Friedrich Schiller: Maria Stuart

Hinweise zur Dialoganalyse Akt III, Szene 4 (V.2378 - 2450) .

Leitfrage: Wer sagt wann was zu wem wie unter welchen Umständen mit welcher Absicht?
    Die Einleitung könnte informieren über
  • Wann: Todesurteil ist gefällt und Maria bekannt.
  • Umstände: M. darf zum ersten Mal der Park von F. betreten; Shr. hat sie auf den lang ersehnten, nun aber für sie völlig überraschenden Besuch E.s kurz vorbereitet; E. spielt die Hintergangene, die diese Begegnung nur widerwillig erträgt.
  • Absicht: E. will M. demütigen, nicht begnadigen; M. hat das Gespräch ersehnt, um sich vor E. zu rechtfertigen und die Freiheit zu erlangen; L. hat die Begegnung arrangiert, damit E. die M. begnadigen muss gemäß dem engl. Rechtsgrundsatz: "King’s face makes grace.“)

Wann im Gesprächsverlauf:

    Es muss darauf hingewiesen werden - ob in der Einleitung oder zu Beginn des Hauptteils - dass der zu analysierenden Passage eine umfangreiche Auseinander-setzung zwischen den Königinnen vorausgeht, in der sich M. gedemütigt (Kniefall)und E. um Gnade gebeten hat (vgl. V. 2253ff), dass E. sie herablassend, "kalt und streng“ behandelt und alle ihre Argumente ignoriert oder aber entkräftet. Eine "zur Erbin“ (V. 2371) erklärte M. gefährde E.s Leben und Herrschaft (vgl. V. 2369-2378).

    Bei der detaillierten Analyse des Auszugs muss unbedingt die zeitliche Reihenfolge von Rede und Gegenrede beachtet und alle Aussagen müssen berücksichtigt werden. Auch Hinweise in Regieanweisungen sollte man nicht übergehen.

Ursachen des Scheiterns:

    E. war nie zur Verständigung bereit und demütigt ihre Gegnerin hemmungslos.
    M. geht bis zum Äußersten (Verzicht auf Macht und Größe), ist aber nicht willens, ihre per-sönliche Ehre - und das vor Zeugen - beschmutzen zu lassen. - Sie hat wohl auch erkannt, dass E. sie keinesfalls begnadigen wird. Also wagt sie - vor den Augen ihres Geliebten, von dem sie ja noch die Rettung erhofft (vgl. III/6) - die moralische Vernichtung der Gegnerin.

Stellenwert und Funktion im Drama:

  1. Konfrontation der Gegnerinnen in der Mitte des Dramas = Gipfel der Handlung; anschließend scheitern weitere Rettungspläne (III/6) und die Katastrophe ist unaufhaltsam. Im Vordergrund steht nun das Wie, nicht mehr das Was der Handlung.
  2. Es werden noch einmal alle Argumente für und gegen eine Begnadigung der M. prä-sentiert.
  3. E.s Neid auf M.s weibliche Reize überlagert die politische Kontroverse und führt zum Eklat. - E. siegt politisch, unterliegt als Mensch: Persönliches Glück bleibt ihr versagt.
  4. Eine Begnadigung durch E. als Lösung des Konflikts scheidet nach M.s Gegenwehr endgültig aus, ebenfalls Lord Leicesters Plan, E. indirekt zur Begnadigung zu zwingen ("King’s face ...“) - vgl. 1.
  5. Die Erinnerung an dieses Gespräch lässt die schwankende E. in IV,10 das Todesurteil unterzeichnen (vgl. V. 3239-3247).
  6. Der Triumph über E. ist für M. ein wichtiger Schritt hin zum "idealistischen Weg“, zur inneren Freiheit, d.h., zur Annahme der Hinrichtung als Sühne für ihre Beteiligung an der Ermordung ihres Gatten Darnley.

© Volker Jansen 2003

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