VI. Stilmittel und Schreibtechnik

1. Regieanweisungen:

Wie im naturalistischen Drama allgemein ist auch bei “Die Ratten“ das Bühnenbild aufs genaueste detailliert beschrieben. Schauspieler, Kostüme, Requisiten, sind möglichst wahrheitsgetreu auf die Bühne zu bringen. Oft kann man beim Lesen jedoch denken, dass viele Zusammenhänge und Effekte auf der Bühne nicht so deutlich zu erkennen sind, denn manche Regieanweisungen sind nicht für den Theaterzuschauer sichtbar zu machen. (z. B. “Es ist Sonntags, Ende Mai“)
Hinweise für bezüglich äusserer Darstellung, Mimik und Gestik ersetzen innere Monologe, und drücken Gefühle und Stimmungen wie auch innere Vorgänge der Personen aus.
Oftmals enthalten die Regieanweisungen jedoch Passagen, die man dem Zuschauer überhaupt nicht dramatisch vermitteln kann. Wie kann man beispielsweise darstellen, dass es Ende Mai ist? Man könnte also auch von einem Lesestück sprechen. Insgesamt jedoch gesehen sind die Regieanweisungen ein wichtiges Mittel zur Darstellung von Innensicht. So auch bei Frau John: “Springt auf, läuft umher, nimmt mal diesen mal jenen Gegenstand in die Hand, um ihn sofort wieder wegzuwerfen.“ (Seite 57).

2. Bühnenbilder und ihre Aussagen:

Die Mietskaserne, die Zimmer und der Dachboden geben Auskunft über die Personen, die darin leben und arbeiten. Die Umgebung, in der sich die Menschen befinden stellen einen Spiegel der sozialen Verhältnisse dar.
Hassenreuter beschreibt das Haus als: “alten Kasten, und was dort mit schmutzigen Unterröcken die Treppe fegt, und überhaupt schleicht, kriecht, ächzt, seufzt, schwitzt, schreit, flucht, lallt, hämmert, hobelt, stichelt, stiehlt, treppauf treppab allerhand dunkles Gewerbe treibt, was hier an lichtscheuem Volk nistet....“ (Seite 26)
Von den Handlungsorten her ist eigentlich kein extremer sozialer Brennpunkt gezeigt. Die Verhältnisse in der Mietskaserne kann man für das damalige Berlin als relativ geordnet einstufen. In den beiden Räumen treffen jedoch zwei gesellschaftlich verschiedene Welten aufeinander.

3. Sprache und Dialekt als Zeichen gesellschaftlicher Herkunft:

An der Art, wie die Personen sprechen, lassen sich Rückschlüsse über deren Herkunft. Erziehung und Bildung ziehen. Der Dialekt tritt dabei in verschieden starken Ausprägungen auf. Das entspricht genau den sozialen Ebenen, und grenzt sie voneinander ab.
Die Mundart dient als Indikator für die Bildung und den gesellschaftlichen Stand der sprechenden Personen. Eine Ausnahme bildet nur die Schauspielerin Alice Rütterbusch, die österreichischen Dialekt spricht und trotzdem dem gesellschaftlich höherstehenden und gebildeteren Hassenreuter-Handlungsstrang angehört.

VII. Vergleich mit A. Döblin: “Berlin Alexanderplatz“

1. Neutrale Erzählhaltung im Gegensatz zu auktorialer Erzählhaltung:

Schon allein die Tatsache an sich, dass “Die Ratten“ als Drama konzipiert sind, stellt den Unterschied zu dem Roman im Allgemeinen dar. Während Alfred Döblin als Erzähler einer Romangeschichte auktorial die Sichtweisen und Wertungsebenen beliebig wechseln kann, und somit auch dem Leser völlig verschiedene Einblicke gibt, so hat der Leser des Dramas nur einen einzigen festen Standpunkt: nämlich den des Zuschauers.
Doch auch bezüglich des Stils gibt es zwischen Hauptmann und Döblin, obwohl sie in der gleichen Epoche gelebt und gearbeitet haben, große Unterschiede. Für den Naturalisten Hauptmann wäre es beispielsweise absolut unmöglich, einzelne Passagen Bibeltext, Schilderung einer Schlachthofszene, oder die Hioberzählung einzubeziehen.

2. Inhaltliche Übereinstimmungen:

Die Hure Babylon tritt in “Die Ratten“ auch am Rande auf. Pastor Spitta: “Berlin, wo die geschminkte, aufgedonnerte Sünde die Bürgerfrau vom Bürgersteig drängt, das ist einfach Weltuntergang, Herr Direktor!“ (Seite 77)

Auch die Tatsache, dass einzelne Personen in der Stadt Berlin zu Grunde gehen können (wie auch Franz Biberkopf), spricht Spitta an: “...beide von der gleichen verruchten Stadt als Opfer gefordert worden sind...“ (Seite 78).

Die Großstadtthematik ist eine weitere große Gemeinsamkeit zwischen diesen beiden Werken. Die Probleme, mit denen sich das bürgerlich proletarische Volk auseinanderzusetzen hat. Wie Franz Biberkopf manchmal wie in Trance sich nach einem “Schlag“ bewegt, so sind auch Frau Johns Bewegungen oft wie im Affekt. Regieanweisung: “Frau John erhebt sich mechanisch und schneidet ein Stück Brot wie unter Einfluß einer Suggestion...“ (-Schlachthofszene).

Enthüllung im weitesten Sinne: das Wesen Franz Biberkopfs wird enthüllt, genauso wie Frau Johns Plan mit dem Kind und ihre Kriminalität.

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