, nicht wie vielfach falsch gedeutet: und meinem Wagen.
Der kleine Unterschied schafft Verständnis für ihre Wesensart und Einstellung. Sie will sich und ihre Kinder durch den Krieg bringen. Das schafft sie aber nur, wie sie glaubt, mit ihrem Wagen. Ihr Wagen ist ein Marketenderwagen, also ein beweglicher Kaufladen nebst Schenke und Imbiss für Landsknechte, Musketiere, Husaren, Offiziere und was sonst noch im Tross der Heere umherzieht. Sie glaubt, damit Geschäfte machen zu können, Geschäfte mit dem Krieg. Das betont sie immer wieder. "Aber wenn man genauer hinsieht, sinds (die Großkopfigen) nicht so blöd, sondern führn den Krieg für Gewinn. Und anders würden die kleinen Leut wie ich auch nicht mitmachen" (S. 36). Als Kattrin rebelliert, einen Korb auf den Boden schmeißt, weil die Courage nach langem Hin und Her neue Waren einkaufen will, erhält sie als Trost: "... wir machen noch ein bissel Geld, da wird der Friede um so schöner" (S. 68). Das erscheint herzlos, denn einen Augenblick zuvor ist klar geworden, dass Kattrin den Frieden herbeisehnt, weil ihr die Courage dann einen Mann versprochen hat. In Wahrheit ist ihr Verhalten gedankenlos oberflächlich, denn prompt schickt sie Kattrin weg, die Waren abzuholen. Das ist erstaunlich und passt nicht zu der Beschützerpose, in der sie der Zuschauer neben Kattrin anfangs sieht.
In der dritten Szene unterbindet sie Kattrins - zugegeben hilflose - Ambitionen, eine Frau sein zu wollen, als diese sich für die hübsche Lagerhure Yvette interessiert und deren Hut samt Schuhe ausprobiert und schließlich - ungewollt - behält. Eine Frau sein zu wollen in dieser Zeit, in dieser Umgebung, heißt in der Regel, das Schicksal einer Hure anzunehmen. "Die Liebe ist eine Himmelsmacht, ich warn dich" (S. 33). Verliebtsein, Kinder bekommen für diese zu sorgen, sind auch solche Tugenden, die man sich zumindest im Krieg nicht leisten kann, die Courage behauptet das nicht nur, sie lebt nach diesem Prinzip. Wenn sie nun Kattrin wegschickt, die Waren abzuholen, dann muss sie gerade in diesen unsicheren Zeiten damit rechnen, dass das geschieht, was sie immer zu verhindern hoffte. Kattrin wird überfallen. Sie selbst hat dies sozusagen in die Wege geleitet und damit Kattrins Schicksal besiegelt. "...einen Mann kriegt sie nicht mehr, und dabei so ein Kindernarr..." Sicher, die Courage will ihre Kattrin beschützen, deshalb ihre Reaktion auf den einbehaltenen Hut und die Schuhe, deshalb beschmiert sie Kattrins Gesicht während des Überfalls mit Ruß. Sie verhindert ihr Frausein aus Sorge vor den Folgen, hätte sie am liebsten "wie ein Stein in Dalarne" (S. 42). Sie nennt sie Krüppel und gibt sie in die Obhut des einfältigen Schweizerkas und nicht umgekehrt. Sie gibt ihr die roten Schuhe der Yvette, als diese für sie keine Bedeutung mehr haben. Sie kann ihr Versprechen nicht halten, dass Kattrin einen Mann bekommt, denn den Frieden will sich nicht wirklich. So verklingen in gleicher Weise ihre Versprechungen vor der toten Tochter ungehört, bleiben in gleicher Weise folgenlos, fallen aber auf sie als Vorwurf zurück, denn es lässt sich leicht vor Toten Versprechungen machen.
So gesehen ist ihr Verhältnis zu Kattrin, zu ihren Kindern überhaupt, gebrochen. Man würde ihr Unrecht tun, wenn man ihre Rolle als Mutter unterbewerten wollte. Sie ist stolz auf ihren kühnen Eilif, auf seine Auszeichnung in der zweiten Szene. Die Ohrfeige für ihn hat ihren Ursprung in dem tief empfundenen Misstrauen seiner Kühnheit gegenüber, auch eine Tugend. Wenn die Reaktion darauf heiter und weniger, wie sie es vielleicht wünscht, ernsthaft ausfällt, ändert das nichts an ihrer Einstellung. Sie sorgt sich um das Wohl ihres Schweizerkas, auch wenn sie ihn dabei nicht ganz ernst nimmt. "Da hast du deine Unterhos zurück, heb sie gut auf, es ist jetzt Oktober, und da kann es leicht Herbst werden, ich sag ausdrücklich nicht [...] nix kommen, wie man denkt, nicht einmal die Jahreszeiten. Aber deine Regimentskass muß stimmen, was auch immer kommt. Stimmt die Kass?" (S. 30). Seine Redlichkeit beruhigt sie, weil sie weiß, dass er seine Position nicht missbrauchen wird. Doch dass er die ihm auferlegte Pflicht so wörtlich nimmt, macht ihr in der Folge Angst, weil es wieder eine Tugend ist, die ihm und den Seinen schaden wird. Sie gibt ihn am Ende auf, eine aus ihrer Sicht logische Haltung, der Wagen und damit sie und Kattrin wiegen für sie das Leben des Schweizerkas auf. Der Tod des Schweizerkas geht auch an ihr nicht spurlos vorüber. In den folgenden Szenen erscheint sie noch eine Spur härter aber auch oberflächlicher.
Ihre Couragiertheit, ihre Schlagfertigkeit samt ihrer "lockeren" Sprüche, welche meist tieferen Einsichten über den Krieg, die Politik, die Gesellschaft und über die Menschen überhaupt entspringen, machen sie sympathisch. Gerade diese Einsichten heben sie von den übrigen Figuren ab, bewirken aber auch ein verschärftes Urteil über ihre Unbelehrbarkeit am Ende.
Sie ist keine "Hyäne des Schlachtfeldes", auch wenn sich viele Rezensenten und Autoren diese Vokabel des Feldpredigers (S. 82) in ihrer Einschätzung der Courage zu eigen machten. Über diese zwielichtige Figur wird noch zu reden sein. Zugegeben, die Courage lebt vom Krieg, das ist an dieser Stelle und an vielen anderen oft genug gesagt worden; aber sie handelt dabei, ihr Einsatz ist teilweise hoch, nicht umsonst hat sie dafür den Namen "Courage" erhalten. In ihrer Risikobereitschaft schreckt sie auch vor gesetzwidrigen Geschäften nicht zurück, wenn der Preis stimmt. Wenn man einmal die Folgen des Kugelhandels am Beginn der 3. Szene überdenkt, dann ist dieses Geschäft tatsächlich im höchsten Maße verwerflich. Doch sie riskiert ihren Hals dabei. Sie bekommt nichts ohne Gegenleistung. Wenn sie in der 5. Szene dem Soldaten den gestohlenen Pelzmantel entreißt, gleicht sie damit ihre Verluste aus. Sie gibt und nimmt und versucht es als tüchtige Geschäftsfrau zu ihrem Vorteil. Sie ist keine Hyäne!
Ihre Einstellung zum Krieg ist pragmatisch. Sie hat früh gelernt, ihren "kleinen Ton" zu blasen, sich anzupassen, vielleicht ihr fatalster Wesenszug. Dieser lässt sie zumindest nicht bis zum Letzten um ihre Kinder kämpfen. Hier zeigen sich die Unterschiede zu ihrer Tochter am deutlichsten. Wenn sich die Folgen des Krieges ihr entgegenstellen (Überfall auf Kattrin oder Pfarrhausszene), dann kann sie sich zu emotionalen Reaktionen hinreißen lassen, den Krieg verfluchen oder ihm den Rücken kehren wollen. Inwieweit diese Reaktion wirklich bewussten Erkenntnissen entspringen, mag dahingestellt sein, sie sind ohne wirkliche Folgen. Ihr Ende ist für sie noch lange kein Ende. Ruiniert, ohne Kinder, in Verhältnissen, die keinerlei Veränderungen mehr erwarten lassen, glaubt sie an ein Wunder, getreu ihrer Schweizerkas gegenüber gemachten Erkenntnis "Nix muß kommen, wie man denkt."
Im Lehrerhandbuch finden Sie weitere
Personencharakteristiken:
Kattrin, Eilif, Schweizerkas, Feldprediger, Koch.
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