Gespräch zwischen Lady Milford und Ferdinand - Analyse

"Kabale und Liebe" II,3.

Schiller hat sein Drama "Kabale und Liebe" als "bürgerliches Trauerspiel" bezeichnet und damit dem Leser wie dem Theaterpublikum signalisiert, dass auf der Bühne nicht mehr die Vertreter des Adels und der höfischen Welt im Mittelpunkt stehen. Das selbstbewusst gewordene Bürgertum hält seine Sorgen und Probleme nun für bedeutend genug, im Theater dargestellt zu werden. Anders als in bürgerlichen Trauerspielen des 19. Jahrhunderts entsteht bei Schiller der tragische Konflikt aber noch aus dem Zusammenstoss von Werten und Normen des Bürgertums mit denen des Adels, während etwa in Hebbels "Maria Magdalena" Vater und Tochter an den bürgerlichen Wertvorstellungen zugrunde gehen.

Ferdinand, Sohn des um seinen Einfluss am Hofe bangenden Präsidenten von Walter, liebt das bürgerliche Mädchen Luise Miller und ist entschlossen, sie ungeachtet der damals fast unüberwindbaren Standesschranken zwischen Adel und Bürgertum zu heiraten. Sein Vater dagegen will den Sohn mit der Mätresse des Herzogs, Lady Milford, verheiraten, von der sich der Fürst damit zum Schein zugunsten seiner künftigen Frau trennt, ohne die Beziehung wirklich zu beenden. Über die Frau des Sohnes will von Walter weiterhin direkten Zugang zum und Einfluss auf den Landesherrn haben. Seinem Sekretär Wurm hat von Walter in der 5. Szene des I. Aktes diesen Plan enthüllt:

"Er weiß, Wurm, wie sehr sich mein Ansehen auf den Einfluss der Lady stützt - [...] Damit nun der Fürst im Netz meiner Familie bleibe, soll mein Ferdinand die Milford heuraten - - [...]" (S. 14, Z. 8f)

Durch Wurm weiß von Walter aber auch, dass Ferdinand heftig und ernsthaft in Luise Miller verliebt ist. Deshalb bittet der Präsident den Hofmarschall von Kalb

"[...] ohne Aufschub dahin [zu] gehen, die Lady auf seinen [Ferdinands -V.J.] Besuch [zu] präparieren und den Entschluss meines Ferdinands [um die Hand der Lady anzuhalten - V.J.] in der ganzen Residenz bekannt [zu] machen." (I. Akt, 7. Szene, S.16, Z. 15ff)

So will er den Sohn zwingen, sich in den väterlichen Plan zu fügen, denn er hält es für ausgeschlossen, dass Ferdinand sich dem väterlichen Willen und der öffentlichen Ankündigung widersetzt.

Im anschließenden Gespräch zwischen Vater und Sohn befolgt von Walter die Taktik, zu der ihm der Sekretär Wurm geraten hatte. Wie Wurm vorhergesagt hatte, lehnt Ferdinand heftig eine Ehe mit der Lady Milford ab und begründet dies mit ihrer moralischen Verderbtheit. Rhetorisch fragt er seinen Vater:

"Würden Sie Vater zu dem Schurken Sohne sein wollen, der eine privilegierte Buhlerin heuratete?" (S.18, Z. 25ff)
"Mit welchem Gesicht soll ich vor den schlechtesten Handwerker treten, der mit seiner Frau wenigstens doch einen ganzen Körper zum Mitgift bekommt? [...] Mit welchem vor die Buhlerin selbst, die den Brandflecken ihrer Ehre in meiner Schande abwaschen würde?" (S. 19, Z. 2ff)

Er sei sogar bereit, für den Aufstieg des Vaters sein Leben opfern, werde aber den Vater verfluchen, wenn der ihm durch die geplante Ehe seine Ehre nehme (vgl. S. 19, Z. 11ff).

Nun schwenkt der Präsident zum Schein um, nennt den Sohn "ein[en] ganze[n] Kerl" (S. 19, Z. 19) und erklärt, dass Ferdinand sich "noch diesen Mittag [...] mit der Gräfin von Ostheim verloben" werde. Da Ferdinand bestätigt, dass diese Frau "jeden anderen zum Glücklichsten machen" könnte (S. 19, Z. 28), muss er jetzt den tieferen Grund seines Widerstandes gegen eine Heirat mit der Lady - seine Liebe zu Luise Miller - offenbaren, aber anscheinend fehlt ihm dazu der Mut, denn er bringt lediglich stotternd hervor

"- Ihre Wahl ist untadelhaft - aber - ich kann - ich darf - Bedauern Sie mich - Ich kann die Gräfin nicht lieben." (S. 19, Z. 35f)

Jetzt warnt der Vater drohend den Sohn davor, ihn "vor dem Fürsten - der Lady - der Stadt - dem Hofe [...] zum Lügner" zu machen, deutet ihm an, dass er "hinter gewisse Historien komme[n]" könnte - gemeint ist natürlich Ferdinands Verhältnis zu Luise - und befiehlt ihm den Besuch bei der Lady: "[...] du wirst dort sein, oder fliehe meinen Zorn!" (alle Zitate S. 20)

Während Ferdinand also gegen seinen Willen und im Konflikt zwischen der Pflicht zum Gehorsam dem Vater gegenüber und seiner Liebe zu Luise gezwungenermaßen Lady Milford besucht, erwartet sie ihn freudig, aber auch ängstlich erregt. Ihrer Zofe vertraut sie in der 1. Szene des II. Aktes an, dass sie der Höflinge überdrüssig sei:

"Das sind schlechte erbärmliche Menschen, die sich entsetzen, wenn mir ein warmes herzliches Wort entwischt [...] Sklaven eines Marionettendrahtes, den ich leichter als Filet regiere!" (S. 21, Z. 19ff)

Selbst ihre Stellung als Favoritin des Fürsten befriedigt sie nicht, denn wichtiger als aller Luxus ist ihr die menschliche Beziehung, ein Herz, das groß und feurig ihre Gefühle erwidert, und das fehlt dem Herzog anscheinend, denn sie klagt: "Mein Herz hungert bei all dem Vollauf der Sinne; [...]." (S. 22, Z. 15f)

Die geplante Ehe mit Ferdinand von Walter soll sie für die Jahre entschädigen, in denen sie "dem Fürsten" ihre "Ehre verkauft", in denen sie aber ihr "Herz [...] frei behalten" habe (S.22, Z . 21f). Dem Fürsten, dem Präsidenten und dem Hofmarschall habe sie nahegelegt, sie mit Ferdinand zu verheiraten, aber diese Ehe werde sie aus der Abhängigkeit vom Herzog befreien, statt sie weiterhin an ihn zu fesseln:

"Ihr selbst führt mir jetzt meinen Geliebten zu! [...] Hab ich ihn einmal - [...] o dann auf immer gute Nacht, abscheuliche Herrlichkeit." (S.23, Z. 26ff)

Bevor sie mit Ferdinand zusammentrifft, muss sie aber durch ihren Kammerdiener erfahren, mit welch barbarischen Methoden der Herzog das Geld beschafft, um ihr teuren Schmuck schenken zu können. Wir erleben ihre warmherzige, mitfühlende Reaktion und gleich darauf ihre Verwirrung, ihre ängstliche Unruhe, als Ferdinand von Walter gemeldet wird (vgl. II.Akt, 2. Szene).

Dass diese Unruhe berechtigt war, erfährt sie sofort aus der förmlichen Begrüßung durch Ferdinand, der keinen Zweifel daran lässt, dass er nicht aus eigenem Antrieb um ihre Hand anhält: "Minister und Kuppler pflegen das [ob das Herz einverstanden ist - V.J.] niemals zu fragen." (S.26, Z. 17f) Noch hofft die Lady aber, dass Ferdinand nicht nur zu ihr gekommen ist, weil ihm das befohlen wurde, und deshalb fragt sie ihn, ob er "sonst nichts beizusetzen" habe (S. 26, Z. 20), und als Ferdinand "Noch sehr viel, Milady!" (Z. 21f) antwortet, schöpft sie wohl neue Hoffnung, bietet ihm einen Platz an und schickt ihre Zofe hinaus.

Schonungslos gegen die Lady, aber auch ohne Rücksicht auf die Folgen seiner Offenheit für ihn selber wirft Ferdinand der Lady vor, so ehrlos zu sein, "dass der Preis [...] schlimmer noch als das Opfer ist" (S. 27, Z. 19f). Damit behauptet Ferdinand, eine Ehe mit der Lady sei erniedrigender als ein Verzicht auf Karriere, Herkunft und Offiziersehre.

Außer einem traurigen "Herr Major! Das hab' ich nicht verdient." (S. 27, Z. 21f) bringt die Lady noch nichts zu ihrer Verteidigung vor, so dass Ferdinand ihr noch näher tritt und bekennt, dass er nicht verstehen könne, wie "eine Dame von so viel Schönheit und Geist [...] sich an einen Fürsten sollte wegwerfen können", sich aber "nicht schämte, vor einen Mann mit ihrem Herzen zu treten." (S.27, Z. 27-31) Will er damit sagen, dass sie als Kurtisane kein Recht dazu habe, einem Mann ihre Liebe zu erklären?

Auch darauf antwortet Lady Milford nicht, sondern fordert Ferdinand auf, alles zu sagen, worauf er ihr abspricht, eine würdige Vertreterin des stolzen britischen Volkes zu sein. Er schließt seine Anklage mit dem Vorwurf, dass die Lady sich auch nicht darauf berufen könne, zwar die Ehre verloren, aber ihre Tugend bewahrt zu haben. Das Land werde im Namen des Herzogtums ausgepresst wie nie zuvor.

Auf diese kaum von der Lady unterbrochene Anklage antwortet nun die Milford mit einer noch längeren Verteidigungsrede. Sie weist Ferdinand darauf hin, dass noch nie jemand gewagt habe, ihr solche ungeheuren Vorwürfe zu machen und dass sie nur ihm darauf zu antworten bereit sei. Sie schätze Ferdinand, weil er ihre Hand ablehne, sie vergebe ihm die Beschimpfung ihres Herzens, sie glaube ihm aber nicht, dass es sein Ernst sei. Schiller verwendet hier die Figur der Trias - "schätz' ich Sie", "vergebe ich Ihnen", "glaube ich Ihnen nicht" (S. 28, Z. 10f) - und unterstreicht so die zunehmende Selbstsicherheit der Rednerin. Aus der Angeklagten wird die Lobende, Verzeihende und sogar die Glaubwürdigkeit des Gesprächspartners Bezweifelnde.

Die letzte Behauptung begründet sie zuerst: Ferdinand müsse ihr "eine große Seele zutrauen oder - von Sinnen sein" (S. 28, Z. 14f), wenn er es wage, eine Frau in ihrer Position derartig zu beleidigen. Die Beschuldigung, für den Ruin des Landes verantwortlich zu sein, weist sie zunächst ohne Begründung zurück, geht aber darauf am Höhepunkt ihrer Rede ausführlich ein. Sie beginnt mit einer Antwort auf den Vorwurf, keine würdige Vertreterin des britischen Volkes zu sein und erzählt, wie das Schicksal ihres Vaters, der Mutter und ihre ausweglose Lage als Flüchtling in Hamburg sie in die Arme des Herzogs getrieben haben.

Bereits damit hat sie Ferdinand so sehr erschüttert, dass er sich anklagt:

"Was tat ich? - - Schrecklich enthüllt sich mein Frevel mir. Sie können mir nicht mehr vergeben." (S. 29, Z. 15f)
Die Lady selber ist von diesen Erinnerungen ebenfalls aufgewühlt, schildert dann aber, ohne Ferdinand zu antworten, wie sie am Hofe dank ihrer Stellung als Favoritin des Fürsten zuerst Frauen und Mädchen des Landes vor der "Wollust der Großen dieser Welt" (S. 29, Z. 23) geschützt und anschließend kostspielige Italienerinnen und Pariserinnen vom Hof vertrieben habe, indem sie dem
"Tyrannen den Zügel" abnahm, "der wollüstig in meiner Umarmung erschlappte" (S. 29, Z. 41f).

Es sei ihr nicht recht, dass sie vor Ferdinand mit ihren Taten prahlen müsse, damit er sie nicht verkenne, aber sie erwähnt trotzdem auch noch, dass sie zugunsten Angeklagter eingegriffen und dafür gesorgt habe, dass Missetäter bestraft wurden. Dies alles habe sie als Buhlerin des Fürsten getan und deshalb sagt sie:

"Wie stolz konnte mein Herz jede Anklage meiner fürstlichen Geburt widerlegen!" (S. 30, Z. 10ff)
Ferdinand aber sei der Mann, der sie für diese Opfer belohnen solle,
"der Mann, den ich mit brennender Sehnsucht im Traum schon umfasse - " (S.30, Z. 14f)

Sie hat mit dieser Schilderung ihres bisherigen Lebens alle Vorwürfe Ferdinands entkräftet. Diese Frau hat auch unter unehrenhaften Bedingungen ihre Tugend bewahrt. Sie hat nicht nur ein hartes Schicksal ertragen, sondern ihre Menschlichkeit bewahrt - und sie hat rückhaltlos ihre Liebe zu Ferdinand bekannt. Damit ist Ferdinand vom Ankläger zum Angeklagten geworden, und das ist ihm bewusst:

"Das ist wider die Abrede, Lady. Sie sollten sich von Anklagen reinigen und machen mich zu einem Verbrecher. Schonen Sie [...] meines Herzens, das Beschämung und wütende Reue zerreißen -" (S. 30, Z. 17ff)

Aber die Lady ist nun entschlossen, alle Zurückhaltung aufzugeben und sich über die Etikette hinwegzusetzen, die es der Frau verbietet, um den Mann zu werben, sich ihm gar an den Hals zu werfen. Sie beteuert ihm noch einmal ihre Liebe - "unwiderstehlich allmächtig an dich gezogen" - fleht ihn geradezu an, sie aus ihrem jetzigen Leben zu retten und sie "damit dem Himmel wieder" zu schenken. Andernfalls werde sie aus Verzweiflung "in noch abscheulichere Tiefen des Lasters wieder hinuntertaumel[n]". (S. 30, Z. 24-35)

Jetzt muss Ferdinand den wahren Grund seines Widerstandes gegen die befohlene Heirat offenbaren, und als er der Lady "ein Geständnis" ankündigt, ahnt diese das Schlimmste und möchte ihn daran hindern. Aber Ferdinand lässt sich nicht davon abhalten. Er bekennt, dass er sich in der Lady getäuscht habe, dass er sie habe verachtenswert finden, sie beleidigen und erzürnen wollen. Es wäre für beide Seiten besser gewesen, wenn dieser Plan gelungen wäre. Nach einer Pause gesteht er schließlich, laut Regieanweisung "leiser und schüchterner"(S. 31, Z. 8), seine Liebe zu Luise Miller. Während die Lady "sich bleich von ihm weg" wendet, also entsetzt, schockiert, vielleicht auch einer Ohnmacht nahe ist, "fährt [Ferdinand - V.J.] lebhafter fort" (S. 31, Z. 10) um das Verständnis der Lady zu werben, indem er erklärt, weshalb es seine Pflicht sei, über die Standesgrenzen hinweg das Mädchen zu heiraten, dass er liebe.

Damit sind alle Hoffnungen der Lady enttäuscht, in Ferdinand den Ehemann zu finden, mit dem sie und der mit ihr glücklich werden könnte. Sie erklärt, dass Ferdinand sich und mich, und noch eine Dritte zugrund" richte (S. 31, Z. 24f), weil sie auf der offiziell verkündeten Eheschließung bestehen müsse, wenn sie nicht zum Gespött werden wolle, denn

"Die Beschimpfung ist unauslöschlich, wenn ein Untertan des Fürsten mich ausschlägt." (S.32, Z. 1f)

Obwohl sie bereit wäre, ihre Leidenschaft zu beherrschen und aus Zärtlichkeit“ (S. 31, Z. 41) auf Ferdinand zu verzichten, verbiete ihr dies ihre Ehre - also das öffentliche Ansehen, ihr Ruf. Ferdinand solle sich wehren, so wie sie es tun werde.

Später allerdings, nach dem Gespräch zwischen Lady Milford und Luise in der 7. Szene des IV. Aktes, nachdem Luise mit Selbstmord gedroht hat, falls die Lady Ferdinand zur Heirat zwingen sollte, ändert sie ihre Haltung unter dem Eindruck "der höheren Tugend einer verwahrlosten Bürgerdirne [gemeint ist Luise - V.J.]" (S. 70, Z. 29f). Sie verzichtet auf die Ehe mit Ferdinand, damit auch auf ihre Stellung am Hof, verteilt ihren Besitz und verlässt das Herzogtum, ohne sich persönlich vom Fürsten zu verabschieden (vgl. IV. Akt, 9.Szene). Was an der Figur der Luise noch nachzuweisen ist, dürfte für die Lady auf Grund dieser Analyse deutlich geworden sein: Die weiblichen Hauptfiguren - Luise Miller und Lady Milford - sind dem männlichen Helden Ferdinand menschlich weit überlegen.

zitierte Ausgabe: Schiller, Friedrich von: Kabale und Liebe. Ein bürgerliches Trauerspiel. - Husum (Hamburger Lesehefte Verlag, Heft 61): o.J. [2003]

© Volker Jansen 2003

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