Feedback geben Maßstäbe transparent machen

Erstellung und Einsatz von Korrekturbögen

1. Zur Einführung

Arbeitsökonomie und Transparenz
Unter Korrekturbögen werden hier Rückmelde-Formulare verstanden, die einem Schüler / einer Schülerin vor und nach schriftlichen Arbeiten die Möglichkeit der Selbsteinschätzung und zugleich eine Begründung für die erteilte Note geben.
Ein solcher Korrekturbogen benennt die Anforderungsbereiche der jeweiligen Aufsatzform und wird von der Lehrkraft durch Ankreuzen zutreffender Attributierungen ausgefüllt.
Diese Überlegungen wenden sich dem Thema schwerpunktmäßig unter dem Aspekt der Arbeitsökonomie für Lehrer zu. Des Weiteren geht es um die größere Transparenz für Schüler im Hinblick auf die zu erbringende schriftliche Leistung. Die Fragestellungen lauten dementsprechend:
Wie viel Rückmeldung benötigt der einzelne Schüler zur Verbesserung seiner Schreibfähigkeiten,
ist damit zwangsläufig Mehrarbeit für die Lehrkraft verbunden
und welche Bestandteile soll ein Korrekturformular enthalten?

Der Lehrerkommentar
Ich beginne mit zwei beispielhaften Lehrerkommentaren zu Kursstufenarbeiten und untersuche diese auf ihre Botschaft und mögliche Wirksamkeit:

Lehrerkommentar für Schüler 1:

Die Arbeit ... lässt ordentliche Textkenntnis und korrektes Werkverständnis erkennen, die Analyse des Romanausschnittes fördert Wesentliches zutage, der Textausschnitt selbst wird in den größeren Zusammenhang der Romanstruktur eingeordnet. Die Darstellung der Konfliktsituationen spricht vieles an, es fehlt aber die begriffliche und inhaltliche Zuspitzung auf einen bzw. den zentralen Vergleichsaspekt. Ärgerlich ist die äußere Form, die Schrift ist eine Zumutung, die zahlreichen Sprachfehler machen die inhaltlich durchaus feststellbaren Leistungen fast zunichte.

Lehrerkommentar für Schüler 2:

Die Arbeit ... ist kompetent eingeleitet und übersichtlich aufgebaut. Die genaue Textkenntnis steht außer Frage. Die Analyse ist textnah und arbeitet die Dynamik der Ereignisse ebenso wie die Erzähltechniken sehr gut heraus. Auch die Charakterisierung der Frauengestalten ist tiefschürfend und berücksichtigt den historischen und sozialen Hintergrund des Romanes. Lediglich die Kontrastierung der Frauengestalten mit dem Protagonisten hätte noch etwas schärfer herausgearbeitet werden können. Sprache und Stil sind souverän gehandhabt und vervollständigen das erfreuliche Gesamtbild.

Beide Kommentare versuchen möglichst viele Aspekte so individuell wie möglich anzusprechen, gleichzeitig die Stärken und die Mängel herauszuheben. Der Einstieg verzeichnet das Positive, Differenzierungen leisten Adjektive wie ordentlich’, tiefschürfend’, kompetent’, ärgerlich’, erfreulich’, genau’, schärfer’, gut’ und weitere Modifikatoren (,noch etwas’, sehr’, fast’).
Angesprochen werden die folgenden Anforderungsbereiche: Aufbau, Textkenntnis, Werkverständnis, Einordnung in Zusammenhang, Charakterisierung und Kontrastierung von Personen, Analyse von Erzählweise, die eigene Ausdrucksfähigkeit, Schreib- und Stilsicherheit, das Schriftbild und die äußere Form.

Die Anrede könnte persönlicher sein („Lieber Wolfgang, ich sehe, dass ...“), es ließen sich am Schluss noch aufmunternde Worte mitgeben („Mach weiter so!“ oder „Das kannst Du bestimmt noch besser.“) oder gar ein Arbeitsauftrag („Schlage im Duden die Kommaregeln nach und ...“).
Der Kommentator hat sich aber auch so schon viel Mühe gegeben und versucht, auf kürzestem Raum möglichst viel Rückmeldung zu liefern, möglichst viele Leistungsbereiche einzubeziehen und auch sprachlich möglichst vorbildhaft zu sein.
Und schließlich ist die Tendenz der Notengebung den Kommentaren gut ablesbar, wenn auch nicht unbedingt punktgenau: Im ersten Fall wurden 4, im zweiten Fall 14 Notenpunkte vergeben.

2. Lohnt sich die Mühe?

Lohnt sich die Anstrengung und ist dem Schüler /der Schülerin damit weitergeholfen? Ließe sich dieser Energieaufwand mit gutem Gewissen und möglicherweise sogar mit Gewinn formalisieren?

Zuerst noch einmal zurück zu den zitierten Kommentaren, insbesondere zu Schüler 1, bei dem am meisten Hilfestellung zu leisten ist. Drei Fragen:

Das Letztere berührt wohl eher den Unterricht selbst und die Art und Weise, wie eine schriftliche Leistungsmessung in der Klasse oder im Kurs aufgearbeitet wird. Eventuell werden gelungene Beispiele zur Kenntnis gebracht, oder die Lehrkraft hält einen längeren Vortrag und formuliert ihre inhaltlichen Erwartungen, oder sie legt einen schriftlichen Erwartungshorizont vor.

3. Bausteine eines Rückmeldeformulars

Ein Korrekturbogen könnte aber die ersten beiden Punkte durchaus berücksichtigen, indem er
und 2. ein offenes Feld für spezielle Probleme der Orthografie und Zeichensetzung enthält.
Damit sind zunächst die textsortenübergreifenden Bausteine eines Rückmeldeformulars bezeichnet. Dazwischen befinden sich die je textsortenspezifischen Anforderungsbereiche.

Zwei Beispiele für aufsatzspezifische Anforderungsbereiche

Bei der Aufsatzart Textanalyse und Erörterung geht es prinzipiell darum, Thematik und These des vorliegenden Textes richtig wiederzugeben, des Weiteren soll die eigene Argumentation schlüssig sein und zu selbstständigen Schlussfolgerungen führen. Die entsprechenden Rückmeldungen können dann so aussehen: Hinzuzufügen wäre noch der immer akute Bereich der Zitiertechnik: Die Rückmeldung für die selbstständigen Argumentation in einer Erörterung bzw. dem Erörterungsteil kann so aussehen: Bei einer Gedichtinterpretation erwarten wir von den Schülern (je nach Klassenstufen) eine plausible Ausgangshypothese auf der Basis von Vorwissen, dem Titel des Gedichtes und der in der ersten Lektüre geformten Erwartung, dann sollen Strukturen und sprachliche Mittel erkannt und der Gedankengang des Gedichtes eingehend nachvollzogen werden, schließlich ist die Einordnung des Werkes in textübergreifende Zusammenhänge zu leisten. Als Formular kann dies so aussehen:

Alle Bausteine zusammengesetzt - die textsortenübergreifenden und die textsortenspezifischen - ergibt dann für die Gedichtinterpretation das folgende Rückmeldeformular:

4. Risiken und Nebenwirkungen

Bei diesem Beispiel handelt es sich um eine einfache Abstufung: Es werden jeweils drei ‘Erfüllungsgrade’ benannt, die von positiv zu negativ abgestuft sind. Hier ist natürlich viel mehr möglich und der Aufwand an Adjektiven und Modifikatoren kann weit getrieben werden.
Aber: Korrekturbögen sind zwei Gefahren ausgesetzt: Sie können zu simple sein und sie können zu umfangreich geraten. Die letztere Gefahr ist wohl größer, und veröffentlichte Vorschläge sind oft dadurch gekennzeichnet, dass sie mit einer Überfülle von Bewertungsaspekten - bis hin zu ausgeklügelten Punktesystemen - dem möglichen Vorwurf der Simplifikation oder Subjektivität zuvorkommen wollen.

Dadurch wächst aber auch die Gefahr von Missverständnissen auf Schülerseite: Es kann der Eindruck entstehen, dass den Rückmelde-Kategorien und den Ankreuzungen ein implizites Notensystem korrespondiert, das ein berechenbares und damit einklagbares Notenergebnis generieren muss. Und noch etwas: Je ausgefeilter das Kategorien- und Kriteriensystem ist, desto mehr Mühe bereitet es der Lehrkraft beim Ausfüllen.

Um dem Dilemma zwischen zu starrem und zu offenem Kategoriensystem zu entkommen, empfiehlt es sich, in jedem Anforderungsbereich eine Leerzeile für individuell angepasste oder auch spontane Einträge vorzusehen. Um dann vollends Spielraum für Personen-zugewandte Rückmeldungen zu geben, bietet sich noch die Kategorie ’Sonstiges” an.

Reicht das ?
Damit bin ich bei einem gewichtigen Einwand:

„Der Korrekturbogen ersetzt selbstverständlich nicht die individuelle Schlussbemerkung, mit der der Lehrer seine Notenfindung differenziert begründet, die Stärken des Aufsatzes würdigt und die Schwächen der Arbeit nennt. [...] Der Bogen soll eine Stütze für die Formulierung einer geschlossenen Schlussbemerkung darstellen.“

So schreibt Eckehard Weiß als Bedienungshinweis zu seinen und anderen Korrekturbögen, wie sie auf der Webseite "deutsch.digitale-schule-bayern.de“ vorgestellt wurden. (Die Seite ist leider eingestellt worden). Ich meine demgegenüber, der Korrekturbogen vermag eine "individuelle Schlussbemerkung“ durchaus zu ersetzen! Hierzu sollte man sich einmal vor Augen führen, welche Vielzahl von Informationen und Hinweisen der Schüler durch die Lehrerkorrekturen insgesamt erhält: Da sind die Anmerkungen im Schülertext, die Randbemerkungen zum Schülertext, die formalisierte Rückmeldung durch den Korrekturbogen selbst und schließlich die zusätzlichen, in die Freiräume des Bogens eingefügten, differenzierenden Hinweise. Das Problem ist wohl eher die Fülle der Informationen. Daraus ließe sich zwar die Notwendigkeit herleiten, dass der Lehrer alles noch einmal auf den Punkt, auf einen abschließenden Nenner oder in treffende Begrifflichkeit zu bringen unternimmt. Doch leistet hier die Lehrkraft nicht Stellvertreter-Arbeit, wie so oft? Macht sie es dem Schüler dadurch leichter, indem sie ihm die Mühe des Nachvollzugs abnimmt? Gehört dies nicht - so sei noch hinzugefügt - in die Abteilung: Lehrer arbeitet, Schüler nimmt zur Kenntnis und hakt ab?

5. Weitere praktische Vorschläge

1. Es ist darum ein sinnvoller - weil die Metakognition der Schüler fördernder - Arbeitsauftrag, die Schüler auf der Grundlage des Korrekturbogens selbst einen ausformulierten Kommentar verfassen zu lassen. Damit wird der umgekehrte Weg beschritten: Der Schüler setzt sich noch einmal mit dem Lehrerfeedback auseinander, versucht es schriftlich nachzuvollziehen und kann daraus, wenn dazu aufgefordert, gezielte Fragestellungen für individuelle Verbesserungsmöglichkeiten ableiten.

2. Der Korrekturbogen sollte den Schülern schon vor der Leistungsmessung bekannt sein, ja er könnte sogar im Verlaufe der Beschäftigung mit dem Thema oder der Textsorte sukzessive entstehen. Auch dies kommt einem Perspektivwechsel gleich: Der Schüler macht sich Gedanken über zu erwartende Aufgabenstellungen und Bewertungskriterien, die sonst nur dem Lehrer vorbehalten sind/waren. Ein solcher Prozess der gemeinsamen Kriterien-Erarbeitung kann dem Deutschunterricht auch den faden Beigeschmack von Nicht-Vorhersagbarkeit nehmen: Es könnte ein deutlicherer Zusammenhang zwischen Unterrichtsverlauf und Leistungsmessung erkennbar werden und der Schüler bekommt damit die Chance, sich auch auf Deutscharbeiten zielgerichteter vorzubereiten: Die Leistungsmessung muss dann nicht mehr so Transfer-lastig erscheinen, wenn ganz explizit auch Aspekte der gelungenen Strukturierung, der richtigen Zitiertechnik oder gar der äußeren Gestaltung (Lesbarkeit, leserfreundliche und sinnhafte Absätze) berücksichtig werden.

3. Korrekturbögen inspirieren zur Kommunikation und Vereinheitlichung innerhalb der Deutsch-Fachschaft. Eine praktische Umsetzung der Standards könnte damit beginnen, dass Deutsch-Kolleginnen und Kollegen sich mittels Korrekturbögen über ihre Erwartungen und Gewichtungen in der Aufsatzerziehung verständigen.

4. Korrekturbögen, sofern sie konsequent für die wichtigsten Aufsatzformen und Textsorten entwickelt werden, können über die Mittelstufe hinweg auch eine Art Textsorten-Bibliothek in Schülerhand ergeben, vergleichbar dem in der Unterstufe gerne eingesetzten Grammatik- oder Regelheft.

5. Ein Korrekturbogen kann noch eine zusätzliche Information bereithalten, die mit der gerade korrigierten schriftlichen Leistung zwar weniger zu tun hat, und deshalb deutlich abgetrennt werden muss, aber die Schüler immer interessiert: die momentane Einschätzung der mündlichen Leistung.

Dieses Postscriptum mit dem Zusatz ‘zur Zeit’ (oder: ‘in dieser Unterrichtseinheit’) macht auch insofern Sinn, als oft genug ein Zusammenhang zwischen der mündlichen Schüler-Leistung und dem Thema der schriftlichen Leistungsmessung besteht: Kein Schüler arbeitet immer gleichermaßen konstant mit, sondern sehr oft in Abhängigkeit vom Unterrichtsgegenstand mal mehr mit als sonst oder auch - mangels Interesse oder Leistungsfähigkeit - kurzzeitig weniger.

Fazit
Die Vorteile von Korrekturbögen bestehen im Folgenden:

Material

  1. Zur freien Verfügung: Sechs Korrekturbögen im *.doc-Format zu Buchvorstellung, Erörterung, Gedichtinterpretation, Inhaltsangabe, Personencharakteristik und Texterörterung zum Download als zip-Archiv
  2. Literaturtipp: Christina Wilhelm, Aufsätze leichter beurteilen (Sek.I), eine nicht mehr neue, aber anregende Publikation mit 21 Beurteilungsbögen für alle Aufsatzarten

(cc) Klaus Dautel


Dautels ZUM-Materialien: Google-Fuss

Impressum - Datenschutz