Annäherungen
Essays schreiben - Spaziergang oder doch kein Spaziergang?
Seit einigen Jahren gibt es in Baden-Württembergs Gymnasien den Essay als Abitursaufgabe. In den angelsächsischen Ländern sind Essay-Writing Classes schon lange üblich. Dort ist mit Essay meist eine lineare Erörterung gemeint (z.B. The Five Paragraph Essay).
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Beim Essay-Schreiben geht es nicht um Entscheidungsfragen wie: Soll man noch Bücher lesen? oder: Soll mehr Deutsch gesprochen werden? (→ Materialkiste: Jugend debattiert)
- Schülerinnen und Schüler sind angezogen von der Offenheit und Lebensnähe typischer Essay-Themen,
- Sie wähnen sich von der Last des genauen Argumentierens und der nüchternen Urteilsfindung befreit.
- Sie sind dankbar für die Aufforderung zu einem kreativen Scheibstil.
- Sie freuen sich, wenn sie wieder Ich sagen dürfen oder gar sollen.
- Sie hegen die Hoffnung auf eine mindestens befriedigende Note.
- Sie können oder wollen mit den Pflichtlektüren nichts anfangen.
- Z.B. dass sprachliche Kreativität als Mündlichkeit bzw. Umgangssprachlichkeit missverstanden wird .
- Oder dass die Subjektivität der Perspektive (ich meine, ich denke, ich finde) kein Bemühen um sachliche Ausgewogenheit mehr erfordere.
- Oder dass unvollständige Syntax (Ellipse, Anakoluth, Evokation) schon den besonderen Essay-Stil ausmache.
- ein Gespür für die richtige Mitte zwischen subjektiver Reflexion und sachorientierter Erörterung zu vermitteln,
- ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, was guter Schreibstil ist und nicht bloß flottes Plaudern;
- und schließlich die Fähigkeit der Selbstbefragung zu fördern.
- Zuerst sollte der Essay nicht als reines Ober- bzw. Kursstufenprojekt verstanden,
- sondern Jahre vorher mit der Schreibschulung begonnen werden; gerade in der Mittelstufe ist das Bedürfnis nach freiem und meinungsäußerndem Schreiben groß. Es sollte nicht immer durch unpersönliche Argumentensammlungen ausgebremst werden.
- An Beispielen sollte aber auch deutlich werden, dass es nicht reicht, eine Meinung zu haben, sondern erst das Wissen von Gott und der Welt den guten Essay ausmacht.
- Und schließlich: Viel Schreiberfahrung und viel individuelles Feedback ermöglichen - nicht nur durch die Lehrkraft, sondern auch durch die Mitschüler. Dazu dienen ein überschaubarer Kriterien-Katalog und bewährte Verfahren der prozessorientierten Schreibdidadktik (→ Materialkiste: Leselupe, Schreibkonferenz, Kommentarlawine ... ).
Beim Essay geht es um Größeres: um Gott und die Welt, zum Beispiel um Neid (Abi Ba-Wü 2013), Sehnsucht (2014), die Macht des Sports (2015) - und um die vertrackte Beziehung von Mensch und Maschine (2016).
Es geht - mehr als in den bisherigen Schreibformen - um die Auseinandersetzung mit eigenen Erfahrungen und Lebensvorstellungen. Und schließlich ist ein Wissen gefordert, das nicht fachspezifisch ist, sondern geradezu global: Weltwissen.
Als Schreibaufgabe schwebt der Essay zwischen allen anderen Schreibformen: Er soll sprachlich kreativ sein, stilistisch originell oder gar wagemutig, er soll die Subjektivität der Perspektive nicht verbergen, dennoch reflektierend und abwägend sich einer Thematik widmen, er braucht keinen Kompromiss einzugehen, muss keine Lösung einer komplexen Problemlage behaupten, darf dennoch nicht zu sehr im Offenen enden - und vor allem: Die Vielfalt der Aspekte eines meist höchst komplexen Themas sollte zumindest angedeutet, am besten aber ausgebreitet werden.
Der Essay soll also keine klassische dialektische Erörterung sein, er soll aber auch kein aufdringliches Pamphlet werden, ebensowenig eine wie auch immer humoristisch-satirische Glosse ohne erkennbare Ernsthaftigkeit.
Trotz dieser besonderen Anforderungen wird der Essay immer öfter im Abitur gewählt. Meine Vermutungen sind:
Nach intensiver Lektüre einer Vielzahl von Essays, die unter Abiturbedingungen und in der Vorbereitung darauf entstanden, habe ich den Eindruck gewonnen, dass hier auch einige Missverständnisse vorliegen.
Die Herausforderung besteht also darin
Was tun?
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